Es reicht eben auch nicht aus, vor „operativer Hektik bei pädagogischer Windstille“ zu warnen und es bei halbherzigen und falschen Weichenstellungen zu belassen, welche die Reformen, die Sie in Gang gesetzt haben und die von uns Grünen immer unterstützt wurden, noch konterkarieren. Deswegen sagen wir, es reicht nicht aus, auf das Greifen der Reformen zu warten. Berlin könnte heute schon viel weiter sein. Deswegen lautet unser Thema für diese Aktuelle Stunde: PISA-E: Stagnation ist kein Erfolg – alle Begabungen fördern und Chancengleichheit herstellen.
Und genau dies, Chancengleichheit herstellen und alle Begabungen fördern, geschieht nicht an den Hauptschulen. Es geschieht nicht durch das Sitzenbleiben. Das ist nur Zeitklau, und die Sitzenbleiber lernen nichts dazu. Deshalb ist es pädagogisch wichtig, richtig und konsequent, das Sitzenbleiben komplett abzuschaffen und auch die Hauptschulen abzuschaffen, weil nämlich das Separieren von Leistungsschwachen die individuellen Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler eben nicht fördert. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass nicht nur wir als Grüne das so sehen, sondern dass das auch Stimmen
Nein, die Abschaffung der Hauptschulen! – Ich frage mich, ob die Berliner CDU bei ihrem Besuch in Hamburg, wo sie den Versuch unternommen hat zu erfahren, was sich hinter moderner CDU-Metropolenpolitik versteckt, etwas gelernt hat. Vielleicht hätte die Berliner CDU sich an dieser Stelle mit der Hamburger CDU darüber unterhalten und lernen sollen, dass es viel besser ist, auf Integration statt auf Separierung zu setzen. Aussortieren ist nach wie vor eine falsche Strategie von gestern, der Sie leider heute immer noch anhängen.
Ich kann Ihnen nur für meine Fraktion und aus unseren Erfahrungen mit der grünen Bildungskampagne berichten: Gemeinsam lernen und individuell fördern, das sind zwei Seiten ein und derselben Medaille. Das sehen im Übrigen auch die allermeisten Eltern so. Sie wollen nämlich, dass Begabte und Benachteiligte gefördert werden, allerdings wollen sie dies auf einem höheren Niveau, als wir das derzeit in Berlin haben. Das ist die doppelte Aufgabe, vor der Berlin steht. Deswegen wollen wir heute diskutieren, welche Fehler sich Berlin in dieser Frage nicht länger leisten kann – Stichwort Lehrerausbildung und Einstellungspolitik von Lehrerinnen und Lehrern. Wir wollen mit Ihnen diskutieren, was für Schritte notwendig sind, um die Ungerechtigkeiten beim Zugang zu Bildung Schritt für Schritt abzubauen – Stichworte Schulen in sozialen Brennpunkten, die Zusammenarbeit zwischen Schule und Jugendhilfe und die Elternarbeit.
Eine letzte Anmerkung sei mir noch gestattet. Dass CDU und SPD im Zuge der anstehenden Föderalismusreform nunmehr Ganztagsschulprogramme, wie wir sie von Rot-Grün erlebt haben, in einem Umfang von 4 Milliarden €, wovon auch Berlin profitiert hat, als große Koalition in Zukunft unmöglich machen will, das ist ein klarer bildungspolitischer Fehlstart. Einem solchen Fehlstart werden nicht nur wir nicht zustimmen, sondern dem sollte auch insgesamt das Land Berlin nicht zustimmen.
Für die Fraktion der FDP hat Herr Lehmann das Wort zur Begründung der Aktualität des Themas der Aktuellen Stunde. – Bitte schön, Herr Lehmann!
Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! „Willst du Berlin mal oben sehen, musst du die Tabelle drehen.“ – So oder so ähnlich könnte man die Ergebnisse der letzten nationalen Vergleiche – egal ob für Bildung oder für Arbeitsmarkt – zusammenfassen.
Dem rot-roten Senat ist es tatsächlich gelungen, Berlin auf die letzten Plätze zu verbannen, und bekanntermaßen arbeitet er daran, Berlins Ruf als rote Laterne auch zu verteidigen.
Betreten wir nun aber einmal eines der Felder sozialdemokratischen Versagens, nämlich die Bildungspolitik. Es findet sich ein ganz deutlicher Zusammenhang zwischen sozialdemokratischer Regierungstätigkeit und negativer Bildungsleistung. Das lässt sich problemlos anhand der PISA-03-Ergebnisse überprüfen. Während sich Berlin mit einem leistungsfeindlichen Klima und einer wachsenden Disziplinlosigkeit bei Schülerinnen und Schülern herumplagen muss – allein die festgestellten Verspätungen beim Unterrichtsbesuch sprechen Bände –, kann in anderen Bundesländern eine erfreuliche Entwicklung verzeichnet werden. Dementsprechend reihen sich mittlerweile Bayern, Sachsen, Baden-Württemberg und Thüringen unter den PISA-Siegerländern ein, können sich durchaus mit Finnland, Kanada oder der Schweiz messen lassen.
Diese Bundesländer haben es geschafft, ihre starke Ausgangsposition zu festigen bzw. weiter auszubauen. Gemeinsam haben sie den Ansatz verfolgt, verstärkt den Schulen und Schülerinnen und Schülern Leistungen abzuverlangen und die vorgegebenen Ziele zu kontrollieren. Man hat die Eigenverantwortlichkeit der Schulen vor Ort gestärkt und auf Experimente in Bezug auf die Gliedrigkeit des Gesamtsystems verzichtet. Fragen der sozialen Ungleichheit und Chancengerechtigkeit wurden in diesen Bundesländern zwar thematisiert, spielten bei den Reformansätzen jedoch eine tendentiell untergeordnete Rolle.
Anders dagegen ist es in den sozialdemokratisch geprägten Ländern wie Nordrhein-Westfahlen: Hier forcierte die damals noch rot-grüne Landesregierung die Zusammenlegung und Neugründung von Gesamtschulen. Man wollte auf dem Weg der Einheitsschule die Chancen von Kindern aus bildungsfernen Elternhäusern angleichen. Dafür war die Regierung sogar gewillt, die Wahlmöglichkeit der Eltern entscheidend einzuschränken. Wenn wir NRW mit Bayern und Sachsen direkt vergleichen, kommt der erwartete Kompetenzvorsprung von 47 Punkten – das entspricht ungefähr einem Schuljahr – im mathematischen Bereich zum Vorschein. Man erhält aber gleichzeitig die erstaunliche Information, dass sich in Bayern und Sachsen der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Kompetenzniveau sehr viel günstiger entwickelt hat als in NRW oder in Berlin.
In der Arbeitsmarktpolitik sieht es nicht viel anders aus: Mittlerweile hat Berlin auch hier die rote Laterne übernommen. Kein anderes Bundesland hat eine derart hohe Arbeitslosenquote wie Berlin. Der Senat muss mittlerweile auch mit über 500 000 Bezieherinnen und Beziehern von Arbeitslosengeld II rechnen. Abgesehen von den Auswirkungen auf den Berliner Haushalt wird unser demokratisches System aufs Spiel gesetzt, wenn es uns nicht gelingt, die Massenarbeitslosigkeit zu beseitigen.
Dazu bedarf es eines Systemwechsels in der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik. Ich habe allerdings bei diesem Senat keine Hoffung mehr, dass er diesbezüglich etwas lernen wird.
Das gehört dazu, Herr Gaebler. Wenn Sie richtig hinhören, werde Sie merken, dass das zur Aktualität ist. –
Wer sich in die Gesellschaft – egal, ob Migranten oder nicht – integrieren möchte, braucht zunächst einen Arbeitsplatz auf dem ersten Arbeitsmarkt. Wir haben es doch in der Vergangenheit gesehen: Alle Programme zur Weiterbildung und Integration bringen nichts, wenn es die Perspektive Arbeitsplatz nicht gibt. Hier verweise ich auf die sehr erfolgreichen angelsächsischen Länder. Nehmen Sie sich an deren Politik mal ein Beispiel.
Es ist schon ein Treppenwitz, wenn in dem Land der sozialen Gerechtigkeit, nämlich in Deutschland, weniger Menschen aus niedrigeren Bildungsschichten eine gute Ausbildung erhalten als in den für viele bösen, kapitalistischen USA. Deshalb würde es sich lohnen, über unseren Vorschlag zu diskutieren. – Das gilt auch für Sie, Herr Gaebler. – Vielen Dank!
Ich weise aus gegebenem Anlass noch einmal darauf hin, dass das Telefonieren mit dem Handy im Saal nicht erlaubt ist. Hier ist erstens keine Telefonzelle, und zweitens wird unsere Lautsprecheranlage dadurch gestört. Eigentlich zieht das Telefonieren im Saal einen Ordnungsruf nach sich. Dieses Mal wird es ihn auch geben, insbesondere in den Fällen, in denen so nachhaltig und sichtbar gegen dieses Verbot verstoßen wird.
Zurück zur Aktuellen Sunde: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich lasse zunächst über den Vorschlag der Fraktion der Grünen abstimmen, weil sich im Ältestenrat eine Mehrheit für dieses Thema abzeichnete. Wer dem Vorschlag der Grünen zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Koalitionsfraktionen und die Grünen. Die Gegenprobe! – Das ist die CDU. Erstes war die Mehrheit. Damit ist das beschlossen. Die FDP enthält sich. Die anderen Themenvorschläge sind damit erledigt.
Ich weise auf die Ihnen vorliegende Konsensliste und das Verzeichnis der eingegangenen Dringlichkeiten hin. Sofern sich gegen die Konsensliste bis zum Aufruf des entsprechenden Tagesordnungspunktes kein Widerspruch erhebt, gelten die Vorschläge als angenommen. Über die Anerkennung der Dringlichkeit wird dann wieder jeweils an der entsprechenden Stelle der Tagesordnung entschieden.
Durch die Wahl von drei ehemaligen Abgeordneten der Fraktion der CDU in den Deutschen Bundestag sind für verschiedene Gremien Nachwahlen zur Neubesetzung von Kuratorien und des Landesjugendhilfeausschusses notwendig. Auf Ihren Tischen finden Sie ein Schreiben der Fraktion der CDU vom gestrigen Tag. Dem entnehmen Sie, um welche Gremien es sich handelt und wer von der Fraktion der CDU in diese Gremien gewählt werden soll. Dabei entfällt die laufende Nummer 6, nämlich die Gemeinsame Finanz- und Wirtschaftskommission. Das kommt später, wie mir gerade mitgeteilt wurde. Wer der Wahl der in dem Schreiben vom 9. November 2005 genannten Abgeordneten – mit Ausnahme des Punktes 6 – in die aufgeführten Gremien zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind alle Fraktionen. Damit sind die Genannten einstimmig gewählt.
Unsere übernächste Sitzung am 8. Dezember 2005, in der die II. Lesung des Haushalts ansteht, beginnt bereits um 9.00 Uhr. Bitte notieren Sie das und berücksichtigen Sie es bei Ihrer Terminplanung.
Das Wort zur ersten Mündlichen Anfrage hat die Abgeordnete Borsky-Tausch von der Fraktion der SPD zum Thema
1. Wie bewertet der Senat das Ergebnis des Gewaltberichts 2004/2005, nach dem im vergangenen Schuljahr an Berliner Schulen 894 Vorfälle mit Gewalthandlungen oder extremistischer Motivation gemeldet wurden?
Herr Präsident! Frau Abgeordnete Borsky-Tausch! Der Senat von Berlin hat als einziges Bundesland eine systematische Berichterstattung und Bestandsaufnahme von Gewaltvorfällen in Schulen eingeführt. Das ist bisweilen unangenehm, weil teilweise erschreckende Zahlen bekannt wer
den. Ich finde das aber absolut richtig, denn das Wichtigste bei der Bekämpfung von Gewalt ist zunächst das Registrieren aller Vorfälle. Nur so kann Gewalt dann an Schulen abgebaut werden.
Es ist bedauerlicherweise wahr, dass die Zahl der Fälle im Vergleich zum letzten Schuljahr gestiegen ist. Die Zahl von extremistischen Gewaltvorfällen ist auch gestiegen. Das darf nicht beschönigt oder vertuscht werden. Wir arbeiten sehr eng mit der Berliner Polizei zusammen. Die kriminalpolizeilich erkennbaren Gewaltvorfälle sind zurückgegangen, insbesondere Gewaltvorfälle, die auf Schulwegen passieren. Wir arbeiten in diesen Fragen generell mit der Jugendhilfe, der Polizei, der Staatsanwaltschaft und den Schulen zusammen.
Zur zweiten Frage, in der Sie wissen wollen, was der Senat tut, um Gewalttaten präventiv zu begegnen: Der Senat und meine Verwaltung haben auf bildungspolitischem Gebiet eine Fülle von Maßnahmen und Personal installiert. Wir haben nach dem schrecklichen Vorfall in Erfurt die Zahl der Schulpsychologen in Berlin erhöht. Diese kümmern sich intensiv um Konfliktfälle. Wir haben darüber hinaus Mediatoren und Konfliktschlichter für die Berliner Schulen ausgebildet. Das sind Schülerinnen und Schüler, die im Klassenverband bei verbalen und tatsächlichen Gewalthandlungen einschreiten und die Konflikte thematisieren, um sie zu schlichten und die Ursachen für konflikthaftes Verhalten aufzuarbeiten. Zudem haben wir Standpunktpädagoginnen und -pädagogen, die als Beraterinnen und Berater gegen Extremismus in der Berliner Schule arbeiten. Außerdem haben wir den Schulen Notfallpläne übermittelt, die exakte Handlungsparameter enthalten, um in Einzelfällen mit solchen Vorfällen fertig zu werden.
Die Schule ist Teil unseres gesellschaftlichen Lebens und kein Raum, der komplett behütet ist. In die Schule werden alle gesellschaftliche Konflikte hineingetragen. Deshalb bedanke ich mich bei all denjenigen in den Berliner Schulen – den Schülerinnen und Schülern, den Lehrerinnen und Lehrern und den Schulleiterinnen und Schulleitern –, die tatkräftig gegen die Gewalt arbeiten.