Protocol of the Session on September 15, 2005

Der Hauptstadtkulturfonds ist eine Unwucht, über die man reden muss.

Dies zeigt ein provinzielles Kulturverständnis ersten Ranges. Dies zeigt ein Kulturverständnis, das lediglich Wert auf das Repräsentative legt, das Subversive, das Provokante und Experimentelle an der Kunst ist nicht gewünscht. Hier werden alte Rezepte aus der Zeit der Regierung Kohl aus dem Mülleimer der Geschichte geholt, die längst Makulatur sein sollten.

[Beifall bei der SPD – Frau Grütters (CDU): Wir haben den Hauptstadtkulturfonds erfunden!]

Allerdings – manches, was die CDU fördern will, brauchen wir wirklich nicht in Berlin. Das ist z. B. das Zentrum gegen Vertreibungen in Regie des Bundes der Vertriebenen.

[Beifall bei der SPD, der Linkspartei.PDS und den Grünen]

Das ist ein Rückschritt auf den engen nationalen Blick und gegen Verständigung und Versöhnung mit unseren osteuropäischen Nachbarn gerichtet.

[Beifall bei der SPD und der Linkspartei.PDS]

Ich fordere daher besonders alle CDU-Politikerinnen und -politiker auf, sich vehement für die Erhaltung der Hauptstadtkulturförderung und besonders für den Erhalt des Hauptstadtkulturfonds einzusetzen. Allerdings muss ich auch sagen, ich finde es nicht besonders hilfreich, wenn unser eigener Kultursenator dem Bund einen Kuhhandel anbietet, den Hauptstadtkulturfonds gegen die Sanierung der Staatsoper einzutauschen. Sie kennen doch das Gleichnis von dem Linsengericht, Herr Senator!

[Frau Grütters (CDU): Der telefoniert gerade!]

Ich bin sicher, dass es auch möglich sein wird, die Länder von der Hauptstadtkulturförderung zu überzeugen. Die

Hauptstadt ist die Bühne der Länder und die wichtigste Visitenkarte unseres Landes. Warum soll es nicht möglich sein, z. B. den Gropius-Bau als die Ausstellungshalle der Länder zu benutzen? Warum soll es nicht möglich sein, die Kunstausstellung von Nordrhein-Westfalen, die Kunstsammlungen anderer Länder im Gropius-Bau zu zeigen?

Was auch immer uns parteipolitisch unterscheiden mag, was den Erhalt und die Pflege unserer kulturellen Vielfalt in unserer Hauptstadt angeht, müssen wir an einem Strang ziehen. In diesem Sinne bitte ich Sie, unseren Einsatz für die Hauptstadtkulturförderung zu unterstützen. Machen wir allen Raubkatzen in unserem Land klar, dass Kultur ohne Mäuse nicht auskommt. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD Vereinzelter Beifall bei Linkspartei.PDS]

Danke schön! – Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Abgeordnete Hahn. – Bitte sehr!

Abg. Hahn (FDP) Frau Präsidentin! Liebe Kollegin! Ich habe mich eben gemeldet, weil Sie die Zwischenfrage nicht zugelassen haben. Sie wissen, dass inzwischen die Geschäftsordnung geändert ist, dass Sie zusätzliche Redezeit bekommen, wenn Sie eine Zwischenfrage beantworten. Das hätten Sie eben tun sollen. Da Sie aber weitergeredet haben, fühle ich mich jetzt noch mehr aufgerufen zu intervenieren. Sie haben nämlich das Zentrum gegen Vertreibungen angesprochen und hiergegen polemisiert in einer Art und Weise, die nicht zulässig ist. Sie haben damit bewiesen, dass Sie sich mit diesen Plänen noch nie auseinander gesetzt haben, sie überhaupt nicht kennen. Sonst wüssten Sie nämlich, dass sie alles andere als gegen eine Verständigung gerichtet sind.

Das Zentrum gegen Vertreibungen, so wie es vom Bund der Vertriebenen geplant ist, soll eine breite Trägerschaft erhalten. Es soll alle Vertreibungen in der jüngeren europäischen Geschichte thematisieren. Es wäre somit eine Einrichtung, die Berlin gut anstünde, und zwar gerade vor dem Gesichtspunkt, dass von Berlin einstmals Pläne zur Vertreibung anderer Bevölkerungen ausgegangen sind. Insofern wäre das hier ein wirklich guter und würdiger Ort, das Thema Vertreibungen darzustellen. Das dazu.

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Aber gemeldet habe ich mich eigentlich, Frau Kollegin, weil Sie gesagt haben, Sie wüssten immer, wofür Senator Sarrazin steht, und andere wüssten das auch. Vor einigen Jahren hat er sich in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ zur Flat Rate bei der Steuer geäußert. Er hat da erklärt, ein Prozentsatz von 23,5 sei richtig. Jetzt hätte ich einmal gern von Ihnen gewusst, wenn Sie so gut wissen, was der Senator denkt, wie er denn heute zu diesen Äußerungen steht und warum er den Professor Kirchhof denn heute öffentlich kritisiert? Wir wissen nicht, ob Senator Sarrazin noch getreulich zu seiner Auffassung in dieser Frage steht. Vielleicht können Sie das Rätsel hier lösen.

Es wäre wenigstens hilfreich für die Wahrheitsfindung in diesem Wahlkampf. – Ich danke Ihnen!

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Frau Lange! Sie haben die Möglichkeit der Erwiderung.

Wissen Sie, Herr Hahn, bei uns ist es Usus, dass jeder selber für sich antwortet. Ich würde Ihnen empfehlen, Herrn Sarrazin direkt zu fragen und die Frage beantworten zu lassen, die Sie an mich gerichtet haben. – Was ich zu dem Zentrum gegen Vertreibungen sagen wollte: Wir finden, dass dieses Netzwerk, das die Kulturstaatsministerin initiiert hat, auf europäischer Ebene, unterstützt werden soll und dass dann die betroffenen Länder selbst entscheiden sollen, wo ein solches Zentrum gegen Vertreibungen angesiedelt sein soll. Mir ist wichtig, dass auch bei einem solchen Zentrum gegen Vertreibungen nicht vergessen werden darf, was Ursache und was Wirkung war.

[Beifall bei der SPD und der Linkspartei.PDS]

Danke schön! – Für die Grünen hat das Wort die Abgeordnete Ströver. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Hahn! Massive Steuersenkungen, die Sie auch anscheinend wollen, führen zu weniger Mitteln im Staatssäckel. Weniger Mittel im Staatssäckel führen zu weniger Ausgaben für die Kultur. Aber da wir wissen, wie die FDP zu diesem Thema steht, die die Kultur komplett privatisieren will, hat man sowieso schon das Gefühl, dass das bei Ihnen jedenfalls in der falschen Hand ist.

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der Linkspartei.PDS – Doering (Linkspartei.PDS): Ertappt!]

Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Hahn?

Nein! Jetzt muss ich erst einmal anfangen!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In diesen hektischen Tagen vor der Bundestagswahl häufen sich die Gerüchte über Giftlisten aus dem Bundesfinanzministerium, mit denen die Ausgaben des Bundes zusammengestrichen werden sollen.

[Doering (Linkspartei.PDS): Sprechen Sie doch den Namen aus, er heißt Eichel!]

Auch die Kultur steht auf diesen Listen. Solche Listen kursieren immer in Finanzministerien.

[Doering (Linkspartei.PDS): Ach ja!]

Das kennen wir zur Genüge auch aus der Berliner Finanzverwaltung. Es gehört zum Grundverständnis von Beamten aus dem Finanzministerium, dass sie sich über

Kürzungen Gedanken machen. Die Frage ist nur, wie reagiert ein Kabinett, wie verhält sich ein Parlament mit seiner Mehrheit,

[Liebich (Linkspartei.PDS): Unser Textbaustein!]

um solche Streichlisten dorthin verschwinden zu lassen, wo sie hingehören – in den Papierkorb? – Angeblich soll es bei den Streichungsvorhaben darum gehen, die vor gerade einmal drei Jahren in das Leben gerufene Bundeskulturstiftung aufzulösen oder gar die Mittel für die Sanierung der Gebäude der Museumsinsel zu kappen. Machen wir uns nichts vor, diese Vorschläge sind lächerlich. Wir alle wissen, wie wichtig diese Repräsentationsprojekte für den Bund sind, unabhängig davon, unter welcher politischen Konstellation das Land regiert wird. Dennoch ist Wachsamkeit geboten. Die Aufmerksamkeit aller ist gefordert, um die Kulturaufgaben und die damit verbundenen besonderen Leistungen für Berlin von Seiten des Bundes zu erhalten.

Übereifrige Finanzbeamte lassen sich im Zaum halten. Schwierig wird es, wenn ein Möchtegern-Staatsminister für Kultur aus ideologischen Gründen die Mittel für die Kultur kürzen will. Die Aussage von Norbert Lammert von der CDU, man wolle den Hauptstadtkulturfonds auf den Prüfstand stellen, weil diese Art von Projektförderung nicht Aufgabe des Bundes sei, offenbart nichts Gutes. Da ist Gefahr im Verzug. Hier will einer offenbar direkten Einfluss auf das künstlerische Schaffen ausüben. Dagegen müssen wir uns wehren. Das ist Zensur von Seiten der Politik. Wir streiten für die künstlerische Freiheit und für den Erhalt des Hauptstadtkulturfonds und nicht für seine politische Vereinnahmung oder gar Abwicklung.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall von der Linkspartei.PDS]

Mit dem Hauptstadtkulturfonds hat die rot-grüne Bundesregierung ein zentrales Element der Hauptstadtförderung geschaffen. Innovative Kunstprojekte wurden von diesem Hauptstadtkulturfonds getragen. Der Fonds ist das sichtbarste und wirkungsvollste Zeichen, wie sich der Bund für das besondere kulturelle Angebot in Berlin engagiert, und zwar auch durch die Ermöglichung der RAFAusstellung oder die Palastzwischennutzung.

[Henkel (CDU): Alles entbehrlich!]

Nur mit Hilfe der rot-grünen Bundesregierung konnte überhaupt die kulturelle Kraft Berlins am Leben erhalten werden. Der Senat allein war und ist dazu schon lange nicht mehr in der Lage. Diese Kraft Berlins zeigt sich nicht nur im klassischen Kulturangebot der großen Häuser, sondern auch in manchem, was politisch oder moralisch grenzwertig oder gar anstößig sein mag. Aber gerade das macht die Kunst aus. Nicht alles, was mit den Mitteln des Hauptstadtkulturfonds gefördert worden ist – Frau Grütters, hier gebe ich Ihnen Recht –, war ein Beispiel für hohe künstlerische Qualität. Aber das Wesen eines Projektfonds ist es gerade, dass neue Dinge ausprobiert werden können, dass Künstlerinnen und Künstler in Grenzregionen vorstoßen. Das ist es, was Berlin so interessant macht für ein junges Publikum. Die kreative Offenheit

trägt viel zum positiven und dynamischen Image Berlins bei, das Berlin weltweit genießt und das hochgradig wirtschaftsförderlich ist.

[Beifall bei den Grünen]

Wenn Herr Lammert über die besondere Förderung Berlins mäkelt, dann ist das vermutlich bloß ein kleingeistiger Neidreflex aus seiner nordrhein-westfälischen Sicht und zudem dem Wahlkampf geschuldet, damit er seine nordrhein-westfälische Klientel ein wenig streichelt.

Größere Sorge bereitet mir allerdings die Möglichkeit, dass sich hinter dieser Mäkelei möglicherweise eine geistig-kulturelle Wende verbergen könnte, die eine schwarzgrün rot

[Oh! bei der Linkspartei.PDS]

das war auch gut –, die eine schwarz-gelb geführte Bundesregierung plant. Den Hauptstadtkulturfonds zur Disposition zu stellen, sich aber andererseits auf ein „Zentrum gegen Vertreibungen“ unter der Ägide des Bundes der Vertriebenen in Berlin festzulegen, das ist die Neuausrichtung der kulturellen Schwerpunkte. Es blüht ein moralischer Zeigefinger, der die Kunst mit Einspardrohungen inhaltlich beeinflussen möchte. Diese Richtungsänderung werden wir Grünen mit aller Energie bekämpfen.

[Beifall bei den Grünen]

Die rot-grüne Bundesregierung hat mit dem Staatsministerium für Kultur und Medien zum ersten Mal in der Nachkriegsära Kulturpolitik auf Bundesebene zu einem gesellschaftlichen Faktor gemacht. Die „berüchtigte“ Abteilung K des Bundesinnenministeriums, auf die Kanzler Helmut Kohl immer dann Einfluss genommen hat, wenn aus seiner Sicht kulturell Flagge zu zeigen war, ist zum Glück Vergangenheit. Eine offene Diskussion über das, was der Bund alles fördert und gefördert hat, gibt es überhaupt erst, seit dem Umzug von Parlament und Regierung nach Berlin. Die Hauptstadtförderung für Bonn hat ohne öffentlichen Diskurs stattgefunden. So war sie dann auch. In Bonn wurden Ausstellungshallen und Theater gebaut und gefördert, um die Beamtenschar zu unterhalten. Von internationaler Ausstrahlung konnte nicht die Rede sein.

Christina Weiss und ihre beiden Vorgänger haben mit der rot-grünen Mehrheit im Bund die Rahmenbedingungen, unter denen Künstlerinnen und Künstler in Deutschland arbeiten können, gestaltet. Einige wenige seien genannt:

der ermäßigte Mehrwertsteuersatz für Kulturgüter ist geblieben und muss weiterhin bestehen,