Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 72. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin und begrüße Sie, unsere Gäste und Zuhörer sowie die Medienvertreter sehr herzlich.
Heute ist der 1. September 2005, heute jährt sich zum 66. Mal der Tag, an dem der Zweite Weltkrieg begann. Bevor wir uns der Tagespolitik zuwenden, möchte ich an dieses verhängnisvolle Datum der Weltgeschichte erinnern. Denn Politik wird in unserem Land – und ganz besonders hier in Berlin – auch immer vor dem Hintergrund von Geschichte gemacht. Der Überfall deutscher Truppen auf unser Nachbarland Polen am 1. September 1939 hat den Zweiten Weltkrieg ausgelöst, der für Millionen Menschen Unheil, Leid und Tod brachte. Um der historischen Wahrheit und Gerechtigkeit willen müssen wir deutlich sagen, dass der Weltkrieg damals nicht von selbst entstanden, sondern von Deutschland ausgegangen ist. Die Pläne für den Überfall auf Polen wurden hier in Berlin ausgearbeitet. Der Befehl zum Angriff wurde hier in Berlin gegeben. Das darf niemand vergessen, der über die Ereignisse und über die Folgen dieses Krieges nachdenkt und diskutiert.
Bevor wir mit unseren Beratungen beginnen, habe ich eine traurige Pflicht zu erfüllen und bitte Sie, sich zu erheben.
Heute vor einer Woche, am 25. August 2005, ist in Zürich Prof. Dr. Peter Glotz nach schwerer Krankheit im Alter von 66 Jahren verstorben. Peter Glotz war von 1977 bis 1981 hier in Berlin Senator für Wissenschaft und Forschung.
Mit Peter Glotz verliert unser Land einen hochangesehenen Politiker und Wissenschaftler. Berlin verliert einen ehemaligen Senator, der sich mit ganzer Kraft engagiert und Maßstäbe gesetzt hat.
Im Mai 1977 hatte der damalige Regierende Bürgermeister von Berlin, Dietrich Stobbe, den erfolgreichen Kommunikationswissenschaftler und Politiker Dr. Peter Glotz als Senator für Wissenschaft und Forschung nach Berlin geholt. Zuvor war Peter Glotz, der seit 1961 der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands angehörte, Lehrbeauftragter an der Universität München, Landtagsabgeordneter in Bayern, Bundestagsabgeordneter und – im Kabinett von Helmut Schmidt – Staatssekretär für Bildung und Wissenschaft gewesen.
In Berlin widmete sich Peter Glotz als Senator für Wissenschaft und Forschung insbesondere der Hochschulpolitik. Er bemühte sich erfolgreich darum, Verkrustungen aufzubrechen und Vorbehalte und Hürden zwischen Studenten und Hochschullehrern, aber auch zwischen Studenten und der Gesellschaft, zwischen den Studenten und dem Staat zu überwinden. Mit großer Zivilcourage und großer Geduld stellte er sich persönlich dem Gespräch mit protestierenden Studenten. Nach jahrelangen Boykott-Aktionen, nach den Störungen und Tumulten an den Hochschulen in den 60er und Anfang der 70er Jahre traf die akademische Jugend nun auf einen sachkundigen und hoch engagierten Gesprächspartner.
In seinen relativ kurzen Amtsjahren ist es Peter Glotz gelungen, in der Berliner Wissenschaftspolitik Maßstäbe zu setzen und Wege zu ebnen, um die Studenten mit dem Staat und der Gesellschaft – und auch die Gesellschaft mit den Studenten – zu versöhnen.
Als 1981 Dietrich Stobbe nach seinem Rücktritt als Regierender Bürgermeister auch den SPD-Landesvorsitz niederlegte, übernahm Peter Glotz vorübergehend dieses Amt. In den Jahren danach engagierte er sich wieder auf Bundesebene, zog sich aber 1996 aus der aktiven Politik zurück. Er war zunächst Gründungsrektor der Universität
Wir gedenken eines Mannes, der sich große Verdienste um Berlin erworben hat. Wir trauern um ihn mit Dank und Hochachtung. Peter Glotz wird in Berlin unvergessen bleiben.
Der Jahrestag des 1. September 1939 erinnert daran, dass das polnische Volk das erste Opfer des nationalsozialistischen Vernichtungskriegs war. Den Menschen in Polen ist unsägliches Leid zugefügt worden. Warschau und andere Jahrhunderte alte Städte Polens sind zerstört worden. Kulturelle und menschliche Verbindungen zwischen Polen und Deutschen, die es durchaus über Jahrtausende gegeben hat, sind in dem Krieg unterbrochen und zerstört worden. Nach all dem muss es uns heute doch fast wie ein Wunder erscheinen, dass Polen und Deutsche wieder durch viele staatliche und private Kontakte freundschaftlich verbunden sind. Wer hätte denn vor 25 Jahren gedacht, dass beide Länder einmal Partner in der Europäischen Union und auch in der NATO sein würden? Wer hätte gedacht, dass die Gewerkschaft Solidarność, die gestern ihr 25-jähriges Jubiläum gefeiert hat, einer der Wegbereiter der Befreiung Europas und der Einheit Deutschlands sein würde?
Trotz dieser so erfreulichen Entwicklung müssen gerade wir Deutschen uns bewusst sein, dass die Beziehungen zu unserem polnischen Nachbarn auch heute ein sehr sensibles politisches Terrain sind. Wir dürfen sie nicht durch gedankenlose politische Äußerungen und Vorschläge gefährden. Zu Recht hat Herr Bundespräsident Köhler gerade in diesen Tagen bei seinem Besuch in Polen zu einem offenen Dialog aufgerufen. Ich füge hinzu: Ein offener Dialog muss auch immer ein aufrichtiger Dialog sein.
3. Antrag der Fraktion der Grünen zum Thema: „Zwei Milliarden € für die Fondsanleger der Bankgesellschaft: das Land übernimmt das volle Risiko!“,
Berlin ist seit 1991 mit Warschau durch eine Städtepartnerschaft verbunden, in die auch unsere beiden Parlamente, der Stadtrat von Warschau und unser Parlament, einbezogen sind, mit zahlreichen Aktivitäten. Ich freue mich, dass ich gerade heute eine Repräsentantin des Stadtrats von Warschau begrüßen kann. Ich begrüße in Vertretung des Vorsitzenden des Warschauer Stadtrats die Abgeordnete Frau Keller, die unserer Einladung nach Berlin gefolgt ist. – Herzlich willkommen, Frau Keller!
4. Antrag der Fraktion der FDP zum Thema: „Die Charité muss eine Chance bekommen! Für eine liberale Forschungspolitik und eine innovative Gesundheitsfürsorge in Berlin!“.
Eine Verständigung im Ältestenrat auf ein gemeinsames Thema konnte nicht erreicht werden. Nun rufe ich zur Begründung der Aktualität auf. – Herr Wolf, Sie haben das Wort! Bitte schön!
Frau Keller hat mit uns gemeinsam gestern die Fotoausstellung eines berühmten und bedeutenden polnischen Fotografen eröffnet. Sie haben die Bilder sicherlich schon gesehen, wenn nicht, sollten Sie sich das nicht entgehen lassen. Frau Keller war also gestern da, auch bei der Eröffnung der Festwochen. Sie wird heute Nachmittag an der Kranzniederlegung an der Neuen Wache teilnehmen. So steht der Besuch von Frau Keller in diesen Tagen im Zeichen der Erinnerung an die historischen Ereignisse, aber auch im Zeichen unserer Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft. Und diese Fotoausstellung als unser Beitrag zum deutsch-polnischen Jahr ist ein kleines, ganz winziges Element darin. – Ich bitte Sie, verehrte Frau Keller, dem Stadtparlament von Warschau die Grüße des Abgeordnetenhauses von Berlin zu überbringen. Mit unseren guten Wünschen verbinden wir die Hoffnung, dass es uns gemeinsam gelingen wird, die Freundschaft unserer Völker weiter zu festigen. – Danke schön!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Koalition hat das Thema „Integrationskonzept für Berlin – Betroffene zu Beteiligten machen“ beantragt. Sie werden sich erinnern: SPD und PDS haben ein solches Integrationskonzept noch vor der Sommerpause vom Senat gefordert und die Vorlage in diesem Haus auf den 1. September terminiert. Heute ist der 1. September. Das Konzept ist vom Senat beschlossen und sollte hier und heute an prominenter Stelle und nicht unter ferner liefen diskutiert werden. Das gebietet, glaube ich, schon allein der Respekt vor den 600 000 Migrantinnen und Migranten in Berlin.
Die Aktualität des Themas könnte ich auch mit der erstaunlichen Leistung des Kollegen Ratzmann begründen, der es geschafft hat, schon wenige Minuten nach dem Senatsbeschluss die 83 Seiten studiert und im Wesentlichen nur Lyrik gefunden zu haben, während der Kollege Trapp auf der andren Seite schon einmal vorsorglich Klage gegen Maßnahmen zur interkulturellen Öffnung der Verwaltung empfohlen hat.
Jetzt sind wir fast beim Tagesgeschäft. Bevor ich das aber eröffne, habe ich dem Kollegen Dr. Fritz Felgentreu zum Geburtstag zu gratulieren. – Herzlichen Glückwunsch! Alles Gute, gute Gesundheit!
Wir wollen wissen, wie sich die Opposition zu den 12 Essentials der Berliner Integrationspolitik verhält, ob sie zu einer seriösen Auseinandersetzung zu einem zentralen Zukunftsthema unserer Stadt bereit ist. Wir wollen wissen, ob die Grünen nur mit uns „Literarisches Quartett“ spielen wollen oder an der Qualifizierung und Umsetzung sinnvoller integrationspolitischer Maßnahmen teilnehmen wollen. Und wir wollen wissen, ob die CDU auf ihrem integrationspolitischen Stammtischniveau bleibt, das da lautet: deutsch werden oder abschieben. Die Aktualität könnte ich auch damit begründen, dass im Bundestagswahlkampf erneut einzelne Politiker aus verschiedenen Parteien, inklusive meiner eigenen, gefährlichen Unsinn zur Einwanderung und Integration äußern.
Dann komme ich zum Geschäftlichen. Mit Schreiben vom 29. August bittet die CDU-Fraktion, ihren in der 70. Plenarsitzung am 16. Juni des Jahres überwiesenen Antrag über „Mittelstand bei Charité-Aufträgen auch zukünftig berücksichtigen“, Drucksache 15/4082, der an den Ausschuss für Gesundheit, Soziales, Migration und Verbraucherschutz überwiesen wurde, zusätzlich mitberatend an den Ausschuss für Wirtschaft, Betriebe und Technologie zu überweisen. Der Gesundheitsausschuss erhält also die Federführung. – Widerspruch dazu höre ich nicht. Dann ist das so beschlossen.
Das vorliegende Integrationskonzept ist da mehr als nur ein Zeichen, dass es Koalition und Senat ernst meinen, den von Rot-Rot eingeleiteten Paradigmenwechsel in der Integrationspolitik in einem Gesamtkonzept zu bündeln und unumkehrbar zu machen, nämlich zu begreifen: Einwanderung, Integration ist eine Zukunftschance und Herausforderung in allen Ressorts und gesellschaftlichen Bereichen. Und das gilt es zu gestalten. Vielfalt ist kein Problem, Vielfalt ist die Normalität einer pluralen Gesellschaft. Sie muss gefördert werden, um Austausch produk
1. Antrag der Fraktion der SPD und der Linkspartei.PDS zum Thema: „Integrationskonzept für Berlin – Betroffene zu Beteiligten machen“,
2. Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: „Sinkende Studentenzahlen, überschuldete Charité, Mittelkürzungen – Flierls trostlose Hochschulpolitik ruiniert Berliner Leistungen für Deutschland“,
tiv zu machen. Rassismus und Diskriminierung müssen bekämpft werden. Zusammenhalt muss gestärkt werden.
Das fordert alle in der Gesellschaft, auch die so genannte Mehrheitsgesellschaft. Deshalb ist der Ansatz, Integrationspolitik als prioritäre Querschnittsaufgabe zielorientiert und partizipativ zu bearbeiten, beispielgebend, auch für andere Bundesländer und die Bundespolitik.
Der wichtigste Grund für die Aktuelle Stunde aber ist, dass die Verbände und Initiativen in dieser Stadt nach dem Integrationskonzept für Berlin verlangen. Sie wollen es lesen, prüfen und sehen, welche ihrer Vorschläge und Forderungen Eingang gefunden haben, und Öffentlichkeit und Transparenz ist die wichtigste Voraussetzung für die Partizipation der Betroffenen. Sie werden nicht nur den Senat, sondern alle politischen Parteien in diesem Hause befragen und beurteilen, wie sie sich zu Konzept und Umsetzung verhalten – und womit? – Mit Rech
Das Lachen müsste Ihnen vergehen, wenn Sie genau hingucken, was Sie in den vier Jahren Ihrer Regierung angerichtet haben. Das ist zumindest für Hochschulen und Forschung deprimierend.
Heute legen Sie endlich – nach einer quälenden Phase der Neustrukturierung ein Unimed-Gesetz vor – so selbstgefällig würde ich, Herr Flemming, an Ihrer Stelle nicht gucken –, das den zentralistischen Großbetrieb Charité sichern soll. Ausgangspunkt war die absurde Idee der neuen rot-roten Koalitionspartner, das Universitätsklinikum Steglitz zu einem städtischen Haus zu degradieren, der FU den Status als Volluniversität zu nehmen, Drittmittel in dreistelliger Millionenhöhe in den Wind zu blasen und die HBFG-Mittel an den Bund zurückzuzahlen. Anstelle dieses Unfugs wurde dann das neue Monstrum Charité in der heutigen Form gebildet, nur leider mit einem völlig untauglichen Vorschaltgesetz, mit dem diese hervorragende Einrichtung zwei Jahre leben musste. Doch statt Erleichterung, weil heute ein endgültiges Gesetz vorgelegt wird, wieder Enttäuschung und Entsetzen bei den Betroffenen, denn Sie, Herr Flierl, und Ihre herrlichen Mitstreiter aus PDS und SPD haben nichts dazugelernt.
Die Koalition versteht diese Aktuelle Stunde als Auftakt für eine breite und ausführliche Beratung nicht nur in diesem Haus, sondern auch und gerade mit den Betroffenen und Interessierten. Verbesserungsvorschläge, sofern sie den Essentials des Integrationskonzepts nicht zuwiderlaufen, sind seitens der Koalition ausdrücklich erbeten. – Danke schön!
[Zuruf von der Linkspartei.PDS: Wie lebt sich’s in der Platte?] [Wechselberg (Linkspartei.PDS): Linkspartei!]
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Wieder ein Korb für die HumboldtUniversität“, titelte vorgestern der „Tagesspiegel“. Wieder ein Korb für den Senat, für die Berliner Wissenschaftspolitik, denn tatsächlich hat ein für Berlin und die Humboldt-Universität sehr attraktiver Kandidat für das Präsidentenamt, Helmut Schwarz, Vizepräsident der DFG, abgesagt. Begründung: Die Berliner Landespolitik! Ich zitiere Professor Schwarz: