Protocol of the Session on August 18, 2005

[Zuruf des Abg. Eßer (Grüne)]

Stellen Sie sich einmal vor, liebe Kolleginnen und Kollegen von Schwarz-Gelb und von Rot-Grün, Sie hätten das nicht gemacht! Wir müssten über die Finanzierung eines kostenfreien Kitajahres vor der Schule nicht mehr diskutieren. Da geht es nämlich nicht nur um den politischen Willen, sondern man muss das auch bezahlen. Das Geld wäre dafür da, ist es aber nicht

[Eßer (Grüne): Nein!]

Deshalb kann ich es Ihnen nicht ersparen, klar und deutlich zu sagen: Frau Klotz, Herr Lindner, Herr Zimmer, Herr Müller! Es war falsch, den Spitzensteuersatz auf Einkommen von 53 % – das war er beim Regierungsantritt von Rot-Grün – auf 42 % zu senken. Dadurch waren niedrige Staatseinnahmen ohne volkswirtschaftliche Impulse vorprogrammiert.

[Dr. Lindner (FDP): Es war zu wenig!]

Es war falsch, die Gewinne von Unternehmensveräußerungen steuerfrei zu stellen.

[Eßer (Grüne): Riesige Summen!]

Dadurch sind die Heuschrecken, die Franz Müntefering heute bejammert, überhaupt erst angelockt worden. Es war falsch, den Satz auf Körperschaftsgewinne auf 25 % zu senken, und es war falsch, darauf zu verzichten, die Besteuerung auf Besitz und Vermögen zu erhöhen. Ehe hier gleich jemand Alarm schreit und die Enteignung durch die neue Linkspartei an die Wand malt, gestatte ich mir erneut, unseren Finanzsenator zu zitieren, der für so etwas bestimmt völlig unverdächtig ist. Er sagt zu den Besitz- und Vermögensbesteuerungen:

Hier liegt Deutschland bei 0,8 %,

und nun, Frau Klotz, hören Sie zu! –

Schweden bei 1,6 %, die USA bei 3,6 % und Großbritannien bei 4,3 % des Bruttoinlandsprodukts.

Das sind allesamt keine sozialistischen Räterepubliken und Länder, die trotzdem ein höheres Wirtschaftswachstum haben als die Bundesrepublik Deutschland.

Das sind alles keine Entscheidungen, die vom Himmel gefallen sind, sondern sie waren politisch gewollt. Frei gewählte Abgeordnete und Minister wollten es so, und weil das so ist, können diese Entscheidungen auch korrigiert werden. Ein Umsteuern ist dringend notwendig. Außer der FDP sehen das inzwischen alle Parteien so. D. h., sie haben es zumindest angekündigt. Vizekanzler und Außenminister Fischer ist seit neuestem für eine Luxussteuer. Man hört, Bundeskanzler Schröder stehe einer Reichensteuer nicht mehr im Wege. Selbst die CDU hat inzwischen eingesehen, dass die von ihr mitgetragene Politik der Verarmung des Gemeinwesens falsch war. Plötzlich spricht auch die CDU von Steuererhöhungen.

Die Mehrwertsteuer soll es richten, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU. Wenn aber mit den Einnahmen, die die Mehrwertsteuer bringen soll, wieder nur die Reichen entlastet werden, dann ist das nur die Fortsetzung der rot-grünen Umverteilung von unten nach oben, allerdings mit verschärften Mitteln. Gerade aus Sicht einer Stadt mit relativ vielen armen Menschen – ich verweise auf die halbe Million Hartz IV- und Sozialgeldempfänger – würde das das soziale Gefälle noch weiter verschärfen. Das wäre für Sie – Sie sagen doch immer, Sie seien die Partei der kleinen Leute –

[Niedergesäß (CDU): Sie nicht!]

die falsche Politik.

Allerdings ist es der Berliner CDU – das merke ich an den Zwischenrufen – sowieso schnuppe, was ihre Partei auf Bundesebene fordert. „Schmidt macht den Diepgen“, wurde vorhin hier gesagt. Ich will einmal das Original zitieren – ich bitte den Kollegen Kaczmarek zuzuhören, da mich seine Meinung zum Thema Eberhard Diepgen interessiert –, der einen wunderbaren Aufsatz zu seiner Selbstrehabilitation geschrieben hat. Ich zitiere daraus meine persönlichen Best-of-Sätze:

In Deutschland ist die Auffassung weit verbreitet, die Berliner Haushaltsnotlage sei auf landespolitische Fehlentscheidungen zurückzuführen.

Das liest man da. –

Berlin hätte, selbst wenn der Konsolidierungskurs früher und mit härteren Einschnitten in der Ausgabenstruktur verfolgt worden wäre, eine Kompensation der Einnahmeausfälle nie erreichen können.

Und deshalb haben Eberhard Diepgen und sein Senat das gar nicht erst versucht und im Bundesrat den ganzen Einnahmesenkungen zugestimmt. Ich kann dazu nur „Mensch, Diepgen!“ sagen.

Die Linkspartei.PDS steht in ihrem Wahlprogramm zu dem alten Grundsatz, dass sich nur Reiche einen armen Staat leisten können. Deshalb macht sie Vorschläge, wie man wieder mehr Geld einnimmt. Wir setzen dabei auf die Umverteilung von oben nach unten, wie man es von einer sozialistischen Partei erwarten kann. Wir wollen einen Eingangssteuersatz von 15 % oberhalb eines Freibe

trags von 12 000 €, und wir wollen ab 60 001 € wieder einen Spitzensteuersatz von 50 %.

[Dr. Lindner (FDP): Warum nicht 60 %?]

D. h. unter dem Strich, dass Menschen mit einem monatlichen Brutto von mehr als 6 000 € mehr zahlen als jetzt, und das können sie auch.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS]

Wir wollen eine Vermögensteuer, die oberhalb des dreifachen Durchschnittsvermögens gilt, d. h. ab 300 000 €. Wir würden die Mehrwertsteuer nicht erhöhen – wie die CDU und bestimmt auch die FDP, die im Wahlkampf erzählen kann, was sie will –, sondern für arbeitsintensive Dienstleistungen, insbesondere im Handwerk, senken.

Nun löst unser Konzept – das ist klar – großes Geschrei aus. Die einen sagen, wir wollten vom Anwalt bis zum Millionär alle schröpfen. Die anderen sagen, wir würden allen alles versprechen.

[Ritzmann (FDP): Das ist richtig!]

Beides auf einmal geht gar nicht. Da muss man sich entscheiden. Wie Sie eben gehört haben, haben wir beides nicht vor.

Dass wir die Einbringung des Doppelhaushalts 2006/2007 mitten im Bundestagswahlkampf diskutieren, war so nicht geplant. Schuld daran ist niemand hier im Haus, sondern eine Regierung ein paar hundert Meter weiter, die keine Lust mehr hatte, sich den Strapazen des Regierungsalltags zu stellen. Bei Rot-Rot in Berlin ist das anders. Wir kämpfen für unsere Politik. Wir wollen die Berlinerinnen und Berliner dafür gewinnen, und wenn ich aktuellen Umfragen glauben darf – die CDU hat heute wieder nur die Hälfte gelesen –, dann tun wir das durchaus erfolgreich. Rot-Rot hält Kurs in Richtung Hafen, und es scheint momentan durchaus denkbar zu sein, dass wir nach den Wahlen im Jahr 2006 ohne die Aufnahme zusätzlicher Passagiere die Fahrt fortsetzen können. – Ich danke Ihnen!

[Beifall bei der Linkspartei.PDS – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Danke schön! – Sie hatten eine Restredezeit von zehn Minuten. Nun ist die FDP an der Reihe. Der Abgeordnete Dr. Lindner hat das Wort. – Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Liebich! Ihre alten Phrasen von vorgestern lösen kein Geschrei aus, sondern allenfalls ein müdes Lächeln.

Herr Sarrazin, ich möchte auch – so wie die Kollegin Klotz – vorab mit Lob beginnen, wenngleich nicht ganz so lang und breit. Sie wissen, dass ich Ihre Arbeit und Sie persönlich schätze, und das, was Sie am Anfang hier eingebracht haben, ist ein sehenswertes Stück Arbeit. Ich greife heraus: den Solidarpakt, den Ausstieg aus dem Tarifvertrag. Das waren Dinge, mit denen Sie angefangen

haben und die vernünftig waren. Sie wurden von uns als einziger Oppositionspartei begrüßt und unterstützt.

Ich wollte genauer wissen, ob ein Zitat von Ihnen vom 16. Februar 2005 zutrifft:

In der Summe ergeben die bereits beschlossenen und die noch zu treffenden Maßnahmen einen einzigartigen Konsolidierungskurs mit einem bundesweit beispiellosen Abbau von Ausgaben.

Wir haben mal untersucht, ob das bundesweit beispiellos ist. Wir haben ein paar Länder – vor allem Länder mit liberaler Regierungsbeteiligung – ausgesucht und sie als Vergleichmaßstab herangezogen. Es handelt sich um Sachsen-Anhalt, Niedersachen, Rheinland-Pfalz – wo die SPD auch regiert – und das Haushaltsnotlageland Saarland. Wir haben Daten der mittelfristigen Finanzplanung zu Grunde gelegt, was das Finanzierungssaldo und die Neuverschuldung angeht, sogar Ihren etwas geschönten Entwurf eines Doppelhaushalts. Wir haben die Laufzeit von 2003 bis 2007 betrachtet – das hat eine gewisse Aussagefähigkeit, denn da hat Ihre Arbeit erst Früchte getragen, und das Jahr 2007 stellt das Ende Ihrer jetzt eingebrachten Haushaltsperiode dar. Uns hat bei unserer Betrachtung weniger die absolute Zahl interessiert. Das wäre unseriös, denn man kann kein reiches oder relativ reiches Land mit einem relativ armen Land vergleichen. Aber man kann Entwicklungen vergleichen. Sie haben gesagt, Sie entwickelten sich beispiellos. Wir haben also untersucht, wie sich die Entwicklung in diesen Ländern bis ins Jahr 2007 vollzogen haben wird, wenn man für das Jahr 2003 100 % ansetzt.

Schauen wir uns zunächst das Finanzierungssaldo an: Klar erkennbar sind konsequente Anstrengungen in Ihrem Herkunftsland Rheinland-Pfalz und in Sachsen-Anhalt. In Sachsen-Anhalt soll im Jahr 2007 nach dortiger Finanzplanung ein Niveau von 55 % – immer bezogen auf das Jahr 2003 – erreicht werden, in Rheinland-Pfalz ein Niveau von 48 %. Wie sieht es in Berlin aus? – Berlin will im Jahr 2007 ein Niveau von 60 % des Ausgabenwerts erreichen. D. h., der Abstand zu Ländern wie Niedersachsen bleibt ungefähr gleich; der Abstand zu Ländern wie Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt wird sich im Betrachtungszeitraum sogar noch verschlechtern.

Herr Abgeordneter! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Klemm? – Das wird Ihnen nicht von Ihrer Zeit abgezogen.

Dann selbstverständlich.

Lieber Herr Lindner! Wenn Sie die Zahlen in Sachsen-Anhalt aus dem Jahr 2003 nehmen, wo Sie ab dem Jahr 2002 mitregiert haben, dann frage ich Sie, was Sie dazu sagen, dass die Ausgaben von der Vorgängerregierung zwischen den Jahren 2002 und 2003 im ersten Nachtragshaushalt bis 2003 um über eine halbe Milliarde € angehoben wurden im Vergleich zum Konsolidierungskurs der SPD – toleriert

Liebich

von der PDS. Da wurde von Ihnen eine mutige Zahl aufgegriffen.

Wir fangen da an, wo erste Maßnahmen einer neuen Regierung wirksam werden. Das haben wir bei Ihnen hier auch nicht anders getan. Das sind noch Nachwehen von der rot-roten Entwicklung, die wir hatten. Aber Sachsen-Anhalt werden wir noch öfter betrachten.

Kommen wir zur Netto-Neuverschuldung: Hier haben wir vorbildlich Niedersachen und Sachsen-Anhalt. In Rheinland-Pfalz haben wir eine Entwicklung von etwa 60 % und in Niedersachsen von ca. 50 % – immer das Jahr 2007 bezogen auf das Jahr 2003. In Berlin stieg dagegen die Netto-Neuverschuldung im Jahr 2004 auf 106 % gegenüber dem Niveau des Jahres 2003 und erreicht im Jahr 2007 ein Niveau von 62 %. Das ist nicht schlecht, aber wenn wir Anschluss an die anderen Bundesländer bekommen und in Karlsruhe erfolgreich sein wollen, dann müssen wir darlegen, dass wir besser sind als die anderen.

[Beifall bei der FDP]

Schauen wir einmal die Ursachen an, nehmen wir uns einmal kurz Zeit für sie: Wir sollten zunächst mit den bereinigten Ausgaben anfangen. Hier haben wir auch wieder die mittelfristige Finanzplanung verglichen – übrigens auch die Berliner – bei den bereinigten Ausgaben, weil ich nicht Ihre Trickserei mit der Bankgesellschaft mitmache. Sie haben sich hier geweigert, Haushaltstitel über die Abfindung von Fondsanlegern einzuplanen, und sich auf Kreditermächtigungen zurückgezogen. Der wesentliche Rückgang im Verhältnis zur Finanzplanung sind die Zinsausgaben, und diese sind in anderen Ländern genauso gesunken.

Bei dem Vergleich der bereinigten Ausgaben liegt Niedersachsen im Jahr 2007 bei etwa 97,8 % des Ausgangszeitpunktes 2003. Am stärksten reduziert hier auch wieder Sachsen-Anhalt die Ausgaben. Sie betragen nach dortiger Finanzplanung im Jahr 2007 lediglich 97,7 %. Selbst ein relativ reiches Land wie Rheinland-Pfalz liegt 2007 nur knapp über der Ausgangssituation von 2003. In Berlin haben wir nach Ihrer Finanzplanung ein Niveau von 99,8 % selbst wenn man Ihren etwas geschönten Entwurf von 98 % hier zu Grunde legt. Auch hier haben wir Sachsen-Anhalt mit knapp 95 % deutlich besser als Berlin, und Niedersachsen auch. Das sind auch bei den bereinigten Ausgaben sehr bemerkenswerte Zahlen.

Nehme ich einmal den Hauptkostentreiber zum Schluss der Betrachtung, die Personalausgaben. Darauf sind Sie besonders stolz. Ich gebe zu, dass es in der Anfangszeit nicht ohne Erfolg war. Sie haben geplant – jetzt greife ich wieder auf Ihre neuesten Zahlen zurück, damit Sie nicht vorhalten können, wir unterschlügen etwas, was gut für Sie sei – bis 2007 ein Niveau von 95,7 % des Wertes von 2003 zu erreichen. Das ist eine Absenkung um 4,3 %. Damit liegen Sie in einem soliden Mittelfeld der betrachteten Länder hinter dem Saarland und Sachsen