Protocol of the Session on August 18, 2005

Als die SPD sich erfreulicherweise der grünen Forderung nach einem kostenfreien Kitajahr vor der Einschulung anschließt – aber vergisst, dass man das auch im Haushalt absichern muss –,

[Müller (SPD): Abwarten!]

wird sie von der PDS des Populismus bezichtigt. Herr Müller, der Populist! Das ist doch eine komplett verkehrte Welt hier in Berlin. Anstatt die SPD – wie im Bund – wegen unsozialer Politik zu geißeln, wird sie in Berlin beschimpft, weil sie keine Gegenfinanzierung zur Verfügung stellt. Da möchte man doch ausrufen: Schluss mit eurem Mentalitätswechsel, hört endlich auf, ihr seid jetzt Linkspartei. Lafontaine und Gysi sind eure Frontleute, und deswegen könnt ihr viel versprechen und müsst nichts davon einhalten.

[Beifall bei den Grünen – Zuruf des Abg. Pewestorff (Linkspartei.PDS)]

Apropos Mentalitätswechsel: Mit dem war es diesem Senat wohl auch nicht so ganz ernst, was Folgen hatte und auch weiter haben wird, im Übrigen auch für den Landeshaushalt und nicht nur politisch. Dem Gefälligkeits- und Beziehungsgeflecht der großen Koalition wurde nicht nur kein Ende gesetzt, nein, man spann sich ein neues. Die filzgeschulte Berliner SPD hat sich mit der Linkspartei.PDS eine eifrige Schülerin an die Seite geholt. So wurden ehemalige Staatssekretäre mit Geschäftsführer- bzw. Vorstandsposten belohnt, großzügige Spender der SPD mit Aufsichtsratsposten, Ausschreibungen wurden umgangen, designierte Staatssekretäre als Berater beschäftigt, unfähige Wirtschaftsprüfungsgesellschaften neu beauftragt, Vorstände und Führungsetagen – wie bei der BVG – aufgebläht und mit guten außertariflichen Gehältern ausgestattet. In dem Wissen, dass SPD und Linkspartei.PDS sich an dieser Stelle wieder ganz besonders aufregen werden über uns Grüne, sage ich Ihnen mit dem notwendigen Ernst: Gerade wenn wir in Berlin die Solidarität des Bundes und der anderen Länder einfordern, dürfen wir nicht auch nur den Anschein erwecken, dass es

hier mit Filz- und Vetternwirtschaft weitergeht wie in vergangenen Tagen.

[Beifall bei den Grünen]

Einen richtig dicken Sparbeitrag für den Doppelhaushalt 2006/2007 hat Hartz IV beigesteuert; das hat der Senat lange bestritten. Heute gibt Thilo Sarrazin wenigstens zu, dass Hartz IV dem Landeshaushalt gut getan hat.

[Liebich (Linkspartei.PDS): Ganz tolle Sache, Hartz IV!]

So kann man es auch ausdrücken, denn es sind immerhin fast 300 Millionen € durch die Übernahme der erwerbsfähigen Sozialhilfeempfangenden durch den Bund eingespart worden, inklusive der millionenschweren Kürzungen im Arbeitsmarktbereich. Montags zur Demo gehen – ich verzichte auf die Nummer mit dem roten DienstAudi –

[Liebich (Linkspartei.PDS): Schade!]

und am Dienstag im Senat den Kürzungen bei der Arbeitsmarktpolitik zustimmen – wo bleibt da der von Ihnen auf Bundesebene öffentlich eingeforderte Beschäftigungssektor? Warum wird nicht einmal ein Teil der durch Hartz IV freigewordenen Mittel dafür verwendet? Statt dessen gibt es ein kleines ESF-Qualifizierungsprogramm, das nicht funktioniert. Dieses politische Versagen in der Beschäftigungspolitik macht auch eine vernünftige und richtige Ausführungsvorschrift Wohnen, die wir als Grüne unterstützen, Frau Knake-Werner, nicht wett. Populistisch ist nicht, dass Sie Hartz IV kritisieren, dass Sie an der konkreten Ausgestaltung Kritik üben. Populistisch ist, dass Sie sagen, Hartz IV muss weg, und dass Sie den Leuten vorgaukeln, es könne alles so bleiben, wie es ist. Das ist übler Populismus, und den lehnen wir ab, Herr Liebich.

[Beifall bei den Grünen – Liebich (Linkspartei.PDS): Das macht doch niemand! – Doering (Linkspartei.PDS): Wen zitieren Sie denn gerade?]

Während die Retro-Linke im Bund mehr Schulden macht und die Unternehmen stärker besteuern will, Vollbeschäftigung einklagt und Mindestlöhne von 1 400 € fordert, steht die Linkspartei in Berlin für Arbeitszeitverlängerung, Stellenabbau, Lohnkürzung und will Klassenbester beim Sparen werden. Sie ruft auch nicht Stopp, wenn Kitagebühren erhöht werden, die Lernmittelfreiheit abgeschafft oder das Blindengeld gekürzt wird. Da fragt man sich natürlich besorgt, war es gestern eigentlich Martin Lindner oder war es Carl Wechselberg, der gesagt hat, ich will Primus beim Sparen werden? – Verwechselbar ähnlich, man kann es nicht mehr unterscheiden.

[Beifall bei den Grünen – [Zuruf des Abg. Pewestorff (Linkspartei.PDS)]

Dass es dennoch Bereiche gibt, bei denen sich der Senat auf altbekannten Pfaden bewegt, zeigt ein Blick in den vorliegenden Haushaltsentwurf. Der kommt zunächst einmal völlig harmlos daher, nachdem der Haushalt bis

auf die Knochen abgenagt ist. Ich frage mich, warum dieses Bild des Herrn Sarrazin von den abgenagten Knochen so gerne wieder aufgegriffen wird, darüber sollte man auch einmal nachdenken.

[Gaebler (SPD): Sie verwenden es doch!]

Das wäre ja vielleicht eine Aufgabe für Frau Grunert, uns zu erklären, was uns dazu treibt. Nachdem also der Haushalt bis auf die Knochen abgenagt ist, waren große Einschnitte nicht mehr zu erwarten. Von Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit ist aber auch dieser Entwurf weit entfernt. Ungedeckte Schecks vergeben SPD und Linkspartei.PDS so gern, wie das in der Vergangenheit die große Koalition getan hat. Einer dieser ungedeckten Schecks ist der Tarifvertrag mit der BVG, persönlich ausgehandelt von unserem Sonnenkönig Wowereit mit allen Garantien bis zum Jahr 2020, BVG-Tochter eingeschlossen. Für ein schlecht geführtes Unternehmen, das trotz exorbitanter öffentlicher Zuschüsse kein Geld für das Sozialticket hat, es aber schafft – wir haben es eben noch einmal gehört –, mit miserablen Verträgen für das U-Bahnfernsehen „Berliner Fenster“ Millionen Euro zu vergeuden, bekommt der Spruch „das Geld zum Fenster hinauswerfen“ einen völlig neuen Sinn.

[Beifall bei den Grünen]

Wir als Grüne sagen Ihnen, solange die europäische Rechtslage ungeklärt ist, kann es keine Bestandsgarantie für die BVG bis zum Jahr 2020 geben.

Aber auch insgesamt bergen die Landesbeteiligungen das größte Haushaltsrisiko. Auf drohende finanzielle Forderungen der Charité oder der DEGEWO ist der Haushalt nicht vorbereitet. Auch dort, wo der Senat investieren könnte und auch muss, finden wir im Haushaltsentwurf nur leere Flecken: ICC, Steglitzer Kreisel, Sanierung der Staatsoper. – Die nötigen Investitionen sind nicht veranschlagt.

Der vorliegende Haushalt ist ein Wahlkampfhaushalt. Alle Aus- und Unterlassungen werden wir erst nach der Wahl – nicht in diesem Jahr, sondern nach der Wahl zum Abgeordnetenhaus im nächsten Jahr – auf dem Tisch liegen sehen. So werden die Bezirke bewusst unterfinanziert, um sie so zum Sparen, bis es quietscht, zu zwingen. Wir sagen: Haushaltswahrheit und -klarheit statt virtueller Eckdaten, bei denen von vornherein klar ist, dass sie nicht erreicht werden, das müsste das Gebot der Stunde sein.

[Beifall bei den Grünen]

Sie bleiben auch schuldig zu sagen, was Sie mit den Bezirken vorhaben. Soll mit der Dezentralisierung und Abschaffung der Doppelstrukturen Ernst gemacht werden? Oder läuft es, wenn es nach Ihnen geht, eher in Richtung Zentralisierung? – Also, Zentralisierung bei der Hauptverwaltung – Modell Bauamt. Wohin wollen Sie in dieser Frage? – Wir fordern seit langem, die Bezirke finanziell auskömmlich auszustatten, und zwar in dem Maße, wie Aufgaben an sie übertragen werden. Ein echtes Defizit ist, dass der Senat in den vergangenen Jahren kei-

nen wirklichen Schritt in Sachen Verwaltungsreform vorangekommen ist. Ich sage für uns Grüne klar: Weitere Kürzungen im Personalhaushalt sind nur mit einer wirklichen Aufgabenkritik durchzusetzen. Bis heute führen Doppelstrukturen zu Ineffizienz und Geldverlust, wie am Beispiel des Schulsanierungsprogramms zu sehen ist.

Zum Schluss noch eine Anmerkung zu dem Rettungsanker, mit dem die PDS in den letzten Tagen versuchte, sich von ihrem Koalitionspartner abzusetzen: Es wäre in Berlin alles viel besser, wenn Rot-Grün im Bund nicht die Steuern gesenkt hätte. –

[Zuruf von der Linkspartei.PDS: Stimmt!]

Dazu sage ich Ihnen drei Dinge:

1. Es war richtig, den Eingangssteuersatz zu senken. Und es war richtig, das steuerfreie Existenzminimum auf ein Niveau zu erhöhen, das es in der Bundesrepublik noch nie gegeben hat. Davon haben vor allem Geringverdienende profitiert.

[Beifall bei den Grünen und der SPD – Zurufe von der Linkspartei.PDS]

2. Wir Grünen waren noch nie besondere Freunde der Senkung der Spitzensteuersätze.

[Zurufe von der Linkspartei.PDS]

Wir hätten aber damit gut leben können, wenn parallel die Schlupflöcher geschlossen worden wären. Das hat nicht Grün verhindert, das hat nicht einmal die SPD verhindert, sondern das hat der Bundesrat verhindert. Daran will ich auch einmal erinnern.

[Beifall bei den Grünen und der SPD – Zurufe von der SPD – Hoffmann (CDU): Wir sind hier in Berlin!]

3. Auch Unternehmensteuersätze können nicht allein nach nationalem Bedarf festgelegt werden. Je höher sie sind, umso größer ist die Gefahr, dass die Gewinne in die Steuerparadiese dieser Erde verschoben werden.

[Zurufe von der Linkspartei.PDS]

Darum hat sich Rot-Grün im Bund auch bemüht, das wird aber noch dauern.

[Ritzmann (FDP): Nicht mehr lange!]

Es wird dauern, da zu internationalen Regelungen zu kommen. Dies ist nicht von heute auf morgen zu machen. Aber es ist der einzig gangbare Weg.

[Zurufe von der Linkspartei.PDS]

Was Sie den Menschen in diesem Wahlkampf vorgaukeln, ist der Weg zurück in die siebziger Jahre. Was ich besonders pikant finde: Es ist der Weg zurück in die Bundesrepublik der siebziger Jahre. – Wir hingegen wollen den Leuten nichts vormachen. Wir wollen die Internationalisierung wirtschaftlicher Prozesse steuern und dadurch die Globalisierung gestalten, die auch große Chancen für die armen Länder dieser Welt bedeutet. Nur dieser Weg hat Zukunft.

[Beifall bei den Grünen]

Danke schön! – Als Hilfestellung für die Fraktion weise ich darauf hin, dass noch eine Restredezeit von zwei Minuten übrig ist. – Für die SPD-Fraktion hat nunmehr Frau Abgeordnete Spranger das Wort. – Bitte sehr!

Verehrte Frau Präsidentin! Verehrte Damen, verehrte Herren! In einem, verehrte Frau Dr. Klotz, haben Sie wirklich Recht gehabt. Manchmal kommt man sich hier im Parlament vor wie in einer verkehrten Welt. Ich kam mir gerade so vor, als ob ich auf einer Wahlkampfveranstaltung der Grünen sitze und Sie jetzt eben als Bundestagskandidatin gesprochen haben.

[Beifall der Frau Abg. Grosse (SPD) – Zurufe von den Grünen]

Sie verleiten mich natürlich dazu, dass ich am Anfang ein paar Worte zur Opposition sagen muss. Ich erinnere mich an das Jahr 2003, wo Sie in einem mühseligen Vorgang gemeinsam – alle drei Oppositionsparteien – eine Klage eingereicht haben, die weder Ihnen als Opposition noch dem Land Berlin genutzt hat.

[Zurufe von den Grünen]

Man hat heute schon gemerkt, dass Sie sich hier schon auf den Bundestagswahlkampf einstellen. Da entstehen hier die tollsten Blüten. Da las ich vor zwei Tagen – das haben Sie hier noch einmal sehr ausdrucksvoll vorgetragen – einmal in der „tageszeitung“ und einmal im „Neuen Deutschland“

[Dr. Lindner (FDP): Die Hausblätter der Grünen!]

folgende Überschriften: „Grüne loben Rot-Rot für grüne Politik“ oder „Grüne loben sich für rot-rote Haushälterei“.