Protocol of the Session on March 21, 2002

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 7. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin, begrüße Sie alle, unsere Gäste und unsere Zuhörer sehr herzlich und bitte Platz zu nehmen.

Zu Beginn habe ich die angenehme Pflicht und Gelegenheit, unserer K o l l e g i n F r a u C l a u d i a T i e t j e von der SPDFraktion, heute im Präsidium, herzlich z u m G e b u r t s t a g z u g r a t u l i e r e n , alles Gute zu wünschen, Gesundheit und viel parlamentarische-politische Erfahrung.

[Allgemeiner Beifall]

Es gibt nichts Schöneres, als den Geburtstag im Parlament zu verbringen.

Dann habe ich einiges Geschäftliches mitzuteilen. Zu Beginn unserer Sitzung habe ich Ihnen eine Bitte des Hauptausschusses vorzutragen: Der A n t r a g der Fraktion der CDU über Fortschreibung des Krankenhausplans1999 und des Krankenhausinvestitionsund -finanzierungsprogramms, D r u c k s a c h e 15/49, den wir zur Beratung an den Ausschuss für Gesundheit, Soziales, Migration und Verbraucherschutz sowie an den Hauptausschuss überwiesen hatten, wurde am 6. März zwar im Hauptausschuss beraten, jedoch nicht abschließend beschieden. Der Hauptausschuss bittet darum, diesen Antrag an den G e s u n d h e i t s a u s s c h u s s z u r ü c k z u ü b e r w e i s e n. – Da ich keinen Widerspruch dazu höre, ist das so beschlossen.

Am Montag sind vier Anträge auf Durchführung einer A k t u e l l e n S t u n d e eingegangen, und zwar

1. Antrag der Fraktion der PDS und der Fraktion der SPD zum Thema: „Reiseziel Berlin – Tourismus als Wirtschaftsfaktor“,

2. Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: „Der tiefrote Luftballon ist geplatzt – schon nach drei Monaten ist die Koalitionsvereinbarung nur noch Makulatur“,

3. Antrag der Fraktion der FDP zum Thema: „Ideologische Scheuklappen ablegen und endlich Mentalitätswechsel vollziehen! Freie Schulen dürfen nicht benachteiligt werden!“,

4. Antrag der Fraktion der Grünen zum Thema: „Berlin braucht den Flughafen BBI in Schönefeld – aber ohne neues Milliardenrisiko! Senat setzt Fehler beim Ausschreibungsverfahren fort“.

Im Ältestenrat konnte man sich nicht auf ein einvernehmliches Thema verständigen, so dass ich nun zur Begründung der Aktualität aufrufe. – Zur Begründung des SPD-Antrags hat Frau Hildebrandt das Wort. – Bitte sehr!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine Damen und Herren! Die SPD hat dieses Thema aus gutem Grund vorgeschlagen. Denn nach fünf Tagen hat die ITB ihre Pforten wieder geschlossen, und zwar mit einem positiven Resümee. Ich halte es für angemessen, heute und an dieser Stelle, in diesem Haus über den Wirtschaftsfaktor Tourismus zu reden, denn er ist ein wichtiger Faktor für die Stadt Berlin.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Die ITB hat ihre diesjährige Veranstaltung abgeschlossen als Auftakt zu einem weiteren erfolgreichen Tourismusjahr. Man muss auch einmal sagen, dass die ITB mit 123 000 Besuchern, von denen immerhin 65 000 Fachbesucher waren, die aus 190 Ländern und Gebieten kamen, mit 9 900 Ausstellern in diesem Jahr die zweitgrößte Ausstelleranzahl verzeichnen konnte. Ich finde, das ist ein Erfolg, den man auch würdigen muss

[Beifall bei der SPD und der PDS]

übrigens insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass nach dem 11. September dieses so nicht zu erwarten war. 46 % der Aussteller haben dort direkte Geschäftsabschlüsse getätigt, 81 % der Aussteller hatten nach einer Blitzumfrage einen positi

ven Eindruck der diesjährigen ITB, und 84 % der Aussteller erwarten ein positives Nachmessegeschäft. – Das wünschen wir ihnen auf jeden Fall.

Betrachten wir den Tourismus in seiner Rolle in dieser Stadt, so bleibt zu sagen, dass mit rd. 600 Millionen § – immerhin ist das eine 35-prozentige Steigerung seit 1998 – die Steuerzuflüsse aus diesem Bereich für die Stadt eine wichtige Rolle spielen. – Damit bin ich auch voll und ganz beim Thema. – Immerhin sind das 7,3 % am Gesamtberliner Steueraufkommen, und das beschäftigt uns, wenn wir die Einnahmeseite unserer Stadt betrachten, sehr häufig. Insofern wundere ich mich, dass die Opposition anscheinend anderer Meinung war. Es ist das eine, darüber zu lamentieren und zu klagen, dass wir über die Zukunftsmärkte Berlins nicht ausreichend reden würden – diese Auffassung teile ich so nicht –, aber dann passt es auch nicht, wenn wir es weiterhin tun. Deswegen haben wir dieses Thema auf die heutige Tagesordnung gesetzt. Wir wollen über einen der wichtigsten Wachstumsmärkte, der an 4. bis 5. Stelle liegt, hier und heute reden. – Ich würde mich freuen, wenn Sie das mit uns täten.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Danke schön, Frau Hildebrandt! – Für die Fraktion der CDU hat nunmehr der Abgeordnete Zimmer Gelegenheit, den Antrag der Fraktion zu begründen. – Bitte schön, Herr Zimmer!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine Damen und Herren! Die CDU-Fraktion hat den Antrag auf eine Aktuelle Stunde gestellt, mit dem Titel „Der tiefrote Luftballon ist geplatzt – schon nach drei Monaten ist die Koalitionsvereinbarung nur noch Makulatur“. Hätten wir bei der Antragstellung schon gewusst, das Thilo Sarrazin seine persönliche Bahncard zum Einsatz bringt, nach dem Motto, für die Hälfte meiner Arbeitgeber arbeiten, aber im Ergebnis das Doppelte abkassieren, dann hätten wir vielleicht eine andere Überschrift ausgesucht, die dem Finanzsenator eingängiger gewesen wäre.

[Beifall bei der CDU]

Zum Beispiel: „Alle Signale stehen auf Rot – in Berlin geht nichts mehr!“ Oder: „Signal auf dem Abstellgleis – was ist mit dem rotroten Fahrplan passiert?“

[Pewestorff (PDS): Zimmer mit Aussicht!]

Nun gut, das wäre dann wohl auch der einzige heitere Punkt in der ganzen Debatte geblieben. Denn tatsächlich beschäftigt sich ganz Berlin mit der Frage: Wie soll es eigentlich weitergehen mit diesem Ankündigungssenat? Denn er dürfte einmalig in der Berliner Geschichte sein – jedenfalls was die Halbwertzeit seiner Beschlüsse und Ziele angeht. Was könnte eigentlich aktueller sein, nachdem der Senat sich mehrere Nächte im Senatsgästehaus um die Ohren geschlagen hat, nur, um am Ende zu dokumentieren, dass er seinen eigenen Eckwertebeschluss nur nach ein paar Wochen wieder umwirft? Was müsste dringender im Parlament behandelt werden als die Frage: Ist der Koalitionsvertrag – wenn er es denn jemals war – noch das Papier wert, auf dem er steht?

[Mutlu (Grüne): Das ist doch nicht unser Bier!]

Die Regierungskoalition glaubt jedenfalls, dass das Thema „Sightseeing und Tourismus“ in Berlin viel wichtiger wäre. Wir wollen aber wissen, die Berlinerinnen und Berliner wollen wissen: Wohin geht die Reise für Berlin? Wie können wir dieses Land attraktiver für Investoren und Unternehmen machen, die uns Arbeitsplätze und Steuereinnahmen bringen – und das dauerhaft und nicht nur auf der Durchreise, Herr Gysi, wie bei Spreequell?

Ich will nur einen Punkt aus der Koalitionsvereinbarung herausgreifen, um die Aktualität zu verdeutlichen, das Thema Finanzen. Da lesen wir, Berlin müsse jetzt radikal umsteuern. Die zu ergreifenden Maßnahmen müssten in Reichweite und Umfang der Dramatik der Situation angemessen sein, und sie müssten

jetzt angegangen werden. Jeder Zeitverzug bedeutet, dass sich die Handlungsspielräume in der Zukunft noch weiter verringern. Wohl wahr, aber warum verschieben Sie dann nach Aussage Ihres eigenen Finanzsenators alle wesentlichen Einsparprojekte auf das Jahr 2004? – Und etwas später steht geschrieben: Die Finanzpolitik der Koalition basiert auf den Prinzipien der Haushaltsklarheit, Haushaltswahrheit und Vollständigkeit. – Ich will hier gar nicht auf die neue Praxis des Senats eingehen, am Haushaltsgesetzgeber und an der Verfassung vorbei Nebenhaushalte in einem beträchtlichen Umfang aufzulegen, bevor überhaupt ein Haushaltsplanentwurf diesem Parlament vorliegt.

[Zuruf der Frau Abg. Flesch (SPD)]

Woran Sie sich aber messen lassen müssen: Sie haben es nicht einmal geschafft, Ihr eigenes Einsparziel annähernd zu erreichen. Schließlich fehlen Ihnen unter dem Strich 370 Millionen §. Sie haben Ihre Zahlen schöngerechnet, indem Sie ungedeckte Schecks wie die angeblichen Personaleinsparungen untergejubelt haben. Sie wollen in zwei Jahren 750 Millionen § einsparen. Das Problem ist nur, Sie brauchen dafür einen Solidarpakt mit den Gewerkschaften; die Gewerkschaften und Arbeitnehmer, denen Ihr Finanzsenator Sarrazin vor den Kopf geschlagen hat, beispielsweise mit solchen Ankündigungen wie 10-prozentiger Lohnverzicht, Dinge, die rechtlich zwar undurchführbar sind, aber jede Basis für gemeinschaftliche Verhandlungen auf Dauer zerstört haben werden. Sie haben vor allem das ausgeklammert, was eine strukturelle Neuordnung der Einnahmen und Ausgaben bedeutet hätte, weil Ihnen dazu die Kraft oder der Wille gefehlt hat.

[Gaebler (SPD): Zur Aktualität!]

Leider ließe sich die Liste für jedes einzelne Fachressort beliebig fortsetzen.

Meine Damen und Herren von der Koalition, legen Sie die Urlaubskataloge beiseite und lassen Sie uns über die wirklich wichtigen Dinge in Berlin reden. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU, der FDP und den Grünen]

Danke schön, Herr Zimmer! – Für die Fraktion der FDP hat nunmehr Frau Senftleben das Wort zur Begründung des Antrages. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Herren, meine Damen! Gibt es für uns eine bessere Begründung für die heutige Aktuelle Stunde als die am Dienstag getroffene Entscheidung des Senats, die Personalzuschüsse für die freien Schulen in den nächsten zwei Jahren sukzessive um 4 % zu kürzen?

[Beifall des Abg. Hahn (FDP)]

Gibt es für uns eine bessere Begründung für die heutige Aktuelle Stunde als die verschiedenen Aktionen und die Demonstration am letzten Samstag, wo Zehntausende besorgter Berliner und Berlinerinnen auf die Straße gegangen sind?

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Gibt es für uns eine bessere Begründung für die heutige Aktuelle Stunde als die Petition, die dem Präsidenten des Abgeordnetenhauses von dem Schulelternrat der katholischen Schule Liebfrauen eben überreicht wurde? – Ich begrüße sehr herzlich – –

[Pewestorff (PDS): Hier begrüßt der Parlamentspräsident und sonst keiner! – Dr. Lindner (FDP): Der begrüßt sie ja nicht!]

Entschuldigung, aber ich denke, Höflichkeit können wir auch manchmal im Parlament praktizieren!

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Und last but not least: Gibt es für uns nicht eine bessere Begründung für die heutige Aktuelle Stunde als die ideologisch verblendeten Äußerungen von Herrn Strieder? – Nein, ich glaube, aktueller geht es nimmer!

Ad 1 – zu den geplanten Beschlüssen des Senats: Es kommt zwangsläufig zu Schulgelderhöhungen. Das ist erstens verfassungsrechtlich bedenklich und führt in die Richtung „Schulen für die Reichen“. Die FDP will das nicht.

[Beifall bei der FDP]

Zum anderen werden die Kürzungen auch zu Schulschließungen führen. Auch das will die FDP nicht. Für uns hat Bildung tatsächlich Priorität. Wir wollen gute Schulen fördern.

[Dr. Lindner (FDP): So ist es!]