Protocol of the Session on June 2, 2005

Ich möchte die fachliche Aufarbeitung nicht vornehmen, wo tatsächlich Straftaten begangen werden, weil dies heute nicht unser Thema ist und ich die Sorge habe, dass Sie mit Ihrer Politik schon viel zu viel Erfolg dabei hatten, die Bürger zu verunsichern, die subjektiv ein Unsicherheitsempfinden haben, die Mütter und Väter, die sich Sorgen um ihre Kinder machen, dass hier der Eindruck entstehen könnte, man wolle fast schon zynisch sagen: Macht euch keine Sorgen, ihr seid in der Umgebung der JVA am sichersten. – Tatsache ist, genau so ist es.

Kommen wir zu Ihrem angeblich größten Problem, der Standortwahl. Im Jahr 2003 hat dieses Haus beschlossen, dass eine forensisch-therapeutische Anstalt eingerichtet werden soll.

[Gram (CDU): So weit, so gut!]

So weit, so gut. – Es ist eine Ausschreibung erfolgt, ein Interessenbekundungs- und Ausschreibungsverfahren mit tatsächlich einem Interessenten, Herr Gram, und der war unqualifiziert. Er war nicht qualifiziert, die Anforderungen, die auch dieses Haus an solch einen freien Träger stellt, zu erfüllen. Folglich musste diese Einrichtung in

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir führen hier keine verwaltungstechnische Diskussion. Wir diskutieren hier nicht darüber, welche Verwaltung was in welchen Akten dokumentiert hat, sondern wir führen hier eine gesellschaftspolitische Debatte darüber, wie diese Gesellschaft mit Straftätern umgeht, ob diese Gesellschaft eine des Wegschließens ist oder auch eine Gesellschaft, die Prävention und Rehabilitation ermöglicht, und wie diese mit unliebsamen Ansiedlungsentscheidungen umgeht. Natürlich gibt es immer in der Nachbarschaft von solchen Projekten Ärger. Hier müssen wir darüber diskutieren, wie man damit umgeht. Stachelt man so etwas auf, oder versucht man, sachgerecht, objektiv zu informieren, und das rechtzeitig, die Leute einzubeziehen, Ängste zu reduzieren durch Information, oder sieht man sich als politische Partei in der Rolle, Ängste hochzuheben, anzuheizen und parteipolitischen Profit aus der Diskussion zu schlagen?

unseren Händen bleiben. Sie ist dem sozialen Dienst der Justiz zugeordnet worden und ist unter die Fachaufsicht der Senatsverwaltungen für Justiz und Gesundheit gekommen.

Jetzt, Herr Gram, haben die Untersuchungen begonnen, wohin solch ein Standort kommen könnte.

[Dr. Steffel (CDU): Machen wir doch eine Bürgerbeteiligung!]

Dabei sind verschiedene Aspekte zu berücksichtigen, und nicht, wie es ein Kollege Ihrer Fraktion in einer öffentlichen Veranstaltung lapidar formulierte: Na was denn? Ihr werdet doch wohl in Berlin drei oder vier Räume finden, ein Klo dazu und vielleicht noch eine kleine Kaffeeküche. Das, Herr Gram, sind nicht die Anforderungen an ein solches Institut.

[Beifall bei der SPD und den Grünen]

Eine Verkehrsanbindung, eine räumliche Nähe zu den Einrichtungen, um den Therapeuten, den Psychologen die Möglichkeit zu geben, vorab schon Kontakt zu den dann noch Inhaftierten, später ihnen ambulant vorgeführten Patienten zu haben. Klinikum Buch wurde kontrolliert. Die Einrichtung in Moabit wurde kontrolliert. Ja, auch die Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik und die JVA Tegel wurden dahin gehend untersucht. Und dann wurde von BIM und von der Vivantes, von beiden, gesagt, sie hätten momentan keine Räumlichkeiten in der Nähe einer solchen Einrichtung, in der Nähe einer Justizvollzugsanstalt oder dort, wo – –

[Gram (CDU): Sie haben gesagt, sie sind noch nicht fer- tig! – Sie haben nicht einmal die Akten gelesen!]

Herr Gram, überlegen Sie gut, was Sie sagen, ob ich wirklich die Akten nicht gelesen habe. Hören Sie einfach nur einmal zu

[Beifall bei der SPD und der PDS]

und stellen Sie fest, dass Sie im Irrtum sind. – Vivantes und BIM haben beide festgestellt, sie haben keine Räumlichkeiten in der Nähe. Und zu diesem Zeitpunkt wird von der Senatorin für Stadtentwicklung festgestellt, dass aus organisatorischen Gründen Räumlichkeiten in der Seidelstraße nicht mehr benötigt werden, weil die örtliche Bauleitung JVA Tegel aus den Räumen herausgeht. Jetzt waren tatsächlich mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Alle Punkte waren an dieser Stelle erfüllt. Und da hat natürlich die Justizsenatorin in unserem Interesse – –

Frau Kollegin, wir sind schon sehr tolerant gewesen, aber Sie sind weit drüber!

Ich komme zum Ende. – Es besteht überhaupt keine Veranlassung, die getroffene Standortauswahl zu ändern.

Noch ein Satz, Herr Gram. Wenn es einen Wettstreit innerhalb Berlins gäbe, welcher Bezirk die meisten, größten, schwerwiegendsten Einrichtungen der von Ihnen hier aufgeführten Art hat, dann, muss ich Ihnen sagen, würde

Reinickendorf verlieren. Es gibt Bezirke, die sind – wie Sie es ausdrücken – belasteter.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Nun hat für die Grünen das Wort der Kollege Schruoffeneger. – Bitte sehr!

Ich will darauf hinweisen, wie diese Diskussion angefangen hat. Das war im Jahr 2000. Im Juni schrieb der Leiter des Instituts für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin der Charité, Herr Beier, an den damaligen Regierenden Bürgermeister Diepgen, der auch Justizsenator war, einen Brief, in dem er darauf hingewiesen hat, dass es in Berlin Hunderte von Menschen gibt, die gern eine solche medizinische Betreuung hätten, weil sie Angst davor haben, straffällig zu werden, und die diese Therapie nicht bekommen können, weil es keine Einrichtung in Berlin gibt. Herr Diepgen hat darauf nicht reagiert. Herr Beier ging daraufhin im Januar 2001 an die Presse und hat dies als Vorwurf im „Spiegel“ veröffentlicht. Daher bin ich dankbar, dass es jetzt in Berlin entsprechende Aktivitäten gibt, therapeutische Angebote zu schaffen. Das, was in Tegel passiert, ist nicht das Einzige. Die Charité selbst hat ihre Kampagne zur Betreuung von potentiellen Sexualstraftätern, zur Therapie und Prävention, vorgestellt – eine sehr gute Kampagne, eine zivilgesellschaftliche Kampagne, finanziert nicht von diesem Senat, sondern von der Volkswagenstiftung, die die gesellschaftliche Notwendigkeit eines solchen Projekts eingesehen hat. Daran kann man sehen, was nötig wäre.

[Beifall bei den Grünen und der PDS]

Zur Objektivität: Solche Ambulanzen sind überall dort, wo es sie gibt, Erfolgsmodelle. Sie sind es, die die Risikofaktoren reduzieren, die dazu führen, dass Straftaten reduziert werden. Sie sind keine Gefährdung, sondern sie sind letztendlich eine Vermeidung von Gefährdung. Es geht hier um Menschen, die sich freiwillig in diese Therapie begeben, die versuchen, mit dieser Therapie ihre Krankheit in den Griff zu bekommen und die therapiert werden wollen. Es geht hier nicht um Leute, die man als nicht therapiefähig oder therapiewillig einschätzt. Die

Schruoffeneger

Meinetwegen Tegelpartei – aber wer dieses Thema auf der Ebene Tegelpartei, Wittenaupartei oder Berlinpartei diskutiert, der ist weit weg von der Realität. Sie machen das nicht zum ersten Mal. Sie haben eine ähnliche Kampagne gefahren bei der Ansiedlung des Weglaufhauses, einer Psychiatrieeinrichtung in Frohnau. Auch dort haben Sie die billige Klienteldiskussion gemacht. Das führt dann dazu, dass wir mittlerweile im Bezirk Reinickendorf selbst bei der Ansiedlung von Behinderteneinrichtungen in Konradshöhe Anwohnerproteste haben, weil die Leute auf Ihre Masche eingehen und sich gegen alle derartigen Projekte wehren, die sozialpolitisch in der Stadt unabdingbar sind.

sind hinter Schloss und Riegel, die sind weggeschlossen, um die geht es nicht.

Ich glaube, dass die Justizverwaltung im Vorfeld

schwere Fehler gemacht hat, viel zu spät die Information der Öffentlichkeit gesucht hat, viel zu spät mit den betroffenen Eltern der benachbarten Schulen und Kitas diskutiert hat. Das muss man als Fehler kritisieren, aber daraus darf kein parteipolitisches Kapital geschlagen werden.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der PDS]

Ich selbst habe mich vor anderthalb Jahren für einen anderen Standort ausgesprochen, weil ich glaube, dass es aus therapeutischen Gründen ein ungeeigneter Standort ist. Ich glaube, dass es therapeutisch nicht gut ist, wenn man z. B. jahrelang im Knast war, man anschließend immer wieder zur ambulanten Therapie hingehen muss. Ich glaube, dass das ein therapeutisch falsches Umfeld ist. Ich habe im letzten halben Jahr diese Bedenken nicht mehr wiederholt, weil es in der aufgeheizten Stimmung nicht mehr möglich war, solche Fragen zu diskutieren, sondern weil nur noch auf der Angstebene diskutiert wird, und auf diese Ebene möchte ich mich nicht begeben.

[Beifall bei den Grünen]

Jetzt als Schlussteil zu dem, was im Bezirk und hier passiert: Einer der Vorwürfe war immer, der Bezirk war nicht ausreichend informiert. Die Bezirksbürgermeisterin betrachtet das als einen Skandal. Ursprünglich war im Gespräch die Ansiedlung an der Karl-BonhoefferNervenklinik. Das wurde dann zurückgenommen, und es wurde auf Tegel orientiert. Die Bezirksbürgermeisterin Wanjura sagt dazu im „Nordberliner“ im August 2004:

Ich bin erleichtert, dass die Diskussion, die Ambulanz auf dem Gebiet der Karl-BonhoefferNervenklinik zu errichten, anscheinend beendet ist. Die Ambulanz im Bereich der JVA zu integrieren, ist mir weitaus lieber.

So Frau Wanjura im August letzten Jahres. Nun ist sie die Vorkämpferin gegen diesen Standort. Das macht die absurde Heuchelei in dieser Diskussion sehr deutlich.

[Beifall bei den Grünen und der PDS]

Und wenn ich dann eine Presseerklärung des CDUBundestagsabgeordneten Roland Gewalt lese, der da sagt:

Da die Sexualstraftäterambulanz von noch untherapierten ehemaligen Strafgefangenen aufgesucht wird, stiege die ohnehin schon hohe Sicherheitsbelastung der Reinickendorfer Bevölkerung auf ein nicht mehr akzeptables Niveau.

das ist schlichtweg Hetze auf niederstem Niveau.

[Hoffmann (CDU): Aufklärung!]

Es stimmt vorn und hinten nicht, und es soll nur zur Verunsicherung der Leute beitragen. Und wenn dann Herr Gram dazu sagt:

Wir in Reinickendorf haben das Gefühl, dass wir zum Verschiebebahnhof für Gestörte werden.

dann zeigt auch das, dass Sie von der sozialen Realität in dieser Stadt absolut keine Ahnung haben.

[Beifall bei den Grünen und der PDS]

Ich möchte enden mit einem Satz des kleinen Steffel – nicht Sie, sondern Ihr Bruder. Der hat nämlich in seiner Pressemitteilung geschrieben, mit diesen Aktivitäten gegen die Ambulanz habe sich erneut gezeigt:

Die CDU Tegel hat somit den Anspruch als Tegelpartei wieder verdeutlicht.

[Beifall bei den Grünen und der PDS – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Es folgt die PDS. Das Wort hat Frau Dott. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als Mutter weiß ich, dass Geduld besser ist als lautes Schreien. Aber als Lehrerin habe ich die Erfahrung gemacht, dass auch nach mehrmaliger Wiederholung nur der lernt, der zuhört und ehrlich an Auseinandersetzungen interessiert ist – im Unterschied zu Ihnen, Herr Gram. Sie scheinen überhaupt kein Interesse an der Lösung dieses Problems zu haben. Ich bin als Mitglied des Rechtsausschusses bestürzt über so viel Unverfrorenheit, mit der ein kompliziertes Sachthema von der CDU als Wahlkampfthema missbraucht wird. Sie haben es noch nicht einmal beschönigt. Sie sprachen selber vom Wahlkampf.

[Beifall bei der PDS]

Dieses Thema ist viel älter, als Sie vielleicht wissen. Nach den Geschehnissen im Jahr 2000, die von Herrn Schruoffeneger bereits erläutert wurden, gab es einen Antrag der PDS mit der Forderung nach einer solchen Ambulanz. Im Jahr 2001 gab es eine Anhörung im Ausschuss für Verfassungs- und Rechtsangelegenheiten, Immunität und Geschäftsordnung. Damals hörten wir Herrn Prof. Kröber, der sagte, das Thema Sexualstraftäter garantiere das Interesse der Medien und der Öffentlichkeit. Als forensischer Psychiater habe man dabei immer das gewisse Unbehagen, dass das eigentliche Problem, das bei einem großen Teil der Fälle vorliege, nämlich die Tatsache, dass es sich um Gewalttaten handele, vernachlässigt werde. – Herr Gram, Sie hören schon wieder nicht zu: Wozu das ganze Theater, wenn Sie sich nicht informieren wollen?