Protocol of the Session on April 14, 2005

Gemäß der veränderten Geschäftsordnung steht jeder Fraktion nunmehr eine Redezeit von bis zu zehn Minuten zur Verfügung, die auf zwei Redner aufgeteilt werden kann. Es beginnt in der ersten Runde die CDU-Fraktion in Person des Fraktionsvorsitzenden. – Bitte schön, Herr Zimmer, Sie haben das Wort!

Vielen Dank! – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In den vergangenen Wochen haben wir in den Aktuellen Stunden vom Mord an Hatun Sürücü über die gescheiterte Integrationspolitik bis zur Massenarbeitslosigkeit Themen diskutiert, die sich alle auf einen Kern zurückführen lassen. Sie haben eine gemeinsame Ursache, denn sie sind u. a. die Folgen einer fehlgeleiteten Erziehung, einer Erziehung, die in zu vielen Elternhäusern entweder nicht mehr stattfindet oder sich im Widerspruch zu den Grundlagen unserer Gesellschaft befindet, aber auch einer Erziehung, die in unseren Schulen nur mangelhaft vermittelt wird. Denn zur Bildung eines jungen Menschen gehört weit mehr als die reine Vermittlung von Wissen. Sie braucht vor allem ein Fundament. Dieses Fundament besteht aus der Moral, also dem inneren Kompass, der uns sagt: Was ist richtig, und was ist falsch?

[Beifall bei der CDU]

Junge Menschen suchen nach einer Orientierung. Das gilt vor allem für junge Menschen, die sich erst ihren Platz in der Welt suchen müssen. Und sie brauchen Halt, einen Halt, der ihnen auch in schwierigen Situationen Hoffnung und Selbstvertrauen gibt. Diesem Bild hat sich doch kaum einer entziehen können: Auf dem Petersplatz in Rom, in den Kirchen von Berlin, in aller Welt versammelten sich Millionen von Trauernden, darunter auffällig viele junge Menschen, um Anteil zu nehmen am Tod von Papst Johannes Paul II. Was hat Johannes Paul den Menschen bedeutet, dass sie so bewegt waren, als sie von ihm Abschied nahmen? – Sicherlich haben sie nicht alle Positionen des Papstes geteilt. Aber er war ein tief gläubiger Mann, der für seine Überzeugungen gelebt hat, und damit ist er ein Vorbild, jemand, dessen Leben eine klare Richtung hatte und damit auch anderen Menschen eine Richtung geben konnte.

Wir beklagen den Werteverfall in unserer Gesellschaft und wollen ihm begegnen. Wir wollen jungen Menschen helfen, ihren eigenen Weg zu finden. Wir wollen, dass sie fähig sind, miteinander zu leben. Dabei spielen Glaube und Religion eine ganz wesentliche Rolle.

[Beifall bei der CDU]

[Beifall bei der CDU]

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Von der SPD-Linken, der PDS und Klaus Wowereit wird behauptet, nur ein einheitlicher Werteunterricht könne zur Toleranz erziehen. Doch das ist ein fataler Irrtum. Echte Toleranz gründet sich auf feste Standpunkte. Sie bezieht sich auf Gewissenfragen, auf tiefste persönliche Überzeugungen. Sie entsteht aus der Achtung vor der Würde des Menschen. Doch die Forderung, die von SPD und PDS erhoben wird, ist die Forderung, keine eigenen Überzeugungen zu haben. Aber ohne eigene Überzeugungen sind der echte Streit um die Wahrheit und die Suche nach einem tragfähigen Konsens unmöglich. Mit dem Sammelsurium, das Sie den Schülern verordnen – heute Christentum, morgen Buddhismus, übermorgen der Islam – können sich doch keine festen Überzeugungen bilden. Damit erzeugt man nur Beliebigkeit und Gleichgültigkeit.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der FDP– Zuruf des Abg. Over (PDS)]

Und ein Problem lösen Sie damit ganz bestimmt nicht: den fundamentalistischen islamischen Religionsunterricht, von dem keiner hier im Saal genau weiß, was hinter verschlossenen Türen wirklich gepredigt wird. Nur wenn Religion ein staatliches Unterrichtsfach ist, dann steht es auch unter der Aufsicht des Staates,

[Beifall bei der CDU und der FDP]

dann gibt es Lehrpläne auch für den Islam, dann wird der Unterricht in deutscher Sprache abgehalten, und dann müssen die Islamlehrer auch an deutschen Universitäten ausgebildet werden.

Daher ist es bittere Ironie, dass ausgerechnet Finnland herhalten muss, damit die SPD-Linke uns ihre rückschrittlichen schulpolitischen Ideen aufzwingen kann.

Ich bin ein entschiedener Gegner der Einheitsschule, denn Einheitsschule heißt nichts anderes als die Abschaffung von Gymnasien, Realschulen und Hauptschulen. Sie bedeutet Gleichmacherei, statt begabungsgerechte Leistungsanreize für Schüler zu schaffen. Sie leugnet die Vielfalt und Individualität von menschlichen Begabungen. Deswegen brauchen wir endlich ein klar gegliedertes Schulsystem, das unsere Schüler nach ihren individuellen Fähigkeiten fördert.

Bei dem Sturm der Entrüstung, das Ihr Vorhaben bundesweit ausgelöst hat, muss man sich fragen, warum Sie an Ihren Plänen festhalten. Nun, bei der PDS ist es angesichts der Vergangenheit dieser Partei nicht verwunderlich. Der Bundestagspräsident Wolfgang Thierse hat völlig Recht, wenn er auf dem SPD-Parteitag daran erinnert, dass bereits die SED die Kirchen als Opposition gegen das DDR-Regime aus den Schulen und dem öffentlichen Leben ausgestoßen hatte.

[Beifall bei der CDU]

Dass die Berliner SPD dermaßen kirchenfeindlich daherkommt, ist dagegen nicht nur für Ihren Bundesvorsitzenden Müntefering überraschend. Sie stoßen damit zu Recht bei Ihren eigenen Genossen aus dem Willy-Brandt-Haus auf Unverständnis. Selbst Ihr Bundeskanzler Gerhard Schröder hält diesen Weg für falsch. Er ist nicht nur ein Alleingang – wie Schröder sagte –, sondern ein gefährlicher Irrweg. Aber dies scheint der Preis zu sein, den Klaus Wowereit als Tribut an seinen Koalitionspartner zu zahlen bereit ist – ohne Rücksicht auf seinen Bildungssenator Klaus Böger, der den Fehler zwar erkannt hat, aber nicht die Kraft und den Mut besitzt, sich dagegen zur Wehr zu setzen.

[Schruoffeneger (Grüne): Ich fürchte, es ist andersherum!]

Das kommt davon, wenn man um der Macht willen seine eigene Überzeugung verrät, Herr Böger,

[Dr. Lindner (FDP): Richtig!]

oder erst gar keine besitzt, wie im Fall von Klaus Wowereit, dessen Selbstverliebtheit wohl sein einziger Maßstab ist.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Auch die praktische Umsetzung Ihrer Pläne ist höchst fragwürdig. Spätestens seit Ihrem Parteitagsbeschluss, werte Kollegen der SPD – das letzte Jahr in den Kindertagesstätten beitragsfrei zu machen, aber gleich dazu zu sagen, das sei eine Vision, Sie hätten gar kein Geld dafür –, wissen wir, wie unseriös Ihre Bildungspolitik ist.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Für die Einführung Ihres Faches LER haben Sie weder ausgebildete Lehrer noch Platz in den Stundentafeln der Schule. Also soll an den Fächern Geschichte und Deutsch gekürzt werden.

[Dr. Lindner (FDP): Und an Geld auch!]

Als wenn nicht schon heute viel zu viele Stunden Unterricht an unseren Schulen ausfallen würden! Es ist eine Tatsache: An Berliner Schulen wird zu wenig unterrichtet.

Wie sieht nun Ihre Antwort darauf aus, Herr Müller? – Sie kramen aus der Mottenkiste der Alt-68er-Bildungsideologie die Einheitsschule hervor. Als Vorwand benutzen Sie die Erfolge Finnlands in der PISA-Studie. Es stimmt, auch in Finnland gibt es Gemeinschaftsschulen. Aber in Finnland gibt es auch eine deutlich geringere Klassenfrequenz, die eine individuelle Förderung von

starken und schwachen Schülern möglich macht. In Finnland gibt es auch keine Integrationsprobleme,

[Zuruf des Abg. Over (PDS)]

denn dort gibt es nur einen sehr geringen Ausländeranteil, und ausreichende Sprachkenntnisse sind dort Einschulungsvoraussetzung.

[Frau Senftleben (FDP): Richtig!]

Ganz davon abgesehen, sind finnische Schulen und Bibliotheken modern und gut ausgestattet. Gemeinsamkeiten mit Berlin gibt es also keine, Herr Müller!

[Beifall bei der CDU und der FDP]

[Beifall bei der CDU]

Der Blick auf die innerdeutsche Statistik belegt, dass Bayern und Baden-Württemberg mit ihrem differenzierten Schulsystem die erfolgreichsten Länder sind, auch in der Förderung sozial Schwacher und von Migranten. Anstatt unsinnige Strukturdebatten zu führen, müssen wir uns darauf konzentrieren, die Qualität des Unterrichts zu verbessern. Sie drücken sich aber vor der Frage, wie wir trotz knapper Kassen einen attraktiven und hochwertigen Unterricht anbieten können. Dazu gehört übrigens auch wieder die Vermittlung von Tugenden wie Pünktlichkeit und Disziplin. Ein großer Teil der Jugendarbeitslosigkeit ist auch auf die schlechte Qualität der Berliner Schulen zurückzuführen.

[Zuruf des Abg. Ratzmann (Grüne)]

Im Jahr 2004 hat die Berliner Volksbank auf 60 Ausbildungsstellen 2 000 Bewerbungen erhalten. Sie konnte nur 40 Ausbildungsstellen besetzen – schlicht und ergreifend waren 1 960 Bewerber ungeeignet, weil sie von unseren Schulen nicht ausreichend auf das Erwerbsleben vorbereitet waren.

[Frau Dott (PDS): Was hat das mit Religion zu tun? – Zuruf des Abg. Mutlu (Grüne)]

Nicht umsonst haben IHK, die Berliner Handwerkskammer und der UVB die SPD-Pläne jüngst als bildungspolitischen Amoklauf bezeichnet. Ansiedlungsentscheidungen sind, so die Verbände, von einem attraktiven Bildungssystem abhängig.

Meine Damen und Herren von der SPD, ich appelliere an Sie: Hören Sie auf die Kirchen, auf die Eltern und auch

Nein! – Herr Zimmer! Ich wundere mich aber nur ein bisschen, dass offensichtlich alle bildungspolitischen Diskussionen, die wir in den letzten Jahren in diesem Haus geführt haben, spurlos an Ihnen vorbeigegangen sind.

Wenn Sie es ernst nähmen mit dem, was Sie in der Aktuellen Stunde formuliert haben – wie die Voraussetzungen für Unternehmen und junge Familien sein sollten –, hätten Sie auch andere Themen angesprochen: Erfolge, die wir in der Berliner Bildungspolitik vorzuweisen haben, mit denen wir bundesweit einmalig dastehen.

Wir haben ein ganz fortschrittliches Schulreformgesetz, für das wir bundesweit gelobt werden. Im Übrigen, Frau Senftleben, ist dieses Schulreformgesetz auch auf Grundlage eines SPD-Landesparteitagsbeschlusses formuliert worden, das sollte man auch mal erwähnen.

In diesem sind ganz konkrete Maßnahmen formuliert, die wir umgesetzt haben: in kürzerer Zeit zum Abitur zu kommen, die frühere Einschulung, die Zweitsprache ab der dritten Klasse, das Schulprofil, das es inzwischen gibt, mehr Eigenverantwortung an der Schule – alles wichtige bildungspolitische Reformschritte, die wir umgesetzt haben.

auf die Kinder! Schaffen Sie eine Wahlalternative für den Religionsunterricht!

[Zuruf des Abg. Hoff (PDS)]

Nehmen Sie Abstand von der Einheitsschule! Sollten Sie das nicht tun, kann ich Ihnen eins versprechen: Die Berlinerinnen und Berliner werden sich spätestens zur Wahl 2006 entscheiden können, ob sie ihren Kindern eine Schule der Orientierungslosigkeit und Gleichmacherei zumuten wollen oder ob sie auf Wertevermittlung, Leistungsorientierung und individuelle Förderung setzen. – Letzteres gibt es nur mit der Berliner CDU! – Vielen Dank!