Protocol of the Session on March 17, 2005

In der Kleinen Anfrage der FDP – Herr Lindner hat das heute in seinem Beitrag auch angesprochen – ist der Abstand zwischen Sozialtransfers und geringem Einkommen thematisiert und die Frage angesprochen worden, ob wir ein Problem im Bereich der einfach qualifizierten Beschäftigung haben.

[Dr. Lindner (FDP): Aktivierende Sozialhilfe!]

Herr Lindner, in der Diagnose sind wir uns, glaube ich, sehr nahe. – Ich glaube, wir haben in der Bundesrepublik

Bm Wolf

Wir haben viel über die Ebene der Bundespolitik diskutiert. Herr Lindner, noch eine Anmerkung: Der Bundesrat ist nicht der Ort für Schaufensteranträge. Die Frage ist, ob es gelingt, im Vorfeld von Bundesratsentscheidungen ein Verständnis und eine Zustimmung zumindest bei einer Reihe von Verbündeten in den Ländern zu gewinnen, damit es eine ernsthafte Diskussion gibt und ein solcher Vorschlag als Bundesratsinitiative dann auch Durchschlagskraft hat. Insofern ist es schon eine Aufgabe des Finanzsenators, Artikel zu schreiben. Es ist auch eine Aufgabe des Wirtschaftssenators, Diskussionsbeiträge anzustoßen. Es ist unsere Aufgabe, z. B. in den Landesministerkonferenzen für diese Thematik zu werben, um die politischen Voraussetzungen dafür zu schaffen, ggf. eine Bundesratsinitiative zu ergreifen. Insofern sind wir an dieser Stelle nicht untätig, sondern arbeiten, auch im Rahmen unserer landespolitischen Verantwortung, dass bundespolitisch Rahmenbedingungen verändert werden. Aber das ist – wie der Bundespräsident gesagt hat – das beharrliche Bohren dicker reformpolitischer Bretter.

und in Berlin in diesem Bereich in der Tat ein Beschäftigungsproblem.

[Dr. Lindner (FDP): Ein Riesenproblem!]

Andere Länder wie die skandinavischen Länder, aber auch die Vereinigten Staaten haben wesentlich mehr Beschäftigung in diesem Sektor, auch wenn sie ein Hochlohnstandort und ein innovativer Standort sind.

[Dr. Lindner (FDP): In der Legalität!]

Richtig, in der Legalität! Ich stimme Ihnen auch zu, dass viel dieser Arbeit heute in dem Bereich der Schwarzarbeit oder Schattenwirtschaft erbracht wird, weil die Schwarzarbeit in der Konkurrenz wesentlich billiger ist. Deshalb hat die Schwarzarbeit Wettbewerbsvorteil gegenüber der legalen Beschäftigung.

Häufig ist es so, dass das, was die Beschäftigten netto herausbekommen, ungefähr auf der Höhe des Transfereinkommens liegt. Auch an dieser Stelle haben wir keine Anreizwirkung. Deshalb bin ich der Meinung, dass wir hier in der Bundesrepublik Handlungsbedarf haben.

Jetzt ist die Frage, wie wir das Thema angehen. Wenn ich Ihren Vorschlag richtig verstanden habe – Sie beziehen sich auf das IFO und Herrn Sinn –, läuft es darauf hinaus zu sagen: Wir subventionieren diese Löhne im Niedriglohnsektor. – Ich glaube, dass wir einen anderen Weg gehen sollten.

[Beifall des Abg. Hoff (PDS)]

Ich mache es an einem Beispiel deutlich – Herr Hoff hat es vorhin auch schon angesprochen –: Wenn Sie heute als Arbeitnehmer 1 000 € brutto für eine solche Beschäftigung erhalten, dann kommen Sie auf einen Anteil von ca. 200 € Lohnnebenkosten/Sozialbeträgen. Netto bekommen Sie 800 €. Das liegt – je nach Höhe der Wohnkosten – auf dem Niveau von Arbeitslosengeld II, vielleicht leicht darüber oder darunter. Gleichzeitig zahlt der Unternehmer, der diesen Menschen beschäftigt, 1 200 € insgesamt, weil er 200 € Arbeitgeberbeiträge zahlen muss. Das macht deutlich, wie groß das Problem der Lohnnebenkosten ist. Die Schwarzarbeit wird ungefähr auf dem Niveau der Nettolöhne angeboten, bei 800 €. Das ist eine Faustregel. Wenn ich jetzt herginge und sagte: Ich befreie gerade diesen Bereich der niedrigen Einkommen von Lohnnebenkosten und damit von der faktischen Besteuerung von Arbeit, entlaste damit die Arbeitskosten um die Lohnnebenkosten, dann entlastete ich das Unternehmen von Kosten von 400 €. Man hätte möglicherweise sogar einen Erhöhungsspielraum der Nettolöhne nach oben bei gleichzeitiger Kostensenkung für die Unternehmen und Wettbewerbsfähigkeit mit Anbietern auf dem Schwarzmarkt. Und man hätte auch einen Abstand zu den Transfereinkommen. Diese Entlastung kostete uns 400 €. Gleichzeitig sparten wir 800 € Transfer. Somit könnten wir mit jedem neu geschaffenen Arbeitsplatz in diesem Sektor letztlich 400 € sparen. Wir müssen in der Bundesrepublik darüber diskutieren, ob das ein sinnvoller Weg für Niedrigqualifizierte ist, die in den Zukunftssektoren IT oder Mode keine Beschäftigung finden. Diese Leute dürfen wir

nicht vergessen. Dafür müssen wir Vorschläge entwickeln. Diese Vorschläge heißen nicht Lohndumping. Wir müssen aber von der faktischen Besteuerung von Arbeit im Niedriglohnsektor wegkommen und sie wettbewerbsfähig machen.

[Beifall bei der PDS – Beifall des Abg. Zimmermann (SPD)]

Herr Senator, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lindner?

Bitte, Herr Lindner!

Herr Senator! Ich stimme mit Ihnen überein, dass das nichts für Schaufensteranträge ist. Stimmen Sie mir zu, dass es eine Reihe gerade auch kleinerer Länder regelmäßig nutzt, mit anderen kleineren Ländern oder mit anderen Koalitionen, die in der Regel nichts mit Parteikoalitionen zu tun haben, gemeinsam solche Initiativen zum Arbeitsmarkt, aber auch zur Steuerpolitik zu ergreifen, und dass es insoweit im Moment nur nicht sichtbar ist, in welcher dieser Koalitionen und Konstellationen Berlin im Bundesrat tätig ist?

Herr Lindner! Wenn Sie mit darauf hinwirken, dass sich die Bundesländer, in denen die FDP in der Regierung sitzt, den Vorschlägen von Herrn Sarrazin und mir annähern, dann können wir gerne über eine gemeinsame Bundesratsinitiative von Rot-Rot und von Ländern mit FDP-Regierungsbeteiligung reden.

[Dr. Lindner (FDP): Sehr gern!]

Das ist durchaus ernst gemeint, Herr Lindner! Lassen Sie uns sehen, ob diesem Angebot etwas folgt.

Von den Höhen der Bundespolitik zurück in die Niederungen der Landespolitik: Es ist richtig und notwendig, dass wir uns über die großen Themen unterhalten, aber es

)

anke für Ihre Aufmerksamkeit!

Bm Wolf

(D

Meine Aussagen besitzen leider immer noch Gültigkeit. Ich beschränke mich in diesem Zusammenhang auf meine Kernaussage: Die so genannten Hartz-Reformen spiegeln den verheerenden Zustand der deutschen Arbeitsmarktpolitik wider. Sie schaffen keine neuen Arbeitsplätze, allenfalls in der Verwaltung. Sie sind ein staatliches Beschäftigungsprogramm für den öffentlichen Dienst. Die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe ist richtig. Wir haben dies immer so gesagt. Die Ausführung dieser Maßnahme ist allerdings ungenügend. Die Bilanz der Reformen ist unterirdisch schlecht. Die Personalserviceagenturen wurden nicht angenommen. Gleichzeitig wurden freie Leiharbeitsfirmen geschwächt. Den Ich-AGs steht in den nächsten Monaten eine Pleitewelle bevor. Einzig die Minijobs kann man als kleinen Erfolg verbuchen. Dagegen wurde der Zentralismus der Bundesagentur gestärkt. Doch gehen die Vermittlungserfolge der Bundesagentur kontinuierlich zurück. Sie darf weiterhin Millionen aus dem Fenster werfen für einen nicht funktionierenden Arbeitsmarkt, denken Sie nur an den virtuellen Arbeitsmarkt. Die Job-Points in Berlin sind der BA ein Dorn im Auge. Sie können in der Zukunft zu einer echten Alternative und Konkurrenz zur Bundesagentur werden. Der Senat dagegen unterstützt dies nur halbherzig. Die Job-Points konnten auf eine Initiative der FDPFraktion erhalten werden. Ich hoffe sehr, dass es wie in England für die meisten Berlinerinnen und Berliner eine Selbstverständlichkeit wird, sich über Job-Points, Internetagenturen oder andere private Arbeitsvermittler eine Arbeit zu suchen, damit das Monopol der Bundesagentur geknackt wird.

gibt auch ganz konkrete kleine und praktische Schritte, von denen wir mehr brauchen. Ich will an dieser Stelle nur ein Beispiel nennen, was man mit Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik sinnvoll tun kann. Wir haben mit der Wirtschaftsförderung Berlin und der Regionaldirektion für Arbeit ein neues Modell entwickelt, wie wir Unternehmen bei der Personalsuche und -qualifizierung unterstützen können. Das Ganze nennt sich Business Recruiting Package. Es geht darum, dass Unternehmen, die sich in Berlin ansiedeln und investieren wollen, bei der Stellenbeschreibung, der Suche von Personal, der Vorauswahl, beim Bewerbungsmanagement und bei Trainings- und Qualifizierungsmaßnahmen zu betreuen und zu unterstützen. Wir haben das in einer Testphase mit der Firma Kraft Foods Deutschland mit dem Resultat gemacht, dass wir bis Anfang Februar 2005 30 neue Arbeitsplätze bei Kraft Foods besetzen. Das wird bis zum Jahresende um 100 erhöht werden. Das ist ein gutes Beispiel, wie man Erwerbslose zielgerichtet in Arbeit vermitteln kann und gleichzeitig einen guten Service für Unternehmen anbieten kann, wie man Ansiedlungspolitik mit Arbeitsmarktpolitik verbinden kann, mit positiven Effekten sowohl für diejenigen, die jetzt in Beschäftigung kommen, als auch ein klares Signal zu geben, dass Unternehmen, die sich hier ansiedeln wollen, einen guten Service, ein Rundumbetreuung bekommen, bis hin zur Personalsuche und bei der Personalqualifizierung. Derartige Beispiele sollte man ausweiten. Die Opposition ist eingeladen, dabei mitzuwirken. Wenn Sie das nicht tun, werden wir diesen Weg trotzdem weiter allein beschreiten. – Ich d

[Beifall bei der PDS und der SPD]

Vielen Dank, Herr Senator Wolf! – Wir kommen zur zweiten Rederunde. Es beginnt die FDP. Das Wort hat der Kollege Lehmann. – Bitte schön!

[Frau Dr. Klotz (Grüne): Jetzt kommen die Inhalte von der FDP!]

Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Die Bilanz des Senats lautet schlicht und einfach: Über 400 000 arbeitslose Menschen in Berlin, nichts ist seit dem Amtsantritt von Senator Wolf geschehen. – Da kann ich nur sagen: Note sechs, setzen!

[Beifall bei der FDP und der CDU]

In der gestrigen Arbeitsausschusssitzung wurde wieder überdeutlich, dass mit den Hartz-Chaosreformen ein Verschiebebahnhof eingerichtet wurde, in dem jede Institution anscheinend an Kompetenzmangel leidet, nach dem Motto: Jeder ist für die Fehlentwicklungen zuständig, bloß wir nicht. – Das gilt für den Senat. Das gilt für die Job-Center. Das gilt auch für die Regionaldirektionen. Vieles von dem, was ich in den letzten zwei Jahren über Hartz und die Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung und des Senats in diesem Haus gesagt habe, könnte ich gebetsmühlenartig wiederholen.

[Zurufe von der PDS]

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Wir sollten die Worte unseres geschätzten Bundespräsidenten ernst nehmen und endlich begreifen – da unterstütze ich noch einmal voll das, was der Kollege Zimmer vorhin dazu gesagt hat –: Arbeitslosigkeit ist kein konjunkturelles Problem, sie ist ein strukturelles Problem, so hat der Präsident das gesagt. Ich gehe sogar noch weiter: Nur durch einen Systemwechsel in der Arbeitsmarktpolitik wird es uns gelingen, Arbeitslosigkeit entscheidend abzubauen. Wir brauchen also eine Entstaatlichung der Arbeitsmarktpolitik. Die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Kräfte müssen selbst bestimmen können, welche Maßnahmen für mehr Arbeitsplätze notwendig sind. Diesbezügliche Anträge liegen von unserer Seite zur Genüge vor.

Hier möchte ich noch einen zentralen Punkt erwähnen. Wenn es uns nicht gelingt, mehr Jobs für gering Qualifizierte zu schaffen, werden wir die Langzeitarbeitslosigkeit nicht beseitigen können.

[Beifall bei der FDP]

Erstens werden viele gering Qualifizierte bei unserem komplizierten Arbeitsrecht keinen Job mehr bekommen, wir dürfen uns da nichts vormachen. Deshalb brauchen wir mehr Jobs im Niedriglohnbereich. – Frau Dr. Klotz, wenn Sie schon aus unseren Anträgen zitieren, dann bitte ich Sie doch, vielleicht auch alles zu benennen und nicht nur, was in Ihre Klischeevorstellungen passt. Nämlich

Dass aber eine aktive Arbeitsmarktpolitik im Interesse der über 300 000 Arbeitslosen in Berlin weiter erforderlich bleibt, darüber kann gar kein Zweifel bestehen. Auch aus wirtschaftspolitischen Gründen kann ein weiterer Verlust an Kaufkraft in Berlin unmöglich gewünscht werden. Darauf haben aber Herr Hoff, Frau Dr. Klotz und der Senator bereits hingewiesen. Ich wollte Ihnen eigentlich einmal den Zusammenhang von Angebots- und Nachfragepolitik erklären, aber ich will Ihren ökonomischen Sachverstand nicht überfordern und erkläre Ihnen jetzt mal lieber, wie hier eine vernünftige Angebotspolitik gemacht wird, die eine Industrie- und Ansiedlungspolitik ist. Denn trotz der aus genannten Gründen bedrückend hohen Arbeitslosenzahl gibt es zuhauf Zeichen für die Entwicklung des Industriestandorts Berlin, wie mehrere aktuelle Studien zeigen. Neue Ansiedlungen nationaler und internationaler Unternehmen konnten in den zurückliegenden drei Jahren erreicht werden. Adlershof und Buch werden konsequent zu Standorten für Zukunftstechnologie ausgebaut. Dies ist sozusagen eine Angebotspolitik anderer Art: Eine Förderung des Mittelstands gehört dazu, die IBBAusgründung als Struktur- und Förderbank wurde erwähnt, die Gründung der One-Stop-Agency, Bürokratieabbau, und zwar vernünftig! Das muss ich auch den Herren von der CDU einmal sagen: Sie haben heute einen dringlichen Antrag vorgelegt, der enthält entweder nur, was sowieso von unserem Senat getan wird, oder irgendwelche Floskeln. Ich kann darin nichts erkennen, was uns hier weiterbringen würde.

zweitens müssen die Arbeitsanreize für erwerbsfähige Hilfsbedürftige erhöht werden. Das kann u. a. dadurch geschehen, indem die Regelsätze für Alg II abgesenkt und im Gegenzug die Arbeitsmöglichkeiten verstärkt werden.

Wenn ich schon bei den Grünen bin, ganz schnell noch zu Ihrem Antrag: Das ist schon der Gipfel des politischen Opportunismus, nicht nur deswegen, weil die Grünen im Deutschen Bundestag sich beim Vermittlungsverfahren zu Hartz IV massiv gegen einen besseren Anrechnungstarifverlauf gewehrt haben. Ihre Kollegin Dückert hat dies immer wieder im Hinblick auf die angeblichen Mitnahmeeffekte und die Förderungsinstrumente bei Hartz IV abgelehnt. Nein, besonders verlogen ist, hier im Abgeordnetenhaus von Berlin den Senat zu einer Bundesratsinitiative aufzufordern, wo Ihre Partei doch in der Bundesregierung sitzt.

[Pewestorff (PDS): Wo er Recht hat, hat er Recht!]

Wenn Sie von diesem Antrag so überzeugt sind, warum rufen Sie Ihren Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit nicht an, den fulminanten Herren Rezzo Schlauch, dass er eine solche Änderung bei Hartz IV in seinem Haus erarbeiten lässt?

[Zurufe von den Grünen]

Falls Sie die Telefonnummer nicht haben, wählen Sie die 201496421. Er wird Ihnen bestimmt helfen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der FDP und der CDU]