Protocol of the Session on March 17, 2005

uns bereits seit Wochen und permanent in Gesprächen befinden. Ich hoffe, dass wir morgen oder zumindest in den nächsten Tagen eine definitive Entscheidung bekommen. Das Ziel ist klar. Wir erwarten allerdings auch, dass nicht nur das Land Berlin einen Beitrag leistet, sondern auch die Agenturen für Arbeit einen Beitrag leisten.

Um es noch einmal zu sagen: Alle wollen das, und wenn es alle wollen, muss es nach menschlichem Ermessen eigentlich auch klappen.

Nun hat Frau Abgeordnete Prof. Grütters das Wort zu ihrer Mündlichen Anfrage über

Bildungsurlaub für den schlechtesten Wissenschaftsminister der Bundesrepublik in Südafrika?

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich frage den Senat:

1. Welches Ziel und welchen Zweck verfolgte die Reise des Senators für Kultur, Wissenschaft und Forschung nach Südafrika, und welcher Nutzen für Berlin resultiert daraus?

2. Wie beurteilt der offensichtlich mit der Arbeit seines Wissenschaftssenators unzufriedene – Charité- und Studiengebühren-Kritik – Regierende Bürgermeister die Erfolgsaussichten der Parteireise Flierls für Berlin?

Das Wort zur Beantwortung hat Herr Senator Dr. Flierl. – Bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Abgeordnete! Bei meiner einwöchigen Reise nach Südafrika handelte es sich nicht um eine Dienstreise im Auftrag des Senats, sondern um eine legitime Freistellung des Senators für die politische Bildungsarbeit. Dem Land Berlin entstanden keinerlei Kosten. Zweck der Reise war die Teilnahme an einem Kolloquium der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Johannesburg zur Erfahrung linker Parteien in Regierungsbeteiligungen.

[Zurufe von der FDP]

Wie Sie wissen, ist seit Überwindung der Apartheid in Südafrika ein Bündnis von ANC, Südafrikanischer Kommunistischer Partei und Gewerkschaftsdachverband COSATO an der Regierung. Die Bundesrepublik Deutschland fördert den Demokratisierungsprozess in Südafrika auch durch die Bildungsarbeit der deutschen parteinahen Stiftungen. Das Kolloquium war Teil der vom BMZ finanzierten politischen Bildungs- und Entwicklungsarbeit der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Südafrika.

Zu 2: Reisen von Senatoren, Landes- und Bundesministern auf Einladung politischer Stiftungen der Bundesrepublik Deutschland sind keine Parteireisen. Sie gehören zum Programm aller Stiftungen im Rahmen ihres Auftrags zur politischen Bildungs- und Entwicklungszusammenarbeit.

[Heiterkeit]

Gleichzeitig gibt es ein hohes Maß an Übereinstimmung zwischen mir und dem Regierenden Bürgermeister sowie im Senat insgesamt, den Prozess der Fusion der Berliner Hochschulmedizin mit einer strategischen Kooperation zwischen Charité und Vivantes zu verbinden. Die einvernehmliche Arbeit an den gemeinsam definierten Zielen der Senatspolitik ist weder durch Urlaubsansprüche, Dienstreisen oder legitime Freistellungen der verantwortlichen Senatoren für Repräsentation und politische Bildungs- oder Entwicklungszusammenarbeit im Ausland beeinträchtigt – und schon gar nicht durch Anfragen der Kollegin Grütters, die lediglich eine Meldung der „Bild“-Zeitung von vor knapp zwei Wochen recycelt. Frau Grütters, mit Ihrer Anfrage werden Sie die Zufriedenheit Ihrer Fraktion mit Ihnen auch nicht wirklich stärken.

[Beifall bei der PDS – Pewestorff (PDS): Die Antwort war besser als die Frage!]

Frau Grütters hat das Wort zu einer Nachfrage. – Bitte schön!

Herr Senator! Wie vertragen sich Ihre Reise und der Zeitaufwand dafür mit Ihrer Platzierung als schlechtestem Wissenschaftsminister im ers

Der Artikel, den Sie ansprechen, wurde vor einer Woche in der „Süddeutschen Zeitung“ veröffentlicht, wo ich thesenartig ein Papier zusammengefasst hatte, das in meinem Haus seit einiger Zeit erarbeitet wird. Es ist übrigens vollständig im Internet erhältlich. Das Papier geht davon aus – ich will es kurz darstellen, weil der eine oder andere doch nicht in dieser Debatte drin ist –, dass wir in Deutschland seit einigen Jahren sich aufbauend, unabhängig von den augenblicklichen Themen von Arbeitslosigkeit und dem mangelhaften Wirtschaftswachstum, eine Steuereinnahmelücke haben. Unsere Steuerquote als Anteil am BIP liegt um drei Punkte unter dem langfristigen Durchschnitt. Das konjunkturbereinigte Defizit öffentlicher Haushalte ist im Augenblick bei 3,4 Prozent nach den Berechnungen des Sachverständigenrats. Das bedeutet, dass selbst mehr Wachstum und eine verbesserte Konjunktur die Finanzprobleme des Staats nicht lösen können, obwohl der Ausgabenanteil am BIP des Staats bereits seit einigen Jahren gesunken ist. Jedwede Politik aber, die künftig Nachhaltigkeit sichern will, muss auch dem Staat nachhaltige Einnahmen sichern. Die gegenwärtige Einnahmelücke von etwa 3,5 Prozent des BIP entspricht einem jährlichen Steueraufkommen von 75 Milliarden €, die in unserem System fehlen, und zwar nicht nur bei uns im Land Berlin, sondern überall, vor allem beim Bund.

ten Wissenschaftsministerranking des Deutschen Hochschulverbands? Meinen Sie nicht, Sie sollten Ihre Zeit und Kraft lieber für die Berliner als für die südafrikanische Bildungspolitik aufwenden?

Herr Senator Dr. Flierl – bitte!

Das erste Hochschulranking des Hochschullehrerverbands hat 8 000 Universitätsangehörige, aber vor allen nur eine Gruppe davon, befragt. Ich befinde mich in namhafter Nachbarschaft mit Frau Bulmahn und Herrn Schreier. Wenn Sie den Abstand der am besten Platzierten, die wohl mit 3 bewertet wurden, zu den mit 4,7 Platzierten ansehen, so sind wir zwar schlechter als in der Berliner Schule im Durchschnitt, aber das sollte kein Maßstab sein, Schwerpunkte zu setzen, schon gar nicht die Veröffentlichung einer Umfrage mit den Terminen einer politischen Bildungsreise. Ich habe dort an einem zweieinhalbtägigen Kolloquium teilgenommen und mich unter Einrechnung eines Wochenendes sieben Tage im Ausland aufgehalten. Ich kann den Zusammenhang Ihrer Frage nicht erkennen.

[Beifall bei der PDS]

Danke schön, Herr Senator! – Der Kollege Hoff hat eine Nachfrage. – Bitte schön, Herr Hoff!

Herr Senator, vielen Dank für die Antwort. Ich möchte nachfragen: Können Sie sich seit dem Ausscheiden des CDU-Abgeordneten Nippert an eine entwicklungspolitische Initiative der CDU im Abgeordnetenhaus oder an eine sinnvolle wissenschaftspolitische Initiative der CDU hier in Berlin nach 2002, seit Frau Grütters nicht mehr Regierungspolitikerin ist, erinnern?

[Heiterkeit]

Herr Senator Dr. Flierl!

Sehr verehrter Abgeordneter! Der rhetorische Charakter Ihrer Frage ist unübersehbar. Deswegen versuche ich mich der Antwort zu entziehen.

[Beifall bei der PDS – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Danke schön!

Jetzt ist der Kollege Hoff von der Fraktion der PDS an der Reihe mit einer Anfrage zu dem Thema

Vorschläge von Senator Sarrazin zu einer „nachhaltigen Reform des Steuersystems“

Bitte schön, Herr Hoff!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Ich frage den Senat:

1. Welche Reaktionen gab es in der Öffentlichkeit und bei den Finanzministern des Bundes und der Länder auf die Vorschläge des Finanzsenators zu einer nachhaltigen Reform des Steuersystems, und wie werden sie vom Senat bewertet?

2. Welche Überlegungen bestehen innerhalb des Senats, die bislang nur als „Umrisse einer nachhaltigen Reform des Steuersystems“ bezeichneten sinnvollen Vorschläge des Finanzsenators zur Erhöhung der Steuerquote zu einem tragfähigen Konzept zu machen, das u. a. die Basis für eine Bundesratsinitiative sein könnte?

Herr Senator Dr. Sarrazin, vermute ich? – Sie haben das Wort!

Es ist eine gute Frage, Herr Hoff, und Sie bekommen auch die erbetene gute Antwort. Das sage ich vorweg.

Die öffentlichen Haushalte werden nur dann wieder Beweglichkeit gewinnen können, z. B. in Bezug auf die teilweise Umschichtung der Ausgaben der Sozialversicherung in die Finanzierung durch die öffentlichen Haushalte, wenn sie sich mit dieser Lücke, ihrer Ursache und mit möglichen Veränderungen auseinander setzen. Dabei ist für mich klar – das habe ich auch in dem Papier deutlich gemacht –, dass dies nicht geschehen darf, indem man den mit Mühe abgesenkten Tarif der Einkommensteuer etwa wieder anfasst. Dieses muss im Wesentlichen durch eine breitere Bemessungsgrundlage geschehen.

Wir haben aber auch das Thema der Unternehmensbesteuerung, wo wir in der paradoxen Lage sind, dass wir

Sen Dr. Sarrazin

Sie hatten dann gefragt, wie die Reaktionen auf die Vorschläge bei den Kolleginnen und Kollegen Finanzminister waren. Sie waren interessiert, auch abwartend, aber auch teilweise positiv. Das Echo in der Presse und bei fachlichen Anfragen in meinem Haus war bisher sehr gut. Ich bin erfreut, obwohl ich dort einen kausalen Zusam

menhang nicht unterstellen will, dass sowohl der Bundespräsident in seiner Rede vom Mittwoch als auch der Bundeskanzler vorhin in seiner Regierungserklärung genau die Elemente aufgegriffen haben. Es ist auch für mich sehr schön, wenn der Bundeskanzler vorhin im Bundestag sagte und ankündigte, dass er die Körperschaftsteuer auf 19 Prozent aufkommensneutral senken will. Man wird sehen, ob es dabei bleibt. Das eine oder andere bewegt sich sicherlich in die richtige Richtung.

Das gesamte von mir vorgestellte Paket ist weitgehend und umfassend. Es läuft praktisch auf einen Totalumbau unseres Steuersystems hinaus und eignet sich als solches nicht für eine Bundesratsinitiative oder Ähnliches. Es ist aber ein Beitrag für die politische Debatte. Ich habe Grund zu der Annahme, dass es mit der Senatslinie übereinstimmt.

Eine Nachfrage des Kollegen Hoff!

Vielen Dank für die ausführliche Antwort auf die Anfrage, ausführlicher ging es auch gar nicht. – Können Sie sicherstellen, dass Sie den Anspruch, eine nachhaltige Messungs-, Verbreiterungs- und Einnahmeverbesserung zu wollen, auch bei den Ergebnissen des Jobgipfels im Bundesrat sichern, das heißt, dass alle die Vorschläge, die jetzt in den Bundesrat kommen, erstens zur Verbesserung der Investitionsfähigkeit der Länder und Kommunen und zweitens nicht zu einer Verschlechterung der Kassenlage des Landes Berlin führen?

bei einer kombinierten Steuerbelastung von Kapitalgesellschaften von nominal 38,7 Prozent weit über dem internationalen Durchschnitt und vergleichbarer westeuropäischer Länder wie England oder Schweden liegen, die beide unter 30 Prozent haben, anderseits im Aufkommen der Besteuerung der Kapitalgesellschaften weit unter dem Niveau anderer Länder liegen. Ich will Ihnen die Zahlen nennen: Die großen deutschen Kapitalgesellschaften zahlen pro Jahr eine Steuer – Gewerbe- und Körperschaftsteuer zusammen –, die ein Prozent unseres BIP ausmacht. Die vergleichbare Zahl in den USA ist 1,8 Prozent, also fast das Doppelte. In England liegt der Wert bei 3,5 Prozent, also bei mehr als dem Dreifachen. Eine jüngere Studie der OECD, gestern veröffentlicht, zeigt, dass im Durchschnitt westeuropäischer Länder die großen Kapitalgesellschaften etwa Steuern im Umfang von 3,5 Prozentpunkten des BIP bezahlen.

Woher kommt dieses? – Wir haben derartig viele Ausnahmetatbestände. Wir haben so günstige Abschreibungsmöglichkeiten, wir haben so viele Ausweichmöglichkeiten, dass wir letztlich trotz eines deutlich zu hohen Steuersatzes diese Mindereinnahmen haben. Hier müssen wir mit einem gewissen Paradox leben, müssen aber auch inhaltlich mit ihm umgehen. Das ist für mich völlig klar, dass wir unabhängig von der Notwendigkeit, unser Steuereinnahmenaufkommen deutlich zu erhöhen, bei der Unternehmensteuer die nominalen Sätze absenken und auf eine Belastung von unter 30 Prozent kommen müssen. Nach meinem Modell kann dies relativ einfach geschehen, indem man bei unveränderter Gewerbesteuer – diese zu verändern gibt es in Deutschland parteiübergreifend keine absehbaren politischen Mehrheiten – die Sätze für die Körperschaften so weit absenkt, dass man auf unter 30 Prozent der Gesamtbelastung kommt. Das würde geschehen, wenn man den Satz für die Gewinne von gegenwärtig 25 Prozent auf 15 Prozent Belastung absenkt.

Dieses könnte aufkommensneutral finanziert werden, indem man etwa an den Halbteilungsgrundsatz geht, indem man einige andere Maßnahmen durchführt, insbesondere aber ganz einfach dadurch, weil eine derartig veränderte Besteuerung dazu führen würde, dass in höherem Umfang als bisher die in Deutschland anfallenden Gewinne auch in Deutschland versteuert werden. Ein Vergleich der Statistik für die Körperschaftsteuer mit der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung zeigt, dass pro Jahr nach den Berechnungen meines Hauses zwar 35 Milliarden € bei uns wirtschaftlich anfallen, aber woanders versteuert werden, was über Verrechnungspreise u. ä. einfach auch legal möglich ist. Schon ein Teilrückfluss dieser Beträge bei niedrigeren Sätzen würde praktisch eine Gegenfinanzierung bedeuten.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der PDS]

Bitte schön, Herr Senator Dr. Sarrazin!

Wenn etwas in den Bundesrat kommt, kann man nie etwas sicherstellen, Herr Abgeordneter Hoff!