Protocol of the Session on March 17, 2005

Dr. Heide

Das ist ein grundsätzliches Problem. Wenn in Deutschland nicht mehr generell abstrakte Regeln herrschen, sondern der Versuch vom Gesetzgeber und Verordnungs- und Satzungsgeber unternommen wird, individuelle Lebenssachverhalte über abstrakt generelle Regelungen in den Griff zu bekommen, führt das nicht zu Rechtssicherheit und – Kollege Lorenz – zur Vermeidung von Prozessen, sondern macht die Zähne doch erst lang.

Er kann im Einzelfall durchaus die treffende Regelung sein. Stellen Sie sich jetzt aber einmal die Vielzahl von möglichen Konstellationen vor: langgezogene Grundstücke, große Grundstücke, kleine Grundstücke. Die 80 cmRegelung ist vielleicht in einem kleinen Spektrum die richtige Regel. Sehr oft ist sie aber nicht die richtige Regel.

Hecken, die Frage, wie ein Zaun auszusehen hat. Dieses sind Dinge, die die Menschen doch bewegen. Es ist merkwürdig, wenn Sie sich mit Zivilrichtern unterhalten und als Antwort erhalten, dass etwa 75 % bis 80 % bei den entsprechenden Gerichten bei Streitigkeiten von Nichtfirmen untereinander Nachbarrechte sind, wo sich die Leute darüber streiten, in welcher Entfernung und wie groß die gesetzte Hecke sein darf.

Insofern haben wir 38 Paragraphen, von denen 9 das Thema der Nachbarwand bestimmen. Es ist ein Thema, das sich ohne weiteres auch in der Bauordnung regeln ließe. Die restlichen Dinge sind dort aber sehr spezifisch. Insofern ist das ein Beispiel dafür, sich die Rechtsvorschriften einmal anzusehen und spezifisch zu artikulieren, welche Rechtsvorschriften dort wegfallen, welche in die Bauordnung oder andere Rechtsvorschriften überwiesen werden können, bevor man diverse Anträge stellt, wonach Recht vereinfacht und Rechtsvorschriften abgeschafft werden sollen. Das kann man auch verlangen. So sehr ich es befürworte, hier zu einer Vereinfachung des Rechts zu kommen, muss man auch sehen, dass es notwendige Regelungen des Miteinander gibt. Es kann sein, dass das deutsche Naturell etwas klagefreudiger ist als das in anderen Ländern.

Diese Rechtsvorschriften sind für viele Leute eine wichtige Orientierung dafür, was sie in ihrem Garten tun und was sie nicht tun dürfen. Wenn Sie sich die einschlägigen Gazetten vom „Grundeigentum“ bis zum „Mietermagazin“ durchlesen, angefangen vom Grillen und ähnlichen Dingen, über Hühnerhaltung auf dem Balkon und anderem, kann man gar nicht so dumm denken, wie dieses Gesetz bestimmte Regelungen vorsieht. Ich glaube daher, dass das Berliner Nachbarrecht das falsche Beispiel für Überlegungen ist, Rechtsvorschriften abzuschaffen.

Ich appelliere aber auch an die Senatsverwaltung, das grundlegende Anliegen, das wir teilen, ernst zu nehmen. Prüfen Sie einmal, welche Rechtsvorschriften überflüssig sind und welche nicht! Wir finden sicherlich noch etliche Rechtsvorschriften, die in der Tat völlig obsolet sind, bei denen sich durch Zeitablauf vieles erledigt hat. Daran sollten wir weiter arbeiten. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU]

Danke schön, Herr Kollege Dr. Heide! – Jetzt hat das Wort zu einer Kurzintervention der Herr Kollege Dr. Lindner. – Bitte schön!

Herr Präsident! Herr Kollege Heide! Wir sind jetzt an einem Punkt, der mir seit etwa 3 Jahren relativ bekannt vorkommt. Ich habe lange nicht die parlamentarische Erfahrung wie Sie, aber es ist ein immer wiederkehrendes Phänomen. Wenn wir Ihnen Vorschläge zum Bürokratieabbau machen, gibt es zwei grundsätzliche Haltungen dazu. Die eine ist die Linke des Hauses, die eher von vornherein sagt, es komme nicht in Frage, es ginge die Welt unter und so weiter.

[Doering (PDS): Wer sagt das?]

Ihre Fraktion und Sie sind insoweit differenziert, dass Sie sich in der Regel hier hinstellen und sagen, die FDP hätte zwar generell Recht, wir müssten Bürokratie abbauen, es sei ganz wichtig, Bürokratie abzubauen, aber genau in der einen Frage, die die FDP nun vorschlägt, sei eine solche kleinteilige Regelung, wie sie nun vorhanden ist, schon ganz wichtig. Deswegen könne genau in der einen Frage leider nicht zugestimmt werden.

[Frau Oesterheld (Grüne): Differenzieren Sie doch einmal!]

Jetzt komme ich einmal ganz konkret zum Nachbargesetz zum Abstand eines Busches zur Nachbargrenze von 80 cm.

[Frau Oesterheld (Grüne): Kennen Sie § 2?]

[Frau Oesterheld (Grüne): Die gibt es auch nicht!]

Das Leben hält – Gott sei dank – noch mehr Lebenssachverhalte zur Verfügung, als selbst Sie Bürokraten hier gesetzgeberisch in den Griff bekommen können.

Deswegen kommen Sie auch nie weg davon. Versuchen Sie doch einmal, sich davon zu lösen und das zu tun, was früher getan wurde, indem Sie eine abstrakt generelle Norm schaffen. Das Rücksichtnahmegebot ist eine abstrakt generelle Norm. Da ist dann der einzelne Nachbar gezwungen, sich mit seinem Nachbarn beim Bier oder Kaffee einmal auseinanderzusetzen, ob der Busch nun wirklich weiter oder weniger weit entfernt steht. Er geht vor Gericht nämlich ein Risiko ein. Er geht das Risiko ein zu verlieren. Heute nimmt er ein Zentimetermaß, misst genau nach, stellt fest, dass es dummerweise 82 cm statt 80 cm sind und er klagen kann. Er hat nun einen Anspruch, den Nachbarn zu verklagen. Davon müssen wir weg. Wir müssen auch wieder ein Stück Rechtsunsicherheit in Deutschland schaffen, damit sich die Leute zusammensetzen, zusammenraufen und nicht advokatorisch hergehen, messen und prüfen, klagen und verklagt werden. Das ist das, was wir wollen. Darin unterscheiden wir uns grundsätzlich, Liberale von Konservativen, Sozialdemokraten und Ökosozialisten. – Vielen Dank!

[Beifall bei der FDP]

ich meinte die Kollegen Anwälte von der FDP, Herr Ratzmann! – : Einen Antrag einzubringen und ein Gesetz vorzuschlagen, in dem man im ersten Punkt sagt, man begehrt das Aufheben eines Gesetzes ohne Übergangsrege

lung, und im zweiten Punkt den Senat auffordert, er möge sich dafür verwenden, die unentbehrlichen Regelungen in einem Gesetz zu implementieren, das ist ein Ding der Unmöglichkeit. Da zeigt sich, dass es nur ein Schaufensterantrag ist. Normalerweise hätten Sie ein Artikelgesetz machen können, wenn Sie Ihre Arbeit ernst nähmen, und sagen können, in Artikel 1 ändern wir das, in Artikel 2 führen wir die anderen Dinge in die Bauordnung ein. Aber der Mühe haben Sie sich nicht unterzogen, sondern würden, wenn man dem Antrag folgte, eine Regelungslücke fabrizieren.

Danke schön! Nun repliziert Herr Dr. Heide. – Bitte schön!

Herr Lindner! Da unterscheiden wir uns tatsächlich, denn Sie werden von mir kein Plädoyer für mehr Rechtsunsicherheit bekommen. Ich glaube nicht, dass diese Rechtsunsicherheit dem Bürger nutzt und die Gerichte entlastet. Das wollen wir aber. Wie Sie eben schon gesagt haben: Dieses Recht ist kein Recht des Staates, der gezwungen wird, dort einzugreifen, es ist kein Recht, wo eine Genehmigung für das Pflanzen eines Baumes gefordert wird – so weit sind wir in Deutschland Gott sei Dank noch nicht –, sondern es ist ein Recht, das den Nachbarn eine Orientierung gibt und sagt: Das ist in der Regel nachbarrechtlich angemessen, das entspricht dem Gebot der Rücksichtnahme. Es steht den Nachbarn jederzeit frei, sich zusammenzusetzen und zu sagen: Ich möchte einen Busch dorthin pflanzen, finden Sie das in Ordnung oder nicht? – Sie können gern einmal zu mir in den Garten kommen, da kann ich Ihnen genügend Büsche zeigen, die an der Grundstücksgrenze stehen und bestimmt höher als 0,90 m oder 1,80 m sind. Das Nachbarrecht ist eine Regelung, mit der die Leute wissen, was sie dürfen und was nicht. In einer Welt der Rechtsschutzversicherungen, die man seit Jahren gezahlt hat und wo man endlich einmal sehen will, was man kann oder nicht, ist jede klare Regelung aus meiner Sicht richtig. Wir hätten nichts davon, wenn wir hier eine Generalklausel wie § 242 hätten, wo jeder zu erst zum Anwalt geht, der dann im Gesetzbuch nachsieht und sagt: Das Amtsgericht in Berlin-Wedding sagt in der 24. Abteilung, 1,20 m sind zulässig, und das Amtsgericht Schöneberg in der 26. Abteilung, es müssen lieber 1,60 m sein. – Bewahren Sie uns vor diesen Rechtsstreitigkeiten, und bewahren Sie die Gerichte davor. Dieses Berliner Nachbarrecht bewirkt mit Sicherheit, dass eine Vielzahl von Verfahren erst gar nicht in Gang kommt, und das ist gut so.

[Beifall bei der CDU]

Danke schön, Herr Kollege Dr. Heide! – Nun erhält die Fraktion der PDS das Wort. Es spricht Herr Kollege Nelken. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als ich gestern erfuhr, was die FDP heute in die Priorität heben möchte, dachte ich, das sei ein Missverständnis. Mir war unerklärlich, warum die FDP einen derart unbedarften Antrag auch noch hier nach vorn ziehen möchte, um sich dann zu blamieren. Sie haben es schon im Ausschuss gemacht, wo Herr Lindner nicht dabei war. Der Antrag ist in jeder Hinsicht unbedarft, in der Form und in der Substanz.

Formal gesetzgeberisch, Herr Kollege Lindner oder die Kollegen Anwälte

[Ratzmann (Grüne): Nicht alle in einen Topf, bitte!]

So unernst wie die Form ist im Prinzip auch der Inhalt. Kollege Heide hatte schon Ausführungen gemacht, und hat erst, als Sie ihn provoziert haben, die Sache in der Wiederholung auf den Punkt gebracht. Sie bringen unter der schönen Überschrift „Bürokratieabbau“ – ich glaube, es ist die Nummer 08/15 oder 60 oder so – ständig Anträge ein, mit denen Sie nur ihre normalen Phrasen dreschen wollen und sagen, weg mit dem Staat, es ist alles lähmend, lastet alles auf uns. Die Manie und die Fixiertheit, mit der Sie vermeintliche Regelungsmanien und Staatsfixiertheit verfolgen, hat etwas Gespenstisches an sich. Es ist so wie bei Gespensterjägern, die meistens selbst auch ziemlich herumgeistern. Insofern könnte man sagen, für Politikwissenschaftler ist dieses Vorgehen der FDP interessant, aber für den parlamentarischen Ablauf ausgesprochen lähmend.

Ich will nicht wiederholen, was der Kollege Heide Ihnen dargelegt hat.

[Gram (CDU): Schade!]

Das Nachbarschaftsgesetz beschäftigt keine Bürokratien; da werden keine Beamten aus Bezirksämtern losgeschickt, um Nachbarschaftsstreitigkeiten zu regeln oder festzulegen, was wie zu bauen oder nicht zu bauen ist, an Grundstücksgrenzen oder an Häusern, die aneinander stoßen. Wir sagen, hier wird Nachbarschaftsrecht kodifiziert. Im klassischen, liberalen Sinne, werte Kollegen von der FDP – aber ich glaube, da ist bei Ihnen Hopfen und Malz verloren –, werden Regeln und Maßstäbe für einen Interessenausgleich zwischen Grundstücksnachbarn aufgestellt. Sie können zwar das Gesetz abschaffen, aber Sie können nicht die Konflikte abschaffen. Wenn Sie nicht einen Rahmen vorgeben, damit die Betroffenen ihre Konflikte selbst lösen können, wofür das Gesetz eine Anregung sein kann, oder über Schiedsstellen oder Gerichte, schaffen Sie das, was Herr Heide eben dargestellt hat – das ist in der Stellungnahme des Senats gemeint –, nämlich dass von Gerichten dann immer Einzelfälle geregelt werden. Wenn die FDP unter der Überschrift „Bürokratieabbau“ oder „Entstaatlichung“ behauptet, Verwaltung oder Bürokratie abzubauen, kommt am Ende mehr Bürokratie, mehr Staat und mehr Verwaltung heraus. Das wäre auch so bei der Realisierung Ihres Vorschlags.

Im Prinzip haben Sie nur eines demonstriert, indem Sie das in den Prioritätenblock gesetzt haben: Ihre Prioritäten sind antistaatliche Eiferei und oberflächliche Effekt

Wenn wir deregulieren wollen, sollten wir uns erstens darüber klar sein, wo der Bürokratieabbau stattfinden soll, zweitens geht es um Vereinfachung, und drittens sollten Sie keine Massenproduktion mit Ihren Anträgen veranstalten, sondern Sie sollten ein paar Anträge weniger stellen, aber die intelligent. Das brächte wesentlich mehr. – Danke!

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Der Ausschuss empfiehlt mehrheitlich gegen die Fraktion der FDP die Ablehnung des Antrags Drucksache 15/3450. Wer diesem jedoch seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die FDP, danke schön! Die Gegenprobe! – Das sind alle anderen Fraktionen. Enthaltungen? – Es gibt keine Enthaltungen. Dann ist das mehrheitlich abgelehnt.

hascherei. Es ist ärgerlich, dass man hier darüber reden muss.

[Beifall bei der PDS und der SPD]

Danke schön, Herr Kollege Nelken! – Es folgt Bündnis 90/Die Grünen. Frau Kollegin Oesterheld hat das Wort. – Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist keine Glanzleistung der FDP. Herr Lindner! Wir alle sind uns ziemlich einig, dass wir Deregulierung wollen, aber mit solchen Anträgen machen Sie genau das Gegenteil. Das ist kontraproduktiv!

[Beifall bei den Grünen und der PDS]

Herr Lüdeke redet auch jedes Mal das Gleiche.

Sehen wir uns die Details an. Da steht im Nachbarschaftsrecht in § 2, dass es die Beteiligten vertraglich regeln können. Nur für den Fall, wo es die Beteiligten nicht miteinander regeln können, gelten die folgenden Bestimmungen. Das heißt, die allgemeine Leier, dass der Staatsbürger an der Nase herumgeführt werde, ist dort nicht enthalten. Es wird gerade gesagt, wenn sich die Beteiligten einigen, ist alles bestens, da können sie machen, was sie wollen. Aber wenn es zu Streitigkeiten kommt, werden bestimmte Regelungen vorgegeben, nach denen es geht. Das hat auch Sinn, denn erstens wird das Verfahren vereinfacht, es verhindert einiges an Gerichtsprozessen, und jeder weiß, worauf er sich einlassen kann und wo er nicht klagen muss. Das ist gerade beim Nachbarschaftsrecht, wo die meisten Klagen laufen, sehr sinnvoll.

[Beifall bei den Grünen]

Herr Nelken hat schon gesagt, dass keine Bürokratie mit dem Nachbarschaftsrecht zu tun hat. Da gibt es nichts, was man machen muss.

[Dr. Lindner (FDP): Simonis ist weg! Rot-Grün in Schleswig-Holstein ist geplatzt!]

Danke für diese Info, aber hören Sie mir mal trotzdem zu, weil Sie immer allgemein herumlabern und erzählen, dass niemand deregulieren will. Ich glaube, dass Sie nicht in der Lage sind – –

[Zuruf des Abg. Dr. Lindner (FDP)]

Bitte fahren Sie fort! – Das Hohe Haus bitte ich um Aufmerksamkeit für den Tagesordnungspunkt.

Herr Lindner kann wohl auch nur sich selbst zuhören, aber nicht anderen, und deswegen lernt er leider auch nie etwas dazu.