Protocol of the Session on November 25, 2004

Die Integration ist in Berlin viel erfolgreicher als ihr Ruf. Die türkischen und kurdischen Berliner, die Polen in Berlin, die Aussiedlerinnen und Aussiedler und die russischen Juden – um nur einige Zuwanderungsgruppen zu nennen – haben gute Integrationserfolge. Die große Mehrheit der Zugewanderten ist in Berlin längst angekommen.

Die OECD kommt in einer im Herbst vorgelegten Untersuchung zu dem Ergebnis, dass in der multikulturellen Berliner Mischung ein großes Wachstumspotential für die Stadt liegt. Der vor wenigen Wochen vom Sachverständigenrat für Zuwanderung und Integration vorgelegte Bericht an die Bundesregierung nennt Kreuzberg als positives Beispiel für einen klassischen Einwanderungsbezirk – bei allen Problemen, die es sicherlich gibt. Der Sachverständigenrat schreibt, dass Zuwanderung zu Wertschöpfung führe, weil die Kreuzberger Mischung inzwischen als positiver Standortfaktor wirke und maßgeblich dazu beigetragen habe, dass sich große Firmen der Unterhaltungsindustrie ebenso wie viele kreative, neue Berliner im Bezirk angesiedelt hätten. Der Rat stimmt dabei dem Bezirk zu, dass es darum gehe, Selbsthilfepotentiale zu stärken, frühkindliche Sprachförderung zu betreiben – übrigens auch bei deutschen Kindern –, Nachbarschaft zu stärken, sozialen Defiziten entgegenzuwirken und demokratiefeindliche Tendenzen zu bekämpfen.

Die großen Probleme in den Innenstadtbezirken übersehe ich nicht. Die Arbeitslosigkeit bei Migrantinnen und Migranten erreicht in solchen Quartieren fast 45 %, aber man muss sich auch die Ursachen dieser Situation anschauen: Mit der Wende brach in unserer Stadt ein großer Teil der Industriearbeitsplätze weg. Als erstes sind die angeworbenen Arbeitsmigrantinnen und -migranten arbeitslos geworden. Gerade in dieser Gruppe der niedrigqualifizierten älteren Migrantinnen und Migranten ziehen sich viele in die eigene Gemeinde, auf die eigene Tradition und Religion zurück. Es wird nach Vertrautem und Bekanntem gesucht.

Wer aber pauschal behauptet, die dritte Zuwanderungsgeneration radikalisiere sich und sei ohne Perspektive, der muss sich fragen lassen, woher denn wohl der Extremismus in Teilen der Mehrheitsgesellschaft kommt und welche Perspektive die Ausnahmegesellschaft diesen jungen Menschen bietet, die nicht selten in der dritten Generation von Sozialhilfe leben und unter denjenigen, die ohne Berufsausbildung sind, den höchsten Anteil stellen.

[Beifall bei der PDS]

Zweitens: Mit dem Konzept „Integration durch Bildung“ – hier sind die Aktivitäten der Bildungsverwaltung vorbildlich – wird nicht nur der Kitabesuch für Migrantenkinder besonders gefördert, sondern frühkindliche Sprachförderung zum Schwerpunkt gemacht. Das neue Schulgesetz eröffnet eine Vielzahl neuer Maßnahmen zum Abbau sozialbedingter Defizite, und die Ganztagsschulerziehung kann einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, dass künftig eben nicht 30 % der Kinder mit Migrationshintergrund die Schule ohne Abschluss verlassen.

Und schließlich halte ich es für richtig, dass bei den Eingliederungsmaßnahmen von Hartz IV Jugendliche mit Migrationshintergrund bei den Zielgruppen ganz oben stehen. Das ist Integrationspolitik richtig verstanden.

Die Umsetzung des Zuwanderungsgesetzes ist für Berlin bei allen Defiziten, die wir schon vor 14 Tagen diskutiert haben, auch eine gute Chance. Diejenigen, die neu nach Berlin kommen, erhalten von Anfang an Integrationsangebote. Mir ist das auch zu wenig, Herr Ratzmann, dass es nur für die Neuankommenden gilt, aber mit dieser Situation müssen wir umgehen. Was Berlin dazu beitragen kann, die hier längst Lebenden zu integrieren, das werden wir tun. Unser Ziel bei diesen Maßnahmen ist es, gerade die jungen Frauen, die im Rahmen des Familiennachzugs nach Berlin kommen, einzubeziehen. Zur gezielten Integration gehört, dass wir unsere sozialen und gesundheitlichen Versorgungsangebote auch an den Bedürfnissen der Zuwanderer orientieren. Die Kampagne

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Frau Sen Dr. Knake-Werner

Die Aktivierung und stärkere Einbindung der Zuwanderungsgruppen in die gesellschaftlichen und politischen Debatten und Entscheidungen ist eine unserer größten Aufgaben. Der Landesbeirat hat in seiner Erklärung zu Recht gefordert, dass es nun um die Weiterentwicklung der Regeln für ein friedliches Zusammenleben in Berlin

auf der Grundlage des Grundgesetzes gehe. Ziel müsse es sein, ein Leitbild für ein gleichberechtigtes Zusammenleben in unserer Stadt zu entwickeln, das alle relevanten Akteurinnen und Akteure einbindet und Mittel und Wege beschreibt, den sozialen Zusammenhalt zu fördern und zu festigen. Genau hieran arbeiten wir. – Vielen Dank!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die große Mehrheit der Migrantinnen und Migranten muslimischen Glaubens distanziert sich strikt von Terror, Islamismus und religiös begründetem Terror. Die große Mehrheit der Migrantinnen und Migranten bekennt sich zum Grundgesetz und zum Rechtsstaat. Integration ist ein stetiger und fortwährender Prozess. Sie braucht ihre Zeit. Sich in einem Land heimisch zu fühlen, braucht auch seine Zeit und verläuft in Phasen. Vergessen wir nicht, jeder Mensch hat sein eigenes Tempo beim Ankommen in dieser Gesellschaft. Ich kann das aus eigener Erfahrung bestätigen.

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Dazu gehört auch die klare Aussage und die Bereitschaft der Mehrheit zum Aufnehmen. Wenn die Vorsitzende der Christdemokraten behauptet, die Integration und Multikulti seien dramatisch gescheitert, so ist das nicht einladend, eher abstoßend. Gerade die große Mehrheit, die integriert oder auf dem besten Weg dahin ist, findet es abstoßend. Was in aller Welt will sie uns damit sagen? Was will Frau Merkel, die Bundeskanzlerin werden will, damit erreichen? – Ihr muss doch klar sein, dass sie damit die Gesellschaft spaltet.

zur kultursensiblen Altenpflege ist dafür ein wichtiger, unverzichtbarer Schritt.

Integration ist also keine einseitige, von den Zuwanderern zu erbringende Leistung und heißt gerade nicht Assimilation, also die möglichst vollständige Anpassung an die Aufnahmegesellschaft. Eine Aufgabe der eigenen kulturellen Traditionen ist mit einer demokratischen Gesellschaft nicht vereinbar. Integration ist ein Prozess, der nur wechselseitig gelingen kann. Dieser Prozess liegt auch nicht allein in der Verantwortung der Politik. Integration betrifft alle gesellschaftlichen Bereiche als Querschnittsaufgabe des Staates und der Zivilgesellschaft mit ihren Einrichtungen. Sie betrifft alle Bürgerinnen und Bürger Berlins, ob mit oder ohne Migrationshintergrund.

Für die Überprüfung unserer Integrationspolitik in Berlin hat der Senat im vergangenen Jahr den Landesbeirat für Integration und Migrationsfragen eingerichtet. Dort werden Empfehlungen für eine Neujustierung der Berliner Integrationspolitik beraten, gleichberechtigt und auf gleicher Augenhöhe, wie es sich gehört. Zu den jüngsten Debatten hat der Landesbeirat in der vergangenen Woche eine besorgte Erklärung abgegeben. Das ist sein gutes Recht. Dort heißt es, dass Berlin große Integrationspotentiale habe, dass der Islam als Religionsgemeinschaft seit Jahrzehnten in der Stadt gegenwärtig sei und dass die große Mehrheit der Muslime integriert in Berlin lebe. Hieraus – so der Beirat – ergäben sich aber auch Ansprüche an uns, an die Aufnahmegesellschaft, und zwar nach Gleichberechtigung, wobei den islamischen Gemeinden die Verantwortung zukomme, positive Aspekte des Islam transparent zu machen, gleichzeitig islamistische Gruppen zu isolieren und ihnen öffentlich entgegenzutreten.

[Beifall bei der PDS und der SPD]

Richtig ist, dass in einer multiethnischen Gesellschaft Konflikte zwischen unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen nicht ausbleiben. Richtig ist aber auch, dass der notwendige interkulturelle Dialog nüchtern und ohne Tabus zu führen ist. Die jüngste Diskussion weist auf ein weiteres Problem hin: Übergänge von islamischen Traditionen zu islamistischem Denken werden unterstellt. Moslems geraten unter Generalverdacht, wo es darauf ankäme zu differenzieren. Ich kann nur dem Innensenator zustimmen, der in den vergangenen Tagen dazu beigetragen hat, die Diskussion zu versachlichen. Es geht darum, den Islamismus zu isolieren, nicht den Islam auszugrenzen.

[Beifall bei der PDS, der SPD und den Grünen]

Auch die große Mehrheit der muslimischen Einwanderinnen und Einwanderer unterstützt diese Grenzziehung gegenüber radikalen Gruppen. Die Demonstration am Wochenende ist dafür ein deutlicher Beleg.

[Beifall bei der PDS und der SPD]

Danke schön! – Wir treten jetzt in die zweite Rederunde ein. Es beginnt für die SPDFraktion Frau Abgeordnete Radziwill. – Bitte sehr!

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Die Integration in Deutschland ist auch eine Erfolgsgeschichte. Mit Schlechtreden untergraben wir diesen Erfolg.

[Zuruf des Abg. Niedergesäß (CDU)]

Für die Integration der letzten Jahrzehnte, die in erster Linie von den Menschen millionenfach selbst geleistet wurde, stelle ich fest, dass das Glas nicht halbleer, sondern mindestens halbvoll ist, eher mehr.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Denken Sie einmal an die große Mehrheit der Integrierten. Sie nehmen wir vordergründig, optisch kaum wahr. Sie sind ein uns wichtiger und akzeptierter Teil unserer Gesellschaft. Wir brauchen diese Mehrheit der Integrierten, denn sie ist das Vorbild, an dem sich die jungen Migrantinnen und Migranten orientieren können und sollten.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Unter Integration verstehe ich nicht Assimilation, nicht die Aufgabe der eigenen Kultur und der Sprache. Jede Sprache ist eine Bereicherung fürs Leben. Wenn wir die Fremdsprachenkenntnisse der Kinder und Jugendli

Frau Radziwill

„Multikulti“ ist nicht gescheitert. Nicht pauschal abwerten, sondern genau betrachten ist wichtig. Ich lebe und erlebe „Multikulti“. Als türkischstämmige und Muslima

bin ich mit einem Deutschen und Protestanten verheiratet. Es gibt noch sehr viele weitere Mischehen, in denen die Partner unterschiedlicher Herkunft und Religion sind. All diese verprellen wir mit Verallgemeinerungen und der Botschaft des angeblichen Scheiterns. Ich will die Probleme in einigen Stadtteilen nicht schön reden. Wir müssen sie gemeinsam angehen, die Migrantinnen und Migranten und die Mehrheitsgesellschaft. Integration ist und bleibt eine der wichtigsten Zukunftsaufgaben in Berlin. Integration ist auch eine Riesenchance und eine große Bereicherung, und zwar nicht nur dann, wenn es große Schlagzeilen in der Presse gibt. Aber die Basis für die Integration müssen die Wertvorstellungen des Grundgesetzes sein. Darum müssen wir uns alle bemühen. – Vielen Dank!

Danke schön! – Für die CDU-Fraktion hat das Wort der Abgeordnete Wansner. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Knake-Werner! Ihr Redebeitrag eben war geprägt von einer gewissen Hilflosigkeit, wie man die Integration in dieser Stadt gestalten soll. Er war nicht nur langweilig, sondern für dieses Haus auch ein wenig peinlich.

Frau Radziwill und Herr Kleineidam! Sie sollten in Ihren Redebeiträgen nicht immer führende CDU-Politiker nennen. Der ehemalige Bundeskanzler Schmidt hat heute eine Aussage gemacht, die sehr interessant ist. Er sagte, es war falsch, Arbeitskräfte anzuwerben, die nicht aus unserem Kulturbereich kommen. – Das zeigt, dass der Ansatz in Ihrer Partei zwischenzeitlich schon ganz woanders liegt.

chen fördern wollen, dann sollte auch die Muttersprache der Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund als Chance verstanden werden. MTV und Universal sind bewusst nach Berlin gekommen, weil sie hier diese Vielfalt an Kulturen, Sprachen und die interessante, kreative musikalische Subkultur vorfinden. Das ist eine große Chance für Berlin. Aber ich bin mit Ihnen der Auffassung, dass für eine Chancengleichheit und Teilhabe an der Gesellschaft die Sprachkenntnisse in Deutsch unerlässlich sind. Wir müssen die Eltern überzeugen, ihre Kinder so früh wie möglich in die Kitas zu schicken.

[Niedergesäß (CDU): Machen!]

Vertrauen schaffen ist hier wichtig. Mit den Veränderungen im Schulgesetz, dem Ausbau der Ganztagsschulen, der Neuordnung der Kitalandschaft haben wir auch hier den richtigen Weg eingeschlagen. Dieser wird und muss konsequent weiter gegangen werden. Die Migranten und Migrantinnen müssen sich auch als Teil unserer gemeinsamen Gesellschaft verstehen. Als vollwertige Mitglieder sind sie auch gefordert, ihren Part zu leisten. Dazu gehört zum Beispiel, die deutsche Sprache zu erlernen und auch Interesse am Funktionieren dieser Gesellschaft zu zeigen, in der sie leben. Sie sollen sich auf diese Gesellschaft konzentrieren und die Illusion aufgeben: Wir kehren in jedem Fall zurück. – Auch ich habe mich davon getrennt. Es gibt aber auch die andere Illusion – das betrifft vor allem den konservativen Teil unserer Gesellschaft –, dass die Bundesrepublik Deutschland kein Einwanderungsland sei. Das ist nicht mehr richtig. Erfreulicherweise geht das neue Zuwanderungsgesetz davon aus, dass wir sehr wohl ein Einwanderungsland sind. Integrationshemmnisse sind in erster Linie soziale Probleme. Eine unterschiedliche Herkunft, eine andere Ethnie zu haben, ist nicht integrationshemmend. Schlüssel zur Integration sind Bildung und Chancengleichheit. Hauptproblem ist die Arbeitslosigkeit. Es ist notwendig, jungen Menschen eine Perspektive für ihre Zukunft als vollwertige Mitglieder dieser Gesellschaft zu geben. Mit den Arbeitsmarktreformen sehe ich hier Chancen.

Zu Herrn Zimmer merke ich noch einiges an: In Ihrer Rede sagen Sie, die Ursachen seien woanders zu suchen. Ich sage Ihnen, wo auch sie zu suchen sind: Der zu schnelle Abbau der Berlinzulage, durchgesetzt von der CDU nach der Wende, hat zu einem sehr schnellen Abbau von Industriearbeitsplätzen geführt.

[Beifall bei der SPD]

Viele Migranten und Migrantinnen sind in Berlin davon betroffen. Sie haben ihre Arbeit ersatzlos verloren.

Und noch eins: Deutschland ist ein wichtiger Teil der EU, und die Basis dort ist die Vielfalt der Kulturen und eine Wertegemeinschaft, die auf gegenseitiger Akzeptanz und Toleranz basiert. Vergessen Sie das bitte nicht!

[Beifall bei der SPD]

[Beifall bei der SPD und der PDS]

[Beifall bei der CDU – Zurufe von der PDS]

Herr Ratzmann! Sie sollten ein wenig auf Ihren Vorgänger Wieland hören. Als er nach Brandenburg ging – was wir bedauert haben –,