Protocol of the Session on March 7, 2002

Sen Dr. Körting

Sicherlich ist eines richtig: Wir werden Stellen nicht abbauen können, wenn wir nicht gleichzeitig zu einer Neudefinition von Aufgaben kommen, die der Staat wahrzunehmen hat. Das ist übrigens nicht nur eine Aufgabe an den Senat. Wir werden uns ihr stellen und im Rahmen der Haushaltsberatungen für die Jahre 2002 und 2003 vorzulegen haben, wo und aus welchen Gründen Stellen entfallen sollen. Das heißt, wir werden dieses auch aufgabenkritisch unterlegen. Es ist aber nicht nur eine Aufgabe für den Senat, sondern auch eine für uns alle, auch für das Abgeordnetenhaus und die Öffentlichkeit: Wie viel darf der Staat kosten? Wie viele Aufgaben will ich dem Staat geben? Was will ich dem Staat dafür geben, dass er diese Aufgaben erfüllen darf?

Wir haben zur Zeit häufig eine Debatte – auch hier im Abgeordnetenhaus –, dass immer neue, zusätzliche Aufgaben auf die öffentliche Verwaltung zukommen, weil Beschlüsse gefasst werden, dass man dies oder jenes macht. Wir haben diese Entwicklung nicht nur hier, sondern in noch schrecklicherem Maße in Brüssel und auch im Bundestag, dass die Gremien, die dort zuständig sind, in erster Linie Aufgaben und Vorschriftenfluten vermehren, statt sich Gedanken darüber zu machen, auf welche Aufgaben der Staat verzichten kann. Soweit es in der Landeshoheit des Landes Berlin liegt, werden Sie von diesem Senat dazu Vorschläge bekommen. Soweit dafür Gesetzesänderungen erforderlich sind, werden Sie von uns auch Gesetzesänderungen bekommen.

Ich will ein Beispiel aus meiner Verwaltung nennen, das Statistische Landesamt. Wenn wir sparen, werde ich auch dieses Amt nicht davon ausnehmen können. Wenn ich dort 20 Prozent einsparen will, muss ich mir Gedanken machen, welche der Statistiken, die bisher, meistens auf Beschluss des Abgeordnetenhauses oder sonstwie, unbedingt erforderlich waren, künftig noch erforderlich sind. Man muss sich darüber verständigen, auf was man verzichten kann. Wir machen zum Beispiel eine Statistik über den Straßenbaumbestand. Das ist wertvoll, sicherlich auch nützlich. Ist es aber zwingend erforderlich als öffentliche Aufgabe, und welche Folgerungen zieht man eigentlich aus einer solchen Statistik? Und so weiter. Es gibt aber keine Lösung, für die ich mit dem Finger schnipse und dann eine aufgabenkritische Lösung hätte, sondern ich muss in jedem Einzelbereich sehr detailliert das prüfen, und dazu werden wir im Rahmen der Haushaltsberatungen Vorschläge vorlegen.

[Beifall bei der SPD]

Danke, Herr Senator! – Es gibt noch eine Nachfrage des Abgeordneten Wambach von der Fraktion der CDU. – Herr Wambach!

Danke, Herr Präsident! – Herr Senator Körting! Ich habe Ihrem letzten Antwortteil bezüglich der Präzisierung des Selbstbedienungsvorwurfs mit politischen Entscheidungen früherer Senate mit Interesse entnommen, dass es hier um Dinge geht, die in Berlin in Abweichung zu anderen Bundesländern entschieden worden sind. Gilt das etwa auch für die Angleichung der Löhne für die Beschäftigten im Ostteil der Stadt?

Herr Senator Körting!

Da ist Berlin in einer besonderen Situation, anders als Brandenburg oder Thüringen. Wir hatten die besondere Situation, dass wir in Berlin e i n e Stadt sind, e i n e Verwaltung haben und die Leute, die dieselbe Arbeit machen, unterschiedlich bezahlt wurden. Das war das Berliner Problem. Diesem ist mit dem Einkommensangleichungsgesetz entgegengetreten worden. Das würde ich nicht unter den Begriff Selbstbedienung fallen lassen. Das war Ihre Frage. Es ist aber problematisch, dass man solche sozialen Wohltaten verteilt hat, ohne die Finanzierung dafür zu haben. Im Ergebnis hat man hier eine soziale, vernünftige und gerechte Sache gemacht, ohne dann zu sagen, dafür werden fünf Theater geschlossen oder Ähnliches – Herr Stölzl, ganz ruhig! –, was man sich an Schreck

lichkeiten ausdenken kann. Man hat es zusätzlich gemacht, auf Grund einer zusätzlichen Verschuldung des Landes Berlin, und man hat nicht gesagt, dafür verzichte ich auf etwas anderes. Ich halte die Maßnahme für richtig, genauso wie ich jetzt die Angleichung mit 1,41 Prozent Abzug für richtig halte, denn selbst wenn ich die Weihnachtszuwendung berücksichtige, verdient der Mitarbeiter im Ostteil der Stadt netto nicht weniger als der Mitarbeiter im Westteil der Stadt. Insofern gleichen wir hier etwas an, was sich auf Grund der Regelungen zur Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder erst nach dem Einkommensangleichungsgesetz ergeben hat. Also Selbstbedienung nicht, schlechte Finanzierung ja!

Danke schön, Herr Senator! – Das waren vier Nachfragen. Damit hat auch insgesamt die Fragestunde ihre Erledigung gefunden. Nicht beantwortete Mündliche Anfragen werden wieder – das Verfahren kennen Sie – schriftlich von Seiten des Senats beantwortet werden.

Ich rufe dann auf die

lfd. Nr. 2:

a) Aussprache

zur Erklärung des Regierenden Bürgermeisters von Berlin vom 21. Februar 2002

b) Drucksache 15/196:

Vorlage – zur Beschlussfassung – über Billigung der Richtlinien der Regierungspolitik

Für die Aussprache zur Erklärung des Regierenden Bürgermeisters in Verbindung mit der Beschlussvorlage empfiehlt der Ältestenrat eine Redezeit von bis zu 30 Minuten pro Fraktion in freier Aufteilung. In der Aussprache beginnt die stärkste Oppositionspartei, also die Fraktion der CDU. – Dazu höre ich keinen Widerspruch. Ich rufe auf den Vorsitzenden der Fraktion der CDU, Herrn Dr. Steffel. – Bitte, Sie haben das Wort!

[Beifall bei der CDU – Daraufhin Gelächter bei der SPD, der PDS und den Grünen]

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor 14 Tagen haben wir, sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister, Ihre Regierungserklärung gehört. Spätestens dabei ist uns allen noch einmal deutlich geworden, welch schwieriges Amt Sie hier in Berlin übernommen haben.

Natürlich wäre es für die Stimmung in der Stadt hilfreich gewesen, wenn Ihre Rede mitgerissen und begeistert hätte. Aber nicht jede Rede i n Berlin ist auch eine „Berliner Rede“. Deshalb finde ich auch die Kritik, dass Sie mit Ihrer Rede nicht gerade ein rhetorisches Leuchtfeuer entzündet haben, relativ nebensächlich. Sie haben sicherlich Ihr Bestes gegeben. In dieser Situation Berlins kommt es nun wirklich nicht nur auf Rhetorik an.

Eine Epoche der Berliner Geschichte geht zu Ende und ist wahrscheinlich zu Ende gegangen. Wir treten gemeinsam in einen neuen historischen Abschnitt ein. Das erste Jahrzehnt nach der deutschen Einheit war geprägt von der Sanierung des Ostteils, vom Zusammenwachsen der ehemals geteilten Stadthälften, der Bewältigung von Erblasten und der Hauptstadtwerdung.

[Frau Dr. Klotz (Grüne): Und der Sanierung der Bankgesellschaft!]

In diesem ersten Jahrzehnt galt es, Berlin zu reparieren und zusammenzuführen. Am Beginn des neuen Jahrhunderts stehen wir nun vor der Aufgabe, die Stadt im europäischen, im globalen Maßstab zu positionieren, sie vorzubereiten auf den weltweiten Wettbewerb der Metropolen und die Standortkonkurrenz der großen urbanen Regionen Europas. Vielleicht haben wir alle

ich sage dies durchaus selbstkritisch – zu spät erkannt, vor welchen Herausforderungen wir wirklich stehen. Vielleicht haben die Parteien die gesellschaftlichen Entwicklungen in Berlin erst verspätet nachvollzogen.

Vielleicht haben wir uns gemeinsam angesichts der großen Aufgaben, die uns aus der Teilung dieser Stadt erwachsen sind, zu sehr auf die Vergangenheit und Gegenwart konzentriert. Sicher haben wir – ich sage das auch selbstkritisch – alle dabei kleine und größere Fehler gemacht.

Die Bankgesellschaft ist dafür ein Symbol geworden, obwohl sie eigentlich nur Symptom ist. Im Grunde war die Absicht, aus einigen regionalen, relativ unbedeutenden Kreditinstituten einen einzigen leistungsfähigen Konzern von nationaler, vielleicht überregionaler und internationaler Bedeutung zu machen, richtig.

Ich bedauere, dass dieser an sich gute Plan, aus Berlin einen bedeutenden Finanzplatz zu machen, durch die Marktentwicklung, aber vor allen Dingen durch menschliche Fehler und persönliches Versagen zumindest vorerst – vielleicht für immer – gescheitert ist.

Obwohl ich persönlich diese Entwicklung nicht habe beeinflussen können, entschuldige ich mich im Namen der Berliner CDU für unseren Teil der Verantwortung bei den Berlinerinnen und Berlinern ausdrücklich!

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD und bei den Grünen – Mutlu (Grüne): Ein bisschen spät!]

Haben Sie, Herr Wowereit, Herr Böger, Herr Strieder, Frau Fugmann-Heesing, meine Damen und Herren von der SPD, die Sie in den Aufsichtsgremien saßen und sitzen, vor Ihrem Gewissen eigentlich einmal Ihre Verantwortung geprüft?

[Beifall bei der CDU – Frau Michels (PDS): Jetzt nimmt er die Entschuldigung gleich wieder zurück!]

Trotz des zweifellos unrühmlichen Endes der großen Koalition dürfen wir und werde ich nicht zulassen, dass 10 Jahre – wie ich glaube – erfolgreiche und großartige Entwicklung Berlins pauschal kaputt geredet werden.

[Beifall bei der CDU]

Ich bin unverändert davon überzeugt, dass es richtig war, Berlin in 10 Jahren aufzubauen und nicht 40 Jahre zu warten.

[Beifall bei der CDU]

Hätten wir Straßen, Brücken, S- und U-Bahn nicht aufbauen sollen? Hätten wir die Wohnungen im Altbau sowie im Plattenbau nicht sanieren sollen? Hätten wir die Löhne im öffentlichen Dienst nicht angleichen sollen und den Grundsatz: „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ nicht verwirklichen sollen? Hätten wir die Charite´, die Humboldt-Universität oder die beiden Opernhäuser in Mitte schließen sollen? Hätten wir den Potsdamer Platz als Mauerstreifen brach liegen lassen sollen? Hätten wir auf die Max-Schmeling-Halle, das Krankenhaus Marzahn, den Technologiepark in Adlershof, den Medizinstandort Buch, das Velodrom, den Pariser Platz und vieles andere mehr wirklich verzichten sollen? Hätten wir somit nicht am Ende vor dem Erbe der SED resigniert?

[Beifall bei der CDU]

Herr Wowereit, Herr Strieder! Das haben Christ- und Sozialdemokraten gemeinsam vollbracht. Ich bin mir sehr sicher, dass die Sozialdemokraten auf diese Leistungen einmal stolzer sein werden als auf das, was sie jetzt gemeinsam mit der PDS tun.

[Beifall bei der CDU]

An dieser Stelle möchte ich sehr bewusst ein Wort an die Wähler der PDS richten: Wir haben geglaubt – das war ein Irrtum –, dass nach 40 Jahren SED-Herrschaft und weltweitem Scheitern des Sozialismus kein Bedarf mehr an Sozialismus bestünde. Aber wir haben nicht nur die Raffinesse der PDS-Führung, sondern vor allem die Psychologie unterschätzt. Wahrscheinlich haben wir uns alle zu wenig Zeit für einander genom

men. Das gegenseitige Vertrauen, das ist zumindest meine Erfahrung, ist häufig noch nicht vorhanden. Stattdessen erlebe ich viel Unsicherheit und unveränderte Zukunftsangst.

Die Menschen haben – wahrscheinlich zu Recht – manchmal die gleiche Augenhöhe vermisst. Wahrscheinlich hat man im Westen wirklich zu wenig Verständnis für die in der DDR geprägten Lebenserfahrungen entwickelt, zu wenig die Leistungen von Menschen gewürdigt, die unter weitaus schwierigeren Bedingungen erbracht wurden als von denen in den alten Bundesländern.

Der größte Fehler war wahrscheinlich, zu wenig nach gemeinsamen Orientierungen und verbindenden Werten zu suchen. Das müssen wir ändern. Die PDS ist nicht allein auf ihre Vergangenheit zu reduzieren, sondern an ihren ideologischen Zielen, ihren politischen Fähigkeiten und vor allem den Mängeln ihrer gegenwärtigen Politik zu messen.

[Beifall bei der CDU]

Wir werden Ihnen die Auseinandersetzung mit Ihrer Geschichte nicht ersparen. Damit beschäftigen Sie sich auch selbst. Von diesem Platz aus werde ich allerdings in Zukunft über das reden, was Sie heute für Berlin leisten oder eben nicht für Berlin leisten.

Bereits jetzt zeichnet sich eine Entzauberung der PDS sowohl in der praktischen Politik als auch bei den Vertretern im Senat ab. Eigentlich dachte ich, Herr Gysi, als es um die Besetzung Ihrer Senatsposition ging, dass Sie nur Ihre Kladde aufschlagen und aus einem reichen Fundus an hochqualifizierten Persönlichkeiten schöpfen. Dann haben Sie uns mit Ihrem Personaltableau – ich gebe dies offen zu – ein wenig enttäuscht. Verglichen mit Frau Peschel-Gutzeit, Frau Bergmann, Professor Erhardt, Volker Hassemer, Jörg Schönbohm und Professor Stölzl nehmen sich – mit Verlaub – Frau Knake-Werner und Herr Flierl nicht gerade als erste Garnitur aus.

[Beifall bei der CDU]