Das kann man auch ohne Geld machen. Ich beschimpfe niemanden. Ich weiß genauso wie Sie um die vielen, die sich dort außerordentlich anstrengen. Aber wir wissen beide auch, dass das in der Breite mit Sicherheit noch verbesserungsfähig und -würdig ist. Insofern muss man das auch einmal sagen dürfen.
Vor allen Dingen müssen wir als wichtigste strukturelle Änderung dahin kommen, dass wir den Bildungseinrichtungen, insbesondere unseren Schulen, einen Paradigmenwechsel der Bildungspolitik vermitteln. Gegenwärtig – und das ist Selbstkritik – schnüren wir die Schulen mit einem außerordentlichen Werk bürokratischer Regeln geradezu ein. Jeder weiß das. Wenn Sie einmal als Klassenlehrer einen Ausflug machen wollen, haben Sie einen Wust von Anträgen zu machen. Das heißt, wir haben eine Überregulierung im Schulalltag.
Die muss weg, Frau Kollegin! Nun kommt es aber: Auf der anderen Seite haben wir viel zu viel Freiheit in der Frage, welches Ergebnis die Schulen tatsächlich bringen. Hier muss gewissermaßen eine Umkehrung stattfinden. Die weitere Selbständigkeit und Möglichkeit der Eigenverantwortung, der Profilbildung auf der einen Seite braucht auf der anderen Seite die klare Ergebnisverantwortung und Qualitätskontrolle,
und zwar zentral ausgerichtet. Es geht nicht, dass jede Einrichtung sagt: Wir machen unseres – und keiner kann nachfragen, ob das den allgemeinen Zielen entspricht, die wir formulieren müssen und auch formulieren können. Das ist auch eine notwendige Konsequenz aus PISA.
Eine letzte Anmerkung, Herr Mutlu, betrifft einen Bereich, in dem Sie sehr engagiert sind, die Integration von Kindern mit Migrationshintergrund. Wir haben nach PISA gewissermaßen einen Indikator für das höchste Maß an Chancenungleichheit. Das ist ein männlicher Jugendlicher mit türkischem Migrationshintergrund, in dessen Elternhaus nicht Deutsch gesprochen wird. Das können Sie aus der PISA-Studie ableiten. Das ist ein schlimmer Befund für uns alle, den wir gemeinsam in einem Prozess ändern müssen. Dazu gehören viele Komponenten. Die will ich jetzt nicht alle erwähnen. Ich will hier nur einen Punkt deutlich, vielleicht auch schroff sagen. Wenn wir uns fragen, was das öffentliche Bildungssystem in der Hauptsache für die Integration von Kindern mit Migrationshintergrund leisten kann und was der entscheidende Kern der Dinge ist, dann ist es sicherlich richtig, dass wir möglichst frühzeitig, sozusagen über Kindergarten und Vorschule, mit dem Prozess von Bildung und Spracherwerb und nicht Aufbewahren beginnen.
Eigentlich müsste unser Ziel sein, dass mit dem Beginn der Schulzeit jedes Kind, auch ein Kind mit Migrationshintergrund, des Deutschen mächtig ist. Das ist mindestens unser Ziel.
Wenn das noch nicht erreicht ist, dann muss es mindestens in den ersten beiden Jahren der Grundschule gelingen, die deutsche Sprache zu beherrschen.
Nun kommt die Frage der Ressourcen: Ich sage hier freimütig, ich möchte, dass wir die Modellwege, die wir in Berlin haben, über bilinguale oder muttersprachliche Erziehung weiterführen.
Aber es ist nicht machbar und nicht finanzierbar, dass wir für alle Kinder mit Migrationshintergrund die Heimatsprache und Deutsch in den Schulen vermitteln. Dies ist nicht darstellbar.
Und weil das so ist, müssen wir den entscheidenden Schwerpunkt – und das ist auch legitimerweise ein Anspruch und hat nichts mit Kulturimperialismus oder Assimilationsvorstellungen zu tun –, die entscheidende Anforderung stellen: Es ist der entscheidende Punkt, dass die Kinder Deutsch lernen können. Das ist eine Forderung, die wir stellen müssen. Dazu müssen wir die materiellen Ressourcen bereitstellen. Das ist der Kern der Dinge,
den man dann auch offen aussprechen muss und sich nicht irre machen lassen darf, wenn da Vorwürfe kommen, das sei nicht zu fordern.
Im Übrigen, Herr Mutlu, gibt es dort noch viele andere Wege. Heute steht in der Zeitung – vollkommen richtig –, dass wir in Berlin und in den Bezirken durch Initiative Neuköllns ein wunderbares Modell entwickelt haben, das sehr bedeutsam ist. Das sind die Mütterkurse, die die Volkshochschulen in den Kitas veranstalten. Das ist ein Exportmodell, Bremen hat das übernommen, der Bundespräsident hat es hoch gelobt. Wer das einmal erlebt hat, der bekommt einen sinnbildlichen Eindruck, was Emanzipation bedeutet, wie unglaublich wichtig es ist, dass die Mütter, die ihre Kinder in die Kitas bringen, diesen Prozess des Spracherwerbs nicht als Entfremdung begreifen, sondern sich selbst einbringen können.
Vielen Dank, Herr Senator! – Ich hoffe, ich unterbreche jetzt nicht Ihren Gedankenfluss. Meine Frage betrifft nicht speziell Migrantenkinder. Aber ich möchte mich erkundigen, wie Sie die Einwirkungsmöglichkeiten von Schule sehen, wenn Kinder nicht ausgeschlafen und mit leerem Magen in die Schule kommen.
Frau Kollegin, mit dieser Frage schildern Sie einen Umstand, der in den Berliner Schulen leider sehr häufig vorkommt. Es gibt eben Kinder, deren zuständigen Verantwortlichen das nicht möglich machen können oder manchmal auch nicht möglich machen wollen. Hier werden gewiss Modelle in den Schulen Hilfe bieten; wir wollen ja verlässliche Halbtagsgrundschulen in ganz Berlin erreichen. Da muss man in der Schule die Möglichkeit bieten – ich weiß, dass das schon einige engagierte Grundschullehrerinnen und Grundschullehrer
und Eltern –, ein Frühstück zu bieten. Es ist sehr begrüßenswert, dass sich auch Eltern einbringen und das gemeinsam auf die Beine zu stellen, wenn sie sehen, dass einige Kinder nicht die Möglichkeit zu einem Frühstück haben, ohne dass zuerst an 20 staatliche Stellen geschrieben wird.
Es ist gewiss sehr bedeutsam, dass Kinder halbwegs ausgeruht und ausgeschlafen zur Schule kommen. Ich will dazu noch etwas sagen: Es wäre falsch anzunehmen, dass es in Deutschland ein Leseverbot gibt. Es ist Eltern wirklich erlaubt, dass sie abends etwas vorlesen. Man muss nicht jeden Blödsinn in jedem Kanal mit den Kindern gemeinsam angucken.
Ich will noch einmal bei den Volkshochschulkursen ansetzen und eine herzliche Bitte an die Parlamentarier richten: Ich finde, dieses Projekt ist viel zu wichtig, als dass es sozusagen im Kampf zwischen den Bezirken hinuntergedrückt wird. Es wäre aller Aufgaben wert, dass dieses Parlament, der Hauptausschuss darauf achtet, dass ein solches Projekt vernünftig finanziert wird. Denn wenn Mütter parallel mit ihren Kindern Deutsch lernen, ist das die beste Garantie dafür, dass dieser schwierige Prozess des Spracherwerbs gelingt. – Vielen Dank!
Danke schön! – Zur Besprechung der Großen Anfrage und der Anträge steht nach der Geschäftsordnung eine Redezeit von 10 Minuten pro Fraktion zur Verfügung. Zunächst erteile ich das Wort für die Fraktion der Grünen an Frau Abgeordnete Jantzen. – Bitte schön!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bildung hat Priorität, haben PDS und SPD ganz groß in ihre Koalitionsvereinbarung geschrieben. Wenn ich mir die Reihen in diesem Saal angucke und man ob der späten Stunde ja manches entschuldigen kann, stelle ich nur fest: So groß scheint die Priorität für Bildung bei Ihnen dann doch nicht zu sein.
Herr Böger, wir nehmen gern Ihren Dank zur Kenntnis, dass wir Ihnen die Gelegenheit geben, hier zur Bildung zu sprechen, denn von Ihrer Fraktion oder auch vom Koalitionspartner wäre das wahrscheinlich in nächster Zeit nicht so schnell geschehen. Auch wir bedauern, dass dies zu dieser späten Stunde geschieht, aber die Chance, dieses Thema in nächster Zeit mit einer Aktuellen Stunde zu verbinden, ist relativ gering. Sie wissen, dass die Haushaltsberatungen bald beginnen. Der Haushalt soll jetzt aufgestellt und dem Parlament übermittelt werden. Deswegen ist es wichtig, hier und heute über die Prioritäten im Haushalt zu sprechen.
Ich erinnere mich auch noch an die Koalitionsverhandlungen mit FDP und SPD. Ich erinnere mich sehr genau, dass es im Wesentlichen die Partei Bündnis 90/Die Grünen – also wir – waren, die Sie mit Ihren Anliegen in diesen Verhandlungen unterstützt haben, im Wesentlichen gegen Ihren Parteichef, Herrn Strieder, und auch gegen den Regierenden Bürgermeister. – Sie brauchen den Kopf nicht zu schütteln, das war schon sehr deutlich so. – Wir haben Sie damals unterstützt, und Sie können sicher sein, dass wir Sie auch in den Punkten, wo Sie Konsequenzen aus PISA und aus der Situation der Bildungsmisere in Berlin ziehen, weiter unterstützen werden. Und so möchte ich auch die Anträge, die wir heute gestellt haben, und auch die Große Anfrage verstanden wissen.
Es ist kein Geheimnis, dass ein Großteil der Inhalte der Koalitionsvereinbarung von PDS und SPD auf der Basis der Ampelverhandlungen beruht. Darin sind wesentliche grüne Punkte enthalten. Wir erkennen auch durchaus an, dass Sie versuchen, die Bildung und Erziehung in den Kitas und Schulen zu verbessern. Sie haben die Verbesserung der Aus- und Fortbildung der Erzieherinnen und Erzieher genannt, auch der Lehrerinnen und Lehrer, die Intensivierung der Sprachförderung insbesondere für Kinder mit Migrationshintergrund – aber nicht für sie allein; alle paar Wochen können Sie in der Zeitung lesen, jedes dritte Kind, jeder dritte Schulanfänger spricht nur noch in Comicsprache und beherrscht nicht die deutsche Sprache. Es sind nicht nur die Kinder mit Migrationshintergrund, es sind auch die sozial benachteiligten Kinder, und da ist dringend etwas zu tun. Sie haben sich vorgenommen, die Ganztagsangebote in den Schulen, aber auch außerhalb der Schulen – wenn man Ihre Vereinbarung genau liest – auszubauen. Wie gesagt, darin wollen wir Sie wirklich unterstützen. Wir wollen auch mit den Anträgen und der Großen Anfrage dafür sorgen, dass die richtig gezogenen Kon
sequenzen aus PISA tatsächlich umgesetzt werden. Denn angesichts der Haushaltslage, angesichts der Sparvorgaben und auch der Prioritäten, die hier gesetzt werden, fehlt mir der Glaube, dass das, was Sie versprechen, Realität wird.
Herr Böger, Sie haben in der Antwort das getan, was Sie die ganze Zeit tun: Sie versprechen, wir werden die Qualität der Bildung und Erziehung in den Kindertagesstätten verbessern. Bisher sind Sie die Antwort, wie Sie das tun wollen, schuldig geblieben. Heute haben Sie sogar noch eins draufgesetzt und sagten: Es ist eben notwendig, da zu sparen, das wird dann schon alles so passieren, auch wenn wir die Leitungskräfte kürzen. Dazu will ich auf Folgendes hinweisen: Die Stadt Hamburg hat erkannt, dass die Leitungskräfte der Dreh- und Angelpunkt für Qualitätsentwicklung und für Qualitätsmessung sind. Wir haben mitnichten dieses Thema ausgespart. Wir haben viele Vorschläge gemacht, wie Qualität in Kitas entwickelt werden kann. Wenn Sie bei den Leitungskräften in Berlin jetzt die Freistellung für die Leitungsaufgaben um 40 % absenken, dann vereiteln Sie genau das, was Sie wollen, was wir alle wollen und was wir auch wollen sollten, nämlich die Bildung und Erziehung in den Kitas qualitativ so zu verbessern, dass Chancengleichheit hergestellt werden kann und dass soziale Benachteiligungen in den Kitas ausgeglichen werden können, denn, Herr Böger, Qualität entsteht wirklich nicht im Selbstlauf.
Die Reform der Erzieherinnen- und Erzieherbildung ist das eine, verlässliche Rahmenbedingungen und die effiziente Leitungskraft sind für Kitas wie für Schulen das andere. Erstaunlich ist dann, wenn man in der Koalitionsvereinbarung liest, welche Konsequenzen Sie aus PISA ziehen, dass dann im Wesentlichen von der Schule die Rede ist. Das haben Sie heute in Ihrer Rede im Prinzip auch wieder getan. Fakt ist, dass Sie die pädagogischen Verbesserungen, mit denen Sie durch die Stadt laufen, die Sie in den Schulen vornehmen wollen, mit Verschlechterungen in dem Bereich bezahlen wollen, wo die größten Chancen bestehen, soziale Benachteiligungen auszugleichen und Kinder zu fördern, und zwar die Leistungsschwächeren wie die Leistungsstärkeren. Das ist der eigentliche Skandal.
Warum Sie als Bildungspolitiker dann davon reden, dass in dem Bereich unabwendbar notwendige Einsparungen zu leisten wären, die man nicht anders hätte erbringen können, das ist mir ein Rätsel. Denn wenn eines aus PISA klar ist – das haben Sie selber deutlich gesagt –, dann ist es das, dass man in die frühe Bildung und Erziehung investiert. Das sind zuallererst die Kitas, und dann sind es auch die Grundschulen. Alles Gerede von sozialer Gerechtigkeit und von Chancengleichheit, wie Herr Müller das in seiner Rede zur Regierungserklärung gesagt hat, kann in dieser Stadt kein Mensch mehr ernst nehmen, wenn Sie in dem Bereich die Bedingungen verschlechtern, in dem die größten Chancen bestehen, durch die frühe Bildung die Bildungsbenachteiligung auszugleichen.
Die Verbesserung der Bildung und Erziehung in Kitas und Schulen – eine neue Lehr- und Lernkultur, wie Herr Böger sie auch für notwendig hält, und was PISA auch deutlich gesagt hat – ist nur zu erreichen, wenn alle für die Bildung und Erziehung Verantwortlichen beteiligt werden: Die Eltern, die Erzieher, die Lehrer und wir Politiker und alle anderen gesellschaftlichen Gruppen, wie zum Beispiel auch die Wirtschaft. Die Ergebnisse und Konsequenzen von PISA werden in dieser Stadt nicht nur in den inner circles – Herr Böger, wo Sie hauptsächlich diskutieren –, sondern überall diskutiert: in Kitas und in Schulen.