Dass Sie, Herr Zimmer, sich beim Thema Mentalitätswechsel verheben, wundert nicht, und das müssen wir uns auch durchaus selbstkritisch eingestehen. Wir haben es nicht geschafft, Sie und die Berliner CDU an der Stelle mitzunehmen.
Wann immer es schwer wird, wann immer man auch stehen und sagen muss, was geht und was nicht geht in dieser Stadt, schlagen Sie sich in die Büsche.
Ich werde Ihnen erklären, was der von Klaus Wowereit eingeleitete Mentalitätswechsel für uns heißt. Er heißt:
konsequente Schlüsse aus den finanzpolitischen Realitäten dieser Stadt ziehen. Er heißt: klar sagen, was geht und was nicht geht. Und er heißt, einen als richtig erkannten Weg auch durchzuhalten, wenn es schwer wird.
[Niedergesäß (CDU): Doppelt so viel Schulden als wir! – Zuruf von der CDU: Sie führen diese Stadt in den Ruin!]
[Wo denn? und weitere Zurufe des Abg. Niedergesäß (CDU) – Zimmer (CDU): Sie drücken sich vor dem Thema!]
Nein, Sie wollten über Mentalitätswechsel sprechen, Herr Kollege Zimmer! Sie müssen irgendwann auch mal lernen, was es heißt, in dieser Stadt politisch Verantwortung zu tragen,
nicht mehr wegzugucken, sondern den Menschen zu sagen, worum es hier geht. Das müssen Sie auch leisten als Oppositionsfraktion.
Ich kann Ihnen auch noch ein Beispiel für Ihre Haltung nennen, das weit über diesen stadtpolitischen Rahmen hinausgeht: Selbst bei den wichtigen bundespolitischen Reformen, die Ihre Partei mitbeschlossen hat, fangen Sie in Berlin sofort an, zu wackeln, wenn es schwer wird, wenn Protest auf der Straße ist, wenn es in der Umsetzung schwierig wird. Ihr Landesvorsitzender, der für die Umsetzung in seinem Bezirk verantwortlich ist, will auf einmal die Arbeitsmarktreform verschieben.
Genau darum geht es Ihnen. Ich glaube, wir sollten uns im Parlament grundsätzlich fragen, wo diese Debatte enden kann und was das für unser politisches Handeln bedeutet. Ich behaupte, dass viele unserer Entscheidungen im Parlament, die wir heute unter ganz bestimmten Rahmenbedingungen mit den Informationen, die uns heute zur Verfügung stehen, treffen, in fünf oder zehn Jahren auch anders beurteilt werden können. Wohin kommen wir, wenn zukünftig politisch Verantwortliche bei jeder Entscheidung vorher die Staatsanwaltschaft fragen müssen?
Ob das die Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung steigert und mutige Entscheidungen, die gerade Berlin dringend braucht, fördert, ist mehr als fraglich.
Das war eine erfolgreiche Klausur in Warschau! Da haben Sie neue Schimpfwörter und Pöbeln gelernt. Das war alles, was Sie gemacht haben.
Die Punkte, die ich angesprochen habe, bedeuten harte Einschnitte und rufen bei den Betroffenen wahrlich keine Begeisterungsausbrüche hervor, aber es war notwendig, und deshalb haben wir es durchgekämpft. Dazu stehen wir, und das ist auch Mentalitätswechsel. Und – oder auch gerade – Thilo Sarrazin steht dafür, in dieser Stadt zu sagen, was geht und was nicht geht.
Wir reden heute natürlich in erster Linie auch über das Tempodrom. Ich wiederhole an der Stelle gern noch einmal, was ich hier im Plenum schon gesagt habe: Es war mit Sicherheit kein Meisterstück, kein Ruhmesblatt für die Berliner Politik, was beim Tempodrom passiert ist. Aus heutiger Sicht würde man vieles ganz anders entscheiden. Sicherlich wäre so ein Luxusbau in der Stadt auch gar nicht mehr möglich. Aber es gab eben in der Berliner Politik eine Verständigung, das Tempodrom als Kultureinrichtung in der Stadt zu erhalten, und diese Verständigung gab es über alle Koalitions- und Parteigrenzen über viele Jahre hinweg.
Auch Ihre Fraktion war daran maßgeblich beteiligt. Selbst die Medien, die Wirtschaft und die Kulturschaffenden ohnehin haben uns darin unterstützt.
Als Thilo Sarrazin Anfang 2002 Finanzsenator wurde, stand das Tempodrom längst. Der – aus meiner Sicht – Grundfehler, nämlich die Übernahme der Landesbürgschaft für die explodierenden Baukosten, war längst gemacht worden, und auch dafür war Thilo Sarrazin nicht politisch verantwortlich, sondern die damaligen CDUSenatoren Peter Kurth und Wolfgang Branoner.
Thilo Sarrazin hat in seiner Eigenschaft als Aufsichtsrat einem Vorschlag des LBB-Landesvorstandes zugestimmt. Es ging darum, dem Tempodrom mit Mitteln der IBB unter die Arme zu greifen, um deren sofortige Insolvenz abzuwenden. Was die sofortige Insolvenz damals bedeutet hätte, wissen alle: Stopp des Spielbetriebes und Haftung des Landes aus einer 20-Millionen-Bürgschaft! – Und was die Verwertung eines Kulturzentrums ohne Spielbetrieb bringt, ist allen klar: Sie bringt gar nichts. – Es ging darum, dem Tempodrom Zeit zu kaufen, um den Spielbetrieb zu erhalten und die Haftung des Landes zu begrenzen. Wir sind davon überzeugt, dass dieser Rettungsversuch im Herbst 2002 rechtlich zulässig und wirtschaftlich vertretbar war.
Sie versuchen jetzt, eine politische Entscheidung, die man durchaus auch zu Recht politisch hinterfragen kann, juristisch aufzuarbeiten.
[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der PDS – Goetze (CDU): Eine Parlamentsentscheidung!]
Ja, ich will es gleich sagen. – Natürlich darf bei unseren Entscheidungen nicht gegen geltendes Recht verstoßen werden.
Das ist aber nach unserer Auffassung und im Übrigen auch nach Einschätzung vieler Juristen nicht geschehen. Wir müssen die Entscheidung der Staatsanwaltschaft an dieser Stelle respektieren, obwohl wir sie inhaltlich nicht im Geringsten teilen.
Ich gehe davon aus, dass jetzt ein unabhängiges Gericht sehr schnell für die notwendige Klarheit sorgen wird.
Aber Eines bleibt ganz klar, Herr Kollege Ratzmann: Weil die Opposition es nicht schafft, politisch die Regierungskoalition unter Druck zu setzen und ihr Paroli zu bieten – –
Was haben wir denn eben gehört an inhaltlichen Konzeptionen? – Weil Sie das nicht schaffen, versuchen Sie es über eine juristische Auseinandersetzung. Aber politische Debatten gehören in das Parlament und nicht in den Gerichtssaal.
Herr Kollege Goetze! Eine kreisende Handbewegung vor der Stirn, wie Sie sie in Richtung auf den Redner gemacht haben, könnte als beleidigende Geste missverstanden werden. Ich möchte Sie deshalb bitten, solche Zeichen zu unterlassen, denn sonst wäre das einen Ordnungsruf wert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Müller! Das Einzige, was heute bisher dünn gewesen ist, ist das, was Sie als Antwort auf die Anklageerhebung und auf die Frage, wie es mit diesem Senat nach der Anklageerhebung weitergehen soll, abgeliefert haben.
Das Einzige, was Sie heute feilgeboten haben, war der Ansatz, zu sagen: Wenn jemand guten Willens ist, dann mag das Recht hinten anstehen. Dann gucken wir nicht mehr so genau hin. Der Zweck heiligt die Mittel. – Das, werter Herr Müller, haben wir zuletzt von dem Beichtvater von Herrn Kohl gehört, als er ihm gesagt hat, dass sein Ehrenwort auch über der Verfassung stehen würde. Aber das wollen wir in dieser Stadt als Grundlage für politisches Handeln nicht gelten lassen.