Protocol of the Session on September 9, 2004

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 56. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin und begrüße Sie, unsere Gäste, die Medienvertreter sowie die Zuhörer ganz herzlich.

Bevor wir mit unseren Beratungen beginnen, habe ich eine traurige Pflicht zu erfüllen und bitte Sie, sich zu erheben.

[Die Anwesenden erheben sich von ihren Plätzen.]

Am 27. August ist der Stadtälteste von Berlin, Alfred

Gleitze, im Alter von 70 Jahren verstorben. Mit ihm verliert unsere Stadt einen ihrer bekanntesten und populärsten Kommunalpolitiker.

Der hochangesehene Sozialdemokrat Alfred Gleitze hat jahrzehntelang das kommunalpolitische Geschehen im Bezirk Schöneberg maßgeblich mitgestaltet und darüber hinaus der Landespolitik wichtige Impulse und Anregungen gegeben. In Schöneberg, „seinem“ Bezirk, war Alfred Gleitze seit 1963 Bezirksverordneter, von 1965 bis 1969 und wieder von 1989 bis 1995 Bezirksverordnetenvorsteher. Von 1969 bis 1971 war er Bezirksstadtrat für Jugend und Sport, von 1971 bis 1975 dann Bezirksbürgermeister von Schöneberg, anschließend zehn Jahre hindurch Bezirksstadtrat für Finanzen und Wirtschaft – fast 40 Jahre Kommunalpolitik.

Große Verdienste hat sich Alfred Gleitze auch als langjähriger Landesvorsitzender der Sozialistischen Jugend Deutschlands – Die Falken – erworben: Verdienste um die Aussöhnung mit den Menschen, vor allem den jungen Menschen, in den Ländern Ost-Mitteleuropas. In der Zeit des härtesten Kalten Krieges und der Ost-WestKonfrontation organisierte er Zeltlager und Gedenkstättenfahrten nach Ost-Mitteleuropa. Ihm gelang es, Jugendliche aus der damaligen ČSSR in westliche Sommerlager zu holen. Gemeinsam mit Harry Ristock gehörte Alfred Gleitze zu jenen, die damals – trotz heftiger Anfeindungen – die ersten Bausteine zur späteren Entspannungspolitik und zur Aussöhnung mit den Völkern und Ländern Ost-Mitteleuropas setzten.

Alfred Gleitze war glaubwürdig: als bürgernaher Kommunalpolitiker, als überzeugter und unbequemer Sozialdemokrat, als Politiker, der Zeichen setzte und unerschrocken neue Wege ging.

Berlin hat ihm viel zu verdanken. Die Stadtältestenwürde konnte nur ein kleiner Dank für die Leistung sein, die er für die Stadt erbracht hat. Montag werden wir Abschied nehmen von Alfred Gleitze.

Wir gedenken seiner mit Trauer und Hochachtung.

Sie haben sich zu Ehren von Alfred Gleitze erhoben. Ich danke Ihnen.

Am Montag sind vier Anträge auf Durchführung einer

Aktuellen Stunde eingegangen:

3. Antrag der Fraktion der Grünen zum Thema: „Berlin mobil – die Zukunft des öffentlichen Nahverkehrs in Berlin“,

4. Antrag der Fraktion der FDP zum Thema: „Neues Schuljahr zeigt: Senat trampelt weiterhin auf alten Pfaden“.

Im Ältestenrat konnten wir uns auf ein gemeinsames Thema nicht verständigen. Ich frage die Fraktionen von SPD und PDS, wer zur Begründung der Aktualität spricht? – Niemand? Dann frage ich die CDU, wer von Ihrer Seite das Wort ergreifen möchte? – Der Kollege Hoffmann? – Dann hat er das Wort. – Herr Hoffmann – bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die soziale Lage ist das große Thema in unserer Stadt und daher an Aktualität nicht zu überbieten.

[Beifall bei der CDU – Beifall des Abg. Dr. Lindner (FDP)]

Dass dieser rote Senat sich diesem Thema nicht stellen möchte, ist nur ein weiterer Beweis für sein Versagen in der Sozialpolitik.

[Zuruf des Abg. Liebich (PDS)]

Mit sozialer Gerechtigkeit angetreten, Herr Liebich, und mit sozialem Kahlschlag aufgetreten, das ist Ihre Bilanz, meine Damen und Herren von SPD und PDS!

[Beifall bei der CDU]

Die heutige Aktualität begründet sich wie folgt: Völlige Unklarheiten bei der Frage des Sozialtickets seit mehr

Ich frage Sie, Herr Wolf, was mit der aktiven Arbeitsmarktpolitik ist. Wo sind Ihre Konzeptionen? Was ist, Frau Knake-Werner, mit aktiver Sozialpolitik? – Ich fordere Sie auf, sich nicht beharrlich zu verweigern, das Abgeordnetenhaus umfassend und aktuell zu informieren.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Inzwischen kann jeder sehen und auch spüren – die Menschen werden auch angesprochen –, dass sich die soziale Entwicklung in Berlin unter PDS und SPD dramatisch verschlechtert hat. Ein Gradmesser dafür ist der Anstieg der von Armut Betroffenen. Wir sind inzwischen bei 17 % der Berlinerinnen und Berliner. Die Tendenz ist steigend. Ich kann Sie nur auffordern, sich endlich zu erklären! – Vielen Dank!

Danke schön, Herr Kollege Hoffmann! – Das Wort für die Fraktion der Grünen hat nunmehr der Kollege Eßer! – Bitte schön, Herr Eßer!

(D

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Namen der Fraktion der Grünen möchte ich Ihnen vorschlagen, das Thema „Berlin mobil – die Zukunft des öffentlichen Nahverkehrs in Berlin“ zu diskutieren. In der Öffentlichkeit wird derzeit heftig über das veränderte Konzept der BVG für den Busverkehr diskutiert – Stichwort Metrobus – sowie – hier haben Sie Recht, Herr Hoffmann – über die Streichung des Sozialtickets. Die Kritiker argwöhnen nicht zu Unrecht, dass die neue Konzeption für den Busverkehr mehr mit der desaströsen Finanzsituation der BVG zu tun hat als mit einer zukunftsgerichteten Entwicklung der Mobilität in Berlin, in der Bahn und Bus gegenüber dem Auto eine größere und nicht kleinere Rolle spielen müssen.

als 9 Monaten. Ich erinnere an die damaligen Warnungen der CDU bei der Abschaffung des Sozialtickets durch PDS und SPD. Folgen: 18 Millionen € Mehrausgaben für das Land Berlin. Wo ist denn die soziale Gerechtigkeit von PDS und SPD? – Heute soll das Sozialticket 55 € kosten,

[Buh! von der CDU]

und selbst 39 € wären viel zu viel, das ist lächerlich und zeugt von Ihrer Unfähigkeit in diesem Senat.

[Beifall bei der CDU]

Höhere Wasserpreise, höhere Strompreise und damit ein Anstieg der Verbraucherkosten für die Berlinerinnen und Berliner – übrigens nicht nur mit Auswirkungen für die sozial Schwachen, sondern auch mit Auswirkungen auf den Wirtschaftsstandort Berlin durch akute Gefährdung von Arbeitsplätzen – sind ein weiterer Grund der Aktualität.

[Liebich (PDS): Was haben wir denn mit den Strompreisen zu tun?]

Die Reduzierung der Finanzierungsanteile des Landes bei der Vergabe-ABM, das höchste wirtschaftliche Negativwachstum und das höchste Defizit an Ausbildungsplätzen in der Bundesrepublik sind Ihre politische Bilanz und weitere wichtige Gründe, um sich hier und heute mit dem von uns vorgeschlagenen Thema auseinander zu setzen. Das alles ist an Aktualität nicht zu überbieten. Die Kürzungen bei den Leistungen für Behinderte, die Unklarheiten beim Telebus, das Absenken der Entschädigungen für Ehrenamtliche und die vielen katastrophalen und unüberlegten Kürzungen im Jugendbereich sind hier noch gar nicht erwähnt.

Wo sind denn Ihre Antworten? Wo sind Ihre Aktivitäten? Was tun Sie als PDS und SPD für den sozialen Frieden angesichts der vielen Kürzungen mit sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen, die Sie ihr in unserem hohen Haus mit Ihrer Mehrheit durchgesetzt haben? Wo bleibt Ihre vielgepriesene Ostkompetenz? –

Ja, Sie gehen auf die Straße, Herr Liebich, Frau Dr. Schulze, um gegen Hartz IV zu demonstrieren. Hier heben Sie den Finger für Ihre rot-rote Kahlschlagspolitik. Das ist doch der Gipfel an Heuchelei und fördert Politikverdrossenheit!

[Beifall bei der CDU – Frau Baba (PDS): Wo leben Sie denn?]

Die Stadt brennt wegen der vielen sozialen Probleme, und Sie hüllen sich in Schweigen. Eines der aktuellsten Beispiele dafür ist der skandalöse Umgang mit den Frauenprojekten in dieser Stadt und die Schließung von Mädchenprojekten.

[Pewestorff (PDS): Kennen Sie das 8. Gebot?]

Ja, Sie sind immer hingegangen und haben dafür demonstriert. Jetzt schließen Sie sie. Das ist die Wahrheit von PDS und SPD!

Hinzu kommt die besondere Situation von Hartz IV. Der Senat hat es nicht für nötig gehalten, die Fragen der CDU zu beantworten. Bis heute klagen die Bezirke über schlechteste Informationspolitik und ausbleibende Unterstützung. Viele Fragen sind offen geblieben, Frau Senatorin, viele Probleme sind noch immer ungeklärt und dies ein Vierteljahr vor Inkrafttreten des Gesetzes!

[Beifall bei der CDU]

Bei der Streichung des Sozialtickets liegt auf der Hand, dass die Nöte des Landeshaushalts bisherige Mobilitätsgarantien für die sozial Schwächsten in der Gesellschaft aushebeln. Wegen der desaströsen Finanzlage von BVG und Landeshaushalt drohen zentrale Erfordernisse der Daseinsvorsorge auf der Strecke zu bleiben. Wir kommen nicht darum herum, uns heute ernsthaft und mit allen Konsequenzen mit der Frage zu konfrontieren, dass das Angebot des öffentlichen Nahverkehrs nur aufrecht erhalten werden kann, wenn es uns gelingt, die dazu erforderlichen Verkehrsleistungen effektiver bereitzustellen, als es das BVG-Monopol derzeit tut.

Die Lage bei der BVG ist aber unverändert besorgniserregend. Bis 2008 – das wissen wir alle – muss das Unternehmen eine Finanzierungslücke von strukturell rund 350 Millionen € schließen. Schafft die BVG das nicht,

Die Öffentlichkeit will wissen, wie zukunftstauglich die Vorstellungen der hier vertretenen Fraktionen für den öffentlichen Nahverkehr sind. Stellen Sie sich dieser Frage und stimmen Sie deshalb unserem Themenvorschlag zu!

Danke schön, Herr Kollege Eßer! – Das Wort für die Fraktion der FDP hat nunmehr Frau Senftleben. – Bitte schön, Frau Senftleben!

Vielen Dank! – Herr Präsident! Meine Herren und meine Damen! Nach den zahlreichen in der Tat euphorischen Bekenntnissen unseres Schulsenators und der rot-roten Koalition zum neuen Schulgesetz sollten wir zu Beginn des Schuljahres einmal genauer hinsehen. Sprechen wir zunächst einmal von den kleineren handwerklichen Fehlern, wie beispielsweise dem Diskussionsbedarf um die Anrechnung der Noten auf das ganze Schuljahr oder dem Diskussionsbedarf bei der Frage, was mit dem mittleren Schulabschluss wird.

Die nächste Frage scheint mir in der Tat noch wichtiger zu sein. Was ist mit dem naturwissenschaftlichen Unterricht in den Klassenstufen 5 und 6? Geht es da vielleicht bald zu wie bei der spoerlschen Feuerzangenbowle? Ich zitiere hier Herrn Pfeiffer:

kann sie den Mindestanforderungen der europäischen Wettbewerbsregeln nicht standhalten. Dem Land Berlin wäre es schon juristisch verwehrt, die BVG weiterhin damit zu beauftragen, den öffentlichen Nahverkehr in Berlin abzuwickeln. Wir wären gezwungen, diesen Auftrag an ein anderes Unternehmen zu verteilen. Das hätte katastrophale Folgen für Tausende von Beschäftigte und für das Land, das für den Milliardenschaden eines solchen faktischen Bankrotts aufkommen muss. Die Konsolidierung des Landeshaushalts würde um Jahre zurückgeworfen, Schulen, Kindergärten, Universitäten, kulturelle und soziale Einrichtungen müssten dafür bluten. Ein solches Desaster möchte hier wohl keiner!