Protocol of the Session on August 26, 2004

Berlin ist schon sehr weit bei der Umsetzung von Hartz IV. Wir haben als erstes Bundesland eine Rahmenvereinbarung unterzeichnet, die es den Bezirken und den Arbeitsagenturen ermöglicht, gemeinsam ihre Arbeit aufzunehmen. Personal wird zusätzlich für die vorbereitenden Aufgaben abgestellt, und Räume werden bereitgestellt. Aber ich sage auch: Es müssen jetzt alle bei der Stange bleiben. Hier hat jeder seine Verantwortung: Bezirke, Senat, Abgeordnetenhaus und auch jede Partei, ob durch Regierungsbeteiligung auf Bundesebene mit SPD und Grünen, ob durch Unterstützung im Bundesrat mit CDU und FDP oder Verantwortung hier in der Koalition und in den entsprechenden Senatsressorts bei SPD und PDS.

[Beifall bei der SPD und der FDP – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Die Politik hat mit dieser Reform Verantwortung übernommen und ist jetzt auch verpflichtet, gemeinsam dafür zu sorgen, dass diejenigen, die Hilfe brauchen, diese Hilfe auch am 1. Januar 2005 bekommen.

Müller

Wir leisten unseren Beitrag zu einer zügigen Umsetzung in unserer Stadt. Und wir werden bei der Umsetzung darauf achten, dass die Ermessensspielräume im Sinne der Betroffenen genutzt werden, wie etwa bei der Frage des angemessenen Wohnraums. Lassen Sie uns gemeinsam im Sinne der Bürger, die unsere Hilfe zu Recht einfordern, den Umsetzungsprozess weiterhin konstruktiv begleiten. Langzeitarbeitslosigkeit ist mit Sicherheit unzumutbar. Um das zu verhindern, machen wir diese Reform, und deshalb muss sie gelingen.

Es hilft nicht, jetzt durch Verschiebediskussionen, wie etwa durch den CDU-Landesvorsitzenden Zeller, Sand ins Getriebe zu streuen.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Und auch die Parteien und Politiker – – Habe ich einen richtigen Punkt angesprochen, wenn die CDU so nervös ist?

[Frau Dr. Klotz (Grüne): Die ist irritiert!]

Ich war doch ganz vorsichtig. Herr Zimmer hat ja gleich richtig reagiert. – Diese Verschiebediskussion darf es nicht geben. Auch die Parteien, Politiker und Gewerkschafter, die gegen die Reform auf die Straße gehen, sollten sich gut überlegen, welche Welle sie womöglich damit lostreten und mit welchen Gruppen sie Seite an Seite demonstrieren. Ich will nicht, dass Rechtspopulisten diese sehr emotional geführte Debatte um den richtigen Weg in der Arbeitsmarktpolitik für ihre miesen Parolen nutzen können.

[Beifall bei der SPD und der PDS – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Wenn man hört, wie in anderen Bundesländern gezielt jugendliche Arbeitslose von diesen Leuten angesprochen werden, kann ich nur zu höchster Sensibilität in Berlin raten.

Und auch den Begriff der Montagsdemonstration im Zusammenhang mit dem völlig legitimen Protest gegen eine demokratisch beschlossene Reform zu verwenden, finde ich mehr als unpassend.

[Beifall bei der SPD, der CDU und der FDP – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Wir sollten nicht vergessen, dass sich mit den Montagsdemonstrationen ein Volk gegen eine Diktatur aufgelehnt hat.

[Dr. Lindner (FDP): Gegen die SED-Diktatur!]

Wir dürfen alle nicht vergessen, was wir gemeinsam für das Zusammenwachsen unseres Landes geleistet haben, auch in dieser Koalition aus SPD und PDS. Unsere Aufgabe ist es, gemeinsam dafür zu sorgen, dass wir nicht in einen neuen Ost-West-Gegensatz geraten, der auch für unsere Demokratie gefährlich werden kann.

[Beifall bei der SPD]

Wir sollten also nicht so tun, als ob man nur weggucken kann, und dann sind die Probleme nicht mehr da, und dass alles so bleiben könnte wie bisher. Es ist absolut verantwortungslos, nur zu sagen: Hartz IV muss weg, ohne eigene Alternativen aufzuzeigen. Ja, es ist richtig, dass sich die Politik auf tragfähige Konzepte und die Hartz-Reform verständigt hat. Erfreulicherweise hat offensichtlich eine Mehrheit der Bürger die Notwendigkeit auch erkannt. Nach einer aktuellen Umfrage von FORSA für die „Zeit“ steht die Mehrheit der Deutschen inzwischen hinter Hartz. Aber dennoch müssen wir Überzeugungsarbeit leisten, gerade bei den Älteren und im Osten unseres Landes.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD]

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall den Grünen]

Danke schön, Herr Müller! – Ich möchte darauf aufmerksam machen, dass der

Antrag auf Annahme einer Entschließung

Umsetzung der Hartz-IV-Gesetzgebung in Berlin

Antrag der Grünen Drs 15/3106

eingegangen ist. Wenn Sie ihn noch nicht haben sollten, dann kommt er noch.

Für die Fraktion der CDU hat nunmehr der Fraktionsvorsitzende Zimmer das Wort. – Bitte schön!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine Damen und Herren! Zweifellos, die Bundesrepublik steht vor einer der größten Herausforderungen ihrer Geschichte. In ihrer Folge werden die sozialen Sicherungssysteme in Deutschland grundlegend verändert. Damit werden die Menschen betroffen, die auf die Solidarität unserer Gemeinschaft am meisten angewiesen sind. Diese Menschen müssen auch weiterhin ein Anrecht auf Solidarität haben, das ist, glaube ich, völlig unstreitig. Ich kann auch sehr gut verstehen. dass viele Berliner verunsichert sind. Sie haben Sorgen, und sie haben Ängste. Sie wissen nicht genau, was auf sie zukommt. Das sind oft Arbeitnehmer, die sich fragen: Was passiert mit mir, wenn ich meinen Arbeitsplatz verliere? – Diese Sorgen müssen uns beschäftigen – vor allen Dingen im Berliner Landesparlament.

[Beifall bei der CDU]

Aber das System des sozialen Ausgleichs zwischen den Erwerbstätigen und den Menschen, die auf Sozialleistungen angewiesen sind, ist aus den Fugen geraten. Wir haben nach sechs Jahren rot-grüner Bundesregierung eine Massenarbeitslosigkeit in Deutschland

[Doering (PDS): Schon davor!]

und eine steuerfinanzierte Sozialbedürftigkeit, die von immer weniger Erwerbstätigen zu tragen ist.

[Zurufe von der PDS und den Grünen]

Im Vergleich zu anderen Ländern bekommt Deutschland seit Jahren verheerende Noten für seine Arbeitsmarktpolitik. Die Ausgaben sind zu hoch, und die Chancen, als

Auch ich sehe an einigen Stellen der Hartz-Reform Verbesserungsmöglichkeiten. Die Frage der Berücksichtigung der Lebensarbeitszeit für zukünftige Arbeitslosengeld-II-Bezieher und die Anrechnung privater Vorsorge sind zweifellos problematische Punkte. Es ist richtig: Altersvorsorge, wie wir sie verstehen, wie sie auch in der Vergangenheit immer bestärkt worden ist, soll das Ziel haben, Eigenverantwortung zu stärken; denn auch das System der Rentenversicherung wird in der Form keine Zukunft mehr haben. Auch das muss umgebaut werden. Da muss die Einverantwortung, die private Fürsorge, stärker im Vordergrund stehen. Aber auch wenn diese Punkte wichtig sind, ändern sie nichts an der Notwendigkeit der im Bundestag und Bundesrat beschlossenen Formen.

Langzeitarbeitsloser wieder Arbeit zu bekommen, sind viel zu gering.

Gerade hier in Berlin ist die Situation besonders verheerend. Mehr als 300 000 Arbeitslose und mehr als 270 000 Sozialhilfeempfänger geben eine traurigen Beleg dafür. Deswegen steht die CDU-Fraktion zu dem im Vermittlungsausschuss gefundenen Kompromiss. Wir begrüßen grundsätzlich die Zusammenlegung von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe. Da gibt es gar keinen Dissens zwischen mir, der Fraktion, dem Landesverband der Berliner CDU und unserem Landesvorsitzenden Joachim Zeller.

[Was? von der SPD]

Zeller ist sich mit uns völlig einig, dass die Frage der Zusammenlegung alternativlos ist.

[Zurufe von der PDS und den Grünen]

Aber eines muss man dabei in Rechnung stellen: Joachim Zeller ist Bezirksbürgermeister in Mitte. Joachim Zeller sieht täglich die Probleme, die sich im Rahmen der Umsetzung ergeben. Joachim Zeller ist täglich mit dem konfrontiert, was von Seiten des Senats getan bzw. nicht getan wird, Und deswegen kann ich sehr gut verstehen, dass für ihn die Sorgen und die Probleme im Vordergrund stehen.

[Beifall bei der CDU – Doering (PDS): Nur bei ihm?]

Aber – damit da gar kein Missverständnis aufkommt – in einem sind wir uns einig: Zwei steuerfinanzierte Fürsorgesysteme, die parallel existieren und nicht zum Ziel haben, Menschen wieder in Beschäftigung zu bringen, haben in Deutschland keine Zukunft mehr. Es geht um die Vermittlung von Arbeit und nicht um die Finanzierung von Arbeitslosigkeit. Damit muss angesichts immer leerer werdender Kassen in Deutschland endgültig Schluss sein. Das wissen auch die Kolleginnen und Kollegen von der PDS, obwohl sie es öffentlich bestreiten. Wer behauptet, dass alles so bleiben kann wie bisher, der lügt sich selbst in die Tasche und betrügt die Wählerinnen und Wähler.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der FDP – Doering (PDS): Das sagt ja keiner!]

Zur Reform des Arbeitsmarktes gibt es keine Alternative. Und eine zeitgerechte Umsetzung zeugt von der Verlässlichkeit der Politik – auch das ist ein ganz wesentliches Element dabei. Wenn wir es fertig bringen, eine Reform, von der wir in überwiegender Mehrheit – einmal von der PDS abgesehen – der Auffassung sind, dass sie richtig und notwendig ist, parteiübergreifend zu beschließen, dann müssen wir auch in der Lage sein, sie umzusetzen. Wenn wir das nicht einmal mehr schaffen, dann hat Politik jeden Anspruch darauf verloren, in diesem Land zu führen und zu gestalten. Das wäre mindestens so ein großes Drama, wie es eins für die Arbeit Suchenden wäre, wenn diese Reform scheiterte.

[Zuruf des Abg. Brauer (PDS)]

Vor allem eines haben wir in Deutschland nicht mehr, und das ist Zeit. Nachdem die rot-grüne Bundesregierung die ersten Reformschritte der Regierung Kohl nach den Bundestagswahlen 1998 zurückgenommen hatte, begann eine Talfahrt, und zwar mit zunehmender Geschwindigkeit. Jetzt muss vieles nachgeholt werden, teilweise mit einem holprigen Tempo. Die Frage, wer dafür die Verantwortung trägt, kann sich jeder selbst beantworten. Zu viele Jahre des Stillstands haben uns an den Punkt geführt, an dem wir heute angekommen sind.

[Beifall bei der CDU und der FDP – Doering (PDS): Das stimmt! Den gab es aber schon zehn Jahre davor!]

Das schwerwiegendste Problem Berlins ist aber die dilettantische Umsetzung dieser Reform und die katastrophale Vermittlung in der Öffentlichkeit.

[Beifall bei der CDU]

Was hier in Berlin und auf Bundesebene passiert, ist ein Desaster.