Protocol of the Session on June 17, 2004

[Goetze (CDU): Schäbiger Demagoge! – Zurufe von der CDU]

Wenn Sie der Meinung sind, dass Berlin in Größenordnungen Geld ohne verfassungsrechtliche Ermächtigung ausgibt, dann reden Sie Klartext, dann sagen Sie doch, wo diese Ausgaben gekappt werden müssen und wen es in dieser Stadt denn noch treffen soll. Tauchen Sie nicht hinter Paragraphen ab.

[Beifall bei der PDS und der SPD]

Sicherlich haben wir diese Aktuelle Stunde nicht beantragt, um ein weiteres Mal Zeuge der multiplen Gesamterscheinung der CDU zu sein, einerseits jede Sparmaßnahme zu beklagen

[Niedergesäß (CDU): Oh!]

und andererseits wichtigtuerisch den Abbau der Schulden anzumahnen. Der Kern des politischen Konfliktes, der juristisch vor dem Bundesverfassungsgerichtshof ausgefochten wird, besteht darin, ob das Land Berlin ein Sanierungsprogramm hat, das alle gebotenen Anstrengungen unternimmt, die laufenden Defizite abzubauen, ohne die Potentiale der Stadt in Wirtschaft, Bildung und Wissenschaft auf den Bundesdurchschnitt herabzudrücken. Der Kern des politischen Konfliktes besteht also darin, ob die Grenzen, die wir in dem Sanierungsprogramm gesetzt haben, Bestand vor dem Bundesverfassungsgericht haben

Präsident Momper

werden und als Voraussetzung für die Entschuldung Berlins anerkannt werden.

[Dr. Lindner (FDP): Bringen Sie die Sachen nicht durcheinander!]

Die Positionen der anderen Bundesländer hierzu ist klar. Sie finden, dass Berlin noch mehr Stellen – namentlich in Schulen und Kitas – abzubauen hat und noch mehr Geld in den Unis und der Kultur streichen kann. Niemand kann bestreiten, dass eine Klage, Herr Zimmer, Herr Lindner, die die Verfassungsmäßigkeit insbesondere der Ausgabenermächtigung des Landeshaushaltes bestreitet, genau dieser gegen Berlin gerichteten Operation juristische Munition liefert.

[Ritzmann (FDP): Sie haben doch den Überblick verloren! – Zuruf des Abg. Czaja (CDU)]

Wo stehen Sie, Herr Linder, Herr Zimmer?

[Beifall bei der PDS]

Es ist eine Schande, wie ungeniert Sie dieser Stadt in den Rücken fallen wollten.

[Beifall bei der PDS und der SPD – Zurufe von der CDU und der FPD]

Darüber müssen wir heute reden, und dafür werden wir Sie zur Rede stellen. Es ist uns nicht verborgen geblieben, dass es in beiden Fraktionen, insbesondere der CDU, Abgeordnete gibt, die diesen gewissenlosen Amoklauf

[Beifall bei der PDS und der SPD – Zurufe von der CDU und der FDP]

gegen existentielle Interessen Berlins ablehnend gegenüberstehen. Aber Fraktionen haften für ihre Vorsitzenden, und für diese Politik werden wir Sie heute haftbar machen und zur Verantwortung ziehen.

[Beifall bei der PDS und der SPD – Ritzmann (FDP): Wer haftet denn für Sie? – Henkel (CDU): Dieses FDJ-Niveau! – Zurufe der Abgn. Zimmer (CDU) und Goetze (CDU)]

Danke schön! – Für die Fraktion der CDU hat nunmehr der Kollege Dietmann das Wort zur Begründung der Aktualität. – Bitte schön, Herr Dietmann!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach dieser Kalten-Krieger-Rede

[Beifall bei der CDU – Gelächter bei der PDS]

würden wir ganz gerne mit Ihnen darüber reden, wie Sie denn tatsächlich mit dem Haushalt von Berlin umgehen. Das würden wir gerne an einer verfassungswidrigen Zahlung des Wirtschaftssenators an die Messe Berlin festmachen.

Der Senat von Berlin hat schon mit Aufstellen eines verfassungswidrigen Haushaltes bewiesen, dass er mit der Verfassung auf Kriegsfuß steht; Ihr Redebeitrag ist inso

fern entsprechend einzuordnen. Auch der Regierende Bürgermeister hatte dies bei der Abstimmung zum Zuwanderungsgesetz im Bundesrat deutlich gemacht, vielleicht sogar auch vorgemacht. Umso mehr hatten wir gehofft, dass der Senat daraus seine Lehren zieht und Besserung gelobt – weit gefehlt. Die CDU-Fraktion möchte daher in der Aktuellen Stunde darüber diskutieren, wie der Wirtschaftssenator durch Auszahlung von 14,6 Millionen € an die Messe Berlin gegen Artikel 89 der Verfassung von Berlin verstoßen hat. Der Rechnungshof hat dies in einem Schreiben an den Vermögensausschuss unzweifelhaft deutlich gemacht und bejaht. Diese Diskussion hat aus meiner und unserer Sicht mehrere Aspekte, von denen ich zwei nennen will.

Als Erstes, und vielleicht hören Sie zu,

[Doering (PDS): Im Gegensatz zu Ihnen sind wir aufmerksam!]

und das relativiert in hohem Maße das, was eben vorgetragen wurde, der Umgang des ehemaligen PDSHaushaltspolitikers und jetzigen Wirtschaftssenators Wolf mit dem Parlament. Seit Anfang 2003 ist die finanzielle Situation der Messe ungeklärt. Im Juni gab es eine entsprechende Vorlage an den Senat nach einem Gutachten, das 600 000 € gekostet hat und von McKinsey erstellt wurde. Man hört, dass jetzt noch eine Nachforderung existiert, aber das ist nur eine Randbemerkung. Dieses Gutachten hat ans Tageslicht gefördert, dass es 120 Millionen € bedarf, um die Messe auf die richtige Schiene zu setzen. Bei der Diskussion um den Nachtragshaushalt haben wir als CDU-Fraktion immer wieder die kurzfristige Zahlung und den Ausblick darauf, diese Summe in den Haushalt einzustellen, angemahnt. Vom Senat, vom Wirtschaftssenator gab es dazu nur eine Fehlanzeige. Nachdem es immer wieder hieß, man wisse ja, dass Zahlungen notwendig sind, haben wir darauf gedrungen, diese Zahlung im Doppelhaushalt 2004/2005 einzustellen. Das Ergebnis: Fehlanzeige! Mit anderen Worten: Im Nachtragshaushalt und im Doppelhaushalt 2004/2005 steht davon nichts. Stattdessen gab es aber 9,6 Millionen € im letzten Jahr als Finanzspritze und zum Jahresende noch einmal 14,6 Millionen €, ohne dass das Parlament zuvor beteiligt worden ist und ohne dass es informiert worden ist, und das alles während der vorläufigen Haushaltswirtschaft, die ja dadurch zu Stande kam, dass es keinen Haushalt mehr gab. Nachfragen zu dieser Thematik wurden in den Ausschüssen und auch in den Kleinen Anfragen nie richtig beantwortet und immer wieder gab es andere Begründungen, bis zu letzt. Es wurden eher Nebelkerzen gezündet.

Und es gibt weitere Beispiele: Zahlungen an die TSB, die genau in dem gleichen Muster verlaufen sind. Und wenn ich daran erinnere, wie mit den 90 Millionen € Gewinnausschüttung bei den Berliner Wasserbetrieben umgegangen wurde, macht dies deutlich, dass der Wirtschaftssenator an dieser Stelle offenbar mit dem Geld agiert, wie er es gerne möchte, aber nicht, wie es letztlich notwendig wäre.

Krüger, Marian

2 206 Zahlungen in Höhe von über 50 Millionen € wurden in den letzten zwei Wochen des Jahres 2003 während der vorläufigen Haushaltswirtschaft verteilt. Ich möchte jede Wette eingehen, dass eine ganze Reihe davon ebenfalls verfassungswidrig war. Fazit: Gegen Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit hat Herr Wolf und im Geleitzug Herr Sarrazin nicht nur einmal verstoßen, und damit muss Schluss sein.

Der zweite Aspekt ist der Umgang mit der Messe: Es stehen noch immer Zahlungen aus, davon findet sich in den Haushalten jedoch keine Spur. Die Zielvereinbarung ist jetzt schon seit über einem Jahr irgendwo im Nirwana des Senats verschwunden. Wir warten bis heute darauf. Es gibt keine Planungssicherheit, weil nirgends im Haushalt auch nur ein Ansatz dafür zu finden ist. Fazit auch hier: totales Versagen in einer für die Stadt wirtschaftspolitisch sehr wichtigen Frage.

Wir möchten dieses Thema heute vertieft und deswegen in der Aktuellen Stunde diskutieren, um eine Geisteshaltung des Senats im Hinblick auf den Umgang mit dem Parlament und auch der Verfassung aufzubrechen, die für uns so nicht weiter hinnehmbar ist. Die CDU-Fraktion möchte auch darüber sprechen, wie die Senatoren Wolf und Sarrazin für den Schaden von ca. 90 000 €, der aus dieser Aktion entstanden ist, haftbar zu machen sind, wie es der Artikel 91 unserer Verfassung vorsieht. Schließlich geht es auch um die Wiederherstellung der Glaubwürdigkeit der Politik und darum, dass der Senat nicht willkürlich Rechtsbruch auf Kosten der Steuerzahler begehen kann, ohne befürchten zu müssen, dafür in der Öffentlichkeit verantwortlich und haftbar gemacht zu werden. – Ich bitte deshalb um Ihre Zustimmung zu dieser Aktuellen Stunde.

[Beifall bei der CDU]

Danke schön, Herr Kollege Dietmann! – Für die Fraktion der FDP hat nunmehr der Kollege Thiel das Wort. – Bitte schön, Herr Thiel!

Danke schön, Herr Präsident! – Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn es stimmen sollte, dass die Fraktionen für ihre Vorsitzenden in die Haftung zu nehmen sind, dann würde ich dies gern auch umdrehen, Herr Krüger: Dann ist Ihre Fraktion auch für Ihre dummen Ausführungen in die Haftung zu nehmen.

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Schluss mit dem Ladenschluss: Eine Forderung, die wir immer wieder erheben und der wir uns ganz aktuell durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus der letzten Woche massiv genähert haben.

Es ist nicht nur aktuell, sondern es ist auch dringlich. Ich habe mit großem Interesse die Ausführungen des Wirtschaftssenators Wolf zur Kenntnis genommen, der sehr wohl sieht, dass es dort Chancen gibt. Aber, Herr Wolf, getreu der Echternacher Springprozession machen Sie zwei Schritte vor, um dann gleich wieder einen zurückzunehmen.

[Doering (PDS): Das ist aber letztlich ein Schritt vorwärts!]

Sie sagen, das müsste dann erst einmal kommen, und wir müssten uns mit Brandenburg verständigen.

Nein, Herr Wirtschaftssenator, hier sind Sie in der Pflicht. Sie sind in der Pflicht gegenüber den Einzelhändlern, die seit 12 Jahren jedes Jahr kontinuierlich Umsatzrückgänge zu verzeichnen haben. Sie sind aber auch in der Pflicht gegenüber den Berlinerinnen und Berlinern, um ihre Lebensqualität in der Stadt zu erhöhen. In der Pflicht sind Sie nicht zuletzt gegenüber den Touristen, unseren Gästen.

Herr Wirtschaftssenator, setzen Sie sich im Senat dafür ein und auch durch, dass die Bundesregierung noch vor der Sommerpause aufgefordert wird, ein Gesetz auf den Weg zu bringen, das regelt, dass in Zukunft der Ladenschluss von den Ländern geregelt werden kann.

[Beifall bei der FDP]

Dann würden Sie zumindest zum Ende des ersten Halbjahres etwas Konstruktives für die Berliner Wirtschaft leisten.

[Zuruf von der PDS: So ein Quatsch!]

Das ist kein Quatsch! Wenn Sie sich das Urteil des Bundesverfassungsgerichts anschauen, dann sehen Sie, dass es die Möglichkeiten gibt, unserer alten Forderung „Schluss mit dem Ladenschluss!“ endlich näher zu kommen, damit wir auch das erreichen, was wir alle wollen: Berlin als eine weltoffene, eine tolerante, eine lebenswerte Großstadt auf dem Weg zur Metropole. Das trennt uns eben von den anderen Großstädten, dass wir immer noch Piefigkeit haben statt Weltläufigkeit.

Wir möchten die Aktuelle Stunde nutzen, um uns mit Ihnen darüber zu verständigen, wie wir diesen Weg gemeinsam beschreiten können und beantragen deshalb, den „blaugelben Turbo“ einzuschalten: Weg mit dem Ladenschluss!

[Beifall bei der FDP]

Danke schön, Herr Thiel! – Das Wort für die Grünen hat nunmehr der Kollege Ratzmann. – Bitte schön, Herr Ratzmann!

[Pewestorff (PDS): Hat der auch einen Turbo?]