Protocol of the Session on June 3, 2004

Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 52. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin und begrüße Sie alle, unsere Gäste und Zuhörer sowie die Medienvertreter sehr herzlich! Die Tribünen sind auch besetzt – herzlich willkommen!

Vor Beginn unserer Beratungen habe ich eine traurige Pflicht zu erfüllen und bitte Sie, sich zu erheben.

[Die Anwesenden erheben sich von ihren Plätzen.]

Ich möchte mit Ihnen eines Mannes gedenken, der sich große Verdienste um Berlin erworben hat: Im Alter von 74 Jahren ist am 14. Mai der frühere Ständige Vertreter der Bundesrepublik in der DDR und ehemalige Berliner Senator für Wissenschaft und Forschung, Günter Gaus, nach schwerer Krankheit verstorben.

In Berlin ist unvergessen, dass Günter Gaus in schwerer Zeit durch geschicktes Agieren auf schwierigstem diplomatischen Terrain für die Menschen im geteilten Deutschland – insbesondere natürlich auch für die in West-Berlin – wesentliche Erleichterungen und Verbesserungen erreicht hat.

Günter Gaus war einer der erfolgreichsten und angesehensten Journalisten unseres Landes, als er im Juni 1973 durch die Bundesregierung unter Bundeskanzler Willy Brandt zum Ständigen Vertreter der Bundesrepublik in der DDR ernannt wurde. Im November 1973 wurde er außerdem beauftragt, mit dem Stellvertretenden DDR-Außenminister Kurt Nier die deutsch-deutschen Gespräche fortzuführen, die zwischen Egon Bahr und dem damaligen DDR-Staatssekretär Michael Kohl begonnen hatten.

Mit großem Verhandlungsgeschick und mit diplomatischer Diskretion ist es Günter Gaus in den folgenden Jahren gelungen, insgesamt 17 Abkommen mit der DDR zu vereinbaren, darunter die Verkehrsverträge über den Bau der neuen Autobahn Berlin-Hamburg, den Ausbau des Teltowkanals Ende 1978 und die Pauschalierung der Straßenbenutzungsgebühren im innerdeutschen Reiseverkehr im Oktober 1979. Vor allem für Berlin und die Berlinerinnen und Berliner brachten die ausgehandelten Vereinbarungen wesentliche Verbesserungen und wesentliche Erleichterungen.

Für die Deutschlandpolitik insgesamt hat Günter Gaus wichtige Schritte getan auf dem Weg des Wandels zur Annäherung beider Teile Deutschlands und damit – letzten Endes auch – zur Wiedervereinigung unseres geteilten Landes und unserer geteilten Stadt beigetragen.

Günter Gaus war 1981 für wenige Monate – von Januar bis Juni – hier in Berlin Senator für Wissenschaft und Forschung, als Hans-Jochen Vogel Regierender Bürgermeister war. Anschließend wurde er dann wieder Journalist und Schriftsteller, vor allen Dingen im Fernsehen.

Meine Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Wir trauern um ihn und gedenken seiner mit Dank und Hochachtung.

Sie haben sich zu Ehren von Günter Gaus erhoben. Ich danke Ihnen.

Ich habe die übliche Menge an Geschäftlichem vorzutragen. Als neues Mitglied der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen begrüße ich als Nachfolgerin von Herrn Wolfgang Wieland Frau Jasenka Villbrandt. – Herzlich willkommen, Frau Villbrandt, auf eine gute Zusammenarbeit!

[Allgemeiner Beifall]

Für das bisherige stellvertretende Mitglied in der

G 10-Kommission schlägt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wiederum für Herrn Wolfgang Wieland Herrn Abgeordneten Özcan Mutlu vor. Wer Herrn Mutlu wählen möchte, den bitte ich jetzt um sein Handzeichen. – Die Gegenprobe! – Enthaltungen? – Das war einstimmig.

Die Fraktion der Grünen hat ihren Antrag über Sprachdefizite bei Schulanfänger/-innen – Einrichtung einer Experten- und Expertinnenkommission –, Drucksache 15/931, der am 14. November 2002 an den Ausschuss für Jugend, Familie, Schule und Sport überwiesen wurde, zurückgezogen.

Die Fraktion der CDU hat ihren Antrag über Günstige steuerliche Rahmenbedingungen für Computerspenden an Schulen, Drucksache 15/35, der am 13. Dezember 2001 federführend an den Ausschuss für Schulwesen sowie an den Ausschuss für Wirtschaft und an den Hauptausschuss überwiesen wurde, ebenfalls zurückgezogen.

Am Dienstag sind vier Anträge auf Durchführung einer Aktuellen Stunde eingegangen:

1. Antrag der Fraktion der SPD und der PDS zum Thema: „GSW-Verkauf: Mieterrechte bleiben erhalten, Investitionen und Kiezengagement der Wohnungsbaugesellschaft sind gesichert“,

Präsident Momper

Das sind die wichtigen Dinge, und zwar neben dem Signal, Kapital nach Deutschland geholt zu haben. Damit wird die Zukunft der Stadt etwas weiter gesichert. Ich spreche dem Finanzsenator dafür meinen Dank aus. Er hat die Balance zwischen einem fiskalischen Ergebnis und den wohnungspolitischen Anliegen so hinbekommen, dass wir dem Vertrag in 14 Tagen auf einer breiten parlamentarischen Basis zustimmen können.

Ich weiß, dass hinter dem Senator eine engagierte Verwaltung gestanden hat.

Herr Lindner, ich habe keine Probleme damit, dem Vertrag heute zuzustimmen. Aber den Kollegen, die nichts mit Wohnungspolitik zu tun haben und sich nicht mit den verschiedenen Bietern auseinander gesetzt haben, muss ich eine Chance geben, die Risiken dieses Vertrags durch Einsichtnahme zu überschauen. Deshalb bitte ich alle Kollegen, die 14 Tage zu nutzen, ein Vertrauen in das Vertragswerk aufzubauen. Ich freue mich, dass die öffentliche Meinung und die Oppositionsfraktionen das Verfahren momentan positiv begleiten. Die 14 Tage Geduld werden der Sache nutzen. Wenn wir Vertrauen bei den Mietern und bei allen Parlamentariern gewinnen, schließen wir mit einem positiven Vertragsergebnis ab. – Danke schön!

2. Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: „Rot-Grün droht mit der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe – Chaos bei der Jobsuche, Zehntausende künftig ohne finanzielle Hilfen, Hunderte Millionen Euro neue Schulden für Berlin“,

3. Antrag der Fraktion der FDP zum Thema: „Nach dem GSW-Verkauf – schon Ende der Fahnenstange für Privatisierungen in Berlin?“,

4. Antrag der Fraktion der Grünen zum Thema: „Topographie des Terrors – Bilanz des Senatsbaudirektors: 11 verlorene Jahre und 15 Millionen vergeudete Euro!“.

Im Ältestenrat konnten wir uns auf kein gemeinsames Thema verständigen. Zur Begründung der Aktualität rufe ich nun den Kollegen Radebold von der SPD-Fraktion auf. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir wollen heute hier mit Ihnen über den Verkauf der GSW diskutieren. Das ist ein Thema, das die Politik in Berlin seit langem bewegt und mit dem sich die Fachpolitiker der Fraktionen und der Senat intensiv auseinander gesetzt haben. Ich begrüße den Senatsbeschluss vom 25. Mai zum Verkauf an eine Bietergemeinschaft, die im Wesentlichen Kapital aus dem amerikanischen Raum nach Deutschland, nach Berlin bringt, ausdrücklich. Mir ist besonders wichtig, dass es offensichtlich gelungen ist, neben einem finanziellen Ergebnis – wir denken an die gescheiterten Verhandlungen in der Vergangenheit – wichtige wohnungspolitische Ziele mit diesem Bieterkonsortium zu vereinbaren. Aus unserem Antrag geht hervor, welche beiden wichtigen Ziele in den Vereinbarungen enthalten sind.

Für mich ist es das Wichtigste, in dieser Vereinbarung die Rechte der Mieter weiter zu sichern. Wir wissen, wie skeptisch Mieter Privatisierungen gegenüberstehen, weil sie damit nicht immer nur positive Erfahrungen gemacht haben. Der Vertrag sichert Rechte über das Bundesrecht, das die Mieter komfortabel ausstattet, hinaus. Er bezieht sich ausdrücklich auf Verpflichtungen gegenüber den Mietern, die darüber deutlich hinausgehen. Wir tun als Parlament gut daran, diesen Punkt des Verkaufs als besonders wichtig zu bewerten, denn er muss sich langfristig gegenüber den Mietern bewähren. Das hat auch etwas mit Ihrem Antrag zu tun, Herr Lindner. Wenn man jemals weiter in dieser Größenordnung Wohnungen veräußern will, dann muss man das auf einer positiven Beurteilungsbasis in der Berliner Mieterschaft tun. Diese Voraussetzung bietet dieses Geschäft.

Was uns als Wohnungspolitikern an dem Geschäft zudem wichtig erscheint, ist die weitere Sicherung von Investitionen in die Instandhaltung. Damit erhalten wir nicht nur die Wohnungen in einer würdigen Form, sondern wir sichern dem Berliner Arbeitsmarkt, insbesondere dem Mittelstand, ein vernünftiges Betätigungsfeld. Wir wissen alle, wie durch die Investitionstätigkeit im Bau die Ar

beitsmarktsituation momentan aussieht. Jeder Schritt, der das sichert, kann begrüßt werden.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Wir haben mit dem Verkauf ein weiteres Ziel verfolgt. Wir wollen den selbst genutzten Wohnungseigentumsanteil deutlich vergrößern. Deshalb wird es Vereinbarungen darüber geben, wie sich das Bieterkonsortium dieser politischen Aufgabe, bei der wir durch die Tätigkeit unserer Gesellschaften in der Vergangenheit nicht besonders erfolgreich waren, besser stellen kann.

[Dr. Lindner (FDP): Warum machen wir es nicht heute?]

[Beifall bei der SPD und der PDS]

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Danke schön, Herr Kollege Radebold! – Für die CDU-Fraktion hat nun der Kollege Kurth das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Radebold! Wenn die Abstimmung über die GSW nicht mehr aktuell ist, spricht doch vieles dafür, die Debatte über die GSW in zwei Wochen zu führen und heute über ein aktuelleres Thema zu reden.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Die CDU-Fraktion schlägt Ihnen vor, über den Stand der Vorbereitungen in Berlin im Vorfeld der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zu diskutieren. Wer die Aktualität dieses Themas bezweifelt, der soll einmal versuchen, bei seiner Zeitungslektüre diesem Thema zu entgehen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrter Kollege Radebold! Schade wäre es, wenn wir heute nur über die GSW-Privatisierung debattierten. Die GSW-Veräußerung ist ein Vorhaben einer Privatisierung, das etwas beweist. Man kann zwar über den Sinn und Zweck der Nebenbedingungen im Kaufvertrag streiten, aber sie zeigen doch eines: Alles, was man als Land Berlin über eine Privatisierung hinaus gesichert sehen

möchte, das kann man auch vertraglich vereinbaren. Wenn man bis 2012 einen Platz im Aufsichtsrat haben möchte, obwohl einem das Unternehmen gar nicht mehr gehört, kann man es vertraglich vereinbaren. Wenn man möchte, dass ein Unternehmen seine Kunden oder Mieter oder Patienten über gesetzliche Vorschriften hinaus besser stellt, kann man es vertraglich vereinbaren. Wenn man möchte, dass das Unternehmen auf Kündigungen verzichtet oder bestimmte Tarife bezahlt, kann man auch das vertraglich vereinbaren. Zugespitzt gesagt, sogar wenn man politisch wollte, dass ein ehemaliges Landesunternehmen in Zukunft zusätzlich noch Steine klopfen oder Löcher buddeln soll, könnte man das über einen Vertrag und entsprechende Konventionalstrafen 20 Jahre lang festschreiben. Der einzige Haken an einer solchen politisch motivierten Beschränkung eines privatisierten Unternehmens ist: Daran hängt auch immer ein Preisschild. Jedes dieser Zugeständnisse kostet über einen niedrigeren Verkaufspreis auch Geld. Aber wer nicht verkauft, zahlt diesen Preis indirekt auch.

Das Beispiel GSW zeigt, dass es keine politischen Gründe geben kann, auf Privatisierungen grundsätzlich zu verzichten. Sie können alle politischen Ziele über eine Privatisierung hinaus weiter sichern. Gestritten werden muss eigentlich nur über den Umfang solcher politisch motivierten Teile. Das gilt auch für andere Wohnungsunternehmen, das gilt aber auch für andere Landesbeteiligungen insgesamt. Das gilt beispielsweise auch für Krankenhäuser der Vivantes. Wenn der Senat nichts zu verbergen hätte, dann könnten wir heute neben der GSWJubelfeierstunde, die die Koalition als Aktuelle Stunde durchführen möchte, auch etwas grundsätzlicher über den Stand der Vermögensveräußerungen Berlins sprechen. Aber ich habe den Eindruck, dass Sie bei Vivantes etwas zu verbergen haben und deswegen diesen erweiterten Vorschlag der FDP nicht haben möchten. Das ist eine bemerkenswerte Informationspolitik, die bei diesem großen Sanierungsvorhaben, das 12 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter betrifft, gemacht wird. Es soll nach Ihrem Willen nicht nur keine Aktuelle Stunde dazu geben, nein, die Kollegen von den Medien sind verunsichert und irritiert darüber, dass es bis heute keine einzige Pressekonferenz für die Öffentlichkeit gegeben hat, in der über das Sanierungskonzept berichtet wird und in der man für die öffentliche Berichterstattung auch Fragen stellen kann. Genauso sind die Abgeordneten in diesem Hause verunsichert und irritiert, dass es kein Konzept gibt, das uns bisher vorliegt, obwohl in den Zeitungen darüber geschrieben wird, dass es eines gibt, und obwohl es einen Aufsichtsratsbeschluss gibt, aber trotzdem die Abgeordneten aufgefordert werden, einem Vermögensverzicht des Landes Berlin von 230 Millionen € zuzustimmen, bisher also eigentlich blind zuzustimmen. Es wird wahrscheinlich auch Ihr Geheimnis bleiben, wie es angehen kann, dass ein Unternehmen, das etwa 800 Millionen € Umsatz im Jahr macht, im Jahr 2008 sein Jahresergebnis von minus 60 auf plus 50, also um insgesamt 110 Millionen € drehen soll.

460 000 Berlinerinnen und Berliner bekommen ab dem 1. Januar 2005 das neue Arbeitslosengeld II. Das heißt: Hoffentlich bekommen sie es. Vielleicht bekommen sie es auch nicht. Ob die existierende Software die Datenmengen bewältigen wird, wissen wir frühestens Ende November. Für jeden Langzeitarbeitslosen muss darüber hinaus ein 20-seitiger Fragebogen ausgefüllt werden. Die Erfassung all dieser Daten muss bis Anfang Oktober abgeschlossen sein, weil auch ansonsten die rechtzeitige Leistungsgewährung nicht mehr gewährleistet ist. Wenn man das nicht schafft, klappt die pünktliche Leistungsgewährung zum 1. Januar leider nicht. Offensichtlich plant die Bundesregierung, die Vorweihnachtszeit für die Betroffenen noch mit einigen zusätzlichen Spannungsmomenten zu versehen.

Das sind aber nur einige technische Hinweise. Wir wissen alle, dass das nicht die zentralen Punkte sind, über die derzeit im Vermittlungsausschuss gerungen wird. Die finanziellen Konsequenzen für Länder und Gemeinden sind unklar. Ihr Ausgleich ist bis heute umstritten. Die internen Probleme, vor die die Bundesagentur für Arbeit gestellt wird, sind immens.

In dem Durcheinander ist nur eins klar – das wissen wir heute schon: Die dringend notwendige und versprochene Verbesserung der Betreuung Langzeitarbeitsloser gibt es zum 1. Januar nicht. Es gibt sie vermutlich im ganzen nächsten Jahr noch nicht. Die Bundesregierung ist auf dem besten Weg, das Kernstück von Hartz bzw. Hartz IV vor die Wand zu setzen. Die Verunsicherung bei den Betroffenen wächst. Auf der Seite von Politik, Bundesagentur und Verwaltung ist die Schuldzuweisung in vollem Gange.

Was heißt das für Berlin? Wie sind wir vorbereitet? Auf welche absehbaren Entwicklungen müssen wir uns einstellen? Welche Alternativszenarien brauchen wir, weil schon heute Problementwicklungen absehbar sind? Wie sind die Bezirke vorbereitet? Wie ist die Einbeziehung freier Träger gewährleistet? – Hierzu müssen wir diskutieren. Hierüber sollten wir uns auseinander setzen. Die unterschiedlichen Vorstellungen und Entwicklungen müssen auf den Tisch. Wenn Sie die GSW-Abstimmung verschieben wollen, dann sollten Sie das mit der Debatte auch tun. So aktuell scheint die nicht zu sein. Ich bitte Sie, dem Antrag der CDU zuzustimmen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU]

Danke schön, Herr Kollege Kurth! – Für die Fraktion der FDP hat nunmehr die Kollege Matz das Wort. – Bitte schön!

Matz

Gestern wollten SPD und PDS im Hauptausschuss nicht über dieses Thema sprechen.