Wir erwarten nicht, dass die Opposition für Senatoren oder Staatssekretäre vorab Vorschusslorbeeren verteilt. Das wäre zwar gerade bei dem Vorschlag Frau JungeReyer berechtigt, aber das haben wir von Ihnen nicht erwartet. Bekommen haben wir von Ihnen das Gegenteil. Diese Art des Heruntermachens von designierten Verantwortungsträgern seitens der Opposition im Vorfeld entsetzt mich. So etwas fördert Politikverdrossenheit, die ab einem gewissen Punkt auch auf den Verursacher zurückfällt.
Hochgradig albern sind die dabei vorgebrachten Argumente. Martin Lindner erklärte am 24. April – Herr von Lüdeke hat es wiederholt –, Frau Junge-Reyer sei mit einem so riesigen Ressort überfordert. Heute liegt hingegen ein Antrag vor, das riesige Ressort, mit dem alle möglichen Leute ganz schnell überfordert sind, gleich ganz abzuschaffen. Da frage ich mich, weshalb Sie immer noch Anträge an ein Ressort stellen, das Sie nicht mehr haben wollen, und andauernd Verwaltungshandeln fordern. Stringent ist das jedenfalls nicht. Das ist lächerlich.
Die Strategen der Berliner SPD feierten den geräuschlosen Abgang von Peter Strieder als gelungenen Coup. Peter Wer? – Das fragt mittlerweile selbst die Telefonvermittlung in der Müllerstraße. Von dem guten Pferd, das meist knapp, einmal sogar zweimal springen musste,
bleibt seitens der SPD nur eine Randnotiz. Er sei durch eine Kampagne der Opposition und der Presse zu einem Rücktritt gezwungen worden, für den es ansonsten keinerlei Gründe gegeben hätte. Das ist eine kühne These, die Herr Müller und Herr Wowereit vertreten. Ich frage mich, ob Sie das wirklich selbst glauben. Wenn Sie das tun, dann ist das ein Zeichen eines ziemlich harten Realitätsverlustes und auch eine Beleidigung unseres Erinnerungsvermögens.
Wir können uns beispielsweise an jenen Peter Strieder erinnern, der bei jeder Personalentscheidung seine Finger im Spiel hatte, der Publikumsfonds der Bankgesellschaft gezeichnet, behalten und als Abgeordneter auch gleich noch risikoabgeschirmt hat – als handele es sich um ein Sparkassenbuch und als habe er nicht selbst und höchstpersönlich die große Koalition aufgekündigt, und zwar unter anderem wegen des Bankenskandals. Auch sonst war er in der Wahl seiner Mittel nicht pingelig, wenn er etwas durchsetzen wollte – ob das der Bau des Tempodroms war oder die Koalition mit der PDS.
Genauso unfair ist die Debatte um die designierte Staatssekretärin. Die Grünen erklären erst, Frau DungerLöper sei für den Posten fachlich nicht geeignet. Heute kommen Sie mit dem Antrag, den Posten Herrn Ebel zuzuschanzen, der in Ihrem Sinne dafür auch nicht geeignet wäre, weil er auch nicht aus dem Bereich kommt.
Wie sich auch die Grünen dafür hergeben konnten, die die feministischste Fraktion der Welt sein wollen, ist mir unerklärlich.
Mit Frau Dunger-Löper wechselt eine dritte starke Frau an die Spitze einer bisher von Männern dominierten Verwaltung. Das zeugt von Mut und ist ein Markenzeichen von Rot-Rot.
Frau Junge-Reyer ist nach Auffassung der PDS eine ausgezeichnete Wahl. Ihre schnelle Nominierung für das Ressort zeigt, dass die Koalition stabil und handlungsfähig ist. Ihnen, Frau Junge-Reyer, wünsche ich viel Erfolg und freue mich auf eine weitere gute Zusammenarbeit. Die populistischen Anträge der Opposition werden wir ablehnen. – Danke!
Danke schön, Herr Kollege Klemm! – Das Wort für die Fraktion der Grünen hat die Fraktionsvorsitzende. – Bitte schön, Frau Dr. Klotz!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das passt ja. Wenn ich noch Zweifel daran gehabt hätte, dass der Vereinigungsparteitag von SPD und PDS unmittelbar vor der Tür steht, dann wären diese Zweifel nach der Rede von Herrn Klemm komplett ausgeräumt.
Das nennt man Corporate Identity. Das ist eine hohe Identität mit dem Koalitionspartner. Das ist bemerkenswert.
Peter Strieder hat zwar die große Koalition aufgekündigt, stand aber in seiner Haltung, seiner Mentalität für die große Koalition, für den alten Berliner Größenwahn, für eine Haltung, in der Geld keine Rolle spielt und in der Verantwortliche nicht zur Verantwortung gezogen werden. Für eine solche Haltung gibt es in Berlin immer weniger Platz, und das ist wirklich gut so.
Peter Strieder hat aber auch die Politik der SPD und der Koalition ganz entscheidend geprägt. Er war inhaltlich auf allen Feldern präsent wie kein anderer Sozialdemokrat, wie kein anderes Senatsmitglied. Deshalb ist Peter Strieders Rücktritt für Rot-Rot eine Befreiung und ein Verlust zugleich. In jedem Fall ist er ein Einschnitt, den Rot-Rot noch nicht ansatzweise verdaut hat. Sonst hätten Sie sich um die heutige Debatte einer Halbzeitbilanz in der Aktuellen Stunde nicht gedrückt, sondern sie für eine politische Offensive, einen personellen und inhaltlichen Aufbruch genutzt. Das haben Sie nicht getan.
Das ist Dienst nach Vorschrift. Es ist Feigheit, sich vor diesem Thema der Aktuellen Stunde zu drücken.
Wir werden sie daran messen, wie sie den Problemstau in dem Mammutressort angeht, und zwar in den ersten 100 Tagen. Deswegen haben wir auch einen Antrag dazu vorgelegt.
Die Topographie des Terrors muss jetzt endlich eine klare Perspektive bekommen, und diese Perspektive darf nur Fertigstellung heißen, denn es ist ein politischer Skandal, was auf dem Topographiegelände seit Jahren passiert bzw. nicht passiert. Wir werden Sie daran messen, Frau Junge-Reyer, ob Sie in der Lage sind, diesen unwürdigen Zustand zu beenden.
Wir erwarten, dass Sie in den ersten 100 Tagen der bisherigen, für die kleinen Einzelhändler in Berlin ruinösen Flächenpolitik Ihres Vorgängers Peter Strieder etwas entgegensetzen. Deswegen fordern wir Sie in diesem Antrag auf, auf den Bau des Megaeinkaufszentrums in der Landsberger Allee zu verzichten.
Herr Lindner, Sie hätten die Möglichkeit gehabt zu reden, aber Sie wollten lieber, dass Herr von Lüdeke seinen wegweisenden Beitrag zur Auflösung der Verwaltung für Stadtentwicklung hält – getreu dem Motto: Wirtschaftspolitik findet in der Wirtschaft statt, Umweltpolitik in der Umwelt und Wohnungsbaupolitik in der Wohnung.
Auch wenn Sie es nicht wahrhaben wollen: Die Regierung befindet sich in einem latenten personellen Auflösungsprozess. Doch damit nicht genug: Bundesweit gewinnt die Öffentlichkeit den Eindruck, dass es mit Verschwendung und mit Mauscheleien hier in Berlin, in der Hauptstadt immer so weitergeht. Ich finde es bedenklich, dass dieser Eindruck immer weiter verstärkt wird. Vor dem Hintergrund, dass wir von den anderen Bundesländern und vom Bund Hilfe, Unterstützung und Solidarität einklagen und erwarten, ist das ein politischer GAU, durch den die Bereitschaft sinkt, mit uns solidarisch zu sein. Dafür sind Sie verantwortlich. Das ist traurig.
Deshalb muss der personelle Wechsel an der Spitze des Stadtentwicklungsressorts auch für einen Politikwechsel genutzt werden: Kostenbewusstsein statt Größenwahn, Transparenz statt des bisherigen Feudalismus.
Darum nutzen wir die heutige Wahl, Herr Klemm, um den Vorschlag zu unterbreiten, Berlin zu einer Antikorruptionsmodellstadt zu machen. Wir haben dazu eine Reihe von Vorschlägen unterbreitet. Das reicht vom schon diskutierten Corporate-Government-Kodex, der Einrichtung eines Korruptionsregisters und eines Korruptionsbeauftragten bis hin zur Stärkung der Rechte des Parlaments. Wir wiederholen die Empfehlung des damaligen Untersuchungsausschusses, Verfahren wie den Bau des Flughafens Schönefeld durch eine Antikorruptionsorganisation begleiten zu lassen.
Ich muss mich schon wundern, Herr Müller und Herr Wowereit, wenn Sie beide auf diesen öffentlich von Renate Künast gemachten Vorschlag so reagieren, dass Sie sagen: Das brauchen wir hier in Berlin alles gar nicht. Das machen wir alles schon. Wir haben hier in Berlin kein Problem. – Ich hätte das vielleicht noch von Herrn Wowereit erwartet, aber bei Ihnen, Herr Müller, nährt sich bei mir der Verdacht, dass Sie in Vorbereitung auf die Kandidatur für den Landesvorsitz der Berliner SPD schon prophylaktisch eine gewisse Sehschwäche entwickeln.
Die heute zu wählende Staatssekretärin Ingeborg Junge-Reyer haben wir nicht vorverurteilt. Das weise ich zurück. Herr Klemm, benennen Sie diejenigen, die das getan haben, und zwar mit Namen und Adressen.