Eines nicht. Für dieses eine Bundesland trägt Herr Steffel sicher gern die Verantwortung. Das ist Bayern. – Deswegen werden wir voller Neugierde betrachten, ob es Ihnen gelingt, die Arbeitslosenquote in einem nennenswerten Umfang dadurch zurückzuführen, dass Sie die Wirtschaft in Gang bringen. Das ist der Hauptpunkt.
Aber man muss auch auf etwas anderes in diesem größeren Zusammenhang hinweisen. Es ist nicht nur die Arbeitsmarktpolitik im engeren Sinne und schon gar nicht die Bundesanstalt für Arbeit, die natürlich einen Anlass für diese Debatte geliefert hat. Nur – und damit komme ich auf den einzigen substantiellen Beitrag von Frau Grosse von der SPD-Fraktion – mit einer Sondersitzung im Landesarbeitsamt wird man die Arbeitsmarktmisere sicherlich nicht beseitigen können – weder in Berlin-Brandenburg noch bundesweit.
Denn zunächst einmal ist der größere Zusammenhang, dass wir das Problem der zu hohen Lohnnebenkosten haben, dass wir ein Arbeitsrecht haben, das nicht flexibel genug ist, und dass wir ein Tarifrecht haben, das nicht erlaubt, die Arbeitslosigkeit in dem Maße zurückzuführen, wie es wünschenswert wäre. Und weil das in der Tat ein bundespolitisches Thema wäre, das über den Anlass der Debatte oder über den Auftrag dieses Hauses weit hinausführen würde, will ich es bei diesem Hinweis belassen. Über den Rest werden wir sicher in vielerlei anderer Art von Veranstaltungen in den nächsten Monaten bis zum September Gelegenheit haben zu diskutieren.
Ich will zurückkommen auf einen Punkt, der doch wieder mit der Bundesanstalt zu tun hat. Diese kann man von Berlin aus nicht abschaffen, aber ich nennen Ihnen einige Zusammenhänge, wie wir sie sehen. Dass die privaten Vermittler nicht so erfolgreich bei der Arbeitsvermittlung gewesen sind, wie wir es uns alle wünschen würden, liegt unter anderem auch an dem jahrelangen Konstruktionsfehler, dass private Vermittler der Aufsicht und der Genehmigung ausgerechnet der Bundesanstalt für Arbeit unterliegen. [Beifall bei der FDP]
Wo gibt es das überhaupt, dass eine Institution, die gleichzeitig als Wettbewerber mit im Geschäft ist, auf der anderen Seite dafür zuständig ist, den anderen die Genehmigung dafür zu erteilen, dass sie auch an dem Markt teilnehmen dürfen? – So etwas ist ein Mitgrund dafür. Was private Vermittler – das sage ich hier auch noch einmal, weil behauptet wurde, sie hätten vielleicht nur ein Interesse an den „leichten“ Fällen – im Bereich des Arbeitsmarktes leisten können, sehen Sie zum einen in der Branche „Zeitarbeit“, die in sechsstelliger Anzahl jedes Jahr dazu in der Lage ist, Menschen aus der Arbeitslosigkeit wieder in den ersten Arbeitsmarkt zurückzuführen.
Zum anderen: Wir wollen hier keine amerikanischen Verhältnisse einführen, aber dass in Deutschland über Wisconsin diskutiert wird, ist sehr sinnvoll, weil all die Dinge, über die wir im Zusammenhang mit dem Stichwort „Fallmanagement“ mit konkreten Angeboten diskutieren, besonders erfolgreich in einigen internationalen Vergleichsländern erprobt wurden. Auch da können private Dienstleister etwas bieten, was ernsthaft zur Lösung dieses Problems beitragen kann.
Herrn Kurth sehe ich gerade nicht im Saal, aber auch auf einen Punkt von ihm muss ich reagieren. Es wurde hier mehrfach darauf hingewiesen, dass alle Parteien dieses Hauses in ihrer Bundesetage oder wo auch immer Mitverantwortung für die derzeitigen Strukturen tragen – das mag alles so sein. Es mag so sein, dass wir alle irgendwo einmal Mitverantwortung getragen haben.
Aber warum sollte uns das davon abhalten, jetzt das Notwendige zu tun, das man erkannt hat? Diese Bundesanstalt für Arbeit ist seit langen Jahren ein rot-schwarzes Kartell, in dem Milliarden Gelder verteilt werden, die in allererster Linie wiederum Arbeitsplätze in Form der viel zu hohen Arbeitslosenversicherungsbeiträge belasten. Das rückgängig zu machen, wäre schon im Sinne auch aller hier im Hause. Man könnte auf diesem Wege dazu kommen, die sakrosankt von oben herunterfallenden Kofinanzierungen, die hier immer für ABM und anderes geleistet werden müssen, die nur von der Bundesebene aus anders gestaltet werden können, zu ändern. Dafür braucht man eine radikale Umgestaltung dessen, was die Bundesanstalt für Arbeit bisher gewesen ist. – Danke schön!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mich über das Thema auf der Tagesordnung gefreut. Dass es von der FDP kam, tut auch nicht unbedingt nur Schlechtes zur Sache.
Ich war allerdings bitter enttäuscht, zumindest ob Ihres ersten Redebeitrags. Denn die Suggestion, dass die Wirtschaftssituation in Berlin und Brandenburg so schlecht sei, weil die FDP so lange nicht im Parlament war, halte ich für ein bisschen stark.
Dass Sie wieder da sind, haben Sie den Herren neben sich zu verdanken. Das war der größere Grund dafür. Machen Sie etwas daraus! [Beifall bei der SPD – Zurufe von der FDP]
Um so größer ist Ihre Chance! Aber da müssen Sie sich noch eine Runde anstrengen, denn die Argumente, die bei Ihrem ersten Redner kamen, waren doch arg dünn. Und die Arbeitsmarktpolitik hat die unangenehme Eigenschaft, dass sie nicht mal so eben schnell im Großen und Ganzen behandelt werden kann – „die privaten Vermittler werden das schon machen, und wir schaffen mal die Landesarbeitsämter ab, und dann wird das alles rollen, ihr werdet schon sehen, ihr seid nur ein bisschen zu blöd dazu“ –, so läuft es eben nicht.
Und der Vorwurf, dass die Politik auf Bundesebene in der letzten Dekade versagt hat – nun ja, wer war denn in der längsten Zeit dieser Zeitspanne mit am Ruder? – Vorsicht, meine Herren! Ich glaube, es wäre ein bisschen mehr Sachlichkeit dabei schon angebracht.
Es bleiben die eigentlichen Fragen offen, die von den anderen Rednern hier sehr wohl angesprochen wurden. Über den privaten Arbeitsvermittler streitet sich hier überhaupt niemand mehr. Vielleicht haben Sie das nicht gemerkt. Es ist völlig klar, was man in diesem Punkt weiter entwickeln kann. Die Frage, ob es ein Allheilmittel ist,
stellt sich sehr wohl. Was ist mit den Langzeitarbeitslosen, was ist insbesondere mit den Jugendlichen ohne Schulabschluss bzw. ohne Ausbildung, die einen Großteil unserer Arbeitslosen darstellen? Was ist mit den älteren Arbeitnehmern, die möglicherweise auch Anschlüsse an Qualifizierung und ähnliches verpasst haben? Was ist mit den Arbeitnehmern, die aus dem produktiven Bereich kommen, der sich einmal an unserem Standort abgebaut hat und – darüber braucht man nicht zu diskutieren – nicht wieder in der alten Größenordnung auftauchen wird? Diese Fragen haben Sie nicht beantwortet. Sie haben sie nicht einmal angesprochen. Das nehme ich Ihnen hauptsächlich übel. [Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der PDS]
Eine Bemerkung zu Herrn Kurth. Den Ruf, dass der Senat mehr Investitionen tätigen soll, was entsprechend auch die Arbeitsplätze nach sich ziehe, halte ich in der augenblicklichen Situation für etwas unredlich. Die Haushaltslage ist bekannt, und eigentlich auch, wie sie verursacht wurde. Ich glaube auch, dass die CDU nicht in ihrer gegenwärtigen „Stärke“ hier sitzen würde, wenn die Haushaltslage dadurch verursacht worden wäre, dass man zu viel Geld für Investitionen, die mittelständische Betriebe abarbeiten, in Qualifizierungsmaßnahmen und andere Dinge gesteckt hätte. Dann hätten wir die Situation hier nicht und auch keine Neuwahlen gehabt. Ich halte es für relativ unredlich, jetzt danach zu rufen, angesichts der Haushaltsmisere. Der Berliner Senat wird ganz bestimmt tun, was er kann, auch im investiven Bereich, aber eben nur das, was übrig geblieben ist.
Um zum Abschluss zu kommen: Ich hoffe, dass die Diskussion über dieses Thema in den Ausschüssen sehr viel detaillierter geführt wird, als sie hier teilweise angeklungen ist. Es gibt auch eine Chance in einer solchen Krise. Es sind sich alle darüber einig, dass die Abschaffung gefälschter Statistiken nicht dazu führt, dass die Arbeitsmarktsituation insgesamt bereinigt wird, sondern sie hängen mit den Problemen zusammen. Fassen wir es also als Chance auf, das eine oder andere zu ändern, soweit es in unseren Möglichkeiten steht. Das ist auf der Landesebene vielleicht nicht das Große, Ganze, aber ein wichtiger Teil. – Vielen Dank! [Beifall bei der SPD und der PDS]
Danke schön für die Ausführungen und die vorbildliche Einhaltung der Redezeit. – Das Wort hat für die CDU der Abgeordnete Rzepka. – Bitte schön!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die neuesten Arbeitsmarktdaten sind bereits genannt worden: 4,3 Millionen Arbeitslose in Deutschland, 290 000 Menschen arbeitslos in Berlin. Übrigens ist das in Berlin der höchste Stand seit der Wiedervereinigung. Jährlich verlassen allein aus demographischen Gründen rund 200 000 Menschen den Arbeitsmarkt. Im Oktober 1998 hatten wir 3,89 Millionen Arbeitslose. Wir dürften also unter Berücksichtigung der demographischen Entwicklung im Herbst 2002 höchstens 3,09 Millionen Arbeitslose haben. Stattdessen prognostizieren unabhängige Wirtschaftsforschungsinstitute 4,5 Millionen für den Herbst dieses Jahres. Diese Bundesregierung und die sie tragenden Parteien sind mithin verantwortlich für die Vernichtung von über 1 Million Arbeitsplätzen. Die Zahlen belegen: Trotz des Wirtschaftswachstums der Jahre 1999 und 2000 sind wir in Sachen Arbeitslosigkeit in dieser Legislaturperiode nicht einen Schritt vorangekommen.
Wer allerdings genauer hinsieht und die Zahlen analysiert, kann signifikante Unterschiede bei Arbeitsmarktentwicklung und Wirtschaftswachstum in Deutschland erkennen. In den SPDregierten Ländern liegt die Arbeitslosenquote durchschnittlich bei fast 11 %, in Berlin sogar, wie wir gehört haben, bei 17 %. In den unionsregierten Ländern sind es dagegen nicht einmal 8 %. Die 30 Arbeitsamtsbezirke mit den geringsten Arbeitslosenzahlen liegen allesamt in unionsregierten Ländern. Ähnliche Unterschiede ergeben sich, wenn man die Entwicklung beim Wirtschaftswachstum vergleicht. Statt ein Sofortprogramm für die Belebung des Arbeitsmarktes aufzulegen, werden Arbeitsmarktzahlen frisiert. So sollen Menschen über 58 Jahren beim Arbeitsamt auf die Vermittlung verzichten, damit sie aus der Arbeitslosenstatistik herausgenommen werden können. Die Fälschung von Vermittlungsstatistiken in den Arbeitsämtern wundert vor diesem Hintergrund niemanden mehr. Die Arbeitsverwaltung scheint mit milliardenschweren Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen vor allem die eigenen Arbeitsplätze zu sichern, anstatt Arbeitslose in den ersten Arbeitsmarkt zu vermitteln.
Herr Senator Gysi, wir waren enttäuscht von Ihrem Beitrag heute. Sie haben im Wesentlichen die aktuelle Situation beschrieben und die Fortsetzung der bisherigen arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen angekündigt. Das hat uns aber doch – die Zahlen belegen es – in die Sackgasse geführt. Wir hätten zumindest einen Beitrag von Ihnen erwartet zu der Diskussion über notwendige Strukturreformen für den Arbeitsmarkt.
Lassen Sie mich kurz zwei Beispiele zur Schaffung von Jobs im besonders kritischen Niedriglohnsektor nennen:
1. Da die Annahme eines schlecht bezahlten Jobs teilweise zum Verlustgeschäft für den Arbeitslosen wird, müssen die Anrechnungsregelungen bei Arbeitslosigkeit und Sozialhilfe so geändert werden, dass Anreize für Arbeitslose zur Aufnahme einer gering entlohnten Arbeit entstehen.
2. Die alte 630-Mark-Regelung ist in verbesserter Form unter Anhebung der Grenze auf 400 Euro und Abschaffung der pauschalen Sozialversicherungsbeiträge wiedereinzuführen.
Die statt der Sozialversicherungsbeiträge zu erhebende 20-prozentige Pauschalsteuer des Arbeitgebers kann der Sozialversicherung gutgeschrieben werden. Zwischen 401 Euro und 800 Euro sollten Sozialabgaben langsam steigend erhoben werden und eine 20-prozentige Belastung etwa erst bei 800 Euro erreichen. Damit würde auch ein Beitrag zur Vereinfachung der weit überbürokratisierten Regelung bei der geringfügigen Beschäftigung erreicht.
Weitere Überregulierungen des Arbeitsmarktes sind abzubauen: durch Erleichterung befristeter Arbeitsverträge, Lockerung der Beschränkungen für Zeitarbeit und Wahlmöglichkeiten beim Kündigungsschutz.
In Berlin sind seit Sommer vergangenen Jahres in Folge absoluten politischen Stillstands wertvolle Monate nutzlos vertan worden. Offensichtlich sind weder der rot-grüne noch der rot-rote Senat zu einer wirksamen Bestandspflege und zur Anwerbung
Der PDS-Landeschef hat Defizite seiner Partei im Wirtschaftsbereich festgestellt und die Präsentation von Vorschlägen angemahnt. Herr Kollege Liebich, ich stimme Ihnen in diesem Punkt völlig zu. Ihre Analyse trifft allerdings nicht nur für die PDS, sondern auch für Ihren Koalitionspartner und damit den gesamten Senat zu. Wer die bundesweit bereits höchste Grundsteuer anhebt, die Wasserpreise erhöht, die Wirtschaftsförderungsmittel kürzt, der rollt für Investoren keine roten Teppiche aus, sondern schreckt sie ab und bestätigt die Defizite der Wirtschaftspolitik. [Beifall bei der CDU]
Ja, ich komme zum Schluss. – Vorschläge für eine bessere Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik müssen nicht erst entwickelt werden, sie liegen auf dem Tisch. Handeln Sie danach in der Koalition! 290 000 Arbeitslose in Berlin warten darauf! – Danke schön!
Schönen Dank, Herr Kollege Rzepka! – Nun kommt für die PDS in zweiter Runde Herr Liebich. – Bitte schön, Sie haben das Wort!