Protocol of the Session on April 1, 2004

Ich eröffne die II. Lesung und schlage vor, die Einzelberatung der jeweiligen Artikel beziehungsweise Paragraphen der einzelnen Anträge zu verbinden. – Ich höre hierzu keinen Widerspruch.

Ich rufe auf die Überschriften und Einleitungen sowie die Artikel beziehungsweise Paragraphen der Drucksa

chen 15/1827, 15/2371 und 15/2637. Für die Beratung der Gesetzesanträge steht den Fraktionen eine Redezeit von bis zu 5 Minuten pro Fraktion zur Verfügung. – Es beginnt die Fraktion der CDU. Der Abgeordnete Henkel hat das Wort – bitte!

[Wieland (Grüne): Wieder Herr Henkel!]

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Wieland, das kann ich Ihnen nicht ersparen! Das ist eben so! Ich denke, Sie reden zu diesem Thema nachher auch noch, so dass wir wenigstens an dieser Stelle etwas gemeinsam haben.

Die heute zur Abstimmung stehenden Beschlussempfehlungen von der Ausweitung der Möglichkeiten zur Videoüberwachung über die Abschaffung der Schleierfahndung, die Eingrenzung der Rasterfahndung bis hin zur Änderung des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes wurden allesamt relativ ausführlich im Innenausschuss beraten. Das Ergebnis – dies wird Sie nicht wundern – entspricht nach unserer Überzeugung nicht den sicherheitspolitischen Erfordernissen, um den aktuellen Herausforderungen, angefangen bei der alltäglichen Kriminalität über die organisierte Kriminalität bis hin zur terroristischen Bedrohung, gerecht zu werden.

[Beifall bei der CDU]

Auch wenn es die Linke in diesem Haus einschließlich der FDP nicht mehr hören will:

[Heiterkeit bei der FDP und den Grünen]

Ich möchte nichts unversucht lassen, Sie dennoch von der Richtigkeit unserer Argumente zu überzeugen, nach dem Motto: Steter Tropfen höhlt den Stein.

[Ritzmann (FDP): Wir sind die Mitte, Herr Henkel!]

Vielleicht ist bei Ihnen, Herr Kollege Ritzmann, noch nicht Hopfen und Malz verloren.

Die Einführung der Videoüberwachung gefährlicher Orte gehört seit langem zu einer der Hauptforderungen der Union. Hierbei geht es um die Überwachung öffentlichen Straßenlandes an Kriminalitätsschwerpunkten, nicht mehr und nicht weniger. Die von der Koalition durchgesetzte Regelung hat damit allerdings nichts zu tun, weil sie weiterhin lediglich eine Überwachung so genannter gefährdeter Objekte vorsieht. Und dies, obwohl die Berliner Polizei mittlerweile nahezu die einzige Hauptstadtpolizei Westeuropas ist, die keine Videokameras zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung einsetzt.

Dass Sozialdemokraten und Grüne nach wie vor an dieser Position festhalten, ist mir deshalb unbegreiflich, weil ihre Parteifreunde in Brandenburg und NordrheinWestfalen nicht die geringsten Probleme mit diesen Kameras haben. Denn nicht nur in München, Stuttgart und Leipzig, sondern – man höre und staune – auch im nordrhein-westfälischen Bielefeld und im brandenburgischen Potsdam ist die Videoüberwachung längst Praxis. Die Erfolge – auch wenn Sie es hundertmal bestreiten – in den

Bereichen Taschendiebstahl, Straßenraub und Kfz-Diebstahl sind deutlich sichtbar, weil in den entsprechenden Städten ein signifikanter Rückgang dieser Delikte zu verzeichnen ist.

Insofern bleiben wir dabei: Videoüberwachung ist für uns ein unverzichtbares Mittel moderner Verbrechensbekämpfung.

[Beifall bei der CDU – Ritzmann (FDP): Der Profilierung!]

Das hat mit Profilierung, Herr Kollege Ritzmann, nichts zu tun. – Wir sehen uns hierin nämlich in weitest gehender Übereinstimmung mit den Berlinerinnen und Berlinern, die offensichtlich ein erheblich stärkeres Realitätsbewusstsein besitzen als erstens dieser rot-rote Senat und zweitens die anderen hier vertretenen Oppositionsparteien, denn nach einer kürzlich erhobenen Forsa-Umfrage sprachen sich 67 % der Befragten für die Videoüberwachung aus.

[Ritzmann (FDP): Bundesweit nur 33 %!]

Bei der Diskussion um die Abschaffung der Schleierfahndung erleben wir im Augenblick „verkehrte Welt“. Während sich Bundesinnenminister Schily – SPD – angesichts der terroristischen Bedrohung für eine Ausweitung der Schleierfahndung ausspricht, sind der Berliner Innensenator und sein Polizeipräsident der Ansicht, man könne getrost auf dieses Instrument verzichten.

[Ritzmann (FDP): Recht haben sie!]

Meine Fraktion sieht dies anders und bedauert die Einschätzung der Polizeiführung in diesem Punkt.

[Beifall bei der CDU]

Für uns ist die Regelung des § 18 Abs. 7 ASOG nach wie vor ein geeigneter Weg zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung. Wir finden, dass es richtig war, der Polizei die Möglichkeit einzuräumen, im sog. öffentlichen Verkehrsraum angetroffene Personen anzuhalten, sie zu befragen, sich die Ausweispapiere zeigen zu lassen und gegebenenfalls noch die mitgeführten Sachen in Augenschein zu nehmen, beispielsweise die im Kofferraum. – Dies geschah alles nicht etwa auf Grund polizeilicher Willkür, sondern auf der Grundlage rechtsstaatlicher Verfahren.

Auch wenn mir bewusst ist, dass die Rechtslage in diesem Zusammenhang in Deutschland höchst unterschiedlich geregelt ist, muss man zur Kenntnis nehmen, dass die Schleierfahndung in Bundesländern wie Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen oder Thüringen erfolgreich eingesetzt wird, ohne dass man in diesen Ländern von einer schleichenden Erosion des Rechtsstaats oder vom Schreckgespenst eines Fahndungsgroßraums sprechen kann. Das Gegenteil ist der Fall: Die Erfolge haben zu einer großen Akzeptanz bei der Bevölkerung geführt.

Auch hier stellt sich die Frage, warum Berlin einmal mehr einen Sonderweg in Sachen innere Sicherheit beschreitet. Statt die alte Regelung abzuschaffen, hätte die

ser Senat eher über eine Erweiterung der Möglichkeiten der Schleierfahndung nachdenken sollen.

Im Kern trifft das eben Gesagte auch auf die Rasterfahndung zu. Für uns ist sie ebenfalls ein geeignetes Mittel zur Kriminalitätsbekämpfung. Allen Bedenken, die in der Begründung des Antrags geäußert werden, wurden unseres Erachtens vom Gesetzgeber Rechnung getragen.

Das Argument der Einengung bürgerlicher Freiheiten durch den sog. Überwachungsstaat ist so unsinnig wie es alt ist.

[Beifall bei der CDU]

Es ist deshalb unsinnig, weil Freiheit nur in Sicherheit einen Nutzen hat. Diese Freiheit ist eben nicht durch einen wie auch immer gearteten Kompetenzvorsprung der Sicherheitsbehörden bedroht, sondern durch die Feinde des Rechtsstaats.

[Beifall bei der CDU]

U. a. deshalb muss die Bekämpfung von schweren Straftaten durch den Einsatz modernster Fahndungsmethoden ermöglicht werden. Das, was die Koalition hier als Änderungsantrag zum ASOG vorlegt, ist zwar schon besser als ihr erster Entwurf und insofern ein erster zaghafter Schritt in die richtige Richtung – insbesondere, wenn man sich die Änderungen des § 17 Abs. 3 ansieht, die erst durch unseren Anstoß zu Stande kamen –, aber das ist längst nicht hinreichend.

Das können wir jetzt nicht mehr besprechen, denn Sie haben Ihre Zeit schon weit überschritten. – Ich bitte Sie, zum Schluss zu kommen!

Ein Satz noch, Frau Präsidentin! – Warum dieser Senat beispielsweise Korruption nicht präventiv bekämpfen will, verstehen wir nicht – ich nicht. Wir halten das, was die Koalition hier vorlegt, für eine verpasste Chance. Die Koalition hat mit den Änderungen des ASOG, die sie vorgenommen hat, die Chance verpasst, eine effektive Grundlage zur Verbrechensbekämpfung für die Berliner Polizei zu schaffen. Wir werden daher den Vorlagen nicht zustimmen. – Herzlichen Dank Ihnen! Herzlichen Dank, Frau Präsidentin, dass Sie mir noch etwas Zeit eingeräumt haben!

[Beifall bei der CDU]

Bitte schön! – Für die SPD-Fraktion hat jetzt der Abgeordnete Dr. Felgentreu das Wort. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir behandeln heute insgesamt vier Anträge. Zwei sind von der CDU, zwei von den Grünen. Es handelt sich um eine recht komplexe Gemengelage, weil sich aus diesen vier Anträgen ganz unterschiedliche Zielrichtungen ablesen lassen. Das verbindende Element dieser vier Anträge ist der Bezug auf das ASOG, das Allgemeine Sicherheits- und Ordnungsgesetz. Die vier Themen sind: die Ausweitung der Videoüberwachung, die

Streichung des Straftatenkatalogs bei Straftaten von besonderer Bedeutung,

[Ritzmann (FDP): Lesen Sie uns jetzt die Tagesordnung vor?]

die Präzisierung der Rasterfahndung und schließlich die Abschaffung der Schleierfahndung. Man könnte über jeden dieser Punkte lange diskutieren. Ich werde versuchen, mich auf das Wesentliche zu beschränken.

Zum ersten Thema, zur Videoüberwachung, kann ich es am kürzesten machen: Wir sind als Koalition der festen Überzeugung, dass dieses Thema für diese Legislaturperiode ausdiskutiert ist. Wir ändern daran nichts mehr. Wir wollen besonders gefährdete Objekte in der Stadt überwachen. Wir wollen sie vor Vandalismus und vor Sachbeschädigung schützen. Darüber hinaus wollen wir keine flächendeckende Videoüberwachung in dieser Stadt zulassen.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Im Gegensatz zur CDU sind wir nicht der Auffassung, dass die Verdrängung von Kriminalität automatisch mehr Sicherheit bedeutet und es gerechtfertigt wäre, dafür die Bürgerrechte einzuschränken.

Zum zweiten Thema, den Straftaten von erheblicher Bedeutung: Das ASOG bildet die Rechtsgrundlage für präventive Observationsmaßnahmen und für die Datenerhebung bei Straftaten von erheblicher Bedeutung. Mit anderen Worten geht es hier um einen Grundrechtseingriff, der verhältnismäßig und begründet sein muss. Dieses Erfordernis begründet wiederum, dass wir die Straftaten von erheblicher Bedeutung definieren müssen. Wir haben über die Einführung des Straftatenkatalogs nach § 100 a StPO angefangen, das zu tun. Wir haben festgestellt, dass das zu eng ist. Die CDU will eine Generalklausel. Die ist uns zu beliebig, weil sie jedweden Eingriff rechtfertigen würde. Wir nehmen deshalb in den Straftatenkatalog Straftaten mit besonders schwerwiegenden Folgen für die Opfer auf: Dazu gehören Körperverletzungsdelikte, wie sie vor allem in der Hooliganszene und im Türstehermilieu vorkommen, Bandenkriminalität, Delikte des Menschenhandels und Delikte des sexuellen Missbrauchs von Kindern. Wir halten all dies für sinnvoll, um präventive Observationsmaßnahmen zu ermöglichen.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Zum dritten Thema, der Rasterfahndung: Sie wurde nach dem 11. September in Berlin zu ersten Mal durchgeführt. Damals gab es im Verlauf der Rasterfahndung kleinere Verfahrensfehler, insbesondere im Genehmigungsbereich.

[Wieland (Grüne): Schwerwiegende Mängel!]

Herr Wieland ist da anderer Auffassung, aber das wird er Ihnen gleich noch begründen. – Wir haben diese kleineren Mängel evaluiert und kommen im Ergebnis zu bestimmten Präzisierungserfordernissen. Wir präzisieren, dass Gefahr im Verzug bei der Rasterfahndung eigentlich nicht möglich ist, weil das Genehmigungsverfahren im

mer einen gewissen Zeitraum in Anspruch nimmt. Wir verlangen deshalb in jedem Fall die richterliche Anordnung. Wir wollen die frühzeitige Einbeziehung des Datenschutzbeauftragten, der gegebenenfalls ein Auge darauf haben kann, dass alle Verfahrenserfordernisse erfüllt werden. Und wir wollen regeln, dass Daten, die nicht mehr benötigt werden, sofort gelöscht werden, und zwar nicht nur in Berlin, sondern auch bei den Behörden, denen wir diese Daten übermittelt haben. Wir denken, dass damit den Ergebnissen Rechnung getragen wurde, die die Evaluierung der ersten Rasterfahndung in Berlin ergeben hat. Das Instrument als solches halten wir weiterhin für sinnvoll und behalten uns vor, es bei gegebener Lage auch wieder anzuwenden.

Das letzte Thema ist die Schleierfahndung. Sie wurde in Bayern erfunden und soll dazu dienen, verdachtsunabhängig bzw. lagebildabhängig im grenznahen Bereich Kontrollen durchzuführen, um die grenzüberschreitende Kriminalität zu bekämpfen. Die Anschläge am 11. März in Spanien, Herr Henkel, sind keine Rechtfertigung für beliebige sicherheitspolitische Forderungen.