Protocol of the Session on March 17, 2004

Und noch eines: Eigentlich sind wir uns alle einig, dass wir mehr Kinder in Pflegefamilien und weniger in Heimen unterbringen wollen. Mit der aktuellen Verunsicherung, die Sie bei den Pflegeeltern streuen, wird das aber nichts, Herr Böger.

[Sen Böger: Sie machen das – ich nicht!]

Viele werden es sich nun überlegen, ob sie ein Pflegekind aufnehmen wollen, und das ist genau das Gegenteil von dem, was wir alle wollen.

Unter diesem Spardruck schaffen es die Bezirke leider auch nicht, mehr Kinder in Pflegefamilien zu bringen, obwohl das unser erklärter politischer Wille ist. Hier wieder die Zahlen, die dies belegen: Es gibt zwar immerhin 300 mehr Unterbringungen in Pflegefamilien, zeitgleich wurden aber 1 400 Heimunterbringungen abgebrochen und sogar 2 000 ambulante Hilfen weniger gewährt. Das ist kein Umsteuern – das kann ich nur noch einmal betonen.

Wir wollen die Strukturreformen in den Hilfen zur Erziehung. Allerdings muss aus fachlichen Gründen und nicht aus reiner finanzieller Not umgesteuert werden. Die Jugendhilfe muss sozialraumorientiert Hilfe gewähren und dabei auf Hilfe zur Selbsthilfe setzen. Das ist unser zweiter Grundsatz der Strukturreform. Die strikte Trennung der unterschiedlichen Hilfearten in Berlin, die keine Durchlässigkeit erlaubt, muss zu Gunsten individueller Hilfen im Sozialraum aufgebrochen werden. Präventive Angebote wie Jugendclubs müssen gestärkt und nicht gestrichen werden

Die Starrheit der Jugendhilfe ist zu Recht in die Kritik geraten. Entlang der Paragraphen des Kinder- und Jugendhilfegesetzes haben sich sehr spezialisierte und standardisierte Hilfeangebote entwickelt. Heute kam ich mir schon beinahe vor wie im Verwaltungsreformausschuss – mit Standardüberprüfungen und Standardsetzungen etc. Das ist die Jugendhilfe in Berlin: Sie ist bürokratisch, und sie ist schwerfällig. Jugendhilfe ist sortiert nach Paragraphen, nach Buchstaben, nach Abteilungen oder Hilfearten. Die Jugendämter sind in ihrer Struktur sehr kleinteilig organisiert, und Durchlässigkeit oder ein Miteinanderreden ist nicht möglich.

Aber diese hoch gelobte Spezialisierung hat es leider auch nicht geschafft, problematische Lebensläufe zu vermeiden. Das ist am Anstieg sowohl der Fallzahlen als auch der Ausgaben für Jugendhilfe deutlich abzulesen. Nicht nur sind diese verschriebenen, standardisierten Hilfeangebote häufig für den Einzelnen unpassend, sie

führen zusätzlich auch noch zu ungewollten Maßnahmekarrieren: Wenn die eine Hilfe nicht passt, schließt sich die zweite an, die leider auch nicht individuell angepasst ist.

[Beifall bei den Grünen]

Unter dem Konsolidierungsdruck droht ein Abbau der Jugendhilfe, denn es gibt keine politische Linie. Es gibt keine Unterstützung der Bezirke in ihrem Bemühen. Es gibt eine Steuerungsrunde, was überhaupt nicht ausreichend ist, Herr Böger.

Eine Menge Fragen haben Sie heute auch nicht wirklich beantworten können. Die Frage, wie Sie feststellen wollen, dass die individuellen Rechtsansprüche tatsächlich gewährt werden. – Einfach darauf zu verweisen, dass dies im Gesetz stehe und deswegen auch passiere, reicht mir an dieser Stelle nicht aus. Nach welchen Vorgaben sollen die Bezirke umsteuern? Und wollen Sie tatsächlich, dass jeder Bezirk das Rad der Sozialraumorientierung für sich neu erfindet? Wie wollen Sie bestimmte Bereiche, die Sie politisch wichtig finden wie etwa die einzelnen Mädchenprojekte, schützen? – Da braucht es einer politischen Steuerung und politischer Vorgaben ihrerseits. Davon hört man aber nichts. Sie richten lieber wieder eine Arbeitsgruppe ein.

Hinsichtlich der Trägerstruktur bräuchten die Bezirke ebenfalls Vorgaben. Sie müssten sich endlich dazu äußern, ob Sie die großen Träger oder die Vielfalt der kleinen Träger, die spezialisierte Angebote machen, bevorzu

Berlin hat nämlich schon auf einen Teil dieser Bundesmittel verzichtet. Allein für das Sonderprogramm für ältere Langzeitarbeitslose standen im Jahr 2003

4,419 Millionen € zur Verfügung, und dieses Geld wurde nicht einmal ansatzweise ausgeschöpft. Bei 114 000 Langzeitarbeitslosen in dieser Stadt ist das ein Skandal. Auch der Anspruch für das laufende Jahr 2004, nämlich 1 400 in Beschäftigung zu bringen, bleibt weit unter Niveau und ist kein anspruchsvolles Ziel!

Es gab eine Schwierigkeit bei der Kumulierung mit ESF-Mitteln. Diese Schwierigkeit ist seit Anfang Dezember letzten Jahres ausgeräumt. Deshalb ist es absolut nicht akzeptabel und hinnehmbar, wenn – das habe ich heute bei der Bundesagentur für Arbeit, Regionaldirektion Berlin-Brandenburg, erfragt – Berlin dieses Sonderprogramm für ältere Langzeitarbeitslose mit nur sagenhaften 32 Personen, davon 14 Frauen, ausschöpft. Berlin ist somit das absolute Schlusslicht im bundesweiten Vergleich. Das ist absolut nicht akzeptabel.

Ich kann keineswegs verstehen, wie Sie auf der einen Seite darüber reden, dass dieses Land kein Geld hat und sich über die Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung beklagen, auf der anderen Seite dann aber die Chuzpe haben, die zur Verfügung stehenden Mittel nicht auszuschöpfen. Darüber hinaus erlauben Sie sich dann noch, über diesen Sachverhalt nicht einmal zu reden, den Antrag schlichtweg abzulehnen und zu sagen, darüber wollen wir nicht sprechen, das interessiert uns nicht. Deswegen glaube ich, dass es legitim ist, das an dieser Stelle erneut zu thematisieren.

gen. Sie können die Bezirke nicht allein auf den Weg schicken.

Wenn ich die Hoffnung, dass es eine gelungene sozialräumliche Umstrukturierung in Berlin geben wird, auch nicht aufgebe, liegt es vor allem daran, dass in den Bezirken ein deutlicher Wille zu erkennen ist, umzustrukturieren, sozialräumlich umzusteuern, aber es liegt leider keineswegs daran, dass Sie sie dabei unterstützen, Herr Böger.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Danke schön, Frau Pop! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Große Anfrage ist damit begründet, beantwortet und besprochen worden.

Die lfd. Nrn. 19 bis 21 sind bereits durch die Konsensliste erledigt.

Lfd. Nr. 22:

Beschlussempfehlungen

Mehr Menschen in Arbeit und Beschäftigung – Sonderprogramme des Bundes für Langzeitarbeitslose nutzen!

Beschlussempfehlungen ArbBFrau und Haupt Drs 15/2579 Antrag der Grünen Drs 15/2323

Für die Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu 5 Minuten maximal zur Verfügung. Es beginnt die antragstellende Fraktion der Grünen, und zwar mit Frau Dr. Klotz. – Frau Dr. Klotz, Sie haben das Wort – bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was ist das Anliegen des Antrags, der von Rot-Rot im Ausschuss so nebenbei abgelehnt wurde? – Das Anliegen ist es, mehr Menschen in Arbeit und Beschäftigung zu bringen, und zwar über zwei Sonderprogramme des Bundes.

Die Bundesregierung hat zwei Sonderprogramme aufgelegt, eines zur Beschäftigung von jungen Arbeitslosen bis 25 Jahren und eines zur Beschäftigung von so genannten älteren Langzeitarbeitslosen. Man kann jetzt über den Sinn oder Unsinn dieser Beschäftigungsprogramme unterschiedlicher Ansicht sein, aber eines ist wohl unstrittig: Dass Berlin jeden zusätzlich zur Verfügung stehenden Euro, jede Möglichkeit, Menschen vernünftig zu qualifizieren und zu beschäftigen, nutzen muss und es sich nicht leisten kann, auf dieses Geld zu verzichten. Deswegen ist es auch legitim, heute noch einmal über die Ablehnung unseres Antrags zu reden.

[Beifall bei den Grünen]

[Beifall bei den Grünen]

Besonders knackig fand ich die Begründung, mit der RotRot gesagt hat, darüber reden wir nicht. Da sagt die zuständige Staatssekretärin Frau Ahlers genau wie Frau Freundl von der PDS: „Dafür sind wir in diesem Ausschuss überhaupt nicht zuständig.“ – Das finde ich, ehrlich gesagt, den Knaller. Denn Sie sind es gewesen, die die Verantwortlichkeit von Arbeit und Soziales wieder getrennt haben, die die zusammengeführte Verwaltung auseinander gerissen haben. Und dann stellen Sie sich in einem Ausschuss, der „Ausschuss für Arbeit, Berufliche Bildung und Frauen“ heißt, hin und sagen: „Dafür sind wir überhaupt nicht zuständig.“ – Ich muss sagen, das haben Sie sehr gut gelernt, das kenne ich aus Zeiten der großen Koalition, das ist eine Überheblichkeit und eine Arroganz, die ich inakzeptabel finde.

Ich finde auch, Sie können sagen: Wir sind anderer Ansicht. Wir wollen dieses Sonderprogramm nicht ausschöpfen. Wir wollen auf dieses Geld verzichten. Wir finden die Konditionen schlecht. – Das können Sie alles machen, aber was ich wirklich nicht in Ordnung finde, ist, eine politische Entscheidung, ob man das will oder ob man das nicht will, eine solche politische Entscheidung einfach zu verweigern. Deswegen kann ich nur erneut sagen: Ich finde, Sie sollten Ihre Haltung dazu revidieren und eine politische Entscheidung dieses Abgeordnetenhauses, die lautet, dass wir die zusätzlich zur Verfügung stehenden Mittel zur Beschäftigung und Qualifizierung von Langzeitarbeitslosen in Berlin ausschöpfen wollen, und eine Entscheidung, die zudem überfällig ist, unter

Wir reden über zwei Problemgruppen des Arbeitsmarktes ganz im Allgemeinen und in Berlin im Besonderen. Da sollte man sich das schon ein wenig schwerer machen, Frau Grosse. Sich hinzustellen und zu sagen: Ich will das, was im Antrag steht, deswegen brauche ich ihn nicht, deshalb lehne ich ihn ab. – das geht wirklich nicht.

Dieser Antrag ist nicht die Revolution in der Arbeitsmarktpolitik, der Antrag befasst sich noch nicht einmal damit, ob die Programme, um die es geht, in der Ausgestaltung an Sinnhaltigkeit vielleicht verbessert werden könnten. Darum geht es nicht. Es geht nur darum, ob die Programme, die der Bund verabschiedet hat, die Mittel, die für Berlin zur Verfügung stehen könnten, ob diese zügig und umfassend ausgenutzt werden. Es ist der Appell, dass wir dieses tun: vorhandene Mittel ausschöpfen.

Wir wissen ganz genau, dass Berlin allen Grund hat, sich bei Bundesmitteln mit dieser Frage zu befassen, ob denn die Mittel nicht nur theoretisch zur Verfügung stehen, sondern praktisch zum Einsatz kommen. Das wissen wir ganz genau. Die Diskussion im Ausschuss hat immerhin erbracht, dass das für Jahr 2003 nicht gelungen ist. Der zuständige Abteilungsleiter hat für ein Programm, nämlich die Langzeitarbeitslosen, für das Jahr 2004 gleich angekündigt, dass das ausgesprochen schwer wird.

stützen. Sie können sich das jetzt ja noch einmal anders überlegen.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Danke schön, Frau Dr.Klotz! – Für die Fraktion der SPD hat nunmehr das Wort Frau Grosse. – Bitte schön, Frau Grosse!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegin Klotz! Wir können über alles reden und reden ja auch über alles. Ich kann Ihr Anliegen schon verstehen. Hat doch Rot-Grün diese Bundesprogramme auf den Weg gebracht, und nun sind Sie der Meinung, Rot-Rot schafft es nicht.

[Frau Dr. Klotz (Grüne): Es sieht ja wohl auch so aus!]

Das ist Ihr Anliegen, das Sie noch einmal klar und deutlich machen. Es tut mir leid, dass Sie auf Landesebene nicht in der Regierung sind, Frau Klotz. Dann hätten wir heute wahrscheinlich nicht erneut darüber geredet.

[Zurufe von den Grünen und der PDS]

Wie Sie aber wissen, liebe Kollegin Klotz, hat es bei der Umsetzung dieses Programms für Langzeitarbeitslose Schwierigkeiten gegeben, weil das Programm mit ESFMitteln finanziert ist. Sie wissen ganz genau, dass wir im Haushalt keine freien Mittel mehr zur Verfügung hatten. Daraufhin ist das auch geändert worden. Am 5. Dezember hat die Bundesregierung das nur noch für die Arbeitslosenhilfebezieher lediglich auf ESF-Kofinanzierung abgeändert. Somit können wir bei Sozialhilfeempfängerinnen auch mit ESF-Mitteln kofinanzieren, das wissen Sie genau. Von 34 Fällen ist mir nichts bekannt.

[Frau Dr. Klotz (Grüne): 32 Fälle nach heutigem Stand!]

Von 32 Fällen ist mir nichts bekannt, dann haben Sie eine andere Auskunft. Ich weiß von 292 Fällen, die 2003 gefördert wurden. – Es ist unser politischer Wille, dieses Bundesprogramm in Berlin auszuschöpfen. Das ist der politische Wille der rot-roten Koalition, und dazu brauchen wir Ihren Antrag nicht. Deswegen werden wir ihm nicht zustimmen.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Danke schön, Frau Kollegin Grosse! – Für die Fraktion der CDU hat nunmehr Herr Kurth das Wort. – Bitte schön, Herr Kurth!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Erste, was wir gemeinsam im Hauptausschuss gelernt haben, war ja, dass der Ausschuss für zwei Problemgruppen des Arbeitsmarktes nicht zuständig sein soll, dass dieses bei der Sozialverwaltung liege. Die Zuständigkeitsverteilung des Senats für diese zwei Problemgruppen drückt sich in der gegenwärtigen Präsenz so aus, dass nunmehr überhaupt keiner mehr da ist.

[Beifall bei der CDU, der FDP und den Grünen]