Protocol of the Session on March 4, 2004

Dr. Lindn Bm Wolf er

Wir haben im laufenden Berufsberatungsjahr 7 % weniger betriebliche Ausbildungsplätze bundesweit. Das sind 23 000 weniger. Wir haben in Berlin bei der Zahl der neubegründeten Ausbildungsplätze das vierte Jahr in Folge einen Rückgang zu verzeichnen. Wir haben Ende

Januar aktuelle Zahlen vorliegen: Es gibt einen Rückgang der betrieblichen Ausbildungsplätze um 280. Das entspricht 4,1 %. Wir werden nach allen jetzt vorliegenden Prognosen für das nächste Ausbildungsjahr 300 zusätzliche Ausbildungsplätze mehr gegenüber dem Vorjahr brauchen, um das Ziel zu erreichen, dass jeder Jugendliche einen Ausbildungsplatz zur Verfügung gestellt bekommt.

Damit sind die Aufgabe und die Herausforderung klar. Es gibt einen dringenden Handlungsbedarf. Es bedarf erheblicher Anstrengungen aller Akteure, um mehr betriebliche Ausbildungsplätze zu schaffen und um die Ausbildungsplatzlücke zu schließen. Das ist eine zentrale Aufgabe. Jeder Jugendliche, der den Einstieg in das Berufsleben nicht schafft oder bei dem dieser Einstieg mit einem Scheitern verbunden ist, ist für den weiteren Lebensweg gezeichnet. Insofern halte ich das für eine zentrale sozialpolitische, gesellschaftspolitische und wirtschaftspolitische Aufgabenstellung.

Ich will an dieser Stelle auch klar sagen, dass wir in der Diskussion und im gemeinsamen Agieren der Akteure in der Sonderkommission Ausbildungsplätze erhebliche Anstrengungen unternommen haben. Peter Kurth hat zitiert, dass es im letzten Jahr gelungen ist, im IHKBereich eine Steigerung der betrieblichen Ausbildungsplätze um 6 % zu erreichen. Das ist nach meinem Überblick der einzige IHK-Bezirk bundesweit, der eine solche Steigerung erzielt hat. Das muss auch gewürdigt werden.

deutet, steuerliche und betriebliche Rahmenbedingungen, Kündigungsschutz und Ähnliches in die Richtung zu entwickeln, dass es den Unternehmen möglich ist, auszubilden und vor allem anschließend die Ausgebildeten zu beschäftigen. Es ist schließlich niemandem damit gedient, dass zunächst ausgebildet wird und anschließend freigestellt. Das können Sie mit keiner Abgabe der Welt korrigieren. Ich würde mich freuen, wenn Sie darauf einen Gedanken verwendeten. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der FDP]

Vielen Dank, Herr Kollege Lindner! – Frau Kollegin Pop wird jetzt die Fragen klären, sie naht dem Pult – bitte schön!

Herr Lindner! Ich denke gern im Gegensatz zu Ihnen. Wenn Sie das weiterdenken, was Sie hier skizziert haben, dass man gut ausbildet, wenn die Konjunktur gut läuft, qualifiziert und vermutlich auch die Leute zur Schule schickt, bedeutet das im Umkehrschluss, dass wir bei schlechter Konjunktur, wie wir sie zurzeit haben, an den Schulen und der Ausbildung überall kürzen, um dieses von der Konjunkturlage abhängig zu machen. Das halte ich für ein verdammt schlechtes Modell, Herr Lindner!

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der PDS – Dr. Lindner (FDP): Aber die können die Abgabe nicht bezahlen!]

Gerade in den Phasen konjunktureller Schwäche müssen wir mit Bildung und Qualifizierung auf die besseren Phasen vorbereiten und diese sogar initiieren.

[Dr. Lindner (FDP): Wer soll das in der Konjunktur- schwäche bezahlen?]

Deshalb sehe ich die Logik Ihrer Argumentation überhaupt nicht!

Danke schön, Frau Kollegin Pop! – Nun kommt die Runde des Senats. Das Wort hat der Senator Wolf. – Bitte schön. – Es gibt eine zweite Runde, in der offene Fragen angesprochen werden können. – Bitte schön, Herr Senator!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schaffung von Ausbildungsplätzen für junge Menschen, zu erreichen, dass wir jedem Jugendlichen einen Ausbildungsplatz anbieten können, der es will, das ist ein Konsens, der zwischen der Wirtschaft, Gewerkschaften und Politik besteht. Wenn wir uns aber gleichzeitig die Realität hinter diesem Konsens ansehen, stellen wir fest, dass die Entwicklung auf dem Ausbildungsstellenmarkt in den letzten Jahren immer schwieriger geworden ist, um nicht zu sagen: dramatisch.

[Beifall bei der PDS und der SPD – Frau Senftleben (FDP): Warum muss sich dann Berlin für eine Ausbildungsplatzabgabe einsetzen? – Wir kommen auch gleich zu diesem von der FDP so geliebten Thema. Ich werde auch gleich einige Ausfüh- rungen zum Thema Verstaatlichung der Berufsausbildung machen. Diese Anstrengungen, die von den Sozialpart- nern und der Politik im letzten Jahr unternommen worden sind, deren Leistungen beispielhaft sind, haben aber leider nicht ausgereicht, um das notwendige Kontingent an Ausbildungsplätzen im Land Berlin bereitzustellen. Das Land musste hier in erheblichem Umfang bei der Finan- zierung zusätzlicher Ausbildungsplätze einspringen. Wir geben auch in diesem Jahr – wie schon im vergangenen Jahr – 55 Millionen € für die Finanzierung zusätzlicher nichtbetrieblicher Ausbildungsplätze im Programm MDQM für das Bund-Länder-Sonderprogramm aus. Meine Damen und Herren von der FDP! Ich wundere mich ganz erheblich. Man soll sich ja gelegentlich in die Gedankenwelt des politischen Konkurrenten hineinverset- zen. Wenn ich nun versuche, mich in die Gedankenwelt eines Liberalen hineinzuversetzen, erwarte ich, dass Sie gegen die Verstaatlichung dieser Berufsausbildung rebel- lieren. Dass wir 55 Millionen € staatliche Steuergelder in die Finanzierung geben, ist doch ein ordnungspolitischer Sündenfall par excellence, den Sie eigentlich aufgreifen müssten! [Frau Senftleben (FDP): Richtig!]

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Die Voraussetzung dafür, dass wir an dieser einzelbetrieblichen Ausbildung festhalten können, was auch heißt, an der einzelbetrieblichen Finanzierung festhalten zu können, heißt aber auch, dass die Wirtschaft die entsprechenden Ausbildungsleistung erbringen muss. Hier stimme ich Frau Pop zu: Es kann nicht sein, dass die Zu

kunftsperspektive der jungen Menschen von konjunkturellen Schwankungen abhängt. Dahinter steht auch die Frage, welche Qualität der Standort Deutschland und welche Qualität der Standort Berlin hat, die wesentlich davon abhängt, wie die Arbeitskräfte qualifiziert werden. Es ist eine Investition in die Zukunft. Diese Ausbildungsleistung und diese Qualifizierungs-leistung muss unabhängig von der konjunkturellen Lage gewährleistet werden!

Ich bin auch zu dem von Herrn Kurth Angesprochenen der Meinung, dass es keine Lösung ist, wenn wir einerseits feststellen, in welcher schwierigen Situation wir sind, andererseits aber sagen, dass wir die Ausbildungsplatzabgabe fordern und dann sagen, dass damit alle Probleme gelöst sind. Nein! Wir werden auch in das Detail der Probleme gehen müssen. Wir tun es auch gemeinsam mit der Industrie- und Handelskammer, mit der Handwerkskammer, mit den Unternehmen, mit der Bundesagentur für Arbeit und der Regionaldirektion hier in Berlin und mit den Gewerkschaften.

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Wir werden morgen in der Sonderkommission Ausbildungsplätze über einen Berliner Ausbildungskonsens diskutieren, bei dem wir unter anderem versuchen, an dem Problem anzusetzen, dass wir zurzeit die Realität haben, dass wir beispielsweise Jugendliche mit Realschulabschluss in MDQM-Maßnahmen haben, die eigentlich für Jugendliche gedacht sind, die eine schlechte Ausbildungseignung, einen abgebrochenen Schulabschluss oder einfachen Hauptschulabschluss haben und bei denen die Qualifizierung und eine Ausbildungsfähigkeit teilweise erst hergestellt werden muss. Dort gibt es eine Fehlallokation von Ressourcen. Peter Kurth hat auch richtig angesprochen, dass es eine relativ hohe Abbrecherquote gibt.

Sie müssten sich auch einmal die Frage stellen, welche Wettbewerbsverzerrung das darstellt, wenn über Steuermittel Jugendliche einen Ausbildungsplatz finanziert erhalten und Unternehmen im Rahmen ihrer dualen Ausbildung ihrer Verpflichtung nachkommen und selbst ausbilden, während sich andere Unternehmen der Qualifikation, die durch staatliche Maßnahmen geschaffen worden ist, unentgeltlich bedienen. Das ist doch eine eklatante Wettbewerbsverzerrung. Da muss man als Liberaler doch einmal dagegen argumentieren!

[Beifall bei der PDS, der SPD und den Grünen]

Deshalb haben wir faktisch eine Umlagenfinanzierung.

Herr Senator! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Lindner?

Aber gern!

Danke schön!

Herr Senator! Können Sie mir vielleicht erklären, warum es zumindest im Westteil dieses Landes jahrzehntelang funktioniert hat und so ausgebildet wurde, dass auch der Bedarf gedeckt wurde und warum Sie nun glauben, dass eine Ausbildungsplatzabgabe, die es nie gab, diesen Zustand nun herstellen kann, was jahrzehntelang ohne eine solche Abgabe lief?

[Liebich (PDS): Es hat nicht funktioniert! Sie kennen nicht einmal die Geschichte von Westdeutschland!]

Herr Lindner! Ich möchte Ihnen ganz kurz darauf antworten! Es gibt vieles, was in dieser Republik jahrzehntelang funktioniert hat und nun nicht mehr funktioniert und was wir nun ändern müssen.

[Beifall bei der PDS und der SPD – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Das duale System hat sich in der Bundesrepublik durchaus bewährt. Duales System heißt aber, dass die Ausbildung betrieblich stattfindet, dass sie eine betriebliche Aufgabe ist und dass sie auch betrieblich finanziert wird. Ich habe mehrfach in der Diskussion erklärt, dass ich daran interessiert bin, an einem System dualer Ausbildung festzuhalten, weil ich der festen Überzeugung bin, dass es keine bessere Ausbildung als die praxisnahe Ausbildung im Betrieb gibt und weil durch die betriebliche Ausbildung auch ein besserer, optimaler Übergang von der Ausbildung in Beschäftigung organisiert werden kann.

[Beifall bei der PDS, der SPD – Vereinzelter Beifall bei den Grünen – Dr. Lindner (FDP): Aber doch nicht durch eine Abgabe!]

Deshalb versuchen wir im Rahmen des Berliner Ausbildungskonsens – darüber werden wir morgen intensiv diskutieren –, schon im Vorfeld des Ausbildungsjahres über ein Profiling bei der Regionaldirektion die Qualifikation der Bewerber und ihre Eignung für bestimmte Ausbildungsangebote im Vorfeld zu erfassen, um zielgerichtet Angebote, die wir haben, unterbreiten zu können.

Zweitens: Auch vor dem Hintergrund, dass wir einen hohen Grad an Schulabbrechern haben, die nur bedingt ausbildungsfähig sind, gibt es die Überlegung bzw. bereits konkrete Vorschläge von Seiten der Industrie- und Handelskammer und der Handwerkskammer, über Einstiegsqualifizierung und Qualifizierungsbausteine bedingt ausbildungsgeeigneten Jugendlichen eine berufliche Qualifizierung zu ermöglichen, einen Einstieg zu ermöglichen, damit sie dann gegebenenfalls auch eine volle Qualifizierung machen können bzw. eine Anqualifizierung, mit der sie eine Beschäftigung finden können.

Bm Wolf

Das heute oft gescholtene Unternehmen Vivantes hat zurzeit ca. 1 000 Ausbildungsplätze. Das sind alles Ausbildungsplätze, die über Bedarf sind, weil das Unternehmen wegen der allseits bekannten wirtschaftlichen Situation so gut wie nicht neu einstellen kann. Dies ist eine Leistung, die keine Selbstverständlichkeit ist, und wo man die Ausbildungsleistung des Landes Berlin in einer schwierigen Situation nicht schlecht reden kann und darf.

Bezüglich der Anstalten öffentlichen Rechts besteht ebenfalls die Situation, dass es vom Jahr 1999 bis Ende 2002 einen Anstieg der Ausbildungsquote von 3,8 % auf 4,3 % gab und die Quote dieses Jahr noch besser sein wird, weil in den Aufsichtsräten dieser Unternehmen darauf hingewirkt wird, dass sie ihre Ausbildungsleistungen verbessern. Das heißt, in einer Situation, in der in all diesen Unternehmen, von allen gefordert und richtigerweise Personalabbau stattfindet, gibt es trotzdem eine hohe Ausbildungsquote, die noch steigen wird. Zudem ist die Zahl der Ausbildungsplätze in der Vergangenheit gehalten worden. Auch das ist keine Selbstverständlichkeit. So viel, damit nicht der Eindruck entsteht, dass sich das Land Berlin aus seiner Ausbildungsverpflichtung herausstiehlt. Es gibt erhebliche Anstrengungen im eigenen Ausbildungsbereich plus die Finanzierung zusätzlicher Ausbildungsplätze in einer schwierigen Finanzsituation. Das sind erhebliche Leistungen. Das muss hier festgehalten werden.

[Dr. Lindner (FDP): „Anqualifizierung“!]

Wir befassen uns auch mit dem Thema der hohen Abbrecherquote. Es kommt nämlich häufig dazu, dass Ausbildungsverhältnisse zu einem relativ frühen Zeitpunkt abgebrochen werden und die Stelle dann nicht mehr besetzt wird. Damit ist ein erheblicher Verlust von eigentlich vorhandenen betrieblichen Ausbildungsplätzen verbunden. Hier werden wir ein System entwickeln, dass sehr rasch nachbesetzt werden kann, damit diese Ausbildungsplätze für das laufende Ausbildungsjahr nicht verloren gehen.

Außerdem wird bei den Kammern eine Beratungsstelle bei Ausbildungskonflikten eingerichtet werden, weil es auch reale Erfahrung ist, dass viele Jugendliche mit dem Übergang von der Schule in den betrieblichen Alltag und der Realität von Ausbildungsverhältnissen nicht zu Rande kommen. Dabei kommt es sehr häufig zu Konflikten, die zum Abbruch des Ausbildungsverhältnisses führen. Hier soll eine entsprechende Begleitung und Beratung eingerichtet werden. Ich glaube, dass dies gute und wichtige Maßnahmen sind, die zeigen, dass die Partner in Berlin – die Sozialpartner und die Politik – gemeinsam versuchen, dass Ausbildungsangebot zu verbessern und zielgerichteter und bedürfnisgerechter auszurichten sowie entsprechende begleitende Angebote zu formulieren.

Sie sehen, dass wir auf dieser Ebene einiges tun und nicht nur nach der Ausbildungsplatzabgabe rufen. Gleichzeitig sage ich aber: Wenn die Eigenanstrengungen nicht ausreichend und erfolgreich sind, dann müssen wir darüber hinaus etwas unternehmen, weil es nicht angehen kann, dass die Zukunftsperspektive tausender junger Menschen in dieser Stadt von der Frage abhängig ist, ob wir zurzeit gerade eine schwierige und schlechte Konjunkturlage haben.

[Beifall bei der PDS und der SPD]

Gestatten Sie mir – weil es auch mehrfach angesprochen worden ist – noch einmal die Frage: Was leistet das Land Berlin in der Ausbildung? – Mit den Zahlen ist es manchmal ein Problem, da kann schon einmal ein Zahlendreher vorkommen, es sind nämlich nicht 7,4 %, die die Ausbildungsquote im öffentlichen Dienst beträgt, sondern – wie gestern im Arbeitsausschuss berichtet – 4,7 %. Wir hatten zum 30. September 2003 im öffentlichen Dienst des Landes Berlin über 10 000 Auszubildende. Es ist angesichts der Lage im Land Berlin und der schwierigen Ausbildungssituation eine beachtliche Leistung, eine solche Ausbildungsquote zu haben.

Wir hatten – um einmal einen Vergleich zu machen – in Berlin im Bereich der Ausbildung für Berufe, die im Bereich der dualen Ausbildung sind, im Jahr 1999 – in einer Zeit also, in der es noch keine rot-rote Regierung gab und wo noch alles schön war, Herr Kurth – 690 Ausbildungsplätze. Wir haben zurzeit in diesem Bereich der dualen Ausbildung 620 Ausbildungsplätze. Das ist eine Absenkung, aber Sie wissen, das sind fast alles Ausbildungsplätze, wo wir über den Bedarf qualifizieren.

[Beifall bei der PDS und der SPD]

[Beifall bei der PDS und der SPD]

Wenn die Eigenanstrengungen nichts nutzen, ist es meiner Ansicht nach richtig, zu einer Umlagefinanzierung zu kommen. Eine Umlagefinanzierung – das ist in der Diskussion schon von mehreren Rednerinnen und Rednern gesagt worden – muss kein bürokratischer Moloch sein.

[Frau Senftleben (FDP): Wird es aber!]

Nein! –Wir haben eine Reihe tarifvertraglicher oder branchenbezogener Regelungen, zum Beispiel innerhalb der Bauwirtschaft, wo es völlig unbürokratisch läuft, in einer Branche, die sich in einer dramatischen Krise mit dramatischen Arbeitsplatzabbau befindet und wo dennoch die Ausbildungsplatzquote gehalten werden konnte.