Das Modell klarer, sachlicher Verantwortung der Senatoren hat Zukunft. Die FDP will den Vorabgleich mit Brandenburg. Was kommt, wenn wir mit Brandenburg fusionieren, weiß niemand. Gewiss aber hat Berlin dann keine Landesregierung mehr, weshalb auch ich nicht wüsste, was es da vorwegnehmend anzugleichen gäbe.
Das bestehende Modell durch das der FDP zu ersetzen hieße, punktuelle Eingriffe in die Ressorts durch den Chef nicht nur zu ermöglichen, sondern auch die Erwartung zu erzeugen, dass sich der Regierende Bürgermeister in Zukunft um jeden Kleinkram selbst kümmert. Ich stelle mir schon jetzt vor, wie die Opposition zukünftig in jeder Baumschutz- und Radwegeangelegenheit nach Machtworten des Regierenden Bürgermeisters schreit. Was soll das bringen?
Die Chefsachenideologie ist ein Mythos. Das wissen alle, die sich in der politischen Praxis in Bund und den Flächenländern umschauen, in denen Richtlinienkompetenz besteht. Das Parlament Berlins sollte selbstbewusst mit der Tatsache umgehen, dass es Richtlinien der Regierungspolitik billigt. Es ist stärker als andere Landesparlamente. Das ist gut für die Demokratie und kein bürokratisches Hindernis, wie es vermutlich die FDP vertritt.
Ob die Regierenden Bürgermeisterinnen oder Bürgermeister sich durchsetzen oder nicht, ob sie die erforderliche Leitungskompetenz zugemessen bekommen oder nicht, liegt unseres Erachtens zuallererst an ihnen selbst, an ihrer Amtsführung, ihrem standing und ihrer Überzeugungskraft, mit der sie ihr Amt und ihre Leitungstätigkeit im Kollegialorgan Senat ausfüllen. Der Ruf nach Zentralisierung der Entscheidungsmacht in schwierigen Zeiten ist nicht neu, aber er ist Augenwischerei. Ich selbst bin davon überzeugt, dass die Arbeit des Berliner Senats keine Defizite erkennen lässt, denen mit der Richtlinienkompetenz und der Entlassungsmöglichkeit gegenüber Senatoren ohne Parlament begegnet werden könnte. Fehlt das alles, hilft auch eine Verfassungsnorm nicht weiter. Dass der gegenwärtigen Regierende Bürgermeister Durchset
zungskraft besitzt, bezweifele ich nicht, und wem es hier auf Schlagzeilen ankommt, Herr Dr. Lindner, das weiß fast ganz Berlin.
Hingegen halte ich organisatorische Veränderungen in der Landesverwaltung an anderer Stelle durchaus für sinnvoll, etwa beim Beteiligungsmanagement des Landes. Darüber werden wir nachher noch reden. Ändern wir dort etwas, wo es handfeste Effekte und eine Veränderung des politischen Outputs gibt. Setzen wir unsere Kraft an den richtigen Stellen ein, um unsere Regierungstätigkeit zu verbessern. Den Bankenskandal gab es gewiss nicht, weil der Regierende Bürgermeister Diepgen keine Richtlinienkompetenz besaß. – Schönen Dank!
Danke schön, Herr Kollege Lederer! – Es fährt fort Bündnis 90/Die Grünen. Herr Kollege Ratzmann hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eigentlich unterhalten wir uns gerade über eine sehr wichtige Frage. Verfassungsfragen sind grundlegende Fragen, die das Zusammenwirken von Regierung und Parlament regeln sollten. Aber wie wir alle bemerken, scheint das Interesse nicht besonders groß zu sein.
Ich will mich gleich – wahrscheinlich zum großen Unmut von Herrn Lindner – outen, dass wir entsprechend unserer Verpflichtung zu Transparenz und Demokratie Ihrem Vorschlag nicht folgen können und somit zusammen mit der PDS verhindern könnten, dass Sie die nötige Zweidrittelmehrheit für ihre Verfassungsänderung im Hause erreichen können.
Herr Lindner, ich finde es noch nicht einmal originell, dass Sie in dieser Art und Weise einen Antrag vorlegen, der Grundlegendes in unserer Verfassung ändern will. Ich empfinde es als ungehörig, dass Sie, ohne vorab die Diskussion zu suchen und zumindest die Verständigung zwischen den einzelnen Fraktionen für eine so grundlegende Frage herbeizuführen, nonchalant und so nebenbei einen Antrag vorlegen, mit dem Sie meinen, die Verfassung ändern zu können. Es mag zwar im Moment modern sein, von Seiten des Regierende Bürgermeisters nicht nur für sich, sondern auch gleich noch für die Bezirksbürgermeister Richtlinienkompetenz zu fordern, aber ich glaube, dass wir in so grundlegenden Fragen wie Transparenz und Demokratie ein bisschen mehr Feingefühl an den Tag legen und ein bisschen mehr überlegen sollten, wie wir zukünftig das Zusammenspiel in diesem Hause regeln wollen.
Das, was Sie vorgelegt haben, ist Zeitgeist. Es geht um Effizienz, möglichst wenig Mitwirkung, möglichst wenig Beteiligung. Sie versuchen, uns vorzugaukeln, dass damit die Politik ein Stück vorankommen werde. Das wird sie nicht, sondern sie wird dadurch ein Stück Demokratie und Beteiligung dieses Hauses an der Politik in diesem Land verlieren.
Ihr Antrag steht nicht nur gegen die von mir genannten Prinzipien, sondern auch gegen die Debatte, die wir derzeit im Bund führen. Sie geht nämlich in eine ganz andere Richtung. Worüber unterhalten wir uns denn im Moment im Rahmen der Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung? – Da geht es nicht darum, dass wir die Länderregierungen stärken wollen. Da geht es nicht darum, das Phänomen des Exekutivföderalismus noch nach oben zu treiben, sondern es geht darum – darauf haben wir uns in diesem Landtag verständigt –, die Landtage zu stärken. Das, was Sie vorschlagen, ist ein Abbau von Mitwirkungsrechten, die wir als Parlament an der Politik des Senats haben. Wir haben Gott sei Dank in Berlin als Ergebnis der letzten Enquetekommission eine starke Bindung der einzelnen Ressortverantwortlichen an die Politik und die Abstimmungsergebnisse hier im Hause, und wir haben – das ist doch ein Fortschritt, Herr Lindner, ich weiß nicht, warum Sie das in Frage stellen – in Berlin fast als einziges Parlament in der Bundesrepublik eine Kompetenz, uns und damit den Regierenden Bürgermeister mit seiner Richtlinienpolitik an unser Abstimmungsverhalten in diesem Hause zu binden. Ich finde, dass der umgekehrte Diskussionsprozess in Gang gesetzt werden muss vor dem Hintergrund der Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung. Was wir brauchen, ist vielmehr eine Debatte in der Richtung, dass auch in den anderen Länderparlamenten die Parlamente wieder verstärkt in den Fokus der Politik geraten und mehr Mitwirkungsrechte und demokratisches Rüstzeug bekommen, um sich in die Politik der Landesregierungen einzumischen. Wir wollen nicht die Landesregierungen stärken, sondern wir wollen – dafür treten wir und auch Ihre Vertreter in dieser Kommission ein – sagen, dass die Landesregierungen viel stärker an die Kandare genommen und dass sie auch in ihrem Bundesratsverhalten noch stärker kontrolliert werden müssen. Das konterkarieren Sie mit Ihrem Antrag.
Ich glaube, dass auch Ihr Argument, wir würden hier eine notwendige Anpassung an die Verfassung in Brandenburg vornehmen, nicht stichhaltig ist. Die Verfassungsfrage wird im Rahmen der Fusion sehr wesentlich sein. Wir werden uns darüber auseinander setzen müssen, ob wir in diesem Hause nicht sehr frühzeitig auf das Landesparlament in Brandenburg zugehen und versuchen, eine gemeinsame Form zu finden, die Verfassung für ein vereinigtes Berlin-Brandenburg zu diskutieren. Ich halte das für eine wesentliche Frage, und ich halte es geradezu für kontraproduktiv, wenn wir in dieser Situation von uns aus schon im Vorgriff auf die anstehende Fusion die Verfassungsdiskussion vornehmen.
Ich glaube, dass das, was Herr Gram vorgeschlagen hat, ein Weg wäre, sich darüber auseinander zu setzen, wie Politik – vor allem im Hinblick auf die Fusion – und die Verfassungsfrage angegangen werden können. Das ist der richtige Weg, sich darüber auseinander zu setzen. Aber ich kann Ihnen gleich sagen: Für uns zählen die Transparenz und das demokratische Prinzip, das in unserer Verfassung niedergelegt ist, mehr als das, was Sie an Effizienzgedanken nun in die Debatte geworfen haben.
Es gibt nur einen einzigen Punkt, Herr Lindner, der mich ein bisschen mit Ihrem Antrag versöhnen könnte: Ich bin mir sicher, dass die FDP niemals eine solche Richtlinienkompetenz in diesem Lande ausüben wird. – Vielen Dank!
Danke schön, Herr Kollege Ratzmann! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags an den Ausschuss für Verfassungs- und Rechtsangelegenheiten, Immunität und Geschäftsordnung. – Ich höre keinen Widerspruch dazu, dann verfahren wir so.
Von den Fraktionen wird nur noch von Seiten der FDP das Rederecht gewünscht. Herr Kollege Dr. Augstin hat das Wort. – Bitte schön!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Hier geht es um die Broschüre mit dem Titel „Leitbild für Berliner Jugendämter“. Es soll ein zwischen den Jugendämtern und der Senatsverwaltung abgestimmtes Ergebnis eines intensiven Diskussionsprozesses darstellen. Ziel soll es sein, einen Ausbau fachlicher Planung, Qualitätsentwicklung und Steuerung für die öffentliche
Jugendhilfe anzustreben – wohlgemerkt: Ausbau. Wir im Parlament – dazu gehören auch SPD und PDS – beklagen eine kostenintensive, aufgeblähte Verwaltung, eine zu hohe Regelungsdichte und fordern eine stärkere Beteiligung der Bürger und freien Träger. Und nun schreiben sich die Verwaltungseinheiten aus den Bezirken die Unverzichtbarkeit ihrer Arbeit in ihr Programm. Wo bleibt hier die Handschrift des Regierenden Bürgermeisters, der zu Beginn der Legislaturperiode einen Mentalitätswechsel einforderte? Falls Herr Senator Böger auf eine Leistungssteigerung innerhalb der Jugendverwaltung setzen sollte und es ihm letztlich nicht nur um die Sicherung von bestehenden Arbeitsplätzen in Staatsdiensten geht – wie es unter anderem auch in den Tarifverträgen deutlich wird –, wäre es erforderlich und angemessen gewesen, im Rahmen einer Aufgabenkritik auf externe Beratung zurückzugreifen. Hätte man ein professionelles Unternehmen zur Evaluation und Fortentwicklung der Jugendämter beauftragt, sähen die Ergebnisse mit Sicherheit anders aus.
Aufgabenkritik und Rationalisierungsmaßnahmen bleiben immer dann auf der Strecke, wenn diese von den Betroffenen ausgehen und somit die Arbeitsplatzsicherheit gefährden. Im Kapitel 3 – Leitbild des neues Jugendamts – wird dementsprechend die Beibehaltung der operativen Tätigkeit nicht ausgeschlossen, das heißt, dass Kitas und Kinderheime weiterhin betrieben und Streetworker tätig werden dürfen. Die Vermengung von staatlicher Kontrolle – darum geht es uns – und operativer Tätigkeit im Jugendbereich bleibt bestehen. Das dient nicht der Kontrolle und damit der Qualitäts- und Aufgabenerfüllung. Mithin steht diese Aussage im Widerspruch zum erklärten Vorhaben der Konzentration auf die Kernkompetenzen. Erfreulicherweise geben die Verfasser der Broschüre – dazu gehören die Bezirke – eine Erklärung, warum die Betätigung der Jugendämter unverzichtbar sei. Es geht nämlich darum – ich zitiere –, „durch eigene Leistungsangebote kompetent zur Gewährleistung von Pluralität beizutragen.“ Das ist ein außerhalb Berlins kaum nachvollziehbares Verständnis von Pluralität – allenfalls von den Vorstellungen des totalitären Sozialismus der ehemaligen DDR entlehnt.
Herr Kollege, ich darf Sie kurz unterbrechen! – Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, dem Redner aufmerksam zuzuhören und die Konferenzen zu verlegen. – Bitte, Herr Dr. Augstin!
Danke, Herr Präsident! – Es kommt mir darauf an, dass diesem Parlament bewusst wird, worum es uns Liberalen geht. Folgt man nämlich der Argumentation, müsste das Land Berlin – wie bis zur Wende im Ostteil der Stadt geschehen – im Einzelhandel, im Handwerk oder im Kunstgewerbe tätig sein.
teil Berlins nicht gänzlich abwegig – ich denke nur an die KPM, die Bankgesellschaft und weitere schwere finanzielle Lasten des Landes Berlin wie zum Beispiel die Feuersozietät. Dieser Senat hat – trotz der Bankgesellschaft usw. – noch immer nicht begriffen, dass es für Berlin nicht gut ist, wenn das Land als Unternehmer oder als Dienstleister tätig wird. Aus diesem Grund hat die FDP-Fraktion in ihrem Antrag „Reform der Jugendämter umsetzen“ den Senat aufgefordert, grundlegende Strukturveränderungen bei der öffentlichen Jugendhilfe herbeizuführen. Dabei sollten die Berliner Jugendämter zukünftig schwerpunktmäßig mit Aufgaben der Steuerung und Planung einschließlich des fachlichen Controllings befasst werden. Eine eigene Leistungserbringung sollte zu Gunsten freier Träger und Privater möglichst vermieden werden und nur dann erfolgen, wenn ein privates Angebot nicht hinreichend besteht oder bestehen kann. Sowohl die Planung und Steuerung der Jugendhilfe als auch die Entscheidung über Umfang und Qualität der Leistungen sind im Interesse von Jugendarbeit und gehören zu den zwingenden Aufgaben der Jugendämter. Die Beschränkung der Kompetenzen auf diese Kernaufgaben beinhalten gleichermaßen eine Stärkung der Aufgabenwahrnehmung, die auch durch die Angebote der freien Träger gesichert ist. Bildungs- und Betreuungsleistungen sollten dagegen nicht durch Jugendämter erbracht werden. Auf Grund der rein operativen Natur dieser Leistungen sind diese aus dem Aufgabenkatalog der Jugendämter auszugliedern.
Die Haltung zu unserem Antrag macht deutlich, wie die anderen Fraktionen in diesem Haus zum Thema „Der Bürger müsste aufpassen“ zur Aufgabenkritik, Liberalisierung und zu den Reformen der öffentlichen Strukturen stehen.
Herr Dr. Augstin, Sie haben vorhin freundlicherweise die Zwischenfrage von Frau Kollegin Barth zugelassen, und diese sollte sie jetzt stellen dürfen.