Nun scheinen einige von der Opposition die Hoffnung gehabt zu haben, dass wir an der Umsetzung der Vorgaben dieses Urteils scheitern würden. Ich gebe zu, als wir den Prozess Anfang November begannen, hatte ich selbst Bedenken, wie dies funktionieren würde. Es hat sich aber gezeigt, dass wir erstens bereits weitgehend an die Grenzen dessen, was unmittelbar umsetzbar ist, gegangen waren. Es hat sich zweitens gezeigt, dass die Abwägungen, die wir im Zuge der Haushaltsaufstellung im Sommer vorgenommen hatten, auch jetzt weitgehend Bestand hatten. Und es hat sich drittens gezeigt, dass das Urteil bei all seiner Deutlichkeit immer noch den Raum für objektiv bedingte Unschärfen lässt, die nur durch politische Ent
scheidungen ausgefüllt werden können. Das will ich an einem relativ einfachen Beispiel in meiner Zuständigkeit erklären.
Berlin hat bekanntermaßen zwei Zoos. Es hat in beiden Zoos zahlreiche Giraffen. Niemand nimmt uns die Entscheidung ab, wie viele Giraffen in Berlin noch mit der extremen Notlage zu vereinbaren sind oder wie viele geschlachtet oder verkauft werden müssen. Diese Entscheidung müssen wir treffen. Genauso ist dies auf allen anderen Gebieten. In diese Unschärfen hinein muss die politische Diskussion gehen. Da wird sich auch die Opposition stellen und sagen müssen: Wir wollen keine 30 Giraffen mehr, sondern nur noch 10. Dann werden wir darüber politisch diskutieren.
Ich habe dieses Beispiel gewählt, weil es relativ unverfänglich ist. Aber es ist auf alle übrigen Bereiche – –
Ich bin kein Giraffenfeind, Herr Lindner, ich will das mal sagen, ich mag die langen Hälse. – Wir können dies analog auf Universitäten, Opern, Kindergärten, Schulen usw. übertragen, überall ist es so wie beim Zoo, wir müssen entscheiden, ob wir mehr oder weniger haben wollen und welche Gründe wir haben. Diese Abwägung muss sorgfältig geführt werden. Der Senat wird diese Abwägung sorgfältig führen. Das haben wir jetzt gezeigt, und das werden wir auch in den weiteren Beratungen zeigen.
Da einige von Ihnen offenbar schon wieder den Gang zum Verfassungsgericht planen, sage ich Ihnen, nur als guten Rat: Chancen, dort zu gewinnen, haben Sie nur dann, wenn Sie uns Abwägungsfehler nachweisen, die so eklatant sind, dass sie den Vorgaben des Urteils nicht entsprechen.
Wenn Sie den Gang unternehmen, sage ich: Wunderbar, machen wir das gemeinsam; dabei können wir nur lernen. Wenn Sie uns wirklich solche Abwägungsfehler nachweisen, bin ich der Erste, der bereit ist, auf dieser Basis den Haushalt nachzubessern.
Ich wünsche dabei viel Erfolg. Aber das Endergebnis dürfen wir alle nicht aus den Augen verlieren: Wir müssen das Primärdefizit im Haushalt, das im Jahr 2002 2,9 Milliarden € und im Jahr 2003 2,4 Milliarden € betrug – wir haben es in nur einem Jahr schon um 500 Millionen € abgesenkt –, bis zum Jahr 2007 in einen Primärüberschuss verwandeln. Wenn wir dies nicht zeigen, haben wir in diesem oder dem nächsten Jahr in Karlsruhe keine Chance. Deshalb kann ich Sie alle nur auffordern, gerade im Sinne von Berlin, dass Sie Ihren Beitrag dazu leisten. Es mag kurzfristig für Sie eleganter scheinen oder interessanter sein, in der Stadt mal den einen oder anderen Verbündeten gegen die eine oder
andere Sparmaßnahme zu suchen. Das ist ganz einfach; mal mit diesem gegen jene, mal mit jenem gegen diese, und immer diejenigen, die dagegen sind, auf seiner Seite haben. Aber das ist auf die Dauer durchschaubar. Solange Sie keine eigenen Konzepte haben – bei allen Dreien von der Opposition ist mir heute keines ins Auge gestochen –, werden Sie damit dauerhaft verlieren. – Vielen Dank!
[Beifall bei der SPD und der PDS – Dr. Lindner (FDP): Die Aktuelle Stunde ist ja noch nicht zu Ende!]
Vielen Dank, Herr Senator Dr. Sarrazin! – Wir kommen nun zur zweiten Rederunde. Sie wird begonnen von Herrn Dr. Jungnickel, dem fraktionslosen Abgeordneten. – Bitte schön, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eigentlich bin ich das Schlusslicht der ersten Runde und aus Versehen hierher geraten. – Ich hatte heute das Gefühl, dass das Verfassungsgerichtsurteil unterschiedlich gelesen wird. Die einen lesen mehr das Urteil, die anderen mehr die Begründung. Da kommt man natürlich zu unterschiedlichen Schlüssen. Ich werde mit meiner knappen Zeit nicht so weit ausholen können, sondern mich auf den Kulturbereich beschränken.
Bereits ein flüchtiger Blick in den Kulturhaushalt belehrt den Leser, wie frei von Visionen die für diesen Haushalt Verantwortlichen sind, wo doch der Herr Regierende Bürgermeister – er ist gerade wieder eingetroffen
seine herbeigesehnten Visionen so gern öffentlichkeitswirksam beschwört. Es ist jedoch dem Senat offensichtlich nicht gelungen, die potentiellen Kräfte in Berlins Kulturreservoir zu erkennen, und schon gar nicht, zu erkennen, dass die Kulturpotentiale neben Wissenschaft und Forschung zu den Bereichen gehören, die Berlin bei richtiger Handhabung innovativ nach vorn bringen können. Was passiert hier? – Der Senat verkriecht sich hinter der allgemeinen Misere, buchhalterisch hinter seinen zum Teil neurotisch wirkenden Sparplänen, und zeigt ein Fischherz in der Brust, wenn es darum geht, einengende Strukturveränderungen auszuhecken, die ängstlich Freiräume verkleinern – Strukturphilosophie an Stelle von unternehmerischer Kreation, und die Politik führt dadurch zu Visionsverweigerung und Kleinmut, die diese Stadt zu „zersparen“ drohen. Ich hoffe und wünsche mir, dass es Ihnen gelingen möge, den buchhalterischen Rechner ein Weilchen zur Seite zu legen und kulturpolitische Konzepte zu entwerfen, die muss nämlich der Senat entwerfen, Herr Senator Sarrazin, die Entwicklung in eine großstädtische, eigenständige Zukunft dieser Stadt möglich zu machen und im Kulturbereich auch zu schwarzen Zahlen zu kommen. Das Metropol-Theater ist doch ein ganz schöner Anfang, wenn Ihnen diese Entscheidung offensichtlich auch sehr schwer gefallen ist.
Vielleicht geht dem Senat auch in Sachen Berliner Symphoniker noch ein Licht auf. Ich fordere den Senat auf, den Erhalt der Berliner Symphoniker nochmals zum Thema zu machen und das Abgeordnetenhaus darüber entscheiden zu lassen. Allerdings herrscht bei mir der Eindruck vor, dass Sie sich von den Möglichkeiten, die Berlin zweifellos hat, im Kulturellen mehr Freiräume und Operationsareale zu erobern, mit zögerlicher Furcht eher abzuwenden als anzunähern scheinen.
Um den Klang der kulturpolitischen Zukunftsmusik in dieser Stadt zu skizzieren, erlaube ich mir, mit der Stiftung Oper in Berlin einen Akzent zu setzen. Die vielen Ungereimtheiten in diesem Stiftungsgesetz charakterisieren auf das Deutlichste, wie der Senat die politische Qualität seiner Kulturpolitik selbst darstellt. Da wussten Sie zu verhindern, den Erhalt der drei Opernhäuser in den Stiftungszweck mit einzubeziehen, dokumentierten eine auftrumpfende Staatsnähe und haben verbunden mit einer eigentümlichen disziplinierenden Entscheidungspyramide innerhalb von Stiftungsvorstand und Stiftungsrat durchgesetzt, wie eine strukturell verankerte Freiheitsberaubung der betroffenen Künste installiert werden kann. So sehe ich das jedenfalls. Da ist politisches Aufmerken angezeigt. Das Nachbessern über den Hauptstadtkulturfonds in Sachen Ballett spricht ja wohl Bände, auch wenn für die Ballettkultur besondere Zuwendungen wünschenswert sind. Dem Senat und besonders dem Herrn Regierenden Bürgermeister wünsche ich tatsächliche visionäre Einsichten, die zu einem Gewinn von Freiheiten führen und von kulturpolitischer Weitsicht geprägt sind.
Ich möchte die Gelegenheit wahrnehmen, dem Dirigenten Fabio Luisi, der zusammen mit dem ehemaligen Intendanten der Deutschen Oper Berlin, Udo Zimmermann, aus Berlin verdrängt worden ist, ganz herzlich für seine Berufung ab 2007 als Generalmusikdirektor der Dresdner Semperoper zu gratulieren.
Im Übrigen – das ist jetzt ein Schlusswort – bin ich der Meinung, dass der ehemalige Regierende Bürgermeister von Berlin, Ernst Reuter, posthum Ehrenbürger von Berlin werden sollte. Der hätte es sicher anders gemacht.
Danke schön, Herr Dr. Jungnickel! – Wir fahren fort. Die SPD hat das Wort. Verblieben sind noch 8 Minuten. – Herr Zackenfels, Sie haben das Wort!
Das Erste, was man dem Herrn Zimmer sagen muss, ist, der Kollegin Spranger vorzuwerfen, sie sei nicht auf die Verfassungsmäßigkeit eingegangen: Das ist angesichts der Tatsache, dass Sie selbst gar nicht im Saal waren, als sie gesprochen hat, schon ein gewisses Maß an Frechheit. Ich finde, Sie von der CDU müssen sich die Frage gefallen lassen, ob Sie auch weiterhin politische
Macht um den Preis des juristischen Erfolgs zum Schaden der Stadt anzustreben bereit sind. Die Frage ist vorhin auch in den Worten des Senators angeklungen.
Bei der FDP in dieser ersten Runde muss man immer wieder feststellen, dass Worte und Taten in Einklang zu bringen sehr schwer ist. Sie sind eine Partei, das mag man Ihnen sicherlich zubilligen, die große Verdienste in der deutschen Außenpolitik hat, einige Meriten in der deutschen Wirtschaftspolitik, aber, wie heißt es auf Neudeutsch, sicherlich keine gute performance in der deutschen Fiskalpolitik an den Tag legen kann. Das sage ich Ihnen als Opfer. Ich habe meine erste Steuerberaterprüfung Anfang der 90er Jahre gemacht, da haben Sie mit der CDU in Bonn regiert. Ich kann Ihnen sagen, das ist ein Geständnis, ich bin das erste Mal durchgefallen. Was ich für das zweite Mal alles lernen musste, was sich verändert hatte, das passte auf keine Kuhhaut. Also Sie haben Glück, dass Sie nicht persönlich dafür haftbar gemacht werden können. Ich habe mit darunter gelitten, dass die FDP mit der CDU das Steuerchaos mit fabriziert hat, was Rot-Grün auf Bundesebene aufzuräumen bereit ist.
Wer sich die letzten Jahre vergegenwärtigt, der kommt nicht umhin festzustellen, dass Konsolidieren sich in einem Spannungsfeld von Fordern und Stützen bewegt. Es geht darum, einerseits die Belastungen nicht überhand nehmen zu lassen, andererseits zum geringst möglichen Preis zukunftsfähige, arbeitsplatzschaffende Strukturen zu fördern. Das ist ein sehr enger Pfad und erfordert demzufolge eine gut reflektierte Balance. Dort, wo Staat den Menschen Mittel entzieht, muss er die Gegenleistung um so deutlicher hervorheben. Das ist bei den Kitagebühren der Fall. Es gibt keinen Zweifel, dass es dafür eine sichtbare Gegenleistung gibt. Über deren Qualität streiten wir uns trefflich, doch das hohe Angebotsniveau ist ein Pfund, sagen wir doch ein Standortvorteil, den wir erhalten, weil er für die Stadt gut ist. Das gilt übrigens auch für die Beschränkung der Lehrmittelfreiheit. Jedem Euro steht ein Buchanteil gegenüber, physisch greifbar, Eigentum, das wieder veräußert wird.
Die erfolgreiche Nutzung fremder, in diesem Falle von der EU stammender Gelder zur Renovierung z. B. von Berufsschulen gehört in die zweite Kategorie des Stützens der Zukunft. An dieser Entscheidung z. B. haben die Kollegen von den Grünen Anteil, das gestehe ich gern unumwunden zu.
Die Notlagensteuer wiederum fällt in keine dieser beiden Kategorien. Sie fordert nicht ein, wo staatliche Leistung sichtbar ist, und kann aus ihrer Natur heraus nicht stützen, wo Zukunft möglich ist, denn es ist die Natur selbst von Steuer, keiner Zweckbindung zu unterliegen. Kollege Lindner hat das hier noch einmal ausführlich dargelegt. Dieser Wesenszug unterscheidet sie aus
drücklich von der Gebühr. Da müssen Sie einfach rechtlich ein bisschen nacharbeiten, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen.
Das Notlagensteuerkonzept offenbart aber Ihre Philosophie. Die Philosophie bedeutet, pauschal Einnahmen zu erhöhen, doch weil ihr keine sichtbare Gegenleistung gegenübersteht, findet sie auch zu Recht keine Zustimmung. Und Frau Klotz, das glaube ich Ihnen einfach nicht, das müssen Sie mir zeigen, eine Mail von einem Bürger oder einer Bürgerin dieser Stadt, die sagt: Wenn Sie an der Regierung wären, würde ich gern zahlen, weil ich dann weiß, was mit meinem Geld passiert. Das, was Sie vorhin dargelegt haben in der Kommunikation mit der Stadt, das glaube ich Ihnen einfach nicht. Bringen Sie es hier ins Plenum, lesen Sie daraus vor,
überprüfen Sie, ob diese Aussage stimmt, wie Sie sie hier gefällt haben: Wenn Sie an der Regierung wären, hätten die Bürger mehr Vertrauen in die Verwendung der Gelder.
Denn Sie glauben auch nicht im Ernst, dass diese Liste – Sozialticket, Kita und Bildungsfonds –, die Sie vorgelegt haben, der wohl überlegten tatsächlichen Schwerpunktsetzung grüner Politik geschuldet ist. Der Mode und dem tagesaktuellen Sorgenthema verdanken wir diese Großzügigkeit. Vor einem Jahr hätte Herr Schruoffeneger dafür gesorgt, dass die Berliner Exportagentur ERIC BOA, die Stiftung Entwicklungspolitik und vieles andere auf der Liste steht, weil eben damals das die umstrittenen Themen in der Stadt waren. In anderen Worten: Die Menschen in der Stadt können noch nicht einmal sicher sein, dass das, was Sie dort vorstellen in der aktuellen Liste, tatsächlich Bestand hat.
Und damit bin ich eigentlich bei einer anderen Debatte, die bei der FDP mit anklang, deren Differenz zur Notlagensteuer jedoch hier aufgezeigt werden muss. Ja, wir, Rot-Rot und Bündnis 90/Die Grünen gemeinsam, haben uns in Berlin für eine Vermögensteuer ausgesprochen. Muss ich Sie an den fundamentalen Unterschied zwischen Vermögen und Einkommen erinnern? Es kann doch nicht Ihr Ernst sein, nur weil wir es von den Besitzenden nicht erhalten – so schreiben Sie es letztendlich in Ihrer entsprechenden Beschlusslage –, gehen wir erneut an die Arbeitenden? Wem tun Sie denn eigentlich einen Gefallen damit, Bündnis 90/Die Grünen in Berlin, das Thema Vermögensteuer damit ruhen zu lassen? – Das müssen Sie mir einmal erklären. Ihre Stimme im landes- und bundesweiten Chor für eine Vermögensteuer – da gehören Sie hin, das sollten Sie erheben, da sollten Sie laut sein, aber nicht in der Formulierung einer landeseigenen Steuer in Berlin.
Mit Ihrem Vorstoß katapultieren Sie sich auf einen anderen Stern. Der Respekt jedoch gehört dem, der in der
Arena bleibt und mit den fiskalischen Widrigkeiten kämpft. Sie verlassen den Schauplatz, überspringen ganz einfach den Sachzwang der Konsolidierung, der in Berlin aber auch Positives hat, nämlich die Frage der Reform bei sinkendem Budget. All das verlassen Sie mit einer Notlagensteuer und räumen das Feld. Deswegen ist Ihr Vorschlag, wie ich es in der Begründung der Aktuellen Stunde ausgeführt habe, das Eingeständnis, dass Sie verkrustete Strukturen nicht in Frage stellen wollen, sondern bereit sind, den Weg des geringsten Widerstands zu gehen, nämlich den der Steuererhöhung.
Ein letzter Punkt: Steuerpolitik ist Standortpolitik. Die Bemessungsgrundlage muss groß genug sein, die ökonomische Hürde hoch genug, damit die Entscheidung des von der Steuer Belasteten gegen die Flucht vor der Steuer fällt. Beides ist im Falle Berlin-Brandenburg niedrig; denn Ihre rapide progressive Notlagensteuer dürfte auch den letzten Gutverdiener aus der Innenstadt verjagen, solange die Kosten des Umzugs nach Kleinmachnow so billig sind.