Protocol of the Session on November 27, 2003

Warten Sie doch mal ab, Frau Kollegin, wie wir uns das aufgeteilt haben. – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Unsere Große Anfrage zur Entwicklung und über Maßnahmen im Bereich der Jugendkriminalität haben wir vor dem Hintergrund einer nach wie vor Besorgnis erregenden Kriminalitätsentwicklung bei Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden gestellt.

[Zuruf von der PDS]

Die Zahl der Delikte ist weiterhin erschreckend hoch. Hierbei gibt uns vor allem die Zunahme der Gewaltanwendung Anlass zu erheblicher Sorge. Dass dabei die Gewaltdelikte vielfach aus der Gruppe heraus begangen werden, ist wohl in erster Linie auf fehlende soziale Bindungen und eine Vielzahl gesellschaftlicher Fehlentwicklungen zurückzuführen.

[Zuruf des Abg. Brauer (PDS)]

[Beifall des Abg. Hoffmann (CDU) – Zuruf des Abg. Brauer (PDS)]

[Brauer (PDS): Nein!]

Dies scheint ein Thema zu sein, welches insbesondere in der Vergangenheit – aber oftmals leider auch heute noch – von der politischen Linken eher verdrängt und verharmlost wird bis zum Gehtnichtmehr.

[Zuruf des Abg. Lederer (PDS)]

Es ist ein Verdienst des Herrn Polizeipräsidenten, dass er zu Jahresbeginn in einem, wie ich finde, bemerkenswerten Interview die Problematik der Kriminalität junger Ausländer oder Jugendlicher ausländischer Herkunft wieder ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt hat.

Herr Abgeordneter! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Zackenfels?

Nein! – Aber trotz dieses Interviews, eine Schwalbe macht noch keinen Frühling. Denn nach wie vor, so zumindest der Eindruck, weigert man sich vielfach, Besonderheiten, die diese Personengruppe betreffen, zur Kenntnis zu nehmen.

[Zuruf der Frau Abg. Jantzen (Grüne)]

Wer sich dennoch gegen diese selektive Wahrnehmung wendet, der wird ganz schnell als ausländerfeindlich

der von einer sich entwickelnden Dynamik der Desintegration in den ethnischen Kolonien deutscher Großstädte und Ballungszentren sprach. Diese, so der Vortragende, finden ihren Ausdruck in gravierenden Bildungsdefiziten, in einer Abkoppelung von Strukturentwicklungen auf dem

Arbeitsmarkt und damit einer überproportionalen Belastung der Sozialsysteme und schließlich in einer signifikanten Kriminalitätsbelastung. Eine solche Entwicklung birgt enorme Gefahren für die innere Balance in unserer Stadt, von daher hat Politik allen Grund, sich mit diesen Problemen auseinander zu setzen und Wege aus dieser Krise zu suchen. Ich denke, dass unsere Große Anfrage dazu einen ersten Impuls geben kann. – Vielen Dank! Vielen Dank auch, Frau Vorsitzende!

Danke schön! – Das Wort zur Beantwortung hat der Senator Körting – bitte sehr! – So, vielleicht ist es möglich, lieber Herr Henkel, Herr Hoffmann, sich wieder etwas zu beruhigen. Der Senator ist nämlich eigentlich krank und eigens wegen der Beantwortung der Großen Anfrage hier geblieben. Das ist anerkennungswürdig, und wir sollten ihm die notwendige Aufmerksamkeit schenken. – Bitte sehr, Herr Körting, Sie haben das Wort!

gebrandmarkt und diffamiert, ganz nach dem bewährten Muster: Es kann nicht sein, was nicht sein darf.

Eine Befassung mit der Kriminalität junger Ausländer oder eben von Tätern mit Migrationshintergrund ist keinesfalls Ausdruck von Fremdenfeindlichkeit, im Gegenteil. Ohne eine konsequente Bekämpfung dieser Kriminalität wird es keine Integration der betroffenen Kreise geben. Aktuelle Ereignisse zeigen ja, wie wichtig die Thematik ist – wenn selbst eine PDS-Bürgermeisterin ihrer Sorge über die Sicherheit im Kiez Ausdruck verleiht. Selbst der Innensenator räumt ein, dass man das Thema nicht vernachlässigen darf, weil man sonst Gefahr läuft, in einigen Ortsteilen der Stadt die Kontrolle zu verlieren. Das sind eben insbesondere die Viertel mit den höchsten Ausländeranteilen der Stadt, das ist nicht von der Hand zu weisen.

[Zuruf der Frau Abg. Jantzen (Grüne)]

Das darf man auch deshalb nicht aus den Augen verlieren, weil sich der Erfolg oder eben der Misserfolg der bisher in der Stadt geleisteten Integrationsarbeit mitunter auch an der Kriminalitätsstatistik ablesen lässt.

Aber lassen Sie uns in diesem Zusammenhang nicht nur über nackte Zahlen reden. Wenn der Bund deutscher Kriminalbeamter sich veranlasst sieht, seinen Landesdelegiertentag vor wenigen Wochen hier in Berlin zum Thema Kriminalität ausländischer Jugendlicher abzuhalten, dann ist das wohl ein deutliches Zeichen.

[Zuruf des Abg. Brauer (PDS)]

Ein deutliches Zeichen dafür, dass die Polizei in ihrer täglichen Arbeit mit den Auffälligkeiten gerade dieser Personengruppe konfrontiert wird.

Wenn Sie jetzt bitte zum Schluss kommen!

Auf diesem Landesdelegiertentag wurde im Rahmen eines Vortrags die Frage gestellt, warum gerade jetzt ein so großes politisches Interesse besteht, sich mit der Kriminalitätsbelastung ausländischer Jugendlicher oder Jugendlicher ausländischer Herkunft zu befassen. Dabei wurden insgesamt drei Gründe genannt, ich will mich hier wegen der Kürze der Zeit auf einen Grund beschränken.

Lieber Herr Abgeordneter! Ich habe Sie bereits gebeten, Ihre Redezeit ist zu Ende, kommen Sie bitte zum Schlusssatz!

Ich bin sofort fertig, Frau Vorsitzende! Auf diesen einen Punkt will ich mich beschränken,

[Brauer (PDS): Nein!]

[Beifall bei der CDU – Brauer (PDS): Ihnen droht ein Ausschlussverfahren, wenn Sie so weiterreden! – Frau Breitenbach (PDS): Zu Recht! – Zurufe der Abgn. Henkel (CDU) und Hoffmann (CDU)]

[Allgemeiner Beifall]

Danke, Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sie haben Ihre Große Anfrage in mehrere Fragestellungen gegliedert. Ich erlaube mir, nach der Fragestellung vorzugehen, weil es höchstwahrscheinlich leichter ist, Themen zuzuordnen.

Die erste Frage war, wie sich Jugendkriminalität und Jugendgruppengewalt in den letzten zwei Jahren in Berlin entwickelt hat. Ich will mit einem Paradox anfangen, das es in unserer Wahrnehmung nicht gibt. Die Kriminalität von Jugendlichen und Heranwachsenden in Berlin ist seit fünf Jahren rückläufig. Sie hatte im Jahre 2002 bei den unter 21-Jährigen, die ich hier habe, 125 Taten weniger oder 0,3 % weniger als 2001 betragen. Sie hat im Jahr 2001 1,6 % weniger als 2000 betragen. Es gab auch Absenkungsraten in 1998, 1999 und 2000, in 2000 sogar um 6,3 %.

Der Anteil der unter 21-Jährigen an allen 164 709 polizeilich ermittelten Tatverdächtigen betrug 2002 24,7 %. Die Anteile im Jahr 2001 entsprachen 25,1 %. Auch im Jahr 2002 gab es weniger Vorgänge der Jugendgruppengewalt, nämlich 8 541 oder 0,4 % weniger als im Vorjahr. Die Zahl der hierzu bekannt gewordenen Gruppentäter stieg allerdings um 402, also eine konstante Zahl ungefähr der Taten oder etwas weniger Vorgänge, aber mehr Teilnehmer.

Ich trage diese Zahlen nicht vor, Herr Henkel – um gleich vorzubeugen –, um etwas zu verniedlichen. Ich werde nachher auf die Probleme, die wir auch mit diesen Zahlen haben, zu sprechen kommen.

)

Sen Dr. Körting

Wie hoch ist bei uns die Tatverdächtigenbelastungszahl der Jugendlichen oder Heranwachsenden an der gesamten Kriminalität an der Gewaltkriminalität und speziell an den Hauptdelikten? – Ich habe die einzelnen Zahlen der Tatverdächtigenbelastungszahlen nicht, kann aber die Relationen deutlich machen. Im Verhältnis nach Auswertung für das Jahr 2002 zu ihrem Bevölkerungsanteil wurden nichtdeutsche Jugendliche 3,9 mal häufiger bei Sexualdelikten, 1,8 mal häufiger bei Straßenkriminalität, 2,9 mal häufiger bei Gewaltkriminalität, 2,6 mal häufiger bei der gefährlichen und schweren Körperverletzung, 3,4 mal häufiger beim Straßenraub und 4,3 mal häufiger beim Handtaschenraub bekannt als deutsche Jugendliche.

Bei einigen anderen Delikten ist es anders. Im Verhältnis zu ihrem Bevölkerungsanteil wurden deutsche Jugendliche 2,9 mal häufiger bei Kellereinbrüchen, 1,8 mal häufiger bei Brandstiftung und 1,3 mal häufiger bei Sachbeschädigung bekannt als nichtdeutsche Jugendliche. Bei diesen Aussagen haben wir keine Erkenntnisse, was Jugendliche mit deutscher Staatsangehörigkeit mit Migrationshintergrund betrifft. Das ist reine Staatsangehörigkeitszahl.

(D

Dann wurde die Frage nach der Definition für Intensivtäter gestellt. Der Begriff des Intensivtäters oder Mehrfachtäters wurde in der Vergangenheit vielfach verwendet und unterschiedlich definiert. Diese Definitionen sind bundesweit unterschiedlich, je nachdem, welche Statistiken verwendet werden. Sie werden aber abgestimmt und festgelegt. Es sind teilweise nur geringfügige Abweichungen. So haben wir zum Beispiel intensiv und Mehrfachtäter für die täterorientierte Ermittlungsarbeit und den Intensivtäter im Sinne einer gemeinsamen Richtlinie oder Intensivtäter des gemeinsamen Programms BerlinBrandenburg.

An welcher Stelle steht Berlin im Verhältnis zu anderen Städten? – Die erste Feststellung ist: Berlin spielt keine Sonderrolle bei der Jugendkriminalität. Wir haben einen Städtevergleich mit Hamburg, Frankfurt/Main, Köln, München, Stuttgart und Bremen in der Statistik. Im Vergleich der tatverdächtigen Belastungszahl, Täter im Verhältnis zu entsprechend jeweils 100 000 gerechneten Jugendlichen und Heranwachsenden, liegt Berlin bei den deutschen und nichtdeutschen Kindern an erster Stelle, bei den deutschen Jugendlichen an zweiter Stelle – da ist München Spitzenreiter –, bei den nichtdeutschen Jugendlichen ebenfalls an zweiter Stelle – da liegt Hamburg vorn –, bei Heranwachsenden deutschen Tatverdächtigen hinter Stuttgart als 1 und München als 2 an dritter Stelle und ebenso bei den nichtdeutschen Heranwachsenden hinter Hamburg 1 und Bremen 2.

[Eßer (Grüne): Das ist enttäuschend!]

Dann darf ich die Fragestellungen 3, 4 und 5, nämlich Dunkelfelduntersuchungen, spezifizierte Lageerhebung nach jungen Männern nichtdeutscher Herkunft und die generelle Frage, Anteil der Täter nichtdeutscher Herkunft, zusammenfassen. Wir haben keine Dunkelfelduntersuchungen. Wir haben auch keine spezifizierten Lageerhebungen der Berliner Polizei hinsichtlich des Straftatenaufkommens junger Männer nichtdeutscher Herkunft.

Aber, das hat der Polizeipräsident im Januar deutlich gemacht, Tatverdächtige nichtdeutscher Herkunft waren gemessen an ihrem Anteil an der Wohnbevölkerung, also ohne illegal aufenthaltliche Personen, in allen Altersgruppen auch 2002 wieder überproportional vertreten. Es hat eine Untersuchung erstmals der Polizei bei dieser Kriminalstatistik gegeben, die nicht nur auf die Nationalität abstellt. Wir müssen einfach auch zur Kenntnis nehmen, dass die Nationalität, die eigentlich normalerweise bei polizeilichen Untersuchungen festgestellt wird, nur eine Teilaussage ermöglicht, weil sie uns nicht ermöglicht, festzustellen, was mit jungen Menschen ist, die straffällig werden, mit Migrationshintergrund.

Die Polizei hat eine Untersuchung bei den jungen Gruppengewalttätern vorgenommen. Dort stellt die Täterzahl der nichtdeutschen Herkunft 2002 einen Anteil von 31,5 %. Dieser Anteil ist offensichtlich schwankend. 1997 hatten wir 34,7 % und 2001 26,4 %. Wir haben eine erhebliche Zunahme der Tatverdächtigen. Die Jugendgruppengewalt wird größer. Wir haben im Jahr 2002 bei den deutschen Jugendgruppengewalttätern erstmals auch den Anteil von deutschen Staatsangehörigen nichtdeutscher Herkunft erhoben.

Bei den Erhebungen, die nicht komplett sind, da ist nur ein anderer Teil genommen worden, wurde festgestellt, dass 21 % dieser Tatverdächtigen deutscher Staatsangehörigkeit nicht aus Deutschland stammen. Wenn ich die beiden Zahlen zusammen interpoliere, muss ich feststellen, dass insgesamt 44, 4 % der erfassten Jugendgruppengewalttäter Nichtdeutsche oder Deutsche nichtdeutscher Herkunft waren. Das ist die Zahl, die der Polizeipräsident im Rahmen der Polizeistatistik vorgestellt hat.

Die Modifikationen, die es gibt, die Abweichungen sind nicht gewaltig. Man hat aber auf Grund von bestimmten Arbeitsprogrammen jeweils das festgelegt. Die besonders gefährdeten Minderjährigen und Heranwachsenden werden bei der Polizei mittels eines Meldebogens erfasst. Unmittelbar danach wird die Leitung des jeweils zuständigen Jugendamtes unterrichtet. In dem Programm täterorientierte Ermittlungsarbeit, was das polizeiliche Programm Intensivtäter ist, werden derzeit 282 Personen als Intensivtäter geführt. Davon sind 109 Personen mit nichtdeutscher Staatsangehörigkeit.

Die Staatsanwaltschaft Berlin hat zum 1. Juni 2003 zur Verfolgung von jungen Intensivtätern eine Abtei- lung 47 eingerichtet. Hierzu gibt es eine Definition des Intensivtäters, die im Grunde für die anderen ähnlich gilt:

Straftäter, die den Rechtsfrieden besonders störende Straftaten wie Raub, Hoheits- und/oder Eigentumsdelikte in besonderen Fällen begangen haben oder werden bzw. innerhalb eines Jahres in mindestens 10 Fällen Straftaten von einigem Gewicht

Sen Dr. Körting

Die Polizei hat hierzu Fachkommissariate „Jugendgruppengewalt“ und die operativen Gruppen „Jugendgewalt“ eingesetzt. Um dem Anstieg der Raubstraftaten entgegenzuwirken, werden Schwerpunkteinsätze durchgeführt. Hier hat es eine hohe Anzahl von Festnahmen, Vorführungen und Haft- und Unterbringungsbefehlen gegeben, was auch durchaus dazu geführt hat, dass sich das herumgesprochen und in bestimmten regionalen Bereichen abschreckend gewirkt hat. Wichtig ist für die