Protocol of the Session on June 26, 2003

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Große Anfrage haben wir am 3. Juni dieses Jahres eingebracht, also vor dreieinhalb Wochen. Wir scheinen ein sehr schwieriges Thema angesprochen zu haben, denn die eigentlich zugesagte schriftliche Beantwortung liegt nicht vor. Ich weiß nicht, ob es Schlamperei des Senats ist, oder ob dem Finanzsenator die Antwort bis heute nicht klar ist. Ich bin auf jeden Fall sehr gespannt, was er uns dazu zu erzählen hat.

Seit zehn Jahren ist es Politik in Berlin gewesen, Haushaltsrisiken aus dem Landeshaushalt auszugliedern und in Schattenhaushalte und Beteiligungen zu verschieben, in Vermögensbereiche des Landes Berlin. Das kann

Wenn man all diese Risiken im Konsolidierungskurs nicht berücksichtigt, dann ist dieser Konsolidierungskurs unglaubwürdig. Wenn man sagt, man will zum 1. Januar des nächsten Jahres eine Dachstiftung für die drei Opern gründen und gleichzeitig nicht sagt, wie man diese Stiftung auf Null stellt, wie man dafür sorgt, dass nicht von vornherein die aufgelaufenen Defizite wieder anfallen und diese sozusagen als Minusgründungskapital der Stiffung noch vorhanden sind, dann ist auch dieses Projekt unglaubwürdig und in dieser Form nicht zu finanzieren, Herr Sarrazin.

Und wenn ich dann weitergehe, dann glaube ich, dass man endlich Ehrlichkeit in dieser Diskussion braucht, dass man sagen muss, wohin man mit den einzelnen Projekten will, dass man das auch für die Stiftung der Opern definieren muss, Herr Sarrazin. Und da bin ich dann sehr gespannt, ob Sie uns vielleicht im Rahmen der Beantwortung auch ein bisschen was über den Termin gestern Abend beim Regierenden Bürgermeister erzählen können, wo zu den Opern anscheinend schon Beschlüsse gefasst wurden.

dem Anspruch der Haushaltswahrheit und -klarheit nicht mehr gerecht werden. Milliardendefizite sind bei diesen Beteiligungen des Landes aufgelaufen, Milliarden an Risiken finden sich nicht mehr im Haushalt, sondern außerhalb des Haushalts wieder.

Vor einer Klage beim Bundesverfassungsgericht muss man sich aber ehrlich machen, Herr Sarrazin. Deswegen muss man diese Risiken auch benennen, und man muss Vorsorge für sie treffen. Wie geht die Koalition nun damit um? Frau Spranger als haushaltspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion hat im Hauptausschuss den interessanten Satz geprägt: Risiken werden erst dann in den Haushalt aufgenommen, wenn sie haushaltsreif sind. Das ist ein eigenartiges Verständnis von Risikovorsorge. Wir reden auch nicht nur über Risiken, sondern wir reden teilweise über Milliardendefizite, die schon längst angefallen sind und schon seit langem haushaltsreif sind, die der Senat und die Koalition seit langem ignorieren. Herr Sarrazin hat im Hauptausschuss auf die Frage zur Finanzierung der notwendigen Sanierung der Staatsoper geantwortet: Da hilft nur beten.

[Eßer (Grüne): Oder schließen!]

Auch das ist ein Prinzip, das in der Haushaltspolitik nicht unbedingt zu den Grundsätzen gehören sollte.

Um welche Beträge und Projekte handelt es sich hierbei? Es handelt sich um 60 Millionen €, die für das Baufeld Ost beim Flughafen Schönefeld ausgeglichen werden müssen. Es handelt sich um ein Defizit von 30 Millionen €, das bei der Berliner Landesentwicklungsgesellschaft ausgeglichen werden muss. Es handelt sich um zukünftige Investitionen für einen Flughafen in bislang unbekannter Höhe. Es handelt sich um 100 Millionen € Sanierungskosten der Staatsoper, ca. 50 Millionen € Sanierungskosten des Steglitzer Kreisels, um 140 Millionen € Sanierungskosten für das ICC. Es handelt sich um über 1 Milliarde € Defizit der Entwicklungsgebiete, die bis zum Jahr 2006 abgewickelt werden sollen, und es handelt sich um die Entschuldung diverser Institutionen und Gesellschaften des Landes Berlin, ich nenne das Jugendaufbauwerk oder die Berliner Gesellschaft für gesundheitliche Aufgaben. Aber es handelt sich auch um diverse Kultureinrichtungen. Die Theater, die Opern, all diese Institutionen müssen entschuldet werden. Allein im Bereich der Kultur geht es hier um eine zweistellige Millionensumme, Herr Sarrazin. Dafür ist in den bisherigen Finanzplanungen keinerlei Vorsorge enthalten.

Ich gehe weiter zum Bereich der BVG. Wir wissen alle, dass die BVG nicht in den Wettbewerb gehen kann, wenn nicht zuvor eine Entschuldung stattfindet. Eine Gesellschaft mit über einer Milliarde Verlustvortrag im Jahr 2006 oder 2007 ist einfach nicht wettbewerbsfähig. Deswegen muss auch hier Vorsorge im Haushalt eingestellt werden.

Wir reden über die Unikliniken. Die sollen gegründet werden, doch die neue Gesellschaft hat kein Eigenkapital. Wie wollen Sie eine Gesellschaft ohne Eigenkapital grün

den? Auch hier brauchen wir einen Ansatz in den Haushalten der nächsten Jahre.

Frau Grütters bewegt sich immer so intensiv.

[Zuruf: Ist eine Art Breakdance!]

Fahren Sie fort!

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Grütters?

Ich gestatte sie.

Bitte schön!

Dann hat das Winken ja doch einen Sinn gemacht. – Herr Schruoffeneger, Sie sprechen in der Tat die Stiftungsgründung an. Wissen Sie nicht, was gestern Abend schon angeblich beschlossen worden ist, nämlich, dass man die Anfinanzierung offensichtlich durch den Tod eines Opernhauses finanzieren möchte?

Ich versuche ja gerade, den Finanzsenator dazu zu bringen, dass er uns von dem gestrigen Abendtermin etwas berichtet. Wenn meine Informationen richtig sind – und anscheinend auch Ihre –, hat der Regierende das gestern in trauter Runde mit einigen anderen so beschlossen. Und das sollten wir dann heute unter der Überschrift „Haushaltswahrheit“ auch mit zum Thema dieser Debatte und Auseinandersetzung machen.

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]

Und es gibt weitere Risiken, die spreche ich nur noch mit einem Wort an und werde ansonsten in der zweiten Runde darauf eingehen: die Risiken der Wohnungsbaugesellschaften, das dort aufgelaufene Defizit von 11 Milliarden €, das im Wesentlichen durch In-sich-Geschäfte zustande gekommen ist. Ein klassisches Beispiel: Wir sanie

Zur Liquidation der BLEG, der Landesentwicklungsgesellschaft, stehen noch Teilraten von 51 Millionen € aus. Diese werden im Doppelhaushalt veranschlagt werden, und dann wird das Thema abgeschlossen sein.

Zum Thema der Staatsoper wiederhole ich: Im Augenblick fällt mir nichts Besseres ein als Beten. Denn ich habe die 100 Millionen € nicht, und ich kenne auch keinen, der sie hat. Und ich kenne keinen, der aus seinem Etat dafür 100 Millionen € herausrückt. Wir müssen hoffen und beten, dass das noch ein bisschen hält und dass uns bis dahin etwas einfällt. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Es ist augenblicklich nicht veranschlagt, und ich weiß auch nicht, wie es bezahlt werden soll.

Zum ICC müssen wir wissen, was weiter ist mit der Messe. Wir brauchen immer ein Tagungszentrum. Das ICC ist als Tagungszentrum hoch bewährt. Es hat zwei Probleme: Es hat für heutige Zeiten viel zu hohe dauerhafte Betriebskosten, selbst dann, wenn es saniert ist, und es hat einen Sanierungsstau, vor allen Dingen wegen der Asbestverseuchung. Das sind Dinge, die können wir jetzt im Augenblick nicht lösen. Das ICC selbst ist unbedingt notwendig. Ob es einmal durch ein anderes Tagungszentrum ersetzt werden kann, ist eine offene Frage. Im Augenblick können wir jedenfalls davon ausgehen, dass der absehbare Sanierungsbedarf durchaus noch für einige Jahre Zeit hat. Und es ist auch im Augenblick nichts veranschlagt und dafür auch nichts vorgesehen.

ren den Haushalt zu Lasten unserer Betriebe und lösen das Problem nicht, sondern verschieben es eben nur in andere Gesellschaften, in einen Schattenhaushalt. Unsere Große Anfrage dient dazu, diese Schattenhaushalte irgendwann einmal transparent zu kriegen und letztendlich auch aufzulösen und das Land Berlin wieder ehrlich zu machen, auch und gerade gegenüber dem Bundesverfassungsgericht.

[Beifall bei den Grünen]

Danke schön, Herr Kollege Schruoffeneger! – Für die Beantwortung der Großen Anfrage erhält jetzt das Wort der Finanzsenator Dr. Sarrazin. – Bitte schön!

Danke schön! – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Tat, Haushaltswahrheit und -klarheit ist ein sehr hohes Gut.

[Wieland (Grüne): Jawohl! – Frau Oesterheld (Grüne): Ja!]

Und es ist auch oft wie bei vielen hohen Gütern nicht ganz einfach, immer den hohen Maßstäben gerecht zu werden. Im realen Leben gibt es nun einmal Kompromisse, die sich schon daraus ergeben, dass man nicht immer weiß, was alles so passiert und was so passieren kann. Mit all dem, was Sie genannt haben, Herr Schruoffeneger, gebe ich Ihnen Recht. Ich werde darauf auch noch im Einzelnen eingehen.

Interessant ist, was Sie nicht genannt haben. Denn nicht genannt haben Sie die Pensionsausgaben des Landes wegen wachsender Lebenserwartung; nicht genannt haben Sie die wachsenden Zinsausgaben; nicht genannt haben Sie die unaufhörlich steigenden gesetzlichen Sozialausgaben. Und das bereitet mir, wenn überhaupt, unruhige Nächte. Denn das, was Sie genannt haben, dazu werde ich mich äußern, können wir teilweise im Augenblick nicht lösen, und dann werden wir es auch so sagen, oder es ist beherrschbar. Das will ich jetzt kurz darlegen, und ich gehe dabei etwa so vor, wie Sie auch vorgegangen sind.

Zunächst Flughafen Schönefeld: Das Baufeld Ost wird von uns anteilig in dem Umfang entschuldet, in dem es auch die übrigen Partner, Brandenburg und der Bund, entschulden. Wir halten also unsere Schulden immer so in den Anteilen wie die anderen auch. Dafür werden wir jetzt auch in den Haushalt einen Betrag einstellen und werden dann die weitere Entschuldung vornehmen, wie die übrigen Partner auch.

Für den Bau des Flughafens ist zunächst die BBF verantwortlich, die Flughafengesellschaft. Sie braucht dafür von uns und von den übrigen Eigentümern Eigenkapital. Das werden wir ihr zeitanteilig zu den Bauraten geben und zuführen in Form von Gesellschafterdarlehen. Diese sind voll in der mittelfristigen Finanzplanung veranschlagt. Das werden wir in der nächsten Woche im Einzelnen vorlegen können.

Zu den Entwicklungsgebieten: Dies ist in der Tat ein typischer Schattenhaushalt – da haben Sie Recht –, und wir werden ihn auflösen. Es ist geplant, dass wir die Gebiete qualifiziert abwickeln, dass wir dort also die Entwicklung beenden. Das wird noch ein bisschen Geld kosten auf Zeit, aber sie wird beendet werden. Und wir werden die Schulden auf das Land übernehmen und entsprechend Zinsausgaben auch veranschlagen.

[Eßer (Grüne): Wie viel denn noch?]

Das ist jetzt auch so angelegt im Doppelhaushalt und in der Finanzplanung.

Zum Thema unterschiedlicher Eigenbetriebe: Der Berliner Betrieb für zentrale und gesundheitliche Aufgaben, das Jugendaufbauwerk, unterschiedliche Theater usw. Das Jugendaufbauwerk hat keine Schulden mehr. Diese sind abgebaut. Der Berliner Betrieb für zentrale und gesundheitliche Aufgaben hat jetzt noch im Augenblick Schulden von 1,7 Millionen €. Die sind auch für einen Betrieb dieses Umfangs vertretbar und können auf Zeit aus dem Zuschuss abgebaut werden.

Zu den aufgelaufenen Bilanzverlusten bei Deutscher Oper, Deutschem Theater, Maxim-Gorki-, CarousselTheater: Dies sind zusammen 14 Millionen €. Dieses muss aus unserer Sicht abgedeckt werden im Rahmen von noch aufzustellenden Konsolidierungskonzepten für diese Einrichtungen. Da sind wir in einem intensiven, dauerhaften Gespräch mit der Kulturverwaltung. Man wird sehen, was sich daraus ergibt. Jedenfalls halten wir es für falsch,

Danke schön, Herr Senator! – Für die Redebeiträge stehen jeder Fraktion bis zu zehn Minuten zur Verfügung. Der Kollege Schruoffeneger hat nun das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Sarrazin, als Sie begonnen haben, das hohe Gut der Haushaltswahrheit und -klarheit zu schildern, und dann den Halbsatz anfügten – Man kann dem hohen Gut aber nicht immer gerecht werden –, war ich etwas beunruhigt über das, was uns hier bevorsteht; denn Haushaltspolitik sollte sich an den Haushaltsgrundsätzen orientieren. Es hat auch einen Grund, warum wir in unserer Großen Anfrage Zinsausgaben, Versorgungslasten und Sozialausgaben nicht angesprochen haben. Dort gibt es nämlich Entwicklungen, die in Ihrer Finanzplanung durchaus enthalten sind. Sie sind dramatisch, in dem Punkt sind wir nicht auseinander. Sie tauchen aber wenigstens in der mittelfristigen Planung des Landes auf, während all die Punkte, die wir in unserer Großen Anfrage angesprochen haben, bisher in keiner Finanzplanung berücksichtigt, also zusätzliche Ausgaben sind, die scheinbar unerwartet auf uns zukommen. Es ist motivationstötend, immer wieder erleben zu müssen, wie eine Sparrunde nach der anderen über das Land hinwegrollt, die Eltern jetzt die Schulbücher kaufen, die Kitagebühren erhöht werden und, und, und, damit dreistellige Millionen-€-Beträge erspart werden sollen. Und dann kommt zum Jahresende irgendeine Beteiligung des Landes Berlin und hat wieder einen dreistelligen Millionen-€Betrag als Defizit, der ausgeglichen werden muss. Und alle Sparbemühungen, unter denen viele Menschen dieser Stadt massiv gelitten haben, sind umsonst gewesen; sie haben für den Haushalt dann praktisch nichts mehr gebracht. – Deswegen ist es so wichtig, an diese Schattenhaushalte heranzugehen und endlich das Beteiligungs- und Vermögensmanagement vernünftig in den Griff zu bekommen.

den Druck jetzt wegzunehmen, indem wir ohne weitere strukturelle Änderungen einfach entschulden. Es ist aber auch im Verhältnis zu den Gesamtschulden des Landes ein recht überschaubarer Betrag.

[Vereinzelter Beifall bei der PDS]

Ein wichtiges Thema ist die BVG. Dabei macht mir die augenblickliche BVG-Verschuldung – es sind im Augenblick knapp 800 Millionen €, das ist so hoch nicht – nicht die eigentlichen Sorgen. Das passt nämlich durchaus zur BVG-Kapitalstruktur, das ist keine Überschuldung. Mir machen die weitaus zu hohen laufenden Kosten und die mangelnde Ertragskraft der BVG Sorgen. Es ist überhaupt kein Vertun, die BVG ist dabei, das Ziel, den Unternehmensvertrag BSU 2000, zunehmend zu verfehlen, mit Raten von 14 Millionen 2000, 16 Millionen 2001 und 49 Millionen 2002. Das sind im Wesentlichen Kostengründe, und das hat vor allem zu tun mit den personalwirtschaftlichen Bedingungen, unter denen die BVG arbeitet und unter denen eine als Unternehmen geführte Einheit nicht arbeiten kann und darf. Wir werden möglicherweise zu ungewöhnlichen und auch radikalen Lösungen kommen müssen. Aber Sie können sicher sein, dass ich als BVG-Aufsichtsratsvorsitzender auf dieses Thema ein besonderes Augenmerk habe.

Zum Thema Vivantes: Vivantes ist mit Eigenkapitel knapp, aber zusammen mit unserer Bürgschaft ausreichend ausgestattet. Vivantes wird auch mit diesem Kapital seine Ziele erfüllen. Dass das Unternehmen seinerzeit – im Jahr 2000 – unzureichend mit Eigenkapitel ausgestattet wurde und jetzt darunter leidet, ist eine von dem augenblicklichen Senat übernommene Altlast,

[Zuruf des Abg. Eßer (Grüne)]

die wir im Moment nicht abbauen können und werden. Aber das Unternehmen kann sie auch selbständig bewältigen.

Zur neuen Universitätsmedizin Charité: Da bleibt die Eröffnungsbilanz abzuwarten. Es wird dort in erheblichem Umfang Sachkapital eingebracht. Ob man dann als Eigentümer noch einmal zusätzliches Geldkapital zuführen muss, wird abzuwarten sein. Im Augenblick kann ich das noch nicht beurteilen.

Zur BSR: Das BSR-Monopol gilt noch bis zum Jahr 2015. Wir haben nicht die Absicht, es aufzukündigen. Wenn wir das täten, müssten wir an die BSR 230 Millionen € zurückzahlen. Das war in der Vergangenheit eines der Geschäfte, über deren Sinn man sich streiten kann. Dass das Land sich vor einigen Jahren diesen hohen Betrag von der BSR quasi hat vorab auszahlen lassen, war nicht in Ordnung.

Hinsichtlich des Ausgleichs des Primärdefizits bitte ich Sie, noch für einige Tage Geduld zu haben, bis der Senat den Haushalt vorlegt. Sie werden sehen: Auch hier wird nicht alles reifen, was man plant, aber wir werden beim Abbau des Primärdefizits deutliche und nachhaltige

Verbesserungen haben, mit der klaren Perspektive eines Überschusses. – Vielen Dank!