Protocol of the Session on June 12, 2003

Vielen Dank, Herr Regierender Bürgermeister! – Wir kommen nun zur zweiten Rederunde. Es beginnt die Fraktion der SPD. Das Wort hat Frau Kollegin Grosse. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin wohl heute die erste Rednerin, die diesen Tag, den 17. Juni 1953, persönlich erlebt hat. Am 17. Juni 1953 war ich neun Jahre alt. Ich kann mich noch sehr gut an die Aufgeregtheit erinnern, die an diesem Tag zu Hause herrschte. Wir wohnten im Bezirk Schöneberg. Mein Vater arbeitete im Ostteil der Stadt, so dass er die Ereignisse in der Leipziger Straße hautnah miterlebt hat. Durch die ausführliche Berichterstattung meines Vaters prägte sich mir dieser Tag schon frühzeitig als ein besonderer Tag ein. So hatte der 17. Juni für mich schon immer eine besondere Bedeutung, wobei ich aber nicht verschweigen möchte, dass auch ich diesen Tag etliche Jahre als freien Tag, als einen Sommertag im Juni genutzt habe, um z. B. mit den Kindern baden zu gehen. An diesen Tagen habe ich wohl weniger an den Aufstand der Menschen, den Mut der Demonstranten gedacht, die sich gegen die SED gewehrt haben. Umso mehr begrüße ich, dass es eine Rückkehr eines z. T. verdrängten Aufstands oder – anders gesagt – eine Renaissance des 17. Juni gibt.

Die gemeinsame Festveranstaltung, die schon einige Vorredner erwähnt haben, die gestern Abend im Plenarsaal des Abgeordnetenhauses von Berlin stattgefunden hat, hat deutlich gemacht, dass es nun an der Zeit ist, dass wir uns der Verantwortung stellen, die Aufarbeitung der Geschehnisse des 17. Juni 1953 zu gewährleisten. Die Zahl der Menschen, die sich mit den Ereignissen im Juni 1953 noch identifizieren können, wird geringer. Doch gerade deswegen gilt es, den nachfolgenden Generationen die Erfahrungen zu überliefern. Wir brauchen eine umfassende Aufklärung über das Ereignis im Juni 1953, damit nicht nur in den Köpfen bleibt: Weiß nur, dass es ein freier Tag war. – Oder: War doch so ein Tag wie jetzt der 3. Oktober. – Wir brauchen neben den persönlichen Lebensgeschichten – da gebe ich Ihnen Recht, Herr Liebich – eine neue umfassende Aufklärung über das Ereignis im Juni 1953.

Die heutige Aktuelle Stunde ist für uns eine Gelegenheit, 50 Jahre nach dem Volksaufstand am 17. Juni 1953 im Parlament der Ereignisse zu gedenken. Liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU, ich habe es nicht verstanden, dass Sie dem gemeinsamen Antrag zur Aktuellen Stunde heute nicht zustimmen konnten, haben Sie doch in der letzten Parlamentssitzung vehement gefordert, diesen Tag in Berlin gründlich zu begehen. Das wundert mich schon. Und, Herr Lindner, Ihre Aufgeregtheit habe ich nun überhaupt nicht verstanden. Sie haben zwar am Anfang gesagt, Sie wollten so eine Aktuelle Stunde, aber am Ende sind Sie dann dabei gelandet, dass Sie doch lieber

über die Haushaltssituation sprechen wollten. Was denn nun? – Einmal müssten auch Sie sich vielleicht festlegen, Herr Linder!

[Gelächter des Abg. Dr. Lindner (FDP)]

Egon Bahr, der zu dieser Zeit Chefkommentator des Senders war, setzte sich mit der Arbeiterdelegation an einen Tisch und half ihnen bei der Formulierung ihrer Forderungen. Der Generalstreik aber wurde nicht ausgerufen. Der Westberliner DGB-Vorsitzende Ernst Scharnowski unterstützte in einem Aufruf an die „Ostberliner Kolleginnen und Kollegen“ die Forderungen der Bauarbeiter nach Aufhebung der Normerhöhungen. Wie Ihnen bekannt, ging es nun nicht mehr nur um die Normerhöhung, es ging auch um freie und geheime Wahlen, es ging um die politische Freiheit. Die Parole der Bauarbeiter „Wir wollen freie Menschen sein“ zündete in der gesamten DDR. Aus einem Streik war ein Volksaufstand geworden. Vor allem Frauen und Jugendliche hatten sich den Demonstrationen und Kundgebungen angeschlossen. Am 17. Juni 1953 verhängte der sowjetische Militärkommandant den Ausnahmezustand in Berlin sowie in 80 % der insgesamt 217 Land- und Stadtkreise. Die Sowjetarmee ließ Panzer auffahren, ließ auf Arbeiter und Demonstranten schießen und richtete Standgerichte ein. Über 100 Menschen kamen ums Leben.

Für den Westen zeigte der Aufstand den Freiheitswillen der DDR-Bevölkerung. Durch Gesetz vom 4. August 1953 wurde der 17. Juni in der Bundesrepublik zum „Tag der deutschen Einheit“ und war bis 1990 der nationale Feiertag in der Bundesrepublik Deutschland. Die Freiheitsbewegung der DDR von 1989 bezog sich nicht auf den 17. Juni, doch 1989 schloss sich der Kreis, den die Aufständischen am 17. Juni 1953 geöffnet hatten.

Ich komme gleich drauf! – So wird zum Beispiel in dieser Erklärung zum Thema Befreiung politischer Gefangener von einem „Angriff auf Haftanstalten“ gesprochen und das Zusammenschiessen von Demonstranten als quasi legitim ausgewiesen. Dies ist kläglich, erbärmlich und macht in der Tat fassungslos und wütend.

Nahezu sprachlos jedoch macht einen der Umgang mit den Opfern.

Lieber Herr Over, ich kann wirklich verstehen, dass Sie das wütend macht. Sie sind einer Ideologie verhangen, in der nicht sein kann, was nicht sein darf. Deshalb ist Ihnen das unangenehm, aber diesen Spiegel müssen Sie sich vorhalten lassen. Es ist Ihre Aktuelle Stunde, die Sie heute besprechen wollten, und deshalb machen wir das auch, deshalb müssen Sie sich das hier erzählen lassen.

Nahezu sprachlos macht jedoch der Umgang mit den Opfern. Während hohe Partei- und Staatsfunktionäre sowie Mitglieder der so genannten bewaffneten Organe inklusive Stasi in Karlsruhe höhere Renten erstritten haben, warten die Opfer der SED bis heute auf eine angemessene Entschädigung. So konnte man zum Beispiel in der vergangenen Woche in einem Nachrichtenmagazin nachlesen, dass ein Bauarbeiter des 17. Juni, der seinerzeit zu fünf Jahren Haft wegen Landfriedensbruch verurteilt wurde, heute als 70-Jähriger von der Landesversicherungsanstalt für jedes Haftjahr monatlich 1,41 € zugebilligt bekommt. Das ist blanker Hohn und darf nicht einfach hingenommen werden. Hier ist dringender Handlungsbedarf angesagt.

Lassen Sie uns derer gedenken, die schon früh Mut und Zivilcourage bewiesen haben, und lassen Sie uns den Opfern dieses niedergeschlagenen Aufstandes vom 17. Juni 1953 gedenken.

[Beifall bei der SPD, der PDS und den Grünen]

Danke, Frau Kollegin Grosse!

Für die CDU spricht der Kollege Henkel. – Sie haben das Wort – bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir heute der Ereignisse des 17. Juni von vor 50 Jahren gedenken und im Berliner Abgeordnetenhaus darüber in einer Aktuellen Stunde sprechen, dann sollten eigentlich die wesentlichsten historischen Grunderkenntnisse bekannt sein. Sie sollten vor allem unstreitig sein. Dazu zählt beispielsweise, dass es sich in diesen bewegten Tagen im Sommer 1953 – es ist bereits erwähnt worden – keinesfalls um einen faschistischen Putsch westlicher Agenten handelte. Dazu zählt auch das Anerkennen der nahezu spontanen Arbeitsniederlegungen Hunderttausender, die dann in einen Streik mündeten, dessen Forderungen sich nicht mehr nur um die Herabsetzung der Arbeitsnormen drehten, sondern, einhergehend mit riesigen Demonstrationen von bis zu 2 Millionen Menschen in der gesamten DDR, mit politischen Forderungen verbunden wurden. Grunderkenntnisse also, die zum Teil von meinen Vorrednern bereits erwähnt wurden, aber auch Grunderkenntnisse, die jahrzehntelang insbesondere von der SED-Führung nicht nur geleugnet wurden, sondern auch mit Legenden wie eben der von den „Kriegstreibern in Westberlin und Westdeutschland“, die angeblich ursächlich für die Ereignisse um den 17. Juni verantwortlich waren, belegt wurden.

Auch ich habe das noch einmal in Erinnerung gerufen, weil wir heute, fünfzig Jahre nach dieser ersten großen Freiheitsbewegung hinter dem Eisernen Vorhang, auf Situationen stoßen, die nicht nur, aber insbesondere bei denen, die die DDR heute noch verklären, auf eine Verharmlosung der Ereignisse und der damit verbundenen, oftmals drastischen Folgen für die Beteiligten treffen, die einen fassungslos und zum Teil wütend machen. Auch wenn wir nachher einen gemeinsamen Entschließungsantrag aller im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien zum 50. Jahrestag des 17. Juni 1953 verabschieden werden, zählt zu dem, was fassungslos macht, unter anderem die aktuelle Erklärung der Historischen Kommission der PDS.

Herr Kollege Liebich! – Ihre Äußerungen vorhin habe ich wohl gehört, allein mir fehlt der Glaube, wenn ich die aktuelle Erklärung dieser Historischen Kommission Ihrer Partei lese. Denn in dieser Erklärung werden in alter kommunistischer Tradition nach wie vor Geschichte umgedeutet, Legenden aufrechterhalten und in einer Art und Weise verharmlost, als wäre das letzte Jahrzehnt – und

vor allem seine politischen Erkenntnisse – an Ihrer Partei vollkommen spurlos vorbeigegangen.

[Liebich (PDS): Lesen Sie mal!]

[Zurufe von der PDS]

[Over (PDS): Zitieren Sie bitte!]

[Zurufe der Abgn. Liebich (PDS) und Döring (PDS)]

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Aber was macht dieser Senat? Was macht die rot-rote Mehrheit in diesem Haus? Nichts. Beispielhaft sei nur der Antrag der CDU-Fraktion vom 13. Juni 2001 über die Ergänzung des Gesetzes über die Anerkennung und Versorgung der politisch, rassisch oder religiös Verfolgten des Nationalsozialismus erwähnt, wo es um die Aufnahme von politisch und religiös Verfolgten der SEDDiktatur in die Regelung dieses Gesetzes ging. Mit der Mehrheit von Rot-Rot abgelehnt. Zu erinnern ist auch an die Ablehnung einer Entschließung der Bundesländer Thüringen und Sachsen im Bundesrat durch Berlin, Herr Regierender Bürgermeister, die eine Ehrenpension für Verfolgte des SED-Regimes vorsah. Als Krönung des unsäglichen Umgangs dieses Senats mit der Aufarbeitung der SED-Diktatur empfehle ich Ihnen allen noch einmal die Lektüre einer Mitteilung – zur Kenntnisnahme – Drucksache 15/1692, in der der Senat lapidar mitteilt, dass eine erste Sitzung zur Meinungsbildung zum Thema „Aufarbeitung SED-Diktatur“ stattgefunden habe. Ergeb

Manchmal muss es 50 Jahre dauern, bis ein Ereignis zur lebendigen Erinnerung wird. Zuvor hatte es keine Chance, unter der Last der Verteufelung und Verunglimpfung auf der einen Seite und der Last eines anlassvergessenen sonnigen Feiertags auf der anderen Seite, zu einem wahrhaft historischen Ereignis zu werden. Der November 1989 hat die Sicht auf den Arbeiteraufstand am 17. Juni 1953 in seiner Gänze möglich gemacht. Das ist nicht so, weil ich glaube, dass das eine deutliche Kontinuität ist, dass sich die Opposition in der DDR auf diesen Tag bezogen hat, ich erinnere an den Satz von Wolf Biermann, der 17. Juni sei schon ein sozialistischer Arbeiteraufstand, aber noch eine faschistische Erhebung gewesen. Ich glaube, diese Ambivalenz ist eher typisch für die intellektuelle Opposition der 70er und 80er Jahre in der DDR. Die Arbeiter in der DDR – so war jedenfalls mein Eindruck – hätten auch gerne einen Feiertag im Sommermonat Juni gehabt, aber viel mehr an Erinnerung war nicht.

Die persönlichen Erlebnisse von Verwandten waren auch ambivalent, nicht nur, weil – wie gestern in der Veranstaltung geschildert – ihre Erlebnisse von urbanen Legenden geprägt waren, man glaubte, ein Ereignis sei wahr und bewiesen, bloß weil es überall erzählt wurde, sondern es auch von Augenzeugen je nach politischer Einstellung so oder so gesehen worden war. Damit meine ich nicht die Wertungen, die naturgemäß unterschiedlich ausfallen, sondern die Behauptung, die Wahrheit gesehen zu haben. Die erste objektive Wahrheit, die mir begegnete, war in den 60er Jahren der Vater meiner besten Freundin, der nach 12 Jahren aus dem Zuchthaus kam. Ich wusste vorher nicht, dass sie einen Vater gehabt hatte.

nisse seien allerdings nicht erzielt worden, man bitte um Fristverlängerung bis zum 30. November dieses Jahres.

So, meine Damen und Herren von der Koalition, kann man glaubhaft dieser Thematik nicht wirklich begegnen. Aber wenn Sie wirklich planen, sich mit dieser Thematik auseinanderzusetzen, dann bitte ich Sie alle, sich dafür einzusetzen, dass der kürzlich vorgelegte Gesetzentwurf der CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Deutschen Bundestag, der für Pensionen anerkannter Opfer jährlich insgesamt 180 Millionen € vorsieht, doch noch eine Mehrheit erhält.

[Liebich (PDS): Warum haben Sie das denn nie gemacht, als Sie in der Regierung waren?]

Herr Liebich, ich finde es peinlich, dass die rot-grüne Koalition eine Opferrente für Verfolgte des SED-Regimes ablehnt. Werden Sie doch Ihrer Verantwortung gerecht, der Regierende Bürgermeister sprach vorhin von dieser Verantwortung. Das ist völlig richtig. Wir haben diese Verantwortung, Sie haben sie, weil Sie in der Regierung sind. Ihre Bundespartei hat sie, weil sie die Bundesregierung stellt. Werden Sie Ihrer Verantwortung gerecht, arbeiten Sie auf eine Korrektur dieser Ablehnung durch Rot-Grün hin. Dann sind Sie glaubwürdig. Dann haben solche Veranstaltungen wie heute, solche Aktuellen Stunden, solche Reden, wie wir sie gehört haben, Sinn. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der CDU]

Danke, Herr Kollege Henkel! – Für die PDS spricht Frau Seelig. – Bitte schön, Sie haben das Wort!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde, bis zu der Rede von Herrn Henkel hatte diese Veranstaltung sehr viel Sinn, weil wir uns gemeinsam in diesem Haus verständigen konnten, was uns heute nach 50 Jahren der 17. Juni bedeutet. Sie haben Behauptungen aufgestellt, die gänzlich jedes Hintergrunds entbehren, beispielsweise kein einziges Zitat aus dem Papier der Historischen Kommission der PDS gebracht. Gerade dort wird sehr ernsthaft das vorliegende Material ausgewertet. Und es kommt für diese Partei zu überraschenden neuen Ergebnissen, die keineswegs von allen so goutiert werden, die aber tatsächlich einen Riesenschritt nach vorne in der politischen Beurteilung darstellen.

Zum Thema SED-Unrechtsbereinigungsgesetz: Die ersten beiden Fassungen sind unter der Ägide von Kohl entstanden, und sie sind so mangelhaft, wie sie sind. Sie hätten ausreichend Gelegenheit gehabt, sich den Opfern in einer anderen Art und Weise anzunähern, als sie es zu ihrer Regierungszeit getan haben. Das gilt übrigens auch für die große Koalition, in der Sie die stärkste Fraktion gestellt haben. Sie hätten alle Zeit und alle Gelegenheit der Welt gehabt, Ihren Willen kundzutun, vernünftige Gesetze für die Opfer ins Leben zu rufen.

[Beifall bei der PDS – Vereinzelter Beifall bei der SPD und den Grünen]

Ich sehe also die gerade Linie von 1953 bis 1989 nicht, sondern der Herbst 1989 war für den Moment die Emanzipation der DDR-Bürgerinnen und -Bürger und deshalb der Ausgangspunkt für eine neue Sicht auf den 17. Juni. Sie haben sich von ihrem vormundschaftlichen Staat befreit, für dessen Funktionäre ein Arbeiteraufstand in ihrem Einflussbereich nur von Faschisten fremdbestimmt sein konnte, denn sie waren ja höchstpersönlich die Arbeitermacht. Sie haben sich aber auch von den fürsorglichen Sonntagsreden für die armen Brüder und Schwestern in der Ostzone befreit und konnten den 17. Juni als ihre Leistung und ihre Geschichte annehmen. Ich wünschte, sie würden es tun. – Wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass Mitglieder der SED sowohl Streikführer waren als auch an der Niederschlagung des Aufstands beteiligt waren. An einen dieser Streikführer, Heinz Brandt, ist ja erinnert worden. In der Folge des 17. Junis sind tausende Menschen aus der Partei ausgeschlossen worden.

Die lebendige Erinnerung haben viele Menschen in den letzten Wochen auch in drei Fernsehfilmen über den 17. Juni erfahren. Es stützt meine These, dass es Zeit und eines tiefer gehenden Blickes bedarf, dass diese drei unterschiedlichen Filme auf ihre Art – ich will sie nicht

Herr Kollege Wieland, Sie hatten einmal bei einer Debatte über Greenpeace an unsere Adresse gewandt

gesagt: „Wenn Grüne über Greenpeace reden, dann kommen die Emotionen hoch.“ – Das kann ich verstehen: Wenn freie Demokraten über Freiheit sprechen, dann ist das für uns der zentrale Wert, für den wir kämpfen und für dessen Stellenwert wir in der Gesellschaft, insbesondere auch heute nach wie vor eintreten.

Wir stehen unter dem Eindruck all dieser Veranstaltungen über den 17. Juni in den letzten Tagen und Wochen, darunter die sehr beeindruckende Veranstaltung gestern hier im Abgeordnetenhaus, als Zeitzeugen anwesend waren, als jemand da war, der damals anschließend verhaftet wurde, der jahrelang im Gefängnis schmorte. Und so fordert die FDP-Fraktion, den 17. Juni wieder als Feiertag in Deutschland einzuführen.

Ich glaube, es macht keinen Sinn, ihn an Stelle des 3. Oktober, wie gestern hier teilweise verlangt wurde, wieder einzuführen. Der 3. Oktober ist der Tag der Einheit. Wir wollen zusätzlich einen Tag der Freiheit.

ästhetisch bewerten – alle gut waren, weil sie den Aufständischen der DDR einen aktiven und würdigen Platz zuweisen, ihnen ein Gesicht geben und den Akteuren des Kalten Krieges auf ihre Weise Gerechtigkeit widerfahren lassen. Es ist ebenso historische Wahrheit, dass der amerikanische Hochkommissar mit den Worten, ob RIAS den dritten Weltkrieg beginnen wolle, die Sendung über den Arbeiteraufstand unterband, wie auch die Skepsis des sowjetischen Generals gegenüber dem Ulbricht-Regime und die anfängliche Weigerung, mit seinen Truppen dieses Regime zu unterstützen. Gefangene ihrer Interessen waren beide Großmächte, und ein Arbeiteraufstand im sowjetischen Einflussbereich war nicht eingeplant, die Möglichkeit nicht einmal geahnt.

Wir haben gestern im Berliner Abgeordnetenhaus eine interessante Veranstaltung, auf die hier viele eingegangen sind, mit der Birthler-Behörde und der Körber-Stiftung gehabt, mit Zeitzeugen und Filmemachern, mit Historikern und Politikern, die eines deutlich gemacht hat: Dass es 50 Jahre nach dem Aufstand der DDR-Arbeiter die Chance gibt, ihre Leistung jenseits von parteipolitischer Vereinnahmung als das zu würdigen, was sie ist: ein historisches Ereignis, das neben den sozialen Rechten auch die Freiheit einklagte. Eine Forderung, die aus meiner Sicht zu ihrer Zeit allerdings nur scheitern konnte. Dr. Wolf Schmidt von der Körber-Stiftung sagte sinngemäß, es gebe keinen Grund von einer Westbiographie aus besserwisserisch den DDR-Bürgerinnen und -Bürgern ihre Geschichte zu erklären. Dann ist es auch an uns, diesen Tag als unseren Beitrag zur gemeinsamen Geschichte zu verstehen. – Danke schön!

[Beifall bei der PDS und der SPD – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Vielen Dank, Frau Kollegin! – Bevor wir in der Redeliste fortfahren, habe ich noch einmal die herzliche Bitte, sich daran zu erinnern, dass das Haus sich ein strenges Verbot von Handys vereinbart hat. Die Rednerinnen und Redner haben das Recht, dass sie ungestört von den Tönen ihre Aufmerksamkeit bekommen. – Jetzt spricht für die FDP der Kollege Dr. Lindner. – Sie haben das Wort!

Herr Präsident! Verehrte Damen! Meine Herren! Wir haben heute sehr viel gehört über die Bedeutung des 17. Junis. Ich möchte zwei Dinge noch einmal besonders hervorheben. Es war der erste Volksaufstand im gesamten Ostblock. Er hat den Menschen Mut gemacht, weit über die Grenzen der DDR und Deutschlands hinaus, auch in Ungarn 1956, in der Tschechoslowakei 1968 und in Polen in der SolidarnośćBewegung 1981. Ich glaube aber auch, speziell für uns Deutsche steht er in einer Reihe von großen Freiheitskämpfen: dem 18. März 1848, und dann schließt sich der Kreis wieder beim 9. November 1989, ein wahrhaft revolutionärer Tag, ein wirklicher Tag der Freiheit.

[Beifall bei der FDP]