Die Männer und Frauen des 17. Juni hatten schon früh Mut und Zivilcourage bewiesen und sich für Demokratie und Menschenrechte eingesetzt. Einer von ihnen war Heinz Brandt. Der Kommunist und KZ-Häftling war 1953 SED-Sekretär der Ostberliner Bezirksleitung und unterstützte die streikenden Arbeiter von Bergmann-Borsig. Im August 1953 wurde er deshalb aller Parteiämter enthoben und floh 1958 in die Bundesrepublik. 1961 wurde er vom Staatssicherheitsdienst entführt und zu 13 Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach internationalen Protesten wurde Heinz Brandt 1964 freigelassen und schrieb das Buch „Ein Traum, der nicht entführbar ist“.
Aber auch in der Bundesrepublik zeigte er Zivilcourage und Engagement für Demokratie und Freiheit. Er nutzte seine internationalen Kontakte, um das nach dem britischen Nobelpreisträger benannte Russel-Tribunal gegen den von der sozial-liberalen Koalition und allen Ministerpräsidenten auf den Weg gebrachten „Radikalenerlass“ in der Bundesrepublik Deutschland zu organisieren. Nicht nur Heinz Brandt, auch große Teile meiner Generation hatten sich damals unter „Mehr Demokratie wagen“ etwas anderes als Berufsverbote vorgestellt.
Im Westen wurde der 17. Juni seit 1954 als Tag der deutschen Einheit begangen. Während in den ersten Jahren noch Hunderttausende dieses Tages gedachten, wurde
er später überwiegend als willkommener Urlaubstag denn als Gedenktag genutzt. Außerdem passte er nicht in die Entspannungspolitik. Deshalb wurde, unabhängig von der parteipolitischen Ausrichtung, der 17. Juni mehr und mehr aus dem öffentlichen Gedenken zurückgedrängt.
Und das alles mündete in dieses glühende Bekenntnis, für das in Berlin an einem Tag ein fast hundertprozentiger Generalstreik war und für das in der Zone Hunderttausende unter Lebensgefahr gestreikt haben, in dieses glühende Bekenntnis: Wir wollen nicht mehr in einem gespaltenem Deutschland leben. Wir wollen Wiedervereinigung. Das mag etwas sein, das uns berechtigt, mit einem Wort von Karl Marx zum Gedenken an die Juni-Kämpfer von Paris des Jahres 1848 zu sagen: Die Arbeiter sind zwar geschlagen worden, aber sie sind nicht besiegt. Besiegt sind ganz andere. Das wird die Geschichte lehren.
In der Praxis der Berufsverbote sah 1978 nicht nur das Russel-Tribunal, sondern 1995 auch der Europäische Gerichtshof in Straßburg eine Verletzung der Menschenrechte. Aber Heinz Brandt, und deshalb erzähle ich dies, war nicht einäugig. Mit dem selben Engagement setzte er sein Kämpferherz auch für ein Russel-Tribunal zur Situation der Menschenrechte in der DDR ein. Leider hatte er damit keinen Erfolg. Mit Heinz Brandt und anderen bekommen die Unbekannten des 17. Juni einen Namen. Die Fraktion der Grünen unterstützt und begrüßt es ausdrücklich, dass in Pankow eine Straße nach Heinz Brandt benannt wird. Das ist ein guter Anfang. Weitere Personen müssen folgen.
Den 17. Juni erlebte Wolfgang Leonhardt, der Autor des Buches „Die Revolution entlässt ihre Kinder“, im blockfreien Jugoslawien, wo der Aufstand gegen Bürokratie, Diktatur und Verrat am Sozialismus von jubelnden Menschenmassen auf den Straßen gefeiert wurde. Für Leonhardt, einem profunden Kenner der Sowjetunion, war er die Ouvertüre vom Niedergang und Fall des sowjetischen Imperiums und weniger ein Tag der nationalen, denn der europäischen Einheit. Für ihn und auch für uns ist der 17. Juni 1953 ein Tag der Selbstbefreiung und der revolutionären Emanzipation.
In der DDR wurde der Aufstand am 17. Juni offiziell verleugnet. Er galt als faschistischer Putsch, der von westlichen Geheimdiensten langfristig organisiert und durchgeführt worden sei. Diese These konnte die SED niemals belegen.
Das hindert allerdings den Ehrenvorsitzenden der PDS Hans Modrow keineswegs den 17. Juni heute folgendermaßen einzuschätzen – im „Tagesspiegel“ vom Dienstag wird er so zitiert:
Westdeutsche und Westberliner Kräfte, darunter Medien, mischten sich völkerrechtswidrig in die damaligen inneren Auseinandersetzungen der DDR ein.
Außerdem rechtfertigt Modrow auch heute noch die Inhaftierungen und Verurteilungen der DDR-Gerichte. Das allerdings ist ein Skandal!
Denn auch nachdem die Stasi-Akten zugänglich sind, wissen wir, dass es sich – ohne Unterstützung der Intelligenz – um einen spontanen Arbeiteraufstand gegen Ausbeutung und Unterdrückung handelte, einen Aufstand nach dem klassischen Drehbuch sozialistischer Revolutionstheorie. Er überraschte die Geheimdienste nicht nur im Osten, sondern auch die im Westen.
Klaus Harpprecht, Journalist und Buchautor über den 17. Juni, nennt ihn den ersten Schritt auf dem langen Weg bis zum 9. November. Einen Zusammenhang, den Herbert Wehner am 1. Juli 1953 im Deutschen Bundestag bereits mit folgenden Worten voraussagte:
50 Jahre später kennen wir die Lehren der Geschichte. Im Sinne von Sören Kierkegaard – „Das Leben wird vorwärts gelebt und rückwärts verstanden“ – können wir heute sagen, dass sich das Vermächtnis des 17. Juni am 9. Oktober 1989 erfüllte, nämlich als in Leipzig in der entscheidenden Phase der friedlichen Revolution der Mut der Demonstranten größer war als die Angst vor der Staatsgewalt und sie zu Zehntausenden auf die Straße gingen. Diesem 9. Oktober folgte der 9. November 1989 mit dem Fall der Berliner Mauer.
Wenn es für diesen Zusammenhang noch eines Beweises bedarf: Am 31. August 1989 hat kein Geringerer als Stasichef Erich Mielke vor vertrauten Genossen ängstlich gefragt:
Heute, 50 Jahre danach, ist das Interesse an den Ereignissen vom 17. Juni riesengroß. Allein die Filme in der ARD und im ZDF wurden von mehr als neun Millionen Zuschauerinnen und Zuschauern gesehen. In Berlin fanden und finden über 500 Veranstaltungen statt, und die Handreichung für den Unterricht, die das Berliner Landesinstitut für Schule und Medien zusammen mit dem Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen herausgegeben hat, ist eine sehr gute Grundlage, um nicht nur die Defizite der Schüler, sondern auch die mancher Lehrer zu beheben.
Was in wenigen Tagen vor 50 Jahre geschah, ist ein Meilenstein in der Demokratiegeschichte unseres Landes. Der 17. Juni war in Westdeutschland aus gutem Grund ein Feiertag. Aber es gehört zu einer ehrlichen Rückschau festzustellen – das sagten schon mehrere Redner –, dass die Menschen mit diesem Datum nicht mehr viel anfangen konnten. Es war in der Tat nur noch ein freier Tag. Ich erinnere mich, dass das Thema selbst im Schulunterricht – wenn überhaupt – nur am Rande gestreift wurde. Die meisten haben den freien Tag für einen Ausflug ins Grüne genutzt. Die Erinnerung an den Aufstand am 17. Juni 1953, an den Mut der Arbeiter, aber auch an die Opfer trat in den Hintergrund. Über den freien Tag hat man sich gefreut, aber der Grund für den Feiertag wurde vergessen.
Heute, 50 Jahre danach, haben wir die Chance, uns dieses wichtige Datum der deutschen Geschichte wieder neu anzueignen. Ich bin froh, dass es in diesen Tagen und Wochen eine Vielzahl von Gelegenheiten gibt, um an den 17. Juni zu erinnern, aber auch darüber nachzudenken, was dieses Datum uns heute noch sagt und bedeutet. Es gibt eine Vielzahl von Anlässen und Orten, um dieses wichtigen Tages zu gedenken – gerade in Berlin, wo das Zentrum des Geschehens war. Bundestag und Bundesrat haben zu einer offiziellen Gedenkveranstaltung am 17. Juni im Reichstag eingeladen, und die Verfassungsorgane werden der Opfer des 17. Juni mit der Kranzniederlegung auf dem Friedhof Seestraße gedenken. Es gibt die traditionelle Gedenkveranstaltung am Holzkreuz in Zehlendorf gegenüber dem dort aufgestellten sowjetischen Panzer, wo Arbeiter wenige Tage nach dem niedergeschlagenen Aufstand das erste Denkmal für die Opfer des 17. Juni errichteten. Am 17. Juni wird ein Gedenkstein in der ehemaligen Stalinallee errichtet – dort, wo der Aufstand begann. Am Spreeplatz werden unmittelbar neben dem Reichtag an der früheren Mauer die Kreuze wieder der Öffentlichkeit übergeben, die dort an die Opfer der Mauer erinnern. Am 21. Juni, dem 35. Geburtstag von Chris Gueffroy, wird am Britzer Zweigkanal eine ihm gewidmete Stele errichtet. Eine Tafel der Geschichtsmeile Berliner Mauer erinnert dann an Ort und Stelle an den letzten an der Mauer erschossenen Mann. Chris Gueffroy kam am 5. Februar 1989, nur wenige Monate vor Öffnung der Mauer, bei seinem Fluchversuch am Britzer Zweigkanal ums Leben. In der Gedenkstätte Hohenschönhausen findet eine lange Nacht des 17. Juni statt. Dort wird mit einem Theaterprojekt an das Ereignis vor 50 Jahren, aber auch an die schrecklichen Verbrechen, die im ehemaligen Stasigefängnis begangen wurden, erinnert. Zum 17. Juni wird an der Leipziger Straße vor dem ehemaligen Haus der Ministerien eine Sondertafel der Geschichtsmeile Berliner Mauer aufgestellt, um in Verbindung mit dem Bodenbild auf den Ort hinzuweisen, an dem die Proteste des 17. Juni eine besondere Zuspitzung erfuhren und dann schließlich die sowjetischen Panzer rollten.
Der 17. Juni 1953 gehört zu den wenigen positiven Tagen in der deutschen Geschichte: die Märzrevolution von 1848, die Novemberrevolution von 1918, der Aufstand vom 17. Juni 1953, die Montagsdemonstrationen vom 9. Oktober 1989, ohne die es den 9. November nicht gegeben hätte. Mit der friedlichen Revolution in der DDR erfüllte sich das Versprechen des 17. Juni, und zu Recht wird kritisiert, dass dieser Feiertag zu Gunsten des 3. Oktober abgeschafft wurde. Damit wurde nicht nur das Datum 17. Juni durch den 3. Oktober ersetzt, sondern auch das Gedenken verlagert, nämlich weg von Mut und Freiheitsliebe Hunderttausender hin zu den paar Männern – es waren in der Tat nur Männer –, die glaubten, mit ihrer Unterschrift Geschichte gemacht zu haben.
Den 1. Mai allerdings für den 17. Juni einzutauschen, ist eine absurde Idee. Herr Lindner, zunächst etwas mehr Bescheidenheit. Schließlich war es die FDP, die als Regierungskoalition zusammen mit der CDU beschlossen hatte, den 17. Juni abzuschaffen. Wie wenig Sie sich zügeln können, zeigt sich auch daran, dass Sie selbst bei einem Ereignis wie dem 17. Juni offenbar nicht Ihren Hass auf die Gewerkschaften verbergen können. Bei Ihrem Vorschlag, den Tag der internationalen Arbeiterbewegung zu Gunsten des 17. Juni einzutauschen, würde sich ein Kämpfer wie Heinz Brandt im Grab herumdrehen. Das ist eine absurde Idee.
Man kann den 18. März, den 17. Juni, den 9. Oktober oder den 9. November zum Feiertag der demokratischen Emanzipation in Deutschland machen. Alle diese Daten sind besser als der 3. Oktober.
Die gemeinsame Erklärung zum 17. Juni 1953 war auch oder wegen des Abstands von 50 Jahren ein schwieriger Prozess. Der historischen Bedeutung wird diese Erklärung allemal gerecht. Ich bitte Sie, dieser Erklärung aller fünf Fraktionen zum 50. Jahrestag des 17. Juni zuzustimmen. – Herzlichen Dank!
Vielen Dank, Herr Kollege Cramer! – Für den Senat hat der Regierende Bürgermeister das Wort. – Bitte schön!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin sehr froh, dass der 17. Juni 1953 heute im Mittelpunkt der Aktuellen Stunde steht.
Holzkreuz, Gedenkstein in der ehemaligen Stalinallee, Spreeplatz, Leipziger Straße und Gedenkstätte Hohen
Heute fragen manche: Findet am 50. Jahrestag eine Neubewertung der Ereignisse vom 17. Juni gegenüber der Sicht der siebziger und achtziger Jahre statt? – Der zeitliche Abstand ist zunächst auch eine Chance zur kritischen und selbstkritischen Rückschau. Die sollten wir nutzen. Wir sollten auch unserem politischen Gegner zugestehen, dass er eine Neubewertung eines geschichtlichen Ereignisses vornehmen kann, ohne dabei seine Glaubwürdigkeit zu verlieren. Manchmal gewinnt man sogar Glaubwürdigkeit, wenn man bereit ist, von einer überholten
Meinung Abschied zu nehmen. Was hier zu Herrn Modrow gesagt wurde, ist ein deutliches Zeichen dafür, dass es offensichtlich immer noch einige gibt, die es nie lernen werden. Wir sehen heute klarer als vor 15 Jahren, dass der Aufstand vom 17. Juni eine Freiheitsbewegung und eine Demokratiebewegung war. Der 17. Juni war – bei aller Unterschiedlichkeit der Bewegungen – ein Vorläufer von Ungarn 1956, Prag 1968 und von Solidarność in Polen. Das ist die europäische Dimension dieses Tages. Wenn ich dies sage, dann ist mir und sicherlich vielen im Saal sehr wohl bewusst, dass der Blick auf diese Dimension des 17. Juni in den siebziger und achtziger Jahren durch das Denken in den Kategorien des Kalten Krieges geblendet war, und zwar auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs. Es ging um Stabilität im Kräftegleichgewicht. Dafür gab es gute Gründe, denn über allem schwebte das Damoklesschwert eines Krieges der gerade die hoch gerüsteten deutschen Staaten zu einem atomaren Schlachtfeld hätte machen können. Aber für diejenigen, die im Westen aufgewachsen sind, sage ich: Manchmal hat die Angst vor den unabsehbaren Folgen einer Destabilisierung unseren Blick auf die Menschen in der DDR verdeckt, und das gilt besonders für den Blick auf die Opfer des 17. Juni, der Mauer und der Stasi. – Das ist eine bittere Einsicht, aber wir sollten den 50. Jahrestag als eine Chance sehen, darüber mit der nötigen Distanz zu sprechen, ohne gegenseitige Anklage, vor allem aber mit Respekt vor den Opfern. Es gibt kein verordnetes Gedenken. Jeder findet seinen eigenen Weg. Und jeder kommt von anderen Punkten und aus anderen Traditionen.
schönhausen sind authentische Orte, an denen uns ein Stück jüngerer Geschichte unmittelbar begegnet. Das sind wichtige Orte des Gedenkens für die Berlinerinnen und Berliner, aber auch für die vielen Besucher der Stadt, die alljährlich in Berlin nach den Spuren der jüngeren Geschichte suchen.
Es ist richtig und wurde im Vorfeld des 17. Juni von verschiedenen Seiten beteuert, dass man Gedenken und Erinnern nicht verordnen kann. Gleichwohl gibt es eine besondere Verantwortung des Landes Berlin, die Erinnerung an ein Ereignis wach zu halten, das die Nachkriegsgeschichte in ganz Berlin tief geprägt hat. Der 17. Juni ist ein solches Ereignis, das sich in besondere Weise mit dem Schicksal Berlins verbindet, und deshalb haben wir bereits vor Monaten beschlossen, zu einer Gedenkveranstaltung am Abend des 16. Juni im Roten Rathaus einzuladen. Die Idee war, von vornherein eine Form zu finden, in der Jugendliche mit Zeitzeugen ins Gespräch kommen, denn in der Begegnung von Schülerinnen und Schülern mit Zeitzeugen liegt die große Chance, aus dem schlichten Datum 17. Juni einen Tag zu machen, der durch Gesichter geprägt ist, durch Akteure, durch handelnde Personen. Das ist es, was Geschichte lebendig macht. So kann es gelingen, die Erinnerung von Generation zu Generation weiterzugeben.
Ich bin sehr froh, dass sich in diesem Jahr sehr viele Jugendliche auf Spurensuche begeben haben – in Schülerwettbewerben, in Gesprächen mit Zeitzeugen, in Zeitungsrecherchen, wo junge Menschen sich auch selbst aktiv ihre Position zur Geschichte erarbeiten. Ich danke an dieser Stelle allen Lehrerinnen und Lehrern in Berliner Schulen, die diesem Forschen und Fragen Raum gegeben haben und die sich auch sehr aktiv an dem von der Senatsbildungsverwaltung ausgeschriebenen Wettbewerb beteiligen. Herr Cramer hat zu Recht auf die gute Handreichung für den Unterricht hingewiesen, die erarbeitet worden ist und die weit über das Gedenken am 17. Juni hinaus für den Unterricht wesentliche pädagogische Impulse geben kann. Ich weiß, dass dies manchmal auch kritische Fragen an die eigene Biografie sind, die unbequem sein können, wenn junge Menschen fragen: Was war eigentlich damals? – Aber genau darin liegt die Chance des 50. Jahrestages. Viele Zeitzeugen leben glücklicherweise noch. Die Fragen der heutigen Schülergeneration an ihre Eltern und Großeltern sind daher vielfach noch möglich. Wir sollten die Jugendlichen ermutigen, sich auf die Suche zu machen.
Aus heutiger Sicht ist der 17. Juni zweierlei: ein Meilenstein, weil es sich um eine der wenigen demokratischen Volksbewegungen der deutschen Geschichte überhaupt handelt, zugleich aber auch eine Katastrophe, weil für Jahrzehnte die Hoffnung auf die Verbesserung der Lebensverhältnisse, auf Demokratie und freie Wahlen in der DDR zunichte gemacht wurde. Der Aufstand des 17. Juni wurde von sowjetischen Panzern brutal niedergewalzt. Insofern endete der Protest gegen Normerhöhungen, der sich zu einem Volksaufstand in der ganzen DDR ausgeweitet hatte, mit einer bitteren Niederlage. Trotz der Niederlage war der Aufstand nicht vergeblich. Er hat gezeigt, dass es Menschen gab, die auf Veränderung hofften und bereit waren, für diese Veränderung einzutreten, Gesicht zu zeigen und letztlich alles zu geben, auch ihr Leben. Erst die Entspannungspolitik, dann die gorbatschowsche Politik von Glasnost und Perestroika und schließlich die Demokratie- und Bürgerbewegungen in Ungarn, der Tschechoslowakei, Polen und in der DDR haben mit dem friedlichen Wandel des Jahres 1989 die Hoffnungen von 1953 Wirklichkeit werden lassen. Wir verneigen uns vor den tapferen und mutigen Frauen und Männern, die bereits vor 50 Jahren für die Ideale von 1989 gekämpft haben. Wir denken an die knapp 100 Menschen, die bei dem Aufstand umkamen. Wir denken an die 13 000 bis 15 000 Menschen, die wegen ihrer Beteiligung an den Protesten verhaftet wurden. Wir denken an die 20 Menschen, die hingerichtet wurden. Ihrem couragierten Einsatz für Gerechtigkeit, für freie Wahlen
Auf die zahlreichen Veranstaltungen, die in der Stadt unter anderem durch den DGB mit seinen Gewerkschaften angeboten werden, hat der Regierende Bürgermeister ausführlich hingewiesen. Ich gehe deshalb nicht näher auf sie ein.
Wir erinnern uns: Die Bauarbeiter der Stalinallee demonstrierten am Vormittag des 16. Juni 1953 und lösten mit ihrem Protest den landesweiten Volksaufstand vom 17. Juni 1953 aus. Am 17. Juni streikten aber nicht mehr nur die Bauarbeiter Ostberlins, sondern hundertausende
Arbeiter aller Branchen in der gesamten DDR. Der Berliner Rundfunksender RIAS hatte mit seiner Berichterstattung über die Berliner Ereignisse maßgeblich dazu beigetragen, dass sich die Nachricht vom Widerstand der Bauarbeiter über Berlin hinaus verbreiten konnte. Und das, obwohl innerhalb des Senders zur Zurückhaltung gemahnt wurde. Die ganze Nacht durch bis in den Morgen berichtete RIAS Berlin über die Protestaktion. Ort und Zeitpunkt der für den Morgen in Ostberlin geplanten Demonstration wurden mehrfach bekannt gegeben. Eine Arbeiterdelegation suchte das Funkhaus auf, um die Forderungen der Bauarbeiter und den Aufruf zum Generalstreik zu verbreiten.