Protocol of the Session on May 8, 2003

Herr Henkel ist leider nicht mehr da. Ich kann aber vielleicht die anderen Kollegen fragen, wo sie bei der Vorbereitung dieses Antrags am 5. Mai im Innenausschuss eigentlich gewesen sind. Wo waren Sie, als die anwesenden Polizeiführer sich klipp und klar zu der in der Polizei festgelegten Linie bekannt haben? Wo waren Sie, als der Polizeipräsident seine detaillierte Analyse von Erfolgen und Mängeln vorgelegt hat? Wenn Sie am Montag nicht nur körperlich anwesend waren – Herr Wansner, Sie waren da, das kann ich selbst bezeugen, und das steht auch im Protokoll –, dann können Sie doch nicht ernsthaft den Innensenator für eine engagierte und sorgfältige Vorbereitung missbilligen wollen. Hierzu haben meine Kollegin Hertel und die anderen Vorredner bereits das Wesentliche gesagt.

Das ist für alle hier im Hause von Interesse. Wir wollen keine Schuld zuweisen, aber die Verantwortung muss klargemacht werden.

Und dann kommen wir zum Missbilligungsantrag der CDU. Aus unserer Sicht ist dem Innensenator kein konkretes Fehlverhalten nachzuweisen. Das wäre aber die Voraussetzung für eine Missbilligung. Wir haben selbst vor kurzem einen gestellt, Sie erinnern sich, für Kultursenator Flierl mit seiner Aktion auf dem Brandenburger Tor, wo er bewusst das Recht gebrochen hat, sich hinterher hingestellt hat: Es war für eine gute Sache, sich hier positioniert hat: Für Greenpeace kann man mal ein Auge zudrücken. – Das geht nicht, das Recht gilt in diesem Land, in dieser Stadt für alle. Der Kultursenator hat damals dagegen verstoßen, deswegen wollten wir ihn missbilligen. Dem Innensenator ist das nicht nachzuweisen, es gibt keine Beweise für solche Vorgänge. Deswegen werden wir diesem Missbilligungsantrag nicht zustimmen.

Jetzt hat der Kollege Wolf noch einmal auf unsere Idee angesprochen. Das scheint wirklich ganz schwer zu kommunizieren zu sein, da müssen wir echt noch an uns arbeiten. Die Idee der FDP ist nicht, Kreuzberg zu entvölkern, die Leute von Kreuzberg nach Steglitz zu fahren, sondern die Kreuzberger sollen ihre Straßenfeste haben, sie sollen sich um ihre Straßen, um ihre Ecken kümmern. Aber wir wollen verhindern, dass die Jugendlichen Berlins aus Langeweile alle abends nach Kreuzberg fahren. Deswegen muss man sich mal überlegen, ob es für die Schaulustigen, für die, die überlegen, was ist abends eigentlich los in der Stadt, nicht Alternativen geben kann. Und die soll bitte nicht der Senat veranstalten, keine Senatskonzerte, aber Initiativen von unserem Regierenden Bürgermeister, der sich für so vieles einsetzt, das voranzubringen, ein gesellschaftlicher Appell, dass wir nicht akzeptieren, dass regelmäßig der Ausnahmezustand einmal im Jahr ritualisiert in Berlin stattfindet. Darum geht es.

Es fällt mir schwer, zu verstehen, wie dieser Missbilligungsantrag zu Stande gekommen ist. Ich habe allerdings eine Theorie dazu: Herr Henkel hat gesagt, Herr Körting sei ein Gefangener seiner eigenen Strategie gewesen, denn er habe diese einmal angekündigt und dann auch durchführen müssen. Ich glaube aber, es geht hierbei um etwas anderes: Herr Henkel selber war ein Gefangener seiner Ankündigungspolitik.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Er hat nämlich schon am Donnerstag, dem 1. Mai, diese Missbilligung angekündigt. Das ist auch verständlich. Die CDU-Fraktion hat heute zwei Beiträge geliefert, die bereits vor einem Jahr in weiten Teilen wortgleich gehalten worden sind. Insofern war klar, dass auch die Auswertung des 1. Mai bereits vor den Ereignissen stattfand. Diese Missbilligung, die er bereits am Donnerstag angekündigt hatte, hat er dann am Montag im Innenausschuss vergessen. Sie wurde zumindest nicht wiederholt – vermutlich wegen ihrer offensichtlichen Peinlichkeit. Aber heute hat sich dann in der CDU-Fraktion die Erkenntnis durchgesetzt, dass man doch nicht darum herumkommt, nach dieser Ankündigung die entsprechenden Schritte zu tun. Deshalb sind wir heute mit diesem Missbilligungsantrag beglückt worden.

Das Fazit für die SPD-Fraktion kann selbstverständlich nur sein, dass wir diesen Antrag ablehnen werden – zusammen mit der großen Mehrheit dieses Hauses – und damit auch dieses Thema ad acta legen. – Ich danke Ihnen!

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Das Wort hat nun Herr Kollege Ritzmann. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! – Das Konzept – wieder einmal! Also, wenn es so ist, dass das Konzept zweigeteilt war und es den deeskalativen Teil und den Teil gab, der vorsah, dass eingeschritten wird, wenn Straftaten begangen werden und Krawalle anfangen, so wurde dieses Konzept offensichtlich fehlerhaft umgesetzt. Das scheint die Erkenntnis des heutigen Tages sein – in diesen speziellen Bereichen, die wir diskutiert haben.

Es hat hier niemand Interesse an Schuldzuweisungen. Aber es gibt einen Unterschied zwischen Schuld und Verantwortung, und die Verantwortung für Fehler bei exekutivem Handeln muss jeweils klargemacht werden. Das ist die Voraussetzung dafür, dass es beim nächsten Mal besser wird. Deswegen hoffe ich, Herr Innensenator, dass ich Sie falsch verstanden habe, als Sie sagten, Sie würden das intern klären. Wir haben als parlamentarisches Kontrollgremium, als Innenausschuss, ein Interesse daran, zu erfahren, wie es dazu kommen konnte, dass in der Polizeileitzentrale per Kamera verfolgt werden konnte, wie 45 bis 50 Minuten lang in der Mariannenstraße Randale war und zwei Hundertschaften vor Ort nicht eingegriffen haben.

[Beifall bei der FDP]

Das ist kein Königsweg, natürlich nicht. Es ist eine Idee. Aber wir glauben, dass sie uns, wenn sie umgesetzt werden wird, nach vorne bringt. Die Wahrscheinlichkeit für große Krawalle wird zumindest reduziert, weil die Polizei sonst behindert wird, wenn die Gewalttäter aus einer riesigen Menge von schaulustigen Zuschauern agieren, sich zurückziehen können, zwischendrin auf dem Straßenfest ein Bier trinken und eine halbe Stunde später wieder Steine schmeißen. Die Situation hatten wir jetzt. Und das ist nicht der optimale Weg.

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Felgentreu?

Herr Kollege Ritzmann! Sind Sie der Auffassung, dass das kulturelle Angebot der Stadt Berlin auch außerhalb des 1. Mai so schlecht ist, dass für

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Gegensatz zu Ihnen, Herr Wansner – ist er denn überhaupt noch im Saal? – erlebe ich seit Jahrzehnten schon den 1. Mai in Kreuzberg. Ich habe in dieser Zeit viel gesehen und vieles erlebt. Innensenatoren kamen und gingen, und an den alljährlichen Ritualen hat sich leider nichts geändert. Ich versuche einmal eine Rückblende: Wie war es denn unter CDU-Innensenatoren? Das Schema ist immer dasselbe gewesen. Eine hochgerüstete Polizei demonstrierte Präsenz in Armeestärke, eine Minderheit von Gewalttätern setzt sich vor diesem Hintergrund in Szene, eine etwas größere Minderheit von Gelegenheitsautonomen oder, wie meine Kollegen Eßer und Wieland gesagt haben, Was-kuckst-du-Fraktion schließt sich der Inszenierung an und mischt aktiv mit. Und eine große Mehrheit von Kreuzbergerinnen und Kreuzbergern macht nichts anderes, als auf öffentliche Plätzen ihren 1. Mai zu begehen, zu feiern oder friedlich zu demonstrieren. Der Polizei kam dabei mit ermüdender Regelmäßigkeit immer die seltsame Rolle zu, potentielle Gewalttäter erst auf bestimmte Plätze zu treiben, diese Plätze dann hermetisch abzuriegeln und schließlich in wahllosen Sturmangriffen ihre Attacken auszuführen. Man hatte dabei stets den Eindruck, die Situation soll sich überhaupt nicht entspan

nen, ganz im Gegenteil. Die mutwillige Eskalationsstrategie trug regelmäßig zur Verschärfung der Situation bei, zu immer mehr Polizei und immer monströseren Einsätzen mit immer höheren Kosten. Leidtragende waren jedes Mal die Gewerbetreibenden vor Ort, die Kreuzbergerinnen und Kreuzberger. Das durfte und konnte so nicht weitergehen.

Auch die Berliner Polizei hatte diese Taktik satt, und diese Berliner Polizei hat mit diesem 1. Mai versucht zu zeigen, dass auch ein anderer Weg gegangen werden kann. Was Not tut, ist eine konsequente Deeskalationspolitik. Dass sie in der Vergangenheit Gewalt nicht wirklich verhindern konnte, ist kein Argument gegen sie. Deeskalationspolitik muss Rückschläge in Kauf nehmen, sie braucht einen langen Atem und muss Feindbilder kontinuierlich abbauen. Patentrezepte und kurzfristige Lösungen gibt es eben nicht. Schließlich haben Sie einen weitaus größeren Scherbenhaufen überlassen, als Sie denken.

Auch wenn die Bilder dieses Mal nicht weniger schrecklich waren als in den Jahren zuvor, dieser 1. Mai hatte dennoch etwas Besonderes. Dieser 1. Mai hat gezeigt, dass ein friedlicher 1. Mai mit einem Minimum an Gewalt mittelfristig in Kreuzberg möglich ist. Die Polizei hat es verstanden, den Scharfmachern von rechts und links die kalte Schulter zu zeigen, und goss kein Öl ins Feuer – im Gegensatz zu früheren Jahren, als noch eine andere Denke in der Senatsinnenverwaltung das Sagen hatte. Der Dialog und die Zusammenarbeit mit den Gewerbetreibenden, mit den Anwohnerinnen und den Vereinen, den Organisatoren im Kiez, ist wichtig, ist richtig und ist gelungen. Dieser 1. Mai hatte aber auch ein weiteres Novum. Kreuzbergerinnen und Kreuzberger egal welcher Herkunft haben in diesem Jahr deutlich gemacht, dass sie nicht mehr bereit sind, ihren Kiez denen zu überlassen, die meinen, Gewalt und Zerstörung gehörten zur freien Meinungsäußerung. Der Mariannenplatz und die Straßen bis hin zum Oranienplatz waren voll mit Jung und Alt, mit Deutschen und Migranten, sie waren zusammengekommen, um gemeinsam zu feiern. So viele Menschen aus den Kreisen der Migranten hat der 1. Mai bisher noch nie erlebt. Und so friedlich haben wir ein 1.-Mai-Fest auf dem Mariannenplatz auch noch nie erlebt. Das Maifest mit seinen zahlreichen Bühnen und das vielfältige Programm, das der Bezirk organisiert hat, waren ein voller Erfolg. Ich sage in der doppelten Deutung des Wortes: Das Maifest wurde zum Myfest.

die Jugend von Berlin abgesehen von Krawallen am 1. Mai keine Alternativen vorhanden sind?

[Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Auf diese differenzierte und wohl durchdachte Frage würde ich natürlich mit Nein antworten, Herr Kollege. Aber es geht darum, dass konkret am 1. Mai für Leute, die ein bisschen Adrenalin wollen, die etwas erleben wollen, relativ wenig los ist. Sie können sich gern mal den Veranstaltungskalender angucken. Und wir wollen nicht einfach nur Konzerte veranstalten. Es geht um einen Appell, in die Schulen zu gehen,

[Brauer (PDS): Die sind geschlossen am 1. Mai!]

über öffentlichkeitswirksame Aktionen, Radiospots, Fernsehspots, alles auf freiwilliger Basis, bürgerschaftliches Engagement, und von mir aus unter Federführung des Regierenden Bürgermeisters. Das war eine Idee. Dass das hier verteufelt wird, als total absurd dargestellt wird und es keinerlei andere Idee gibt als Kleinkunstbühnen in Kreuzberg aufzubauen, was vor Ort eine gute Idee ist, aber das Problem nie lösen wird, ist wirklich bedauerlich. Wir werden nicht aufhören damit. Wir werden weiter Konzepte entwickeln, wir werden versuchen, mit Leuten zu reden, wir werden unseren Beitrag leisten, damit der 1. Mai in Berlin endlich als friedlicher, bunter, fröhlicher Feiertag wahrgenommen werden kann.

[Beifall bei der FDP]

Vielen Dank, Herr Ritzmann!

Als letzter Redner spricht für die Grünen der Kollege Mutlu. Ich darf darauf hinweisen, dass namentliche Abstimmung für den Misstrauensantrag beantragt worden ist. – Bitte schön, Herr Kollege Mutlu!

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der PDS]

[Beifall bei den Grünen und der PDS]

Leider konnten diese Aktivitäten organisierte Gewalttätern, die sich der Errungenschaften der neuen Technologie vorzüglich bedient haben und per Handy, SMS, MMS sich zu den jeweiligen Plätzen dirigiert haben, nicht davon abhalten, den 1. Mai für ihre Gewaltausbrüche zu missbrauchen.

Bedenken Sie dennoch, vor welchem sozialen Hintergrund sich diese Ereignisse und Ausschreitungen abspie

Enthaltungen? – „Rest“ ist noch keine Aussage über die Menge. – Der fraktionslose Kollege enthält sich. Dann sind also beide Anträge abgelehnt.

Nun haben wir noch über den dringlichen Antrag der Fraktion der CDU über „Missbilligung des Senators für Inneres Dr. Körting“ abzustimmen. Wer diesem seine Zustimmung zu geben wünscht, den bitte ich jetzt um Mitwirkung bei der namentlichen Abstimmung. Ich eröffne diese.

Das Ergebnis: Mit Ja haben 31, mit Nein 103 und mit Enthaltung 1 Abgeordneter abgestimmt. Damit ist der Missbilligungsantrag abgelehnt.

len. Kreuzberg ist ein Bezirk mit einer sehr hohen Arbeitslosigkeit, mit einem starken Wohlstandsgefälle, großen Defiziten in der Schul- und Berufsausbildung; nahezu 30 % der Jugendlichen verlassen die Schule ohne einen Abschluss. Aber hier an dieser Stelle bitte kein Missverständnis: Damit kann man die periodischen Gewaltausbrüche weder hinreichend noch unmittelbar erklären, geschweige denn entschuldigen. Aber es gibt einfach diesen Nährboden, auf dem solche Exzesse gedeihen. Von nichts kommt schließlich nichts.

Meine Damen und Herren, insbesondere Sie von der CDU sollten sich hier angesprochen fühlen: Zu der Deeskalationsstrategie gibt es keine Alternative. Dieser Kurs ist richtig und muss konsequent fortgeführt werden. Der Ruf nach mehr Polizei und mehr Sanktionen, die Sie, meine Damen und Herren von der CDU, gebetsmühlenartig fordern, bringt nichts. Dieser 1. Mai hat dies auch gezeigt. Ziehen Sie daraus Ihre Lehren. Ich meine, dieser 1. Mai birgt viele Chancen für einen Neuanfang. Zerreden Sie ihn nicht! Unterstützen Sie die Polizeiführung! Unterstützen Sie auch diesen Innensenator in dieser Frage, und helfen Sie mit, dass ein friedlicher 1. Mai möglich wird!

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der SPD und der PDS]

Vielen Dank, Herr Kollege Mutlu! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aktuelle Stunde hat damit ihre Erledigung gefunden, und wir kommen zu den Abstimmungen.

Zum Antrag der FDP über „Wo sind die Konzepte des Senats?“ empfiehlt der Innenausschuss mehrheitlich gegen die Stimmen der Fraktion der Grünen die Erledigungserklärung. Wer diesen Antrag für erledigt erklären möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke schön: FDP, CDU, SPD und PDS.

[Dr. Lindner (FDP): Und die Fraktionsvorsitzende von den Grünen! – Frau Dr. Klotz (Grüne): Wer Champagner aus Pappbe- chern trinkt, sollte ruhig sein!]

Die Gegenprobe! – Enthaltungen? – Dann ist dies so beschlossen.

Zu den weiteren Anträgen der FDP wird vom Ausschuss jeweils gegen die Stimmen von CDU und FDP die Ablehnung empfohlen. Ich lasse abstimmen.

Erstens: Antrag über „Initiative für einen bunten und fröhlichen Mai“.

[Dr. Lindner (FDP): Friedlich!]

Hier steht „fröhlich“. Freude und Friede wohnen ja eng beisammen.

[Heiterkeit]

Also: „bunter und friedlicher Mai“: Wer diesem Antrag der FDP seine Zustimmung zu geben wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke schön! Die Gegenpro

be! – Enthaltungen? – Dann ist das mit den Stimmen der Regierungskoalition und der Grünen abgelehnt.

Zweitens: Antrag über „Vorhandene polizeiliche Mittel endlich ausschöpfen“. Wer dies so möchte, den bitte ich um das zustimmende Handzeichen. – FDP und CDU. Gegenstimmen! – Das ist der Rest des Hauses.