Diese rot-rote Koalition und Sie als Regierender Bürgermeister haben bis heute noch nicht einmal den Anspruch, irgendeinen Leitfaden für die Zukunft unserer Stadt – Visionen halten Sie ohnehin für Seifenblasen – vorzugeben. Das, was Sie machen, ist Stückwerk, und Ihr einziges Angebot heißt bis heute: Sparen bis es quietscht! – Statt über die Perspektiven für Wissenschaft und Kultur, die Entlastung unseres Mittelstandes, bessere Bildung oder die Schaffung von Arbeitsplätzen zu reden, wählen Sie für Ihre Regierungserklärung zum Jahrestag Ihrer rot-roten Koalition das Thema „Öffentlicher Dienst und Tarifverhandlungen“, Herr Wowereit! Das zeigt Ihr
Ihr selbstgewählter Anspruch an die Politik für unsere Metropole Berlin erschöpft sich in der Frage, wie lange Beamte arbeiten sollen und wie viel die Pflegekräfte in Berlin mehr oder weniger an Gehalt in den nächsten Jahren verdienen dürfen. Genau bei diesem Punkt, Herr Wowereit, hat Ihre Rede mit Ihrem Verhalten in den letzten 12 Monaten allerdings überhaupt nichts zu tun. Sie haben alles falsch gemacht, was Sie als Verantwortlicher gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, aber auch hinsichtlich des Ziels, zu einem vernünftigen Abschluss zu kommen, falsch machen konnten. Denn Solidarpakt heißt Solidarität und Vertrag und nicht Kaltschnäuzigkeit und Drohung.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach Ihrer letzten und bisher einzigen Regierungserklärung, Herr Wowereit, schrieb und kommentierte die „Berliner Zeitung“ – ich zitiere:
Die gutgelaunte Schläfrigkeit von Wowereit wirkt, als habe ein ermatteter Technokrat in der Mittagspause mit seinem Gummibaum beim Entstauben ein Schwätzchen gehalten. Wowereit sprach so lustlos, als könne er seine eigenen Worte schon nicht mehr hören. So lustlos hat selten eine Regierung begonnen.
Herr Wowereit, nach meiner Einschätzung hat sich an Ihnen und Ihrer Politik wenig geändert. Ich vermute, dass auch morgen, nach Ihrer zweiten Regierungserklärung, die Kommentare weitestgehend ähnlich sein werden.
Vor einem Jahr haben Sie vollmundig angekündigt, Sie wollten jetzt endlich nach langen Jahren Betroffene zu Beteiligten machen. Heute hat man den Eindruck, dass die meisten Beteiligten nur noch betroffen sind.
Von den Kulturschaffenden, von den Wissenschaftlern, Lehrern, Eltern und Schülern bis zu den Mittelständlern, Handwerkern, Polizeibeamten, Krankenschwestern und Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Justiz ist man über Ihre Kaltschnäuzigkeit empört und empfindet Ihre Ankündigung, Betroffene zu Beteiligten zu machen, meist nur noch als zynisch. Und auch Ihre Rede war eine einzige Anklage gegen die rot-grüne Bundesregierung. Alle sind von den negativen Folgen Ihrer falschen Politik betroffen. Niemand fühlt sich in Berlin beteiligt. An welchen Stellen, meine Damen und Herren von der PDS, insbesondere Ihre beiden ersten Reihen heute bei dieser Rede applaudiert haben, das wird Ihre Basis und Ihre Wähler in den nächsten Monaten und Jahren noch ausführlich beschäftigen. Da bin ich sehr sicher.
Man stellt sich doch die Frage, warum Sie nach einjähriger Provokation – der Finanzsenator hat Sie meistens noch übertroffen; man könnte sagen: Beschimpfung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes – erst heute die Regierungserklärung abgeben, nämlich zu einem Zeitpunkt, wo nicht nur viel Porzellan zerschlagen ist, sondern wo man den Eindruck hat, das meiste ist nicht mehr kittbar und liegt schon auf dem Boden.
Das ist unstreitig. Die Menschen wissen um die Notwendigkeit des sparsamen Wirtschaftens, und sie wissen vor allem um den schnellen Wandel der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Verhältnisse. Sie wissen um die Veränderungen der Arbeitswelt und um die Veränderung ihrer persönlichen Erwerbsbiographien durch Globalisierung und die Revolution der Informations- und Kommunikationssysteme. Deshalb sind die Menschen in Berlin und insgesamt in Deutschland aber auch wie niemals zuvor zu Veränderungen bereit.
denn Wandel schafft auch Verunsicherung. Wer in Panik gerät – das lehren doch die letzten Monate –, klammert sich fest. Deshalb sind Verlässlichkeit und Vertrauen die Grundlage und Voraussetzung für Reformen und dringend notwendige Innovationen gerade auch im öffentlichen Bereich.
Wortbruch und Substanzlosigkeit zerstören die dringend notwendige Reformbereitschaft, und sie zerstören auch die Integrationsfähigkeit von uns allen in der Gesellschaft. Deshalb brauchen die Politik – und das fehlt diesem Senat – und auch die Gesellschaft Maß und Mitte,
Haben Sie nicht immer mit den roten Fahnen vor den Werkstoren gestanden und dem im Wettbewerb stehenden Unternehmen, das ist doch der große Unterschied zum öffentlichen Dienst, vorgeworfen, dass es endlich die 30- und 35-Stundenwoche einzuführen hätte, weil das der einzig sozialverträgliche Weg wäre? Und wie erklären Sie dann diesen Menschen, dass Sie heute mit einem Federstrich die Arbeitszeit auf 42 Stunden verlängern und vorher mit den Betroffenen überhaupt nicht reden, geschweige denn zu einem gemeinsamen Abschluss mit den Gewerkschaften oder Personalräten kommen? – Und glauben Sie wirklich – ich sage auch das in Richtung PDS, mich beschäftigt übrigens das, was ich jetzt sage, sehr nachdrücklich, weil es auf Jahrzehnte fast nicht mehr zu korrigieren ist –, dass der Austritt aus dem Arbeitgeberverband und die Kündigung der deutschlandweit geltenden Tarifverträge wirklich dazu führt, dass die Schere zwischen Nord und Süd, aber insbesondere zwischen Ost und West geringer wird? Das Gegenteil wird der Fall sein! Für die Kaufkraft, für die Familien, für die Rente, für alles, was dazugehört: Wir werden das Elend in den neuen Ländern und in Berlin haben und die Stärke im Süden der Republik, die sich die besten Beamten suchen und uns die hier lassen, die für 70, 80 oder 90 % gerade noch in Berlin arbeiten wollen, damit sie irgendwo überleben können. Das ist
Freiheit und Verantwortung, Vielfalt und Ausgleich. Dazu müssen wir die Kräfte der Menschen nutzen, ihre Leistungsbereitschaft abrufen, ihren Fleiß, ihre Hingabe und ihre Tüchtigkeit nutzen, ihre Verantwortlichkeit und Zuwendung zum Nächsten genauso wie ihre Phantasie, ihre Kreativität, ihre Hilfsbereitschaft und die – Gott sei Dank! – immer stärker zunehmende Flexibilität. Das Potential, Herr Regierender Bürgermeister, ist vorhanden, und wenn wir uns über Werte und Ziele verständigen könnten, könnten wir es auch nutzen. Sie aber spalten und verunsichern die Stadt, Sie verunsichern die Menschen, und das Ergebnis ist Stillstand, Resignation statt des dringend notwendigen Mutes zur Zukunft gerade hier in Berlin.
Natürlich müssen wir im öffentlichen Dienst sparen. Natürlich können wir darüber streiten, ob ein differenzierterer Tarifabschluss, der Geringverdiener, Pflegekräfte, Krankenschwestern, geringverdienende Polizeibeamte eben anders behandelt als höheren Dienst in der Verwaltung, nicht besser gewesen wäre – besser gewesen wäre für Berlin und für Deutschland. Und natürlich – – Übrigens, Sie als Senat können ja nun wirklich froh sein, dass in Deutschland der öffentliche Dienst nicht nach Leistung bezahlt wird. Stellen Sie sich das mal vor, Herr Regierender Bürgermeister, der öffentliche Dienst, Ihr Senat, würde nach Leistung bezahlt werden. Die meisten von Ihnen müssten Sozialhilfe beantragen.
Aber natürlich sind wir uns absolut einig darin, dass sich die Gewerkschaften in Deutschland bewegen müssen. Wer nimmt denn in jedem Wahlkampf die Gewerkschaften als Wahlkampflokomotive, als Unterstützung ziemlich schamlos und dem Gedanken der Einheitsgewerkschaft widersprechend in Kauf? Das sind doch Sie von der SPD und keine andere Partei hier im Parlament!
Und natürlich muss man den Gewerkschaften und ihren Funktionären sagen, dass sie aufpassen müssen, nicht nur die Interessen zu vertreten von Menschen, die in Beschäftigung sind, sondern auch Interessen zu vertreten von Menschen, die Beschäftigung suchen, insbesondere von jungen Menschen, die Beschäftigung suchen. Aber deswegen, Herr Wowereit, muss man sie doch nicht so bewusst provozieren und jede Gesprächsatmosphäre so zielgerichtet zerstören, wie Sie das über 12 Monate getan haben.
Haben wir denn nicht in den 90er Jahren, übrigens Christdemokraten und Sozialdemokraten gemeinsam, 70 000 Stellen sozialverträglich, ohne betriebsbedingte Kündigungen, ohne permanente Drohungen in Berlin abgebaut? Und halten Sie es wirklich für richtig, Herr Böger, ältere Lehrer bis zu 4 Stunden länger arbeiten zu lassen und auf die Neueinstellung von 1 400, ich wieder
hole: 1 400, jungen Lehrerinnen und Lehrern hier in Berlin zu verzichten? Das ist doch genau der falsche Weg in der Bildungspolitik. Und halten Sie es denn wirklich für richtig im Senat, Herr Körting, nur an die zu denken, die Arbeit haben, und nicht an die jungen Lehrer, an die jungen Krankenschwestern, an unsere Polizei-Azubis, die in Berlin bei uns Arbeit suchen und gern weiter in Berlin leben und arbeiten möchten?
Und glauben Sie nicht, Herr Regierender Bürgermeister, dass man einen Sparkurs, und sei es nur symbolisch, als Regierungschef auch vorleben muss, um wirklich glaubhaft Solidarität einfordern zu können? Und ist es wirklich Ihr Ernst, wie ich Ihrer Rede entnommen und heute gelesen habe, morgen nicht an den Verhandlungen mit der Spitze der Gewerkschaften teilzunehmen? – Das muss man sich wirklich mal überlegen! Der Bundesvorsitzende von Verdi kommt zu Verhandlungen nach Berlin. Es könnte entschieden werden. Wir könnten am Montag alle gemeinsam feststellen, dass auch in Berlin die öffentlichen Bediensteten eine klare Perspektive für die nächsten Jahre haben. Und was tut der Regierende Bürgermeister? Er nimmt an den Gesprächen gar nicht erst teil, womit eine Entscheidung ja wohl unmittelbar nicht stattfinden kann, weil die Vertreter des Senats dann sagen werden: Nun müssen wir erst mal gemeinsam, wahrscheinlich mit Parteien und Fraktionen, in irgendwelchen Runden, die sie permanent tagen lassen, ohne Ergebnisse, zusammensitzen, statt nun wirklich in den nächsten Stunden zu einem Ergebnis zu kommen. Herr Regierender Bürgermeister, die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes haben Anspruch darauf, dass Sie morgen als oberster
Oder sind wir nicht gemeinsam der Meinung, dass wir erst mal die Voraussetzungen für einen drastischen Abbau des öffentlichen Dienstes hätten schaffen müssen, näm
lich die Modernisierung der Verwaltung anpacken, Bürokratieabbau endlich ernst nehmen und nicht nur ankündigen, Herr Innensenator, die wirkliche Befristung und Abschaffung von Gesetzen hier im Parlament vereinbaren, dass wir endlich wirklich dereguliert hätten, dass wir endlich die Verwaltungsreform umsetzen, dass wir die Vorschläge der Scholz-Kommission umsetzen? Das ist die Grundlage dafür, dass wir weiterhin quantitativ im öffentlichen Dienst sparen können, und nicht Drohungen und Ankündigungen, wie sie hier heute wieder vom Regierenden Bürgermeister ausgesprochen wurden.
Und glauben Sie wirklich, dass ein weiteres öffentliches Arbeitsamt, Sie nennen das dann Stellenpool, außer Personalkosten in Höhe von 5 Millionen € irgendeinem öffentlich Bediensteten etwas bringt?
Wir brauchen weniger Staat und weniger Bürokratie und mehr Dynamik. Und das gilt für die Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik, übrigens vom Niedriglohnsektor, den Sie zerstört haben, bis zu den Existenzgründern, über die ich kein Wort höre von Ihnen, Herr Regierender Bürgermeister, übrigens seit 18 Monaten. Sie scheinen den Begriff überhaupt nicht zu kennen, sondern Sie kennen sich nur im öffentlichen Dienst aus, wo Sie auch her kommen, wo Sie Ihr Leben verbracht haben. Aber Sie wissen gar nicht, was in dieser Stadt wirklich nötig ist, damit wir wirtschaftliche Dynamik und Arbeitsplätze kriegen. Das ist die Grundlage für Berlin!
Und ich sage Ihnen noch eins, und ich weiß, was gleich für Reden gegen die CDU, die nun auf einmal ganz reaktionär die Interessen der öffentlich Bediensteten vertritt, gehalten werden. Ich weiß das. Ich sage Ihnen sehr deutlich: Der Applaus für Ihr Rumprügeln auf dem öffentlichen Dienst, der mag Ihnen kurzfristige Erfolge, vielleicht auch gerade in bürgerlichen Kreisen, verschaffen. Aber unser Verständnis, das Verständnis der christlichdemokratischen Union, von einer solidarischen, gerechten und miteinander verlässlich und vertrauensvoll umgehenden Gesellschaft ist ein anderes. Und das wird sich langfristig auszahlen. Das sage ich Ihnen heute bereits voraus.
Und, Herr Regierender Bürgermeister, können Sie sich wirklich vorstellen, dass irgendein großes Unternehmen, im Mittelstand ist das eh Gott sei Dank alles ganz anders – ja, dort gibt es wirklich Gemeinschaft zwischen Arbeitnehmer und Unternehmen, das ist eine Selbstverständlichkeit in den kleinen und mittleren Unternehmen.