Protocol of the Session on December 12, 2002

In dem Falle sieht Europa wie Herr Kittelmann aus oder Herr Kittelmann wie Europa. – Bitte schön, Herr Kittelmann!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein herzlich europäisches „Guten Tag“! Die CDU begrüßt und unterstützt die gemeinsame dringliche Beschlussempfehlung der Fraktionen, die lediglich von den Grünen nicht unterstützt wird, die bestimmt selber gut erklären werden, warum nicht.

[Ratzmann (Grüne): Mit Sicherheit!]

Der ursprüngliche CDU-Antrag hat damit seine Erledigung gefunden.

Die dringliche Beschlussempfehlung richtet Forderungen an einen europäischen Verfassungsvertrag sowie an den Föderalismuskonvent der Präsidentinnen und Präsidenten und der Fraktionsvorsitzenden der deutschen Landesparlamente. Sie sehen aus der Aufzählung, wie hoch aktuell und wie außerordentlich wichtig das Beschäftigen mit einem Antrag ist, der außerordentlich für das föderale System besonders der Bundesrepublik Deutschland von Bedeutung sein wird. Der Antrag hat u. a. zum Inhalt, dass wir uns als Land Berlin weiterhin zur europäischen Integration bekennen. Wir fordern, das kommunale Selbstverwaltungsrecht europarechtlich zu verankern. Wir wollen zur Klärung von Kompetenzfragen zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedsstaaten beim Europäischen Gerichtshof einen Kompetenzsenat einrichten. Wir regen eine Prüfung der parlamentarischen Vorabkontrolle zur Sicherung der Kompetenz mit dem Ziel an, in der Entstehungsphase von Rechtsakten der Europäischen Union, die Einhaltung der Kompetenzordnung und das Subsidiaritätsprinzip zu überwachen. Das klingt alles recht trocken, ist aber wichtig. Bewusst begrenzt sich unser heutiger Antrag – auch das an die Grünen gewandt – auf die föderalen Forderungen an einen europäischen Verfassungsvertrag. Ich freue mich, dass wir uns im Europaausschuss darüber einig sind, uns in Zukunft zu bemühen, mehr Probleme, die uns miteinander angehen, auch über gemeinsame Anträge, soweit wir übereinstimmen, in das Abgeordnetenhaus zu bringen.

[Zurufe von der SPD und der PDS]

[Beifall bei der CDU – Mutlu (Grüne): Das ist ein Wort! – Buchholz (SPD): Lächerlich! – Zurufe von der PDS]

Sehr geehrter Herr nicht anwesender Regierender Bürgermeister! Ich halte es darüber hinaus für eine unerträgliche Behandlung des Parlaments,

[Zurufe von der SPD und der PDS]

seit Wochen zu wissen, dass die Große Anfrage auf der Tagesordnung steht, die Reiseabsicht nach New York allerdings erst zwei Tage vorher im Ältestenrat mitteilen zu lassen.

[Zurufe von der SPD und der PDS]

Nein, das ist keine Sabotage, so geht man nicht mit Parlamentariern um. Sie lassen es sich vielleicht gefallen, ich finde es aber einen unerhörten Vorgang, in dieser Art und Weise vorzugehen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie den Antrag, der vorliegt, lesen, dann werden Sie verstehen, dass ich Sie bitte, diesen in der vorliegenden Beschlussempfehlung zu verabschieden und den Antrag der Grünen, wie sich aus der Begründung der Grünen von selbst ergibt, abzulehnen. – Schönen Dank!

[Beifall bei der CDU]

Unser zweites Anliegen ist, dass wir nach der Verabschiedung der Verfassung – wenn sie kommt, was ich hoffe – in einem europäischen Rechtsetzungsverfahren Instrumente an die Hand bekommen, die es uns erlauben, eine Art Subsidiaritätskontrolle auszuüben. Wir wollen

die wesentlichen Rechtsetzungsorgane vorab in einem nachvollziehbaren Verfahren betrachten und sicherstellen, dass wir notfalls die Reißleine ziehen können, wenn unsere Kernkompetenzen berührt sind.

In diesen beiden Punkten sind wir uns wahrscheinlich mit den anderen Landesparlamenten einig, denn das sind die Mindestanforderungen, die wir stellen müssen, um unsere Kompetenzen zu sichern.

Noch wichtiger als das, was wir hier beschließen, ist allerdings das, was wir nicht beschließen. Ich zähle die Punkte kurz auf, weil sie in vielen anderen Diskussionen – auch in anderen Landtagen – eine wichtige Rolle spielen. Wir nehmen sie ausdrücklich nicht auf. Zum Beispiel betrifft das die Forderung einer Kompetenzkompetenz der EU. Wir wollen, dass es beim Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung bleibt und die EU die Kompetenzen wahrnimmt, die sie tatsächlich durch Hoheitsakte übertragen bekommt. Wir wollen auch keine Blockadekammer, die andere wollen. Das wäre eine dritte Kammer, die die Kompetenzen prüfen würde. Wir lehnen ab, was die Bayern und Thüringer ins Spiel gebracht haben. Wir wollen auch keine justizielle Vorabkontrolle, beispielweise eine Vorabanrufung des Europäischen Gerichtshofs, um zu entscheiden, ob eine Kompetenz verletzt ist. Das würde den politischen Entscheidungsprozess entscheidend hemmen. Wir wollen keine Rückübertragung von Hoheitsrechten auf die Länder. Das wird sowieso nicht kommen. Es wird eher in die andere Richtung gehen, nämlich es werden mehr Hoheitsrechte auf EU-Ebene verlagert. Das ist auch richtig.

Danke schön, Herr Kollege Kittelmann! – Für die Fraktion der SPD hat nunmehr der Kollege Zimmermann das Wort zu Europa. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben es heute mit einem Novum zu tun, und zwar in zweierlei Hinsicht: Wir haben zum ersten Mal als Europaausschuss von unserem Selbstbefassungsrecht Gebrauch gemacht und Ihnen eine Beschlussempfehlung vorgelegt. Zudem haben wir ein interfraktionelles Vorgehen vereinbart und konnten die Gemeinsamkeit aller Fraktionen herstellen. Leider ist die Fraktion der Grünen in letzter Minute abgesprungen – zu Unrecht, wie ich meine. Das wäre nicht nötig gewesen. Darauf können wir später noch eingehen.

Die Beschlussempfehlung geht auf einen Auftrag des Präsidenten zurück, der uns nach einem Treffen mit anderen Landtagspräsidenten bat, uns der Sache anzunehmen. Wir haben das in der Ihnen vorliegenden Weise getan. Die Dringlichkeit besteht, weil die Präsidenten der Landtage am nächsten Montag zusammenkommen und über eine gemeinsame Position der deutschen Landtage zu dem Verfassungsgebungsprozess auf EU-Ebene beraten wollen. Die heutige Beschlussfassung ist demnach von relativ großer Bedeutung.

Es ist höchste Zeit, dass wir das Thema der künftigen europäischen Verfassung hier auf der Tagesordnung haben, denn die Arbeit des Verfassungskonvents unter der Leitung von Giscard d’Estaing tritt in eine entscheidende Phase. In dieser Phase muss das Berliner Landesparlament Position beziehen – jedenfalls soweit es um die uns betreffenden Fragen geht. Herr Kittelmann hat darauf hingewiesen, dass wir nicht den großen Wurf zur europäischen Verfassung verabschieden können. In diesem Fall hätten wir einen ziemlich langen Antrag vorlegen müssen. Wir beschränken uns vielmehr auf die Punkte, die für das Land Berlin entscheidend sind.

Wir wollen zwei Regelungen erreichen: Wir wollen in der europäischen Verfassung verankern, dass das Selbstverwaltungsrecht der Kommunen und die Kernkompetenzen der Länder gesichert bleiben. Wir wollen nicht erst hinterher in einem Verfahren bei der europäischen Rechtsetzung darauf achten müssen, dass unsere Rechte gewahrt werden, sondern in der künftigen europäischen Verfassung soll von vorne herein festgelegt sein, dass die Kernkompetenzen von Ländern und Kommunen gewahrt sind – quasi als europäisches Recht. Das ist das entscheidende Anliegen, das wir damit verbinden. Wir wollen vermeiden, dass wir eines Tages aufwachen und feststellen, dass wichtige Zuständigkeiten verloren gegangen sind.

Zusammengefasst geht es uns darum, den Euroskeptikern, die hauptsächlich aus den südlichen Bundesländern kommen, ein deutliches Gegensignal zu setzen. Dass wir das gemeinsam tun, macht diesen Beschluss so wertvoll und wichtig für die spätere Diskussion.

Wir setzen auf die europäische Integration und die EU-Osterweiterung. Ich gehe davon aus, dass die Grünen diesen Weg mitgehen wollen. Ich bitte sie zu überlegen, ob sie nicht doch den vorliegenden Formulierungen zustimmen können.

Wir beschäftigen uns lediglich mit Mindestanforderungen. Wir reden nicht über die Ziele der EU, die Grundrechte und die institutionelle Reform. Das sind Dinge, die an anderer Stelle ausführlich diskutiert werden müssen. Wir müssen dazu unseren Beitrag leisten. Wenn wir dies jetzt getan hätten, wären wir nicht schnell genug zu einem Ergebnis gekommen.

Zu den Zielen eine Anmerkung aus dem Blickwinkel der SPD: Das Europa der Bürgerinnen und Bürger wird nur ein solches sein, wenn es ein europäisches Sozialmodell gibt und wenn wir eine soziales Europa haben. Wir werden versuchen, das auf Bundes- und Landesebene durchzusetzen. Diese Auseinandersetzung steht uns noch bevor. Wir werden sie mit Engagement und im Sinne

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Zimmermann hat bereits darauf hingewiesen, dass wir heute ein Novum in der Geschichte dieses Parlaments haben. Es kommt nicht oft vor, dass der Europaausschuss von seinem Initiativrecht Gebrauch macht. Er tut dies, und zwar fraktionsübergreifend, um

damit den Anstoß für eine Debatte zu geben, um sich aktiv in den gegenwärtig laufenden Diskussionsprozess um eine künftige Verfassung der Europäischen Union, und zwar den auf verschieden Ebenen stattfindenden Diskussionsprozess, einzumischen.

Diese Positionierung geht von einem klaren Bekenntnis zum europäischen Integrationsprozess aus. Und Herr Kittelmann hat dankenswerterweise bereits auf die historische Stunde hingewiesen, dass zum selben Zeitpunkt in Kopenhagen beim Gipfeltreffen das konkrete Beitrittsdatum der EU-Osterweiterung beschlossen werden wird. die weitere Chancen nicht nur für Europa, sondern ganz besonders auch für Berlin eröffnen wird. Herr Kittelmann, sicher haben Sie Recht, wenn Sie sagen, dass es bedauerlich ist, dass die Große Anfrage heute nicht behandelt werden konnte, denn es wäre bestimmt gut gewesen, wenn wir dieses Thema gleichzeitig mit einer Debatte zur EU-Osterweiterung verbunden hätten.

einer europäischen Integration führen. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Danke, Herr Kollege Zimmermann! – Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Dr. Augstin das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Beschlussempfehlung enthält leider einen Fehler, und zwar heißt es darin „Förderalismus“ statt „Föderalismus“. Dieser Fehler stammt noch aus dem CDU-Antrag und wurde leider übernommen. So schleicht sich so etwas ein.

Ich bedauere, dass wir heute nicht hinreichend Gelegenheit haben, über die Osterweiterung zu diskutieren. Das sollten wir nachholen. Dafür ist noch Zeit. Ich hoffe, dass die CDU-Fraktion nicht resigniert ist.

[Beifall bei der FDP]

Im Rahmen der Entscheidung des europäischen Konvents bei der Erarbeitung eines europäischen Verfassungsvertrags müssen Grundprinzipien der Subsidiarität, der demokratischen Legitimation und der Transparenz hinreichend einbezogen werden. Daran orientiert sich der gemeinsame Antrag. Die Stärkung der Regionen und der Kommunen durch die Erhaltung entsprechender Handlungsräume muss gewährleistet werden. Hierzu ist eine detaillierte Kompetenzabgrenzung der EU erforderlich. Entscheidungen in der EU müssen durch demokratisch legitimierte Institutionen erfolgen. Eine europäische Kompetenzordnung muss nationale Verschiedenheiten hinreichend berücksichtigen und Entscheidungsspielräume auf regionaler und kommunaler Ebene belassen. Historisch gewachsene Besonderheiten der deutschen Bundesländer müssen berücksichtigt werden. Die Gestaltungsmöglichkeiten der Mitgliedsländer der Europäischen Union dürfen durch die Verlagerung von Hoheitsrechten nicht unnötig ausgehöhlt werden. Daher sind Mitwirkungsbefugnisse der Länder, beispielsweise über den Ausschuss der Regionen, sicherzustellen.

Diese Forderungen zeichnen die Beschlussempfehlung aus. Das kommunale Selbstverwaltungsrecht ist im europäischen Verfassungsvertrag zu verankern. Europa muss zum Grundprinzip der Subsidiarität, der Bürgernähe kommen und damit einen wesentlichen Beitrag zur Bekämpfung der Politikverdrossenheit in unserem Land leisten. – Danke schön!

Danke schön, Herr Kollege! – Für die PDS-Fraktion hat nun Frau Michels das Wort. – Bitte schön!

[Beifall des Abg. Kittelmann (CDU)]

Nur bitte ich Sie, auf der anderen Seite mitzubedenken und einfach anzuerkennen, dass es schon neu ist in der eindeutigen Positionierung des Berliner Senats, dass gerade die Europafragen in den letzten Wochen und Monaten zur Chefsache erklärt wurden. Und Sie wissen selbst aus eigener Erfahrung und unserer gemeinsamen Erfahrung, die wir beide im parlamentarischen Geschäftsgang miteinander hatten, das war nicht immer ganz so.

[Zuruf des Abg. Cramer (Grüne)]

Und insofern finde ich, dass gerade die europäische Debatte in Berlin eines der positiven Zeichen und Signale ist, die für das neue Berlin und diesen Senat stehen.

[Beifall bei der PDS und der SPD]

Ja, da können Sie ruhig einmal applaudieren!

Das neue Europa nimmt Gestalt an, und die künftige europäische Verfassung beschäftigt die öffentliche Diskussion bei der Ausgestaltung einer bürgernahen politischen Union als Interessen- und Wertegemeinschaft. Europäische Bürger stellen sich die Frage nach den Vorteilen einer solchen Union. Viele Hoffungen, aber auch viele Ängste, und zwar Ängste zur Durchschaubarkeit künftiger Prozesse, möglicher Fremdsteuerung in einem eventuellen bürokratischen Mehraufwand oder gar einem Verlust an demokratischer Mitbestimmung existieren. Auf alle diese Fragen warten klare Antworten. Eine eindeutige Aufteilung von Zuständigkeiten und politischen Verantwortlichkeiten sowie die Sicherung von demokratischer Mitbestimmung auf breiter Grundlage sichert, dass sich die europäischen Bürgerinnen und Bürger in den einzelnen Entscheidungen und Gestaltungsprozessen wiederfinden. Ein aktives breites bürgerschaftliches Engagement für ein neues Europa ist vor allem durch die Mitwirkung und Einbeziehung von Ländern und Kommunen in diesen Prozessen zu erreichen. Dies ist nach unserer Auffassung nur erreichbar durch klare Kompetenzaufteilungen, die eine Beteiligung der einzelnen Länder und vor allem der Länderparlamente

Herzlichen Dank, Herr Präsident! – Frau Michels! Ich kann Ihnen versichern: Auch wir bedauern sehr, dass wir uns diesem Antrag nicht anschließen können,

Vorab möchte ich noch einmal Herrn Kittelmann unterstützen in seiner Bemerkung zu der Großen Anfrage. Ich lasse dahingestellt, wie wichtig das Abendessen von Herrn Wowereit jetzt in New York ist, aber diese Stadt hat eine Europastaatssekretärin, und sie hat nicht nur eine Europastaatssekretärin, sondern eine Staatssekretärin, die sich besonders den Fragen Osteuropas widmet, wie man den Pressemeldungen des Senats entnehmen konnte. Das hätte heute die große Stunde der Europastaatssekretärin werden können. Es wurde uns verwehrt, ich denke, das war falsch.

Länderparlamente im europäischen Maßstab gesetzlich regeln.

Mit diesem Antrag – und das will ich ganz deutlich herausstellen – geht es keinesfalls um die Festschreibung traditioneller Besitzstandswahrung, und Herr Abgeordneter Ratzmann, auch nicht, wie Ihr Zuruf vorhin vermuten ließ, um eine Kleinstaaterei, ganz im Gegenteil. Es geht vielmehr darum, transparente, effiziente, problemorientierte und vor allem bürgernahe Strukturen auf dem Weg zu wirksamen Beschlüssen in der EU zu schaffen.

[Beifall bei der PDS]