Protocol of the Session on November 28, 2002

[Beifall bei der CDU, der FDP und den Grünen]

All das ist die Politik von zwei Parteien, von denen ich dachte, sie bemühten sich zumindest darum, Arbeiter- und Arbeitnehmerinteressen in Berlin zu vertreten.

Deshalb fordere ich den Senat auf, einen Kurswechsel vorzunehmen. Ich fordere Sie auf, keine weiteren Abgaben- und Gebührenerhöhungen, keine weiteren Steuererhöhungen zu schaffen,

[Liebich (PDS): Und mehr Ausgaben! Super Konzept!]

denn das vernichtet Arbeitsplätze statt neue zu schaffen.

Ich fordere den Senat und insbesondere die PDS auf, Herr Liebich, da bin ich sehr gespannt, im Bundesrat den 48 Steuererhöhungen der rot-grünen Bundesregierung nicht zuzustimmen und sich zumindest an ihre Wahlversprechen zu erinnern, wenn der Herr Bundeskanzler seine schon permanent bricht.

[Beifall bei der CDU und FDP – Liebich (PDS): Haben Sie sich mal die Einnahmeseite an- geschaut? Kennen Sie den Haushalt?]

Herr Abgeordneter, ich fordere Sie auf, zum Schluss zu kommen, denn Sie sind schon über die Zeit!

Ich komme sofort zum Schluss, Frau Präsidentin! – Ich bitte Sie darum, Herr Wirtschaftssenator, Herr Regierender Bürgermeister, sich mit unseren 13 Punkten, mit unserem Sofortprogramm für Schaffung von Arbeitsplätzen und Wirtschaftswachstum wenigstens auseinander zusetzen, sich die Zeit zu nehmen, über die Vorschläge anderer nachzudenken und dann im Ergebnis die Zeit zu nutzen – soviel haben wir nicht mehr –, die Chancen in Deutschland, aber insbesondere die Chancen hier am Standort Berlin im Interesse der Arbeiter, der Arbeitnehmer, unserer mittelständischen Unternehmen, aber vor allem auch der jungen Generation, unserer Schülerinnen und Schüler, unserer Studenten, unserer Azubis in Berlin zu nutzen. – Herzlichen Dank!

[Anhaltender Beifall bei der CDU und der FDP]

Danke schön! – Für die PDS-Fraktion hat das Wort der Abgeordnete Herr Liebich!

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der „Focus“ hat geschrieben, dass Sony darüber nachdenke, seine Europazentrale aus Berlin abzuziehen. Ich finde es nachvollziehbar, dass viele aus Berlins Politik, Medien und Wirtschaft sich dann Sorgen machen. Das sind Nachrichten, wie sie Berlin nicht gebrauchen kann. Der Hinweis ist überflüssig, dass dieser Senat, wie es jeder andere Senat auch getan hätte, alle Anstrengungen unternommen hat, dass derart schlechte Nachrichten nicht zur Realität werden. Ich finde es gut, dass der Wirtschaftssenator Harald Wolf und der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit schnell reagiert haben. Wir sind froh, dass diese Hiobsbotschaft dementiert werden konnte.

[Beifall bei der PDS und der SPD]

Die Lage in Berlin ist schwierig, und man kann dann solche „Glas halb voll – Glas halb leer“-Debatten führen. Das hatten wir in der Vergangenheit allzu häufig. Die Opposition sagt, die Lage ist ganz grauenhaft und alles wird immer schlimmer, und die Regierung sagt, die Lage ist ganz wunderbar und es geht aufwärts.

[Frau Dr. Klotz (Grüne): Ihr sagt jedes Mal was anderes, je nachdem, ob ihr an der Regierung seid!]

Nein, wir haben das früher schon nicht gemacht, und ich werde das auch jetzt nicht tun. Ich finde, wir sollten die

Debatte nutzen, darüber zu reden, was im Bereich der Handlungsmöglichkeiten der Politik in Berlin liegt. Um es gleich vorneweg zu sagen: Sonderkonjunkturphasen, Wirtschaftswunder, Steueroasen, all das fällt für mich in den Bereich der verfrühten Weihnachtswünsche. Deshalb diskutiere ich das hier auch nicht.

Herr Lindner! Sie haben für die FDP konkrete Vorschläge angekündigt. Es kam aber nur das Motto: Abgaben runter, Jobs rauf. – Das ist die kleine Welt des Martin Lindner. Das hat mit der Berliner Realität nichts zu tun.

[Beifall bei der PDS – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Herr Steffel hat ganz oft gesagt, was er alles nicht höre. Ich will Ihnen eines sagen: Es ist wahr, die Zeiten von viel Geschwätz und Gerede à la Branoner oder Elmar Pieroth sind vorbei. Wir werden eine sehr nüchterne und realistische Wirtschaftspolitik machen. Dafür ist Harald Wolf genau der richtige Mann.

Dazu gehört auch, in der Flughafenpolitik die Realität nicht schön zu reden. Es ist wahr, die gegenwärtige Lage ist für Konzerne mit einem Bedarf an transatlantischen Flügen nicht gut.

[Dr. Lindner (FDP): Und transsibirischen?]

Aber, Herr Steffel oder Herr Lindner, dafür die Schuld Rot-Rot zuzuschieben – das wissen Sie selbst besser. Es wäre genauso albern, Rot-Rot die Schuld dafür zu geben, wie der vorhergehenden Koalition die unmittelbare Verantwortung dafür zuzuschieben. Sie wissen, dass transatlantische Flüge nicht wegen Schönefeld fehlen, sondern weil es zu wenig Businessflieger gibt. Das hängt nun wiederum mit der schwierigen wirtschaftlichen Lage zusammen. Diese Situation ändert sich nicht grundsätzlich dadurch, dass wir zum Ende des Jahrzehnts einen Flughafen Berlin Brandenburg International eröffnen werden. Aber unabhängig davon sind wir, SPD und PDS, uns einig, dass es zu einer zügigen Realisierung dieses Projekts kommen muss. Dass es dabei Schwierigkeiten gibt, hat nichts mit dem gegenwärtigen Senat zu tun, sondern damit, dass der schlechtestmögliche Standort ausgewählt und derartig schlampig geplant wurde, dass wir an allen Ecken und Enden angreifbar sind.

[Dr. Lindner (FDP): Hört, hört!]

Dass der Senat das Angebot von Investoren zur privaten Finanzierung auf seine Wirtschaftlichkeit und finanziellen Risiken grundsätzlich prüft, ist angesichts der Haushaltslage des Landes wohl eine Selbstverständlichkeit. Die Region braucht zügig einen neuen internationalen Verkehrsflughafen, Berlin braucht aber keine zweite Bankgesellschaft im märkischen Sand.

[Beifall bei der PDS – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Was können wir in Berlin neben einem allgemein wirtschaftsfreundlichen Klima tun? – Das sind nicht die Reden von Berlin als Wirtschaftswundermetropole, von der Konkurrenz mit London und New York, sondern das

sind unsere eigenen Möglichkeiten. Diese sind im Rahmen einer globalisierten Weltwirtschaft schon für die Bundesregierung klein und für eine Landesregierung noch kleiner. Aber sie sind durchaus vorhanden. Ich will dazu drei Punkte nennen: die Fördermittel, die eigenen Unternehmen und die Wirtschaftsförder- und Marketingstrukturen.

Fördermittel: Das Land Berlin bekommt die Masse seiner Fördermittel von außen. Bund und Länder unterstützen das Land ebenso wie die Europäische Union – noch! Berlin und auch Berlins Unternehmen, Herr Steffel, müssen sich darauf orientieren, dass die Mittel von außen weniger werden. Daher werden wir auch von Senats- und Koalitionsseite stärker als in der Vergangenheit Prioritäten setzen müssen. Nicht mehr, alles abzugreifen, was man bekommen kann, und die Kofinanzierung zu zahlen, koste es, was es wolle, kann unser Leitbild sein. Das sollte auch das Leitbild von Unternehmen sein. Berlin als eine große Akquisitionsgemeinschaft – diese Zeit sollte der Vergangenheit angehören. Die Prioritäten, die für Berlins Wirtschaftspolitik galten, gelten auch unter Rot-Rot weiter. Herr Krug hat sie genannt: Medien- und Kommunikationswirtschaft, Medizin und Biotechnologie, optische Technologie, Verkehrstechnik, Umwelttechnik. Insbesondere im Bereich der Solarenergie haben wir viele Potentiale. Das bedeutet aber auch – dazu muss sich die Opposition auch bekennen –, dass man bei anderen Anfragen auch nein sagen wird. Berlin hat ein Potential. Die Stadt, nein die Region Berlin-Brandenburg wird sich zu einem innovativen und wissensgeprägten Standort entwickeln, wenn die Politik bereit ist, Prioritäten zu setzen.

Die eigenen Unternehmen: Ja, Berlins Unternehmen und Beteiligungen machen nicht nur Freude. BVG, BSR, Berliner Wasserbetriebe, BEHALA, Feuersozietät, Stadtgüter, Wohnungsbaugesellschaften und nicht zuletzt die Bankgesellschaft Berlin – wohin man schaut, tun sich Probleme auf. Trotzdem sind sie wichtige Potentiale der Berliner Wirtschaftspolitik.

[Beifall bei der PDS und der SPD]

In welcher Rechtsform sie agieren und wer die Eigentümer sind, das muss dabei von Fall zu Fall entschieden werden. Für die PDS war und ist Privatisierung kein Tabu, aber anders als bei der FDP auch kein Dogma. Herr Lindner, einfach einen Satz aus dem Berliner Betriebegesetz zu streichen, und schon sind die Probleme gelöst – das wäre schön, aber das ist kein Konzept.

[Beifall bei der PDS und der SPD]

Wir kommen nicht umhin, Unternehmen für Unternehmen durchzugehen, zu schauen, wo Risiken und Altlasten liegen, wo Potentiale und Chancen sind. Dann müssen wir entscheiden, und zwar mit Blick auf die Beschäftigten, das wirtschaftliche Umfeld und den Steuer- und Gebührenzahler. Die Zeit des Geschwätzes vom Fitmachen für den internationalen Wettbewerb im Parlament und Reden der selbsternannten Arbeiterführer vor den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der ehemaligen Eigenbetriebe, diese Zeit ist endgültig vorbei.

Die Wirtschaftsförder- und Marketingstrukturen: Jetzt ist hier mal wieder ganz kritisch angesprochen worden, dass die One-Stop-Agency eine never-ending story sei und dass alles ganz lange dauere. Ich gestehe gern zu, dass es nicht so schnell ging, wie wir es uns gewünscht haben. Aber eine Anlaufstelle für Investoren, das ist doch ein richtiges Ziel. Es ist neu, dass alle Fraktionen im Parlament das plötzlich für ein richtiges Ziel halten. Die PDS hat das in die Debatte gebracht, unter Rot-Rot stand es das erste Mal im Koalitionsvertrag, und es wird Realität werden. Unsere Vorgänger haben es uns dabei nicht leicht gemacht. Viele, zu viele langfristige Bindungen mit allen möglichen Marketing- und Wirtschaftsförderinstitutionen wurden eingegangen, als dass eine schnelle Lösung überhaupt möglich ist. Aber die Richtung ist klar, und das Konzept wird noch in diesem Jahr zur Debatte gestellt.

Rot-Rot geht sogar noch einen Schritt weiter, als ursprünglich angedacht. Auch verwaltungsintern muss und wird es Effektivierungen geben. Nicht mehr der Investor soll von Pontius zu Pilatus geschickt werden; nein, die Verwaltung soll intern die Leute zusammenholen. Wenn eine Verwaltung nicht dabei ist, gilt ihre Position als Zustimmung. So ein Vorgehen ist in Verwaltungen – Herr Lindner, das können Sie sich sicher vorstellen –, gerade in der Berliner Verwaltung, nahezu revolutionär.

[Dr. Lindner (FDP): Was heißt das: „ist“?]

Deshalb hält sich die Begeisterung und Mitarbeit durchaus in Grenzen. Das schreckt uns aber nicht, und deshalb werden wir auch dieses Konzept noch vor Jahresende zur Debatte stellen.

[Dr. Lindner (FDP): Zur Debatte stellen?]

Herr Lindner, zur Debatte stellen reicht Ihnen wohl nicht. Sie hätten gern, dass es entschieden wird.

[Dr. Lindner (FDP): Machen, machen, machen!]

Genau! Aber als Marktwirtschaftler alter Schule wissen Sie, dass dem „Machen, machen, machen“ manchmal private Verträge entgegenstehen.

[Pewestorff (PDS): Die Rechtsanwälte reich machen!]

Die haben unsere Vorgänger nun mal leider geschlossen, und wir müssen sie einhalten. Das sind auch Realitäten, mit denen man sich auseinander setzen muss.

[Beifall bei der PDS]

Neben den Hiobsbotschaften sind aus der rot-roten Amtszeit durchaus auch Erfolge zu vermelden. Da wir für die Probleme der Vorgänger in Haftung genommen werden, scheuen wir uns nicht, die Erfolge zu nennen, die in unsere Amtszeit fallen. Es ist ein Erfolg, dass die Phonoverbände, die rund 1 000 Unternehmen vertreten, von Hamburg nach Berlin gezogen sind, dass eine Internetmesse für Mittel- und Osteuropa von Wien nach Berlin umgezogen ist, dass die Deutsche Bahn AG ihren Logistikbereich inklusive Stinnes nach Berlin umgezogen hat und dass es auch in der Industrie positive Signale gibt.

Damit ist nicht alles gut, das stimmt ja, aber die Botschaft, die hier ausgesandt wurde, dass die Wirtschaft flieht, weil hier Sozialisten regieren, ist nun wirklich Unsinn. Sony bleibt, Wirtschaftssenator Wolf bleibt, Rot-Rot bleibt – das ist gut für die Wirtschaft, und ich finde das auch gut.

[Beifall bei der PDS und der SPD – Dr. Lindner (FDP): Das war ein schlechtes Ende!]

Danke schön! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Abgeordnete Paus.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Lindner! Auch ich werde mich auf Berlin beschränken. Wir sind hier zwar nicht die Provinz, aber wir sind hier auch nicht der Reichstag.

[Ritzmann (FDP): Wir sind hier nicht der Reichstag?!]