Ihr Antrag – Drucksache 15/758 – trägt die Überschrift: „Gesamtkonzept für die Ganztagsbetreuung von Grundschulkindern“. Unser Antrag – Drucksache 15/234 – vom März trägt die Überschrift: „Perspektive ganztags für alle Grundschüler“ – inhaltlich keine Unterschiede! Ihr zweiter Antrag hat die Überschrift: „Vorschulische Förderung und Übergang in die Grundschule qualifizieren“. Unser Antrag hat die Überschrift: „Kitas zu elementaren Bildungs- und Erziehungseinrichtungen ausbauen“ – wieder inhaltliche Übereinstimmung! Diese Mogelpackung nehmen wir nicht ab. Diese Mogelpackung nimmt Ihnen keiner ab. [Beifall bei den Grünen]
Hätten Sie doch, liebe Freunde von der SPD und der PDS, statt sechs Monate später gleichlautende Anträge zu stellen, unseren Anträgen zugestimmt, anstatt sie in die Ausschüsse zu versenken. Liebe Kollegen von der SPD und der PDS, ich habe Ihnen eigentlich mehr zugetraut. Ich rate Ihnen – und das schadet wirklich nicht –, schauen Sie gelegentlich in Ihren eigenen Koalitionsvertrag. Dort stehen nämlich sehr sinnvolle Dinge.
[Over (PDS): Danke, dass Sie das erkannt haben! – Frau Senftleben (FDP): Das geht noch auf die Ampelverhandlungen zurück!]
In Ihrem Koalitionsvertrag steht: Bildung hat Priorität. – So ist die Theorie. Was sagt die bisherige Praxis? – 1 040 Stellen sollten für pädagogische Verbesserungen bereitgestellt werden. Bisher keine Spur! 30 zusätzliche Ganztagsschulen haben Sie versprochen. Bisher kam keine einzige dazu. Und nun wartet man auf das Geld vom Bund. Die verlässliche Halbtagsgrundschule sollte flächendeckend eingeführt werden.
Sehr gut, Frau Kollegin! – Wer danach fragt, bekommt die Antwort, wie jetzt gerade auch: Die Legislaturperiode dauert bis 2006. – Gut, dann warten wir, Papier ist geduldig! Auch das
nimmt Ihnen keiner mehr ab. Vor allem Sie, Kollegen von der PDS, sollten seit dem letzten Sonntag wissen, für dumm lässt sich der Bürger nicht verkaufen.
Kommen wir zum Schulsenator! Tatenlos war er wirklich nicht. Er hat schon einiges getan: Erstens, als Reaktion auf die PISAStudie hat er eine Oberstufenreform eingeführt, zwölfeinhalb Jahre bis zum Abitur. Ein großer Wurf, mag man meinen, aber PISA hat lediglich 15-Jährige untersucht.
Zweitens: Die flächendeckende Einführung einer Fremdsprache ab der 3. Klasse, Frau Senftleben hat es vorhin gesagt, ist im Grunde eine sinnvolle Angelegenheit. Allerdings hat die jüngste Sprachstandserhebung ergeben, dass ein Großteil der Schulanfänger und -anfängerinnen, egal welcher Herkunft, nicht einmal des Deutschen mächtig ist, und nun sollen sie noch eine Fremdsprache lernen. Ich weiß nicht, ob das der Weisheit letzter Schluss ist.
Drittens: Eine zusätzliche Stunde Deutsch in der 2. Klasse ist auch eine begrüßenswerte Maßnahme, mag man meinen, allerdings nützt eine zusätzliche Stunde Deutsch nichts, wenn kein Konzept dahinter steht. Eine zusätzliche Stunde vom Schlechten führt meiner Meinung nach nicht unbedingt zu einem besseren Lernerfolg.
Viertens: Als Reaktion auf Erfurt – und das hat Frau Tesch auch so hervorgehoben – wurden 15 Stellen für Schulpsychologen und -psychologinnen geschaffen, bei fast 1 000 allgemein bildenden Schulen und mehreren Hunderttausend Schülerinnen und Schülern. Das Urteil über diese Maßnahme überlasse ich Ihnen hier im Hause und den Zuschauerinnen und Zuschauern am Schirm.
Nicht zu vergessen: Der Stellenabbau im Leitungsbereich der Kitas, die Erhöhung der Zuschüsse bei Schulen freier Trägerschaft und das leidige Grundschulgutachten – alles Dinge, die alles andere waren als ein Beitrag zu einer besseren Berliner Schule. Konzeptlosigkeit, ständige Schnellschüsse sind hier fehl am Platze. Ich rate Ihnen, fangen Sie endlich an umzusteuern. Kollege Goetze hat vorhin aus einer Zeitung zitiert. Er hat es nicht betont, aber ich möchte es tun. Das war eine Zehlendorfer Schule. Dort sollen die Schüler ihr Klopapier demnächst selber mitbringen. „Sparen für ’n Arsch“, dem kann ich mich voll und ganz anschließen, leider!
Es gibt noch eine andere Sache, die hat hier auch keiner angesprochen: Seit zehn Tagen kursiert in der Stadt eine so genannte Giftliste. Beide Koalitionspartner haben sich davon distanziert. Etwas anderes war vor einer Wahl natürlich auch nicht zu erwarten, Sie wären ja verrückt, wenn Sie dem zugestimmt hätten, was dort steht. Dennoch lohnt ein Blick auf diese Giftliste. Alles, was ich vorher aufgezählt habe, ist eigentlich belanglos im Vergleich zu dem, was wir hier vielleicht noch thematisieren müssen.
Die Kitabeiträge sollen um 100 % steigen, damit auch das letzte Kind, das es nötig hat, keine Chance mehr auf eine vorschulische Erziehung hat.
Ja, natürlich, er erklärt vieles, und er kündigt vieles an! – Die Kitagruppen sollen vergrößert werden. Das Kita-, Schul- und Vereinsschwimmen soll gebührenpflichtig werden. Das Schul- und Sportanlagensanierungsprogramm soll gestrichen werden. Die Lernmittelfreiheit soll weiter ausgehebelt werden. Keiner der beiden Koalitionspartner hat sich bisher hingestellt und sich von einer erneuten Erhöhung der Lehrerarbeitszeit distanziert. Sie haben das nicht einmal dementiert.
So viel zu Ihrem Schwerpunkt, so viel zu ihrer Floskel: Priorität bei Bildung. – Ich verstehe unter Priorität etwas ganz anderes.
Meine Damen und Herren von der rot-roten Koalition! Wir haben Ihnen unsere Unterstützung zur Verbesserung der Berliner Schul- und Bildungslandschaft zugesichert. Wir haben Ihnen mit unserem Antragspaket im Frühjahr einen Weg vorgeschlagen und Konzepte vorgegeben, an denen Sie im Interesse der Schülerinnen und Schüler, der Eltern und der Schulen in Berlin nicht vorbeikommen. Sie haben diese Chance nicht genutzt und haben es stattdessen vorgezogen, das leidige Spielchen von Regierung und Opposition zu spielen, aber das nimmt Ihnen der Bürger nicht mehr ab.
Wenn Sie wissen wollen, was wir machen, dann müssen Sie unsere Anträge lesen, Herr Kollege. Dann wissen Sie es. Setzen Sie unsere Anträge in die Tat um. Das werden Ihnen die Schüler und Schulen danken.
Wie wir vorhin von Frau Schaub gehört haben, hat die große Koalition die Probleme im Bildungsbereich jahrelang auf die lange Bank geschoben. Nach acht Monaten rot-roter Regierung hat sich nichts geändert. Bildung hat den gleichen Stellenwert wie damals unter Schwarz-Rot.
Meine Damen und Herrn von der Regierungskoalition, sorgen Sie mit Ihrer Politik dafür, dass PISA und Bärenstark nicht nachträglich zur Geldverschwendung werden. Unsere Aufgabe ist es, die Schule zu einem Ort des Lebens und des Lernens zu machen. Kinder und Jugendliche brauchen das, und wir brauchen das auch. Ich zitiere zum Schluss Herrn Böger selbst. In seiner schriftlichen Beantwortung der Großen Anfrage steht:
Die deutsche Bildungsarmut gefährdet den sozialen Frieden, und sie reduziert unsere Zukunftschancen.
Danke schön, Herr Mutlu! Sie vergaßen zu sagen, dass das schlimme von Ihnen benutzte A-Wort einem Zitat entstammt. Deswegen haben wir hier vorne nicht interveniert. – Zur Beantwortung der Großen Anfrage hat nun der Senator das Wort. – Ich bitte Sie, sich an die vereinbarte Redezeit von 15 Minuten zu halten. Sie haben das Wort!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich beantworte die Große Anfrage und die Aktuelle Stunde und bemühe mich, mit der Redezeit im vorgesehenen Plafond zu bleiben. Nach der Geschäftsordnung bin ich allerdings bei der Beantwortung einer Großen Anfrage von diese Bindung befreit. Nur dass Sie nachher nicht behauptet, ich hätte die Fragen nicht ausreichend beantwortet. Im Übrigen habe ich Ihnen etwas Schriftliches zukommen lassen, damit ich mich auf die Aktuelle Stunde und die Kernpunkte der Großen Anfrage konzentrieren kann.
Die Aktuelle Stunde lautet: „Trotz knapper Kasse: Priorität für Bildung – Berliner Schulen zukunftsfähig machen“. Ich halte dieses Thema permanent für aktuell, weil wir uns – wer wollte das bestreiten – in Zeiten knappster Kassen – nicht nur in Berlin, sondern in der Bundesrepublik insgesamt – befinden. Ich finde es gut, wenn Bildungspolitik auf Numero eins der Tagesordnung steht. [Beifall der Frau Dr. Tesch (SPD): ]
Vielen Dank, Frau Kollegin Tesch! – Im Übrigen freue ich mich, dass der Regierende Bürgermeister der Debatte zuhört.
Zum Thema: Wir haben hier einige Rednerinnen und Redner gehört, die die Dimensionen der Bildungspolitik nicht ganz erfasst haben. Nach meiner Auffassung ist es so, dass wir nach
der PISA-Studie in der Bundesrepublik Deutschland sicherlich anders diskutieren und handeln müssen, als es vorher der Fall war. Davon bin ich fest überzeugt. Das schließt Kritik von politischen und bildungspolitischen Positionen – auch meiner Partei – ein. Wer anders redet, der täuscht sich.
Wenn man die PISA-Ergebnisse – über die viel diskutiert wird – im Kern richtig beachtet, dann muss man einige Dinge festhalten: In keinem anderen Land werden Bildungschancen nach wie vor durch die Herkunft gesteuert. Das ist nur in Deutschland so. – Das ist eine bittere Aussage. Das ist die Realität, und zwar von Bayern bis Schleswig-Holstein und von Nordrhein-Westfalen bis Berlin und Mecklenburg-Vorpommern. Das ist eine schlimme Aussage für uns alle. Diese muss man zur Kenntnis nehmen.
In keinem anderen europäischen Land werden Jugendliche mit Migrationshintergrund so stark durch das Bildungssystem benachteiligt und in ihrer Integration behindert. Lieber Kollege Mutlu, ich wäre Ihnen sehr dankbar – weil Sie ein engagierter Streiter in dieser Sache sind –, wenn Sie die Einwürfe und Überlegungen nicht auf eine achtmonatige oder zweijährige Reaktionszeit reduzieren würden. Die Herausforderung ist viel größer. Wenn man Herausforderungen annehmen will, dann muss man zunächst aussprechen, wie die tatsächliche Situation ist. Das bedeutet nichts anderes, als dass das Postulat von Chancengleichheit nach wie vor nur ein bloßes Postulat bleibt, und wir uns gewaltig mühen müssen, um besser zu werden.
Zu Berlin: Wir sind hier auf einem im Kern richtigen Weg. – Warum? – Wer Bildung Priorität einräumen will und vieles verändern will und muss, der braucht – dessen muss man sich bewusst sein – verlässliche und stabile Rahmenbedingungen für Schule und Unterricht. Diese verlässlichen und stabilen Rahmenbedingungen zeichnen sich in folgenden Kernbereichen ab: Wir brauchen eine kontinuierliche und ausreichende Ausstattung mit Personal. Dies ist ein ganz entscheidender Eckpfeiler. Zudem brauchen wir für die Schulen in Berlin eine klare und stabile Versorgung mit Lernmitteln – das ist das, was die Schülerinnen und Schüler in der Hand haben – und mit Lehrmitteln – das ist das, was im Unterricht aus didaktischen und methodischen Gründen eingesetzt wird. Und wir brauchen fraglos einen Unterricht in Gebäuden, die die Schulen zu Häusern des Lernens werden lassen beziehungsweise zu Häusern, in denen Lernen Freude macht.
Heute findet sich in einer Tageszeitung ein Artikel, dessen Überschrift ich aus bestimmten Gründen nicht mehr zitieren möchte. – Kollege Goetze, wenn eine etwas desorientierte Schulleiterin mit einem offensichtlich unfähigen Schulstadtrat in Zehlendorf – ich glaube, er ist von der FDP – einen solchen Blödsinn macht, dann kann man das nicht als Beispiel für das gesamte Berliner Schulsystem hinstellen.
Sie können nicht sagen, das sei die Realität, nur weil eine desorientierte Schulleiterin, ein unfähigen Bildungsstadtrat oder eine unfähige Mehrheit im Bezirksamt den Schulen nicht ausreichend Geld gibt. Das ist ein Personalproblem, aber nicht d a s Problem der Berliner Schule.
Wir werden uns um diese kontinuierliche Ausstattung weiter bemühen. Wenn die Berliner Schule nach den Vorgaben der Organisationsrichtlinie mit einem Personaldeputat von 105 % – das bedeutet 5 % mehr Lehrerinnen und Lehrer als nach den Planungen vorgesehen sind, um den Unterricht zu erfüllen – ausgestattet ist, dann muss das – Grippewelle hin oder her – ausreichen, Herr Kollege Goetze. Mehr ist nicht drin. Mehr gibt es in keinem anderen deutschen Bundesland. Das müssen wir in Berlin zur Kenntnis nehmen. Mehr kann ich nicht versprechen. Die Verteilung muss in Ordnung sein, und es muss mehr Flexibilität erreicht werden. Dank der Schulgesetzänderung sind wir dabei auf einem guten Weg. Die Schulen können damit flexibler reagieren und zeitweilig einstellen.