Protocol of the Session on September 26, 2002

Das Wort hat nun Herr Kollege Dr. Flemming zu einer Kurzintervention. – Bitte schön!

Herr Präsident! Herr Lindner! Sie verbreiten hier bewusst oder fahrlässig die Unwahrheit. Sie haben vorhin gesagt, der Senat habe dieses Haus nicht über die Strategie des Verkaufs der Banken unterrichtet. Gestern war eine Sitzung des Vermögensausschusses. Dort ist die FDP-Fraktion eine halbe Stunde später gekommen. Das ist richtig.

[Zuruf von der SPD: Hört, hört!]

Aber der Senat hat 80 Minuten lang alle Fragen beantwortet, und alle Fraktionen haben gesagt, dass das eine ausführliche Information gewesen sei.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Sie sagen hier: Er geht an die Presse und sagt uns nichts. – Reden Sie mit Herrn Matz! Dann müssen Sie das nicht verbreiten. Sie können doch nicht sagen, das sei nicht passiert. Und zwar ist es sehr intensiv geschehen – meines Erachtens vielleicht sogar zu intensiv, möchte ich dazu sagen. Er hat alle Fragen – auch Fragen von Herrn Matz – ausreichend beantwortet. Lassen Sie sich bitte von Herrn Matz unterrichten!

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Wünschen Sie das Wort zu einer Replik, Herr Dr. Lindner? – Das ist der Fall. – Bitte schön, Sie haben das Wort!

Herr Kollege Flemming! Erst einmal zur Reihenfolge – das wollen wir doch einmal sehen: Gestern war die Sitzung des Vermögensausschusses, und vor zwei Wochen, bei der letzten Sitzung des Abgeordnetenhauses, stand Herr Sarrazin da draußen und hat die Medien informiert – zwei Wochen, bevor er das Abgeordnetenhaus bzw. den Unterausschuss „Vermögen“ damit beschäftigt hat.

[Zurufe von der SPD und der PDS]

Das zur Reihenfolge!

Einen schriftlichen Bericht – so, wie wir ihn angefordert haben – gab es selbstverständlich nicht. Es ist keine Art der Auseinandersetzung, sich in diesen komplexen Fragen in einen Unteraus

schuss zu setzen und dort einen mündlichen Report zu geben. Hierzu mündliche Bericht zu geben, das ist keine seriöse Art des Umgangs mit dem Parlament. Wir hatten gefordert, dass es einen regelmäßigen, quartalsweisen Bericht über all das gibt, was ich vorgetragen habe, und dieser Bericht ist nicht gegeben worden – weder gestern noch sonst wann.

[Beifall bei der FDP und der CDU – Dr. Steffel (CDU): Sehr richtig: Wer schreibt, bleibt!]

Weitere Wortmeldungen liegen zu diesem Tagesordnungspunkt nicht vor. Damit ist die Große Anfrage begründet, beantwortet und besprochen.

Die lfd. Nr. 11 steht bereits als vertagt auf der Konsensliste.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 12, Drucksache 15/767:

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres, Sicherheit und Ordnung vom 9. September 2002 zum Antrag der Fraktion der Grünen über Beschleunigung der Entscheidungen über Aufenthaltsbefugnisse für traumatisierte Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina, Drucksache 15/351

in Verbindung mit

lfd. Nr. 13, Drucksache 15/768:

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres, Sicherheit und Ordnung vom 9. September 2002 zum Antrag der Fraktion der Grünen über Bleiberechtsregelungen für Roma, Drucksache 15/353

Zur gemeinsamen Beratung beider Beschlussempfehlungen empfiehlt der Ältestenrat eine Redezeit von fünf Minuten pro Fraktion. – Ich höre dazu keinen Widerspruch. Wortmeldungen liegen vor. Es beginnt Kollege Ratzmann. – Bitte schön, Sie haben das Wort!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eigentlich wollte ich die derzeit laufende interkulturelle Woche und den Tag des Flüchtlings am 4. Oktober bemühen, um zu begründen, warum wir trotz der Zustimmung zu den Anträgen in den Ausschüssen darum gebeten haben, hier noch einmal die Debatte zu führen. Ich glaube, dass die Antwort von Herrn Körting auf die heutige Mündliche Anfrage ein beredtes Beispiel dafür ist, warum es notwendig ist, den Blick noch einmal auf diejenigen zu werfen, die dereinst in die Stadt gekommen sind, um Schutz vor Verfolgung und Bürgerkrieg zu suchen.

Die Anträge, um die es heute geht, berühren die Situation der Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina auf der einen Seite und der Flüchtlinge aus Serbien, Montenegro und dem Kosovo auf der anderen Seite. Der letztgenannte Antrag bezieht sich zwar hauptsächlich auf die Volksgruppe der Roma, aber Herr Körting hat heute ausgeführt, dass derzeit 7 000 Flüchtlinge aus dem ehem. Jugoslawien ab dem 1. November mit einem Mal zur Abschiebung anstehen, und man kann wohl davon ausgehen, dass 80 % von diesen Flüchtlingen, die jetzt mit Abschiebung bedroht sind, der Volksgruppe der Roma angehören.

Ihre Lage ist derzeit besonders prekär. Sie sind aus ihrer Heimat geflüchtet vor Krieg und ethnischer Verfolgung, die in ihrem Ausmaß wohl an die dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte erinnern, vor religiöser Verfolgung, vor Plünderung, Vergewaltigung, Folter und Mord. Sie tragen Erlebnisse in ihren Köpfen und in ihren Seelen, die wohl auch von uns niemand in seinem ganzen Leben vergessen könnte. Sie kamen in Not als Menschen mit Familien und mit dem Wunsch, zu überleben, und sie wurden aufgenommen von Anfang an mit dem Ziel, sie so bald wie möglich wieder zurückzuschicken – sie los zu werden. Insofern war ihre ganze Lebenssituation so, wie sie sich in Berlin und im

Bundesgebiet gestaltet hat, lediglich ein Provisorium. Sie leben in ständiger Angst, in das Land der Quäler, Vergewaltiger und Folterer zurück zu müssen – zurück in das wirtschaftliche Nichts.

Ich möchte an dieser Stelle daran erinnern, dass es in den 50er Jahren eine Debatte in Frankreich gegeben hat, die sich damit beschäftigte, diejenigen, die vor den Gräueln des NaziRegimes nach Frankreich geflüchtet waren, nach Deutschland zurückzuschicken. Ein Sturm der Entrüstung ist in Frankreich und in ganz Europa losgebrochen. Leider warten wir in der Frage, die uns hier beschäftigt, in der Bundesrepublik bis heute auf den Sturm der Entrüstung, die diejenigen davor bewahrt, wieder in das wirtschaftliche Nichts und in das Land ihrer Quäler zurückzukehren. [Beifall bei den Grünen und der PDS]

Für einige von ihnen dauert das Provisorium bereits länger als zehn Jahre, und für viele von ihnen mindestens sieben Jahre. Ihre Kinder sind hier geboren oder aufgewachsen, sie sind hier zur Schule gegangen, sie sprechen besser Deutsch als ihre Muttersprache. Aus allen generellen Altfallregelungen, die sich mit der Situation von Flüchtlingen aus andern Ländern beschäftigen und die von den Innenministerkonferenzen beschlossen worden sind, um Bleiberechte zu ermöglichen, sind jedoch diejenigen, die aus Ex-Jugoslawien gekommen sind, ganz gezielt ausgenommen worden. Es gab wenige Ausnahmeregelungen, Herr Körting hat sie vorhin angesprochen in der Beantwortung der Mündlichen Anfrage, einmal für Traumatisierte, die aus Bosnien und Herzegowina gekommen sind – darauf bezieht sich der eine Antrag –, und unter ganz besonderen engen Voraussetzungen auch für solche, die aus Ex-Jugoslawien kamen.

Allerdings ist die Bereitschaft, diese Regelungen auszunutzen, in den einzelnen Bundesländern sehr unterschiedlich ausgeprägt. Berlin ist wieder einmal Schlusslicht derjenigen, die diese Ausnahmeregelung angewandt und großzügig gewährt haben. Während im Bundesgebiet ca. 30 % aus dieser Flüchtlingsgruppe Aufenthaltstitel gewährt wurden, sind es in Berlin gerade mal 10 %. Und dieser Zustand ist nicht länger hinnehmbar. Ursache ist wohl, wie auch in vielen anderen Fällen, die mangelnde Bereitschaft, Voraussetzungen, unter denen Aufenthaltstitel gewährt werden können, zu schaffen, von der Erteilung von Arbeitserlaubnissen bis zur Ausnutzung von Ermessensspielräumen. Beredtes Beispiel war die sehr restriktive Handhabung bei der Begutachtung traumatisierter Flüchtlinge. Wir haben mit unserem Antrag erreicht, dass die Innenverwaltung die Weisungslage geändert hat und Abstand genommen hat von der unsäglichen Schlüssigkeitsprüfung. Das ist ein echter Fortschritt, Herr Körting, und ich glaube, es kann an dieser Stelle auch mal gesagt werden, dass das wirklich nicht geringgeschätzt wird, auch von uns nicht.

[Beifall bei den Grünen und der PDS]

Allerdings gibt es einen Wermutstropfen, und dieser Wermutstropfen besteht in der Tatsache, dass diejenigen, die bereits vor Änderung der Weisungslage Anträge gestellt haben und deren Anträge negativ beschieden wurden, nichts mehr von der geänderten Weisungslage haben. Die Innenverwaltung und auch die Regierungskoalition haben sich geweigert, diese Altanträge von traumatisierten Flüchtlingen einer erneuten Prüfung und Entscheidung zu unterziehen. Wie gesagt, wir schätzen die Veränderung nicht gering, haben deshalb auch letztendlich zugestimmt, obwohl Sie unserem Antrag, die abgeschlossenen Fälle neu zu prüfen, nicht nachgekommen sind.

Wir wissen auch, wie schwer es ist, Änderungen in der Verwaltungspraxis durchzusetzen, Herr Körting. Aber ich denke, es ist auch von uns angemessen, zu erwarten, dass eine Regierung, die angetreten ist mit dem Ziel, humanitäre Flüchtlingspolitik in Berlin zu betreiben, dieses auch gegenüber der Verwaltung umsetzen kann und dieses auch durchsetzt. Ich appelliere deshalb, Herr Körting, noch mal an Sie, sich genau dieser Gruppe anzunehmen und diese Prüfung noch einmal vorzunehmen!

Ein kurzer Satz noch zu der Flüchtlingsgruppe der Roma. Ich glaube, dass wir gerade hier in Berlin eine besondere Verantwortung haben, uns mit dieser Gruppe auseinander zu setzen und

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uns um sie zu kümmern, weil sie diejenigen waren, die von den Nazis in besonderer Weise verfolgt worden sind, zu Tausenden in die KZs gesperrt worden sind und gefoltert und ermordet worden sind. Und wer in Berlin hier antritt, um eine zukunftsfähige Metropolenpolitik zu machen, der muss auch die Ressourcen dafür schaffen, dass diesen Menschen Genugtuung geleistet werden kann und dass es sichtbar wird, auch in Berlin, dass der Blick auch zurück in die Vergangenheit geht, und dass hier sichtbar wird, dass Berlin bereit ist, sich dieser Verantwortung zu stellen, sie hier aufzunehmen und Lösungen zu finden, um sie vor einem Schicksal zu bewahren, das dem, was sie bereits einmal erlebten, auch nur annähernd gleichkommen kann. Ich kann Ihnen jedenfalls anbieten, Herr Körting, von unserer Seite aus: Wir werden alles unterstützen, was in die Richtung geht, zu ermöglichen, dass möglichst viele von den Menschen hier bleiben können, dass möglichst viele Roma in Berlin ihre Heimat finden, in ihrer Heimat bleiben können, und alles dafür tun, auch im Bund, zusammen mit Ihnen eine Lösung zu finden und eine annehmbare Situation zu schaffen. – Danke!

[Beifall bei den Grünen und der PDS]

Vielen Dank, Herr Kollege Ratzmann!

Bevor wir in der Redeliste weiterfahren, darf ich Ihre Aufmerksamkeit auf die Besuchertribüne richten. Wir b e g r ü ß e n sehr herzlich seine Exzellenz, den P r ä s i d e n t e n d e s S e n a t s d e r R e p u b l i k P o l e n , H e r r n P r o f e s s o r L o n g i n P a s t u s i a k , der mit einer Delegation dieses Hohe Haus besucht. – Herzlich willkommen!

[Allgemeiner Beifall]

Wir fahren fort in der Redeliste. Für die SPD erhält das Wort Herr Kleineidam. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Ratzmann hat die Problematik der Anträge, über die wir hier heute zu entscheiden haben, gerade umfassend dargestellt. In weiten Bereichen kann ich Ihnen da voll und ganz zustimmen. Ich muss Ihnen allerdings, Herr Ratzmann, an einer Stelle ganz energisch widersprechen, wenn Sie hier nämlich eine grundsätzliche Kritik äußern daran, dass Flüchtlinge, die wir aufnehmen aus Bürgerkriegssituationen, von Anfang an einen provisorischen Status haben. Es ist in allen diesen Fällen gewesen, wo Deutschland aus humanitären Gründen Bürgerkriegsflüchtlinge aufgenommen hat, dass es zunächst immer mit der Perspektive war, dass es eine zeitlich befristete Aktion ist. Und wenn Sie das grundsätzlich in Frage stellen, dann fürchte ich, dann tun Sie betroffenen Menschen in künftigen Situationen keinen großen Gefallen, weil Sie die Akzeptanz für solche humanitären Aktionen in Deutschland ernsthaft gefährden.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Sie haben dann weiter richtig beschrieben, wenn die Situationen so sind, dass sich ein langjähriger Aufenthalt daraus entwickelt, dann ist die Situation anders zu beurteilen. Da stimmen wir, glaube ich, auch völlig überein. Dann müssen wir uns Gedanken machen über Altfallregelungen und Ähnliches, wenn Kinder hier geboren sind, hier zur Schule gegangen sind, gar nicht mehr mit der Heimat verwurzelt sind. Aber ich bitte Sie wirklich noch mal, diese andere Kritik, die Sie geäußert haben, ernsthaft zu überdenken. Sie schaden, fürchte ich, in künftigen Fällen wirklich der Akzeptanz in unserem Lande.

Jetzt zu den Anträgen selber: Was das Bleiberecht der Roma in Deutschland angeht, hat die rot-rote Koalition im Koalitionsvertrag eine ganz eindeutige Aussage getroffen. Sie müssen nicht noch mal darauf hinweisen, es war auch in den Verhandlungen mit den Grünen Konsens, wurde von den Grünen auch vorgeschlagen, und so weit ich mich persönlich entsinne, haben wir auch einen Innensenator, der sich auch selber persönlich dafür eingesetzt hat, dass wir nämlich in der schon angesprochenen besonderen historischen Verantwortung, die wir in Berlin und in

Deutschland haben gegenüber der Gruppe der Roma, einen besonderen Grund sehen im Vergleich zu anderen Gruppen, uns hier besonders zu engagieren. Wir haben deshalb im Koalitionsvertrag schon niedergeschrieben: Berlin wird sich beim Bund für ein dauerhaftes Bleiberecht für langjährig in Deutschland lebende Roma einsetzen. – Sie haben diesen Satz noch einmal aufgenommen und als Antrag hier eingebracht. Und ich darf daran erinnern, dass wir im Innenausschuss – – ich glaube, ich habe noch mal auf den Koalitionsvertrag hingewiesen, ansonsten gab es keine weiteren Redebeiträge. Wir haben mit einer relativ großen Mehrheit im Innenausschuss diese Beschlussempfehlung beschlossen. Und ich hoffe, dass wir heute, wenn wir abschließend über diesen Antrag hier entscheiden, eine breite Mehrheit im Haus finden, damit der Innensenator mit der Rückendeckung dieses Parlaments dann in der Bundesinnenministerkonferenz vorstellig werden und sich für dieses Anliegen einsetzen kann. Wir wissen alle, wir haben kein eigenes Entscheidungsrecht, aber wir haben hier heute die Möglichkeit, ganz deutlich zu machen: Wir stellen uns dieser besonderen Verantwortung; wir wollen, dass unser Innensenator vorstellig wird, und wir hoffen, dass er damit auch Erfolg haben wird.

Zweiter Punkt, die Problematik Beschleunigung der Verfahren bei traumatisierten Flüchtlingen. Ich glaube, wir haben in einer sehr eindrucksvollen Anhörung im Ausschuss für Soziales, Gesundheit, Migration und Verbraucherschutz darstellen können, welche Problematik in der bisherigen Antragsbearbeitung liegt. Ich möchte hier ausdrücklich positiv erwähnen, dass auch die Innenverwaltung sehr hochrangig an dieser vierstündigen Anhörung teilgenommen hat, ohne vom Ausschuss überhaupt eingeladen gewesen zu sein. Und das Ergebnis dieser Anhörung war ja auch ein Bewusstseinswandel bei vielen Mitgliedern in diesem Hause und ich denke auch in der Verwaltung. Das ist ganz schnell umgesetzt worden. Im Grunde genommen haben wir heute schon eine Weisungslage, die wir nachträglich jetzt noch einmal beschließen, um den Vorgang hier abzuschließen. Auch das möchte ich ausdrücklich lobend erwähnen. Die Innenverwaltung ist blitzschnell an das Thema herangegangen und hat sich um die Umsetzung bemüht.

[Beifall bei der SPD und der PDS]