Protocol of the Session on September 26, 2002

Sehr geehrte Damen und Herren! Ich eröffne die 19. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin und begrüße Sie, unsere Gäste und Zuhörer sowie die Medienvertreter sehr herzlich.

Ich g r a t u l i e r e als Erstes d e n 2 3 B e r l i n e r g e w ä h l t e n B u n d e s t a g s a b g e o r d n e t e n

[Allgemeiner Beifall]

und wünsche gute Arbeit zum Wohle unseres Landes und zum Wohle Berlins. Insbesondere gratuliere ich den aus unserer Mitte gewählten Abgeordneten, nämlich den Kollegen Klaus-Uwe Benneter, Roland Gewalt, Dr. Gesine Lötzsch und Peter Rzepka. – Herzlichen Glückwunsch, alles Gute!

[Allgemeiner Beifall]

Dann muss ich Ihnen die Veränderungen einer Ausschussüberweisung mitteilen: Das Abgeordnetenhaus hat in seiner 6. Sitzung am 7. März 2002 den A n t r a g d e r F r a k t i o n B ü n d n i s 9 0 / D i e G r ü n e n über „Bildung hat Priorität – der Ausbildungsmisere für Jugendliche ausländischer Herkunft im öffentlichen Dienst entgegentreten“ – D r u c k s a c h e 15/236 – federführend an den Ausschuss für Inneres, Sicherheit und Ordnung, an den Ausschuss für Jugend, Familie, Schule und Sport sowie an den Hauptausschuss überwiesen. Die antragstellende Fraktion bittet nunmehr um zusätzliche mitberatende Überweisung an den Ausschuss für Arbeit, Berufliche Bildung und Frauen. – Ich höre hierzu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Am Montag sind wieder vier A n t r ä g e a u f D u r c h f ü h r u n g e i n e r A k t u e l l e n S t u n d e eingegangen, und zwar

1. Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion der PDS zum Thema: „Trotz knapper Kasse: Priorität für Bildung – Berliner Schulen zukunftsfähig machen“,

2. Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: „Konsequenzen des Senats aus dem letzten Platz Berlins beim Erfolgsindex der Bundesländer in der Vergleichsstudie von Cap Gemini Ernst & Young und des Wirtschaftsmagazins ,impulse‘“,

3. Antrag der Fraktion der FDP zum Thema: „Steht nach der „Giftliste“ nun auch der Ausbau des Flughafens Schönefeld auf der „Dissensliste“ der Senatskoalition?“,

4. Antrag der Fraktion der Grünen zum Thema: „Bundeshilfen für Berlin nach dem Wahlsieg von Rot-Grün – Jetzt ist Verhandlungsgeschick des Berliner Senats gefragt!“.

Inzwischen hat die Fraktion der CDU ihren Antrag auf Durchführung einer Aktuellen Stunde zurückgezogen. Im Ältestenrat konnten wir uns auf ein einvernehmliches Thema nicht verständigen. Deshalb rufe ich zunächst zur mündlichen Begründung der Aktualität auf, und frage, wer für die Fraktionen der SPD und PDS begründen möchte. – Bitte, Herr Nolte, Sie haben das Wort!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 13. Juni d. J. haben wir in diesem Haus zum Thema „Vorschulische Ausbildung verbessern – gleiche Startchancen sichern“ debattiert. Die Aktualität ergab sich damals aus der von der OECD vorgelegten PISA-Studie, die schwere Mängel in der vorschulischen Bildung in Deutschland aufzeigte.

Warum halten wir nach nur etwas mehr als drei Monaten erneut ein bildungspolitisches Thema für aktuell? – Ich will Ihnen zwei Gründe nennen: Erstens, weil am vergangenen Sonntag die rot-grüne Bundesregierung im Amt bestätigt worden ist.

[Beifall bei der SPD und den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der PDS]

Da können sich eigentlich noch mehr Berliner freuen als nur die beteiligten Fraktionen. – Das ist eine Regierung, die die Bildungspolitik zu einer nationalen Aufgabe erklärt hat und die

Chancengleichheit in der Gesellschaft auch mit Hilfe der Bildungspolitik erreichen will.

[Ah! von der CDU]

Der zweite Grund ist: Wir in Berlin wollen uns an den jetzt zur Umsetzung anstehenden Projekten der Bundesregierung – trotz unserer knappen Kassen – aktiv beteiligen.

[Beifall der Abgn. Frau Dr. Tesch (SPD) und Liebich (PDS)]

Die Bildungspolitik bleibt in Berlin Priorität, denn sie ist eine der Voraussetzungen für ein zukunftsfähiges und sozial gerechtes Berlin. [Wieland (Grüne): Ha!]

Im Wahlkampf wurden der rot-roten Koalition andersartige Vorwürfe gemacht, aber diese sind abwegig.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD und der PDS]

Ich denke, es waren – auch was die Bildungspolitik betrifft – im Wahlkampf rationale, vernünftige Argumente, die den Wählern vorgetragen wurden und die die Wähler auch überzeugt haben. Für eine Industrienation wie Deutschland ist es nicht ausreichend, lediglich bayerische Verhältnisse mit ständiger Auslese und konsequent geringer Abiturientenquote auf ganz Deutschland zu übertragen.

[Beifall bei der SPD, der PDS und den Grünen]

Die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Frau Bulmahn, hat folgende Schwerpunkte des nationalen Programms benannt, an denen sich Berlin – wie gesagt – beteiligen will:

1. Der Aufbau von mindestens 10 000 neuen Ganztagsschulen bundesweit.

2. Die Schaffung nationaler Bildungs- und Leistungsstandards.

3. Nationale Auswertung und Berichterstattung über die erreichten Bildungs- und Erziehungsziele.

4. Ein gemeinsames Bund-Länder- Programm zur Behebung der gravierendsten Lese-, Schreib- und Rechenschwächen unserer Schüler durch individuelle und frühzeitige Förderung der Kinder. Berlin will sich an dieser nationalen Aufgabe aber nicht nur beteiligen,

[Wieland (Grüne): Das ist doch ein Beitrag zur Sache! Das können Sie nachher vortragen!]

sondern Berlin will gemeinsam mit den Bundesländern Brandenburg, Mecklenburg- Vorpommern und Bremen eine ganz aktive Rolle bei der Modernisierung und Qualifizierung unseres Bildungswesens spielen.

[Beifall bei der SPD und der PDS – Zuruf des Abg. Wieland (Grüne)]

Lassen Sie uns deshalb in der Aktuellen Stunde darüber sprechen, mit welchen Mitteln und Wegen wir die Leistungsfähigkeit unserer Schulen und Bildungseinrichtungen steigern können, um im internationalen Vergleich nicht nur wieder mithalten, sondern auch wieder einen der vorderen Plätze belegen zu können. [Beifall bei der SPD und der PDS]

Vielen Dank, Herr Kollege! – Für die Fraktion der FDP hat nunmehr der Kollege von Lüdeke das Wort – bitte schön, Herr von Lüdeke!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der FDP beantragt für die Aktuelle Stunde die Frage: Steht nach der Giftliste nun auch der Ausbau des Flughafens Schönefeld auf der Dissensliste der Senatskoalition?

Wir haben in der letzten Sitzung intensiv über die Giftliste des Herrn Sarrazin gesprochen. Wir sehen eine ähnliche Giftliste in Sachen Schönefeld auf uns zu kommen. Der Wahlkampf hat in einigen Bereichen klar gezeigt, dass die Koalition diesbezüglich nicht so eindeutig zusammensteht wie man das gerne hätte.

(A) (C)

(B) (D)

von Lüdecke

Zunächst komme ich zu der Thematik, dass die Gesellschafter der Projektplanungsgesellschaft und das Investorenkonsortium sich geeinigt haben. Diese Einigung wirft Fragen auf, die wir hier stellen möchten. Wir sehen gewisse Risiken in den rechtlichen Fragen bezüglich des Planfeststellungsverfahrens. Wir sehen Probleme in der Frage der Reduzierung der Baukosten. Wir haben eine Reduzierung von 400 Millionen $ bei den Baukosten, die wir nicht nachvollziehen können und von denen wir gerne wüssten, woher sie kommen. Wie sparen Sie die ein, und wo wird da eigentlich eingespart?

Wir haben die Frage der Flughafengebühren zu klären, die wir nicht für durchsetzungsfähig halten. Angesichts sinkender Flugpreise und des verschärften Wettbewerbs im Flugverkehr können wir uns nicht vorstellen, dass man diese Flughafengebühren so einfach durchsetzen kann. Wenn Sie sich die Flugpreise mal ansehen, so besteht tatsächlich die Gefahr, dass die Gebühren bald höher werden als die Flugkosten selbst. Das kann ja wohl nicht wahr sein, darüber müssten wir mal reden!

Einen großen Unsicherheitsfaktor sehen wir auch in den EU-Zuschüssen mit einem dreistelligen Millionenbetrag. Wir würden uns gerne mal darüber unterhalten, unter welchen Bedingungen diese zusammenkommen oder wie Sie sich vorstellen, dass die zusammenkommen sollen.

Dann gibt es die Frage der Verkehrsanbindung, geschätzte Kosten 400 Millionen $. Das ist aus unserer Sicht viel zu niedrig und stellt damit einen sehr großen Unsicherheitsfaktor dar. Wir weisen darauf hin, dass die Finanzierung ausschließlich über die öffentliche Hand läuft. Das dürfte dann doch einige Probleme aufwerfen!

Dann haben wir die Frage der Passagierzahlen. Wir sind der Meinung, dass die Passagierzahlen nach den Ereignissen in New York und den stark rückläufigen Zahlen im internationalen Flugverkehr noch einmal überprüft werden müssten. Wir würden gerne wissen, ob Sie ein Gutachten in Auftrag geben werden, um die Passagierzahlen zu hinterfragen bzw. auf der Basis neuer Passagierzahlen das ganze Projekt neu zu überdenken.

Es gibt noch ein weiteres Risiko, das allerdings mit dem Flughafen wenig zu tun hat. Das ist das Risiko PDS und SPD, also das Risiko Koalition. Die Haltung von Herrn Gysi ist uns ja hinlänglich bekannt. Er hat ja nie einen Hehl daraus gemacht, dass er auf die rechtliche Frage des Planfeststellungsverfahrens abstellt und ohnehin der Meinung ist, dass dies automatisch gekippt werde. Die PDS hat auch im Wahlkampf eindeutige Aussagen gemacht. Ich habe hier die „Welt“ vom 30. Juli 2002:

Die PDS fordert den Abbruch der laufenden Verhandlungen. Der geplante Großflughafen sei nicht finanzierbar, Brandenburg müsse umsteuern und einen bedarfsgerechten Ausbau des Flughafen Schönefelds anstreben.

[Dr. Lindner (FDP): Hört, hört!]

Ihre Fraktion geht im Übrigen dazu über, die Hürden höher zu setzen. Ich erinnere an Ihre verkehrspolitische Sprecherin Frau Matuschek, die ich auch zitieren darf, aus der Berliner Zeitung vom 11. Juni 2002. Da heißt es:

Das Gesamtkonzept muss stimmen, sagt auch Verkehrsexpertin Matuschek. So müssten die Altlastensanierung, die Umsiedlung der Gemeinden oder der unterirdische Verkehrsanschluss von den Investoren finanziert werden, sollte es zu einer Privatisierung kommen. Bisher liege noch keine Übersicht über alle Kosten vor, sagt Matuschek.

Vielleicht noch ein paar interessante Zitate aus dem gerade hinter uns liegenden Wahlkampf.