Protocol of the Session on September 12, 2002

Die Kommission hat tatsächlich ein traditionelles Familienbild. Der Gender-Aspekt ist ohne Zweifel unterbelichtet. Frauen als Hauptverdiener kommen erst einmal nicht in den Blick der Kommission.

Frau Kunkel-Weber hat Nachbesserungen erreicht, aber aus unserer Sicht nicht ausreichend.

Ich schließe mich der Kritik des Deutschen Juristinnenbundes an. Dieser warnt vor Verschlechterungen für Frauen durch die Hartz-Vorschläge, und ich zitiere:

Die Vorschläge zielen auf typisch männliche Erwerbsbiografien und machen Frauen zu Verliererinnen der Arbeitsmarktreform.

Sie kritisieren die Mini-Jobs, sie kritisieren insbesondere die Familien-AGs, wo Frauen als mithelfende Familienangehörige – das hatten wir schon einmal – arbeiten sollen, und sie kritisieren insbesondere die Anhebung der Geringfügigkeitsgrenze von 325 $ auf 500 $. Ich sage noch einmal deutlich: Diese Jobs – bei zehnprozentiger Sozialversicherungspauschale – sind schlechter abgesichert als die 325-Mark-Jobs. Dadurch entsteht keine eigenständige Existenzsicherung, und dadurch entsteht auch nicht die Möglichkeit, eine eigenständige Altersversicherung zu erwerben. Das ist in allererster Linie für die Frauen ein Problem, und in zweiter Linie dann auch für die Kommunen.

Ich kann jetzt leider nicht mehr viel zum Osten sagen. Dort finde ich es problematisch, dass gewissermaßen durch die Veränderung der Zumutbarkeitsregelung ein Zwang zur Abwanderung gerade junger Menschen entstehen kann und eine Entvölkerung des Ostens, was ohnehin schon riesiges demographisches Problem ist, anstatt über Rückkehrprogramme nachzudenken.

[Beifall bei der PDS]

Noch ein Wort zur Schwarzarbeit: Ich finde es richtig, dass dieses Problem angesprochen wurde. Es ist ausgesprochen sinnvoll. In manchen Branchen werden keine neuen Arbeitsplätze entstehen, wenn die Schwarzarbeit nicht bekämpft wird.

Bitte achten Sie auf Ihre Redezeit!

Ich bemühe mich. – Frau Kunkel-Weber sagt dazu:

Was sind denn die Ich-AGs? – Das ist eine Idee von Peter Hartz. Er hat dazu bisher nur wenig vorgelegt. Für mich ist völlig unklar, wer die Zielgruppe ist. Wenn es sich um Sozialhilfeempfänger handelt, die nebenher schwarz arbeiten, warum sollten die plötzlich Steuern zahlen und nicht weitermachen wie bisher?

Hier sind viele Fragen ungeklärt – beispielsweise auch die Meisterbefähigung, die man haben muss, wenn man einen Job aus der Schwarzarbeit heraus legalisieren will. Ich denke, wir haben mit unseren Produktiv- und Stadtteilgenossenschaften dazu einen wesentlich besseren Vorschlag unterbreitet, der tatsächlich kollektive Existenzgründungen auf eine erfolgversprechendere Basis stellt.

Es bleibt mir nur noch zu sagen, dass es sich jetzt rächt, dass auf Bundesebene kein wirklicher ökologischer Umbau der Gesellschaft mit tatsächlichen Anreizen in Angriff genommen

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worden ist. Hätte man das getan, würde wir jetzt nicht vor dem Problem stehen, dass Arbeitslose und Arbeitsplatzbesitzer die sozialen Risiken und finanziellen Belastungen tragen müssen. Das muss sich ändern.

[Beifall bei der PDS]

Danke schön! – Für die FDPFraktion hat der Abgeordnete Lehmann das Wort. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich wundere mich sehr über die heutige und die letzte Aktuelle Stunde. In der letzten Sitzung des Plenums war die Flutkatastrophe ein Thema, davor der Euro, heute sind es die Vorschläge der Hartz-Kommission. Dies findet seltsamerweise zeitnah zur Bundestagswahl am 22. September statt. Müsste die Bevölkerung erst im November an die Wahlurne gehen, hätten die Koalitionsfraktionen wahrscheinlich noch die Wirtschaftspolitik Ugandas auf die Tagesordnung gebracht oder sich mit der Frage beschäftigt, ob es wirklich grüne Männchen auf dem Mars gibt.

[Zurufe von der PDS]

Die Bevölkerung hat sehr wohl mitbekommen, über welche Themen hier gesprochen wird – auch unsere Freunde von der Presse. Ich zitiere ddp von heute Morgen:

Die ruhige Hand macht Schule. Mit dem Näherrücken der Bundestagswahl am 22. September findet die rot-rote Berliner Koalition scheinbar zunehmend Gefallen an der Leitlinie des Kanzlers. Wie wäre sonst zu erklären, dass die Politik trotz erdrückender Probleme der Stadt auf Sparflamme kocht? – Die versprochenen Reformen sind nicht einmal in Ansätzen erkennbar – von Entscheidungen ganz zu schweigen.

[Beifall bei der FDP – Beifall des Abg. Niedergesäß (CDU)]

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gaebler?

Nein, ich habe leider nicht genug Zeit. – Nun zum eigentlichen Gegenstand dieser Aktuellen Stunde. Ich weiß nicht, wer sich daran erinnern kann: Bundeskanzler Schröder versprach uns am Anfang der Legislaturperiode vollmundig, die Arbeitslosigkeit auf unter 3,5 Millionen zu senken. Heute wissen wir, dass es sich dabei lediglich um heiße Luft handelte. Im August 2001 lag die registrierte saisonbereinigte Arbeitslosigkeit bei über 4 Millionen Menschen. Die Zahl der Beschäftigten geht weiter zurück. Es findet keine saisonale Belebung statt, wie es die höchste August-Arbeitslosigkeit seit 1998 eindeutig aufzeigt. Mit anderen Worten: Die Bundesregierung hat in der Arbeitsmarktpolitik kläglich versagt. Sie hat schlicht vier Jahre geschlafen.

[Beifall bei der FDP – Beifall des Abg. Niedergesäß (CDU) und des Abg. Rzepka (CDU)]

Nichts von dem, was Sie versprochen hatten, ist eingetreten. Im Gegenteil: Anstatt den Arbeitsmarkt zu deregulieren – wie es uns viele Staaten in Europa vorgemacht haben –, haben Sie mit immer neuen Hürden für Unternehmen das Problem noch verschärft – Schlusslicht in Europa.

In Berlin sieht es selbstverständlich nicht anders aus: 280 000 registrierte Arbeitslose, 80 000 erwerbsfähige Sozialhilfeempfänger und 60 000, die in irgendwelchen Beschäftigungs- und Weiterbildungsmaßnahmen untergebracht sind.

Die Bundesregierung hat zwar ihr Versagen am Ende der Legislaturperiode eingesehen. Sie hat allerdings das gemacht, was einer Bundesregierung immer dann einfällt, wenn ihr in Wirklichkeit nichts mehr einfällt, nämlich die Gründung einer Kommission. Die wievielte Kommission ist es eigentlich in den letzten vier Jahren? – Von der Entmachtung der Parlamente will ich dabei gar nicht reden.

Es ist bemerkenswert, dass wir Liberale seit mehreren Jahren Vorschläge machen,

[Zurufe]

die in eine ähnliche Richtung gehen, und jeder dieser Vorschläge von Rot-Grün abgebügelt wurde. Damals hieß es, wir seien die Partei der sozialen Kälte.

[Wieland (Grüne): Heute auch noch!]

Heute haben Sie unsere ursprünglichen Konzepte. Das ist doch so, Herr Wieland?

[Beifall bei der FDP]

Wenn Sie so wollen, ist das auch ein Erfolg für die FDP.

Die Hartz-Kommission hatte anfangs sehr gute Ansätze für eine Reform des Arbeitsmarkts vorzuweisen – denken wir nur an die Kürzung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes. Im Fall von Arbeitslosigkeit sollten für die ersten sechs Monate eine Pauschalleistung in drei Klassen gezahlt werden.

[Frau Grosse (SPD): Ist aber nicht!]

In den weiteren sechs Monaten sollte es ein genau berechnetes Arbeitslosengeld geben. Diese Maßnahme hätte Mitarbeiter der neuen Job-Center in einem entscheidenden Punkt entlastet: Statt Arbeitslose zu verwalten, hätten sich die Angestellten um die aktive Vermittlung von Arbeitslosen kümmern können.

Die endgültigen Vorschläge der Hartz-Kommission vom August dieses Jahres zeigen aber, dass das Arbeitslosengeld – wie bisher – in voller Höhe 32 Monate gezahlt wird. Dies ist der falsche Weg. Beim Arbeitslosengeld muss unserer Meinung nach die Bezugsdauer auf grundsätzlich 12 Monate justiert werden. Die neuen Job-Center laufen Gefahr, dass der notwendige Personalabbau nicht eintritt.

Ein weiteres Beispiel dafür, wie im Laufe der Zeit die Konzepte der Kommission durch zu starke Verbandsinteressen zerredet wurden, ist die Anhebung der Grenze der Minijobs von 325 auf 500 $. Zunächst war ich über einen derartigen Vorschlag ein wenig positiv überrascht. Bis zu dieser Grenze sollten pauschal nämlich 10 % anstelle bisher der bisher 22 % Abgaben geleistet werden. Doch dann mussten die Mitglieder der Hartz-Kommission auf Druck der Gewerkschaften klein beigeben. Die Anhebung der Minijobs gilt nur noch für haushaltsnahe Dienstleistungen – Kinderbetreuung oder Haushaltshilfen. Dabei soll nur eine Ministelle pro Person erlaubt sein. Wir bevorzugen dagegen die Einführung von 630-$-Jobs für alle Beschäftigungsfelder sowie die steuerliche Absetzbarkeit von sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung in Privathaushalten.

[Beifall bei der FDP]

Aus Zeitgründen kann ich nicht auf alle 13 Module des Konzepts eingehen. Dennoch beleuchte ich zwei Aspekte, die in negativer Weise hervorstechen: 1. der sogenannte Jobfloater. Das Jobfloatermodell für den Aufbau Ost, mit dem in drei Jahren rund 30 Milliarden $ – ursprünglich waren es 150 Milliarden $ – mobilisiert werden sollen, ist ein Rohrkrepierer.

[Frau Grosse (SPD): Ach was!]

Die ostdeutsche Wirtschaft leidet nicht so sehr unter mangelndem Kapital. Die neuen Bundesländer brauchen eher mehr Unternehmen und die entsprechenden Rahmenbedingungen, um Arbeitsplätze zu schaffen.

[Beifall bei der FDP]

Die Bundesregierung will das sogenannte Kapital für Arbeit am 1. November initiieren. Eine forcierte Förderung würde wahrscheinlich massive Wettbewerbsverzerrungen nach sich ziehen. Der Verdacht ist nicht unberechtigt, dass Arbeitgeber Kündigungen in die Wege leiten, damit sie per Kredit durch die Hintertür subventionierte Arbeitsplätze schaffen. Und dann sollen ausgerechnet die neuen Arbeitsämter entscheiden, welche Unternehmen mit subventionierten Krediten der KfW begünstigt werden. Für diesen Staatsinterventionismus muss wieder der deutsche Steuerzahler gerade stehen.

2. Der Masterplan: Mit diesem Masterplan „Profis der Nation“ möchte die Hartz-Kommission anhand einer Projektkoalition das Bündnis für Arbeit ablösen. Ich sage Ihnen Folgendes: Wenn sich Arbeitgeber und Gewerkschaften im Bündnis für Arbeit über Jahre nicht einigen konnten, wie man Arbeitslosigkeit am Besten bekämpft, dann wird es diesem Sammelsurium an Mitgliedern, Verbänden und Vereinen auch nicht gelingen das Problem zu lösen. Ich finde diesen Vorschlag schlichtweg naiv.

[Beifall bei der FDP]