Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 17. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin und begrüße Sie, die Kolleginnen und Kollegen, sowie die Besucher auf den Tribünen und die Fernsehzuschauer sehr herzlich.
Wir alle stehen noch unter dem Eindruck der Veranstaltung gestern zum ersten J a h r e s t a g des t e r r o r i s t i s c h e n A n s c h l a g e s am 11. September 2001 i n N e w Yo r k. Das Abgeordnetenhaus hat gestern zusammen mit dem brandenburgischen Landtag eine Gedenkveranstaltung, ein Konzert in der Hedwigskathedrale gehabt, die sehr eindrucksvoll war, wobei ich allen danke, die hier aus dem Haus gekommen sind. Wir haben gestern an die Ereignisse von damals erinnert, und wir haben der Opfer der Terroranschläge gedacht. Ich denke, was am 11. September 2001 geschah, wird uns allen für immer in Erinnerung bleiben. Natürlich muss jeder an seinem Platz seinen Beitrag zum Frieden in der Welt leisten – größere und kleinere Beiträge. Unser Beitrag liegt hier im kommunalen Feld, liegt in Berlin. Und weil das so ist, wollen wir uns jetzt auch diesem Feld und der Tagespolitik zuwenden.
Vorab Geschäftliches. Ich teile Ihnen zunächst die Veränderung einer Ausschussüberweisung mit: Der Antrag der Fraktion der Grünen über endlich Gleichbehandlung der ArbeitnehmerInnen des öffentlichen Dienstes herstellen – D r u c k s a c h e 15/707 – wurde in unserer letzten Sitzung federführend an den Ausschuss für Inneres, Sicherheit und Ordnung, an den Hauptausschuss sowie zur Mitberatung an den Ausschuss für Arbeit, berufliche Bildung und Frauen überwiesen. Die antragstellende Fraktion bittet nun um A u f h e b u n g d e r Ü b e r w e i s u n g an den A r b e i t s a u s s c h u s s. Dieser Bitte haben die Geschäftsführer der anderen Fraktionen einvernehmlich entsprochen. – Widerspruch höre ich dazu nicht. – Dann ist das so beschlossen.
Am Montag sind wieder vier Anträge auf Durchführung einer A k t u e l l e n S t u n d e eingegangen, und zwar:
1. Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion der PDS zum Thema: „Neue Chancen für die Arbeitsmarktpolitik in Berlin durch das Hartz-Konzept.“, 2. Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: „Haushaltssperre ersetzt Haushaltspolitik in Berlin – Arbeitslosigkeit steigt – Senat verheimlicht Streichliste“, 3. Antrag der Fraktion der FDP zum Thema: „Keine Fortschritte bei der Haushaltskonsolidierung – Hilflosigkeit beim so genannten Solidarpakt, Mutlosigkeit bei der Privatisierung von Unternehmensbeteiligungen, Konzeptlosigkeit bei weiteren Sparvorhaben“, 4. Antrag der Fraktion der Grünen zum Thema: „Das Risiko mit der Risikoabschirmung – die Zeche des Bankenskandals zahlen die Berlinerinnen und Berliner!“.
Im Ältestenrat konnten wir uns auf ein einvernehmliches Thema nicht verständigen. Ich rufe daher zur mündlichen Begründung der Aktualität auf. – Wer spricht für die SPD und die PDS? – Bitte, Herr Benneter! Sie haben das Wort zur Begründung der Aktualität!
Herr Kollege Lindner! Meine Damen und Herren! Herr Präsident! Gerade weil wir im Wahlkampf sind, denke ich, gibt es auch in diesem Wahlkampf eigentlich nichts Wichtigeres, als die Arbeitslosigkeit anzusprechen und die Möglichkeiten, wie wir dieses Problem wirklich gesamtstrategisch in den Griff bekommen können, und zwar alle,
nicht nur diejenigen, die die Probleme meinen nicht anpacken zu können, sondern meinen, sie nur schlechtreden zu können. Dem wollen wir hiermit ein Ende bereiten.
Mit den Hartz-Vorschlägen werden die neuen Chancen für die Arbeitsmarktpolitik nicht nur in Berlin ein gutes Stück vorankommen, gerade weil die Arbeitslosigkeit hier ein zentrales Thema bleibt. Und wir lassen uns nicht vorhalten – wie dies auch im Wahlkampf erfolgt –, wir wären an 4 Millionen Arbeitslosen schuld. Wir haben 4,8 Millionen Arbeitslose übernommen, und da sind noch nicht einmal die gezählt, die Herr Kohl im Jahre 1998 als Wahl-ABM eingesetzt hat, um die Zahlen zu schönen. Aus diesen Wahl-ABM haben wir effektive, neue Arbeitsplätze gemacht, und das gilt es endlich auch einmal anzuerkennen.
Wir haben heute 1,2 Millilonen Arbeitsplätze mehr als 1998, und wir haben 480 000 weniger Arbeitslose. Da kann man sagen, das wäre nicht genug. Das ist auch richtig. Das ist uns nicht genug, und daran müssen wir alle arbeiten. Aber immerhin, 480 000 Arbeitslose weniger, das würde in Berlin mit den 288 000 schon bedeuten, dass wir hier die Arbeitslosigkeit doppelt beseitigt hätten. Deshalb lassen Sie uns die Erfolge der rotgrünen Regierung nicht kleinreden, sondern lassen Sie uns daran ansetzen, was jetzt auch gerade mit dem Hartz-Konzept hier vorgetragen wurde.
Herr Lindner, Sie sind doch hoffentlich mit mir einig, dass Stoibers Wahlversprechen, das er schon 1996 dem bayerischen Wahlvolk gegeben hat – nämlich in der Zeit von 1996 bis 2000 die Arbeitslosigkeit wenigstens in Bayern zu halbieren –, längst überschritten ist. Im Gegenteil, heute müssen wir uns in der ganzen Bundesrepublik Sorgen um Bayern machen.
Herr Henkel, hören Sie gut zu: Hätte Bayern nicht die Steigerung an Arbeitslosen – 20 % jeden Monat in der letzten Zeit –, dann hätten wir längst die 4 Millionen unterschritten. Es ist Bayern, das hier dafür sorgt, dass wir über diese Latte kommen!
[Beifall bei der SPD, der PDS und den Grünen – Lindner (FDP): Sprechen Sie jetzt zur Aktualität? Hier ist nicht der Bayerische Landtag!]
Ich will ja nicht behaupten, dass Herr Stoiber daran schuld sei. Aber wenn Herr Stoiber nicht daran schuld ist, dann sollten Sie doch wenigstens die Fairness aufbringen und deutlich machen, dass auch nicht die rot-grüne Bundesregierung schuld ist, wenn wir heute noch immer 4 Millionen Arbeitslose haben. Hier ist die weltwirtschaftliche Entwicklung natürlich ganz entscheidend, und gerade in der Region Bayern, in der Region München mit den vielen New-Economy-Betrieben und den Auswirkungen des 11. September ist natürlich die entsprechende Auswirkung auf dem Arbeitsmarkt zu verzeichnen. Wir jedenfalls haben als rotgrüne Bundesregierung dafür gesorgt, dass wir nicht Schlusslicht sind, [Zurufe von der CDU und der FDP]
wie Bayern jetzt beim Anstieg der monatlichen Arbeitslosigkeit, sondern dass wir Vizeweltmeister sind, nicht nur im Fußball, sondern gerade auch bei der Steigerung der ausländischen Investitionen in Deutschland; schreiben Sie sich das mal hinter die Ohren! [Beifall bei der SPD]
Weil dem so ist, ist es wichtig, dass die Hartz-Vorschläge als Teil dieser Gesamtstrategie auch in Berlin schnellstens umgesetzt werden. Auf Bundesebene werden sie sofort umgesetzt, das hat der Bundestag heute deutlich gemacht, das hat die Bundesregierung in dieser Woche deutlich
gemacht. Berlin darf nicht abgehängt werden, wenn in Jobcentern Arbeitslose und arbeitswillige Sozialhilfeempfänger aus einer Hand betreut werden sollen. Berlin darf auch nicht abgehängt werden, wenn die Personalserviceagenturen Arbeitslose fortbilden und befristet ausleihen sollen. Bei all diesen Dingen darf Berlin nicht abgehängt werden und deshalb hat die Besprechung dieses Themas die höchste Aktualität.
Nun hat das Wort zur Begründung der Aktuellen Stunde der CDU der Abgeordnete Zimmer – bitte schön, Herr Zimmer!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das war ja wirklich eine üppige Begründung, Herr Benneter, für die Aktualität. Ich hoffe es haben möglichst viele zugehört. Für diejenigen, die vielleicht noch darüber nachgedacht haben, Sie zu wählen, dürfte dies nach Ihrer Rede obsolet sein.
Der Vorschlag der SPD „Neue Chancen für die Arbeitsmarktpolitik in Berlin durch das Hartz-Konzept“ – da frage ich Sie, und Sie konnten es uns nicht erklären, Herr Benneter, was ist denn daran aktuell?
Dieses Konzept liegt bereits seit fast einem Monat auf dem Tisch, es steht nichts wesentlich Neues drin, der einzige aktuelle Anlass für Sie ist die Bundestagswahl. Sie wollten sich hier noch einmal einen Auftritt verschaffen, das kann ich ja verstehen, Sie wollen Herrn Wolf noch einmal einen Auftritt verschaffen vor der Bundestagswahl, damit er sich als neuer Senator mit seiner Jungfernrede profilieren kann, aber aktuell ist das nicht.
Es ist nicht aktuell für das Berliner Landesparlament. Die Rede von Herrn Benneter hat ja gezeigt, wohin die Reise geht.
Die drei Oppositionsfraktionen kommen unisono – mit unterschiedlichen Schwerpunkten – zu dem Ergebnis, dass es dringender ist, die Haushaltsprobleme in Berlin zu besprechen und zu lösen.
Wir haben einen katastrophalen Einnahmeausfall, wir haben eine absolute Ausgabensteigerung, wir haben eine Haushaltssperre. Das sind die Themen, die die Berlinerinnen und Berliner und uns als Parlamentarier interessieren. Aber Ihre Arbeitsverweigerung, die ist nun abenteuerlich! Im Hauptausschuss wird darüber nicht geredet, weil das Problem sich ja von alleine löst. Im Parlament wollen Sie darüber auch nicht reden, weil es ja angeblich nicht aktuell ist – eine höchst interessante Einstellung!
Merkwürdig ist dabei nur – und ich finde, das ist ein interessanter Beleg für die Aktualität –, Folgendes: Herr Sarrazin schreibt einen Brief an seine Genossen am 9. September – weil es doch offensichtlich so ein aktuelles Thema ist! Er schreibt: In der Finanzplanung gibt es einen ungedeckten finanzpolitischen Handlungsbedarf von 1,3 Milliarden $, und unter der Überschrift des Solidarpaktes ist eine noch nicht mit Maßnahmen belegte globale Minderausgabe von 500 Millionen $ zu verzeichnen. Die jetzt absehbaren Mehrausgaben bei den Transferzahlungen der Bezirke von mindestens 250 Millionen $ und die steuerlichen Mindereinnahmen von rund 300 Millionen $ treten hinzu. Aber – es ist ja kein aktuelles Thema, denn es interessiert Sie ja nicht, Sie wollen vermutlich nicht auf den Pianisten schießen, weil es Ihnen schwer fällt, noch etwas Lobendes über die Arbeit von Herrn Sarrazin zu finden – bitte schön!
Nun hört und liest Berlin, es gebe eine 300-Punkte-Liste. Warum verschweigen Sie uns denn dann den Inhalt? Weil wir gerade im Wahlkampf sind? Weil wir Parteipolitik machen und
nicht Politik für das Land Berlin? Herr Sarrazin, es ist aktuell, wenn Sie eine Oper schließen wollen, es ist aktuell, wenn Sie die Gewerbesteuer erhöhen wollen, es ist aktuell, wenn Sie ein weiteres Sonderopfer für Beamte wollen! Die Berlinerinnen und Berliner wollen wissen, wenn Sie die Betreuungszeiten in Kitas einschränken wollen, wenn Sie darüber nachdenken, einen Zoologischen Garten zu schließen oder wenn Sie mit massiven Fahrpreiserhöhungen den Zuschuss an die BVG senken wollen. Das sind die Themen, über die wir zu diskutieren, die wir zu lösen und zu verabschieden haben, nicht die Hartz-Kommission!
Und dann kommt Herr Wowereit und sagt: Der Chef bin ich! Und weil Ihre Imageberater Ihnen geraten haben, den ausgleichenden Landesvater zu spielen, verabschieden Sie sich persönlich und klammheimlich, aber in der „taz“ nachlesbar vom Ziel der Haushaltskonsolidierung. Ein Grund mehr, über diesen Sinneswandel und die Folgen für den Senat zu diskutieren.
In der Zeitung lesen wir dann weiter – und ich glaube, das ist auch so –: Die Verwaltungsreform ist tot! Sie ist tot, weil man einfach mal die Mittel dafür gesperrt hat, ohne es der zuständigen Staatssekretärin zu sagen, soviel zum Thema Kommunikationsstil.
Facility-Management findet nicht statt, der Stellenpool bleibt eine Fata Morgana. Alle Projekte der Strukurveränderung liegen auf Eis und bekommen dabei Gefrierbrand. Nur – Sie lösen die Probleme nicht!
Der Herr Sarrazin lässt sich fast stündlich neue Horrorideen einfallen, der andere erfindet die neue Behäbigkeit, das ist die Wahrheit über die rote Rathauskapelle Wowereit und Sarrazin.