Protocol of the Session on August 29, 2002

Uns ist die Krawatte gar nicht so wichtig; uns wäre wichtig, dass Sie wirklich die Sprache derer sprechen, um die Sie werben müssen, [Beifall bei der CDU]

dass Sie – so Sie gewählt werden sollten – ernsthaft heute und auch in der Zukunft deutlich machen, dass Sie als Finanzpolitiker eben nicht das fortsetzen, was dieser Senat seit Monaten tut, nämlich die Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik nur noch dem Diktat der Finanzpolitik unterzuordnen. Das bedeutet nämlich weniger Investitionen, weniger Attraktivität, keine Entlastung für unsere kleinen und mittleren Unternehmen. Und das Sparen, koste es, was es wolle, oder – wie Sie sagen, Herr Wowereit – das „Sparen, bis es quietscht“ führt eben dazu, dass wir heute die höchste Arbeitslosigkeit haben und dass wir den Tiefpunkt in Berlin bei dieser Regierung noch nicht überschritten haben, sondern er in den nächsten Jahren noch vor uns liegt.

[Beifall bei der CDU – Zurufe von der PDS]

Deshalb halten wir Sie, Herr Wolf, und diese Politik für verkehrt für dieses wichtige – vielleicht das wichtigste – Ressort in diesem Senat.

Wenn sie heute die „Süddeutsche Zeitung“ lesen, dann wissen die Berlinerinnen und Berliner, was sie von Ihnen zu erwarten haben. Herr Wolf hat in der „Süddeutschen Zeitung“ heute wörtlich erklärt: „Marx hat einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, dass wir verstehen, wie Wirtschaft funktioniert.“

[Beifall bei der SPD und der PDS – Heiterkeit bei der CDU und der FDP]

Jawohl, klatschen Sie laut! Die SPD klatscht mit! Meine Damen und Herren an den Fernsehschirmen, Sie sehen das nicht! Sie sollten es aber wissen!

[Zurufe von der PDS]

Herr Wolf fährt fort. Er sagt: „Aber keine Angst! Ich werde mich nicht nur auf Marx beziehen, sondern die Auseinandersetzung mit der Berliner Wirtschaft suchen.“ –

[Heiterkeit bei der FDP – Zuruf von der FDP: Das ist eine Drohung!]

Dieses Selbstverständnis eines Wirtschaftssenators, der die Auseinandersetzung mit der Wirtschaft sucht und dabei Marx benutzen will, der weltweit gescheitert ist, ist Gift für den Wirtschaftsstandort Berlin!

[Beifall bei der CDU und der FDP – Heiterkeit bei der PDS – Zurufe von der PDS]

Es ist nicht so, dass nur die Opposition das erkannt hat, sondern selbst Ihre eigene Staatssekretärin, die uns noch vor wenigen Monaten als „die große Fachfrau“ präsentiert wurde, „die große Bereicherung der Berliner Politik“, hat keine Lust auf eine Zusammenarbeit mit diesem Senator und keine Lust auf eine Arbeit unter einem Regierenden Bürgermeister Wowereit.

[RBm Wowereit: Das sehen Sie falsch!]

Wenn das alles nicht so furchtbar traurig und die Lage vieler Berlinerinnen und Berliner nicht so ernst wäre – übrigens nicht nur der arbeitslosen! Die Berliner Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben in großen Teilen Sorge, ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Viele Berliner Unternehmerinnen und Unternehmer haben Sorge, in die Insolvenz zu gehen, ihr Vermögen, ihre Lebensleistung zu verlieren und am Ende auch in der Sozialhilfe zu landen. Die Stimmung ist schlecht in Berlin und in Deutschland. Und wenn die Lage nicht so ernst wäre, könnte man parteipolitisch sagen: Was kann uns Besseres geschehen als ein Wirtschaftssenator, der die Voraussetzungen nicht mitbringt, und ein Senat, der in diesem wichtigsten Bereich der Berliner Politik große Fehler und vor allen Dingen keine eigenen Vorschläge macht. Die Zeche aber für diesen parteipolitischen Vorschlag zahlen die Berlinerinnen und Berliner, die Zeche zahlen die Berliner Arbeitslosen, die Berliner Arbeitnehmer und unsere kleinen und mittleren Unternehmen. Deshalb muss die Spirale der Wort- und Tatenlosigkeit in Berlin durchbrochen werden.

Wir als CDU-Fraktion schlagen Ihnen ein Sofortprogramm für Wirtschaftswachstum und neue Arbeitsplätze vor und fragen Sie sehr nachhaltig, warum, Herr Finanzsenator, Sie nicht

nur das Parlament düpieren, das sich über Monate mit einem Haushalt beschäftigt, und am Tag, an dem dieser Haushalt in Kraft treten soll, verhängen Sie eine Haushaltssperre, sondern warum Sie mit dieser Haushaltssperre Investitionen in Berlin, für Berlin, für unsere Handwerker, für unsere Unternehmen, für Arbeitslose und Arbeitnehmer wenige Tage, nachdem der Haushalt beschlossen wurde, verhindern. – Heben Sie diese Haushaltssperre auf, die schadet dem Standort!

[Beifall bei der CDU]

Warum hat der Senat nicht die Kraft, um im Konzert der Metropolen Europas und weltweit mitzuspielen und endlich – das kostet keinen Cent – den Ladenschluss hier in Berlin zu liberalisieren und Berlin zu einem Modellprojekt von Attraktivität von Metropolen und einen Magneten für Touristen aus aller Welt zu machen? Warum hat dieser Senat nicht die Kraft, ein Drittel der Gesetze durch einen Bürokratie-TÜV ersatzlos abzuschaffen, ein Drittel der Verordnungen abzuschaffen und neue Gesetze auf maximal fünf Jahre zu befristen?

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Das alles kostet keinen Cent und bringt den Freiraum und die Luft zum Atmen, die unsere Berliner Unternehmen, aber auch die Menschen in der Stadt von der Politik erwarten.

[Zuruf des Abg. Pewestorff (PDS)]

Und dann entscheidet der Senat heute über den Großflughafen. Das heißt, er teilt mit, dass bis Ende November entschieden werden soll. Wenn das so ist, wollen wir das auch nicht kritisieren, auch wenn einige Details aus unserer Sicht zu diskutieren sind. Aber was erklärt der „PDS-Pressedienst“ vom heutigen Tage? – Der „PDS-Pressedienst“ vom heutigen Tage erklärt:

Ein internationales Luftdrehkreuz ist demnach nicht mehr vorgesehen.

[Gram (CDU): Aha!]

Vielmehr geht es um die Konzentration der vorhandenen Flughafenkapazitäten und den Ersatz der innerstädtischen Flughäfen Tegel und Tempelhof.

Dafür müssen wir aber nicht 8 Milliarden Steuergelder investieren, um die beiden Flughäfen zu ersetzen und sie ein bisschen nach Süden zu verschieben.

[Beifall bei der CDU und der FDP – Zurufe von der PDS]

Die PDS erklärt weiter – wörtlich:

Die PDS verhehlt keineswegs, dass sie den Standort Schönefeld nach wie vor für ungeeignet hält.

[Gram (CDU): Aha!]

Die Brandenburger PDS hat heute Nachmittag gerade erklärt, sie werde alles tun, um diesen Flughafen zu verhindern. Diesen Spagat werden Ihre Wählerinnen und Wähler nicht mitmachen. Auch Ihre Wählerinnen und Wähler werden sich nicht bieten lassen, dass eine Partei vor der Wahl so redet, nach der Wahl anders handelt und hier im Parlament an Doppelzüngigkeit und Scheinheiligkeit nicht zu überbieten ist.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Wir schlagen dem Senat vor, dass Sie unverzüglich alles tun, um Berlin aufzubauen als ein Logistik-, Finanz- und Dienstleistungszentrum für mittel- und osteuropäische Staaten und die Chancen aus der bevorstehenden Osterweiterung nutzen. Wir fragen den Senat – Roland Berger tut das heute in einem großen Zeitungsinterview –: Was muss eigentlich geschehen, damit Sie die Chancen der Privatisierung der Berliner Messe endlich zur Kenntnis nehmen und wissen, dass nur mit externem Know-how, mit zusätzlichem Geld die Chancen des Messe- und Kongressstandortes Berlin genutzt werden können? Die Berliner Unternehmen fragen zu Recht: Wie geht ein Senat mit seiner Verantwortung um, wenn er Gelder aus Brüssel, von der EU und von der Bundesregierung nicht kofinanziert und diese Gelder nicht

für Investitionen am Standort Berlin verwendet werden können, weil das Land Berlin seinen relativ bescheidenen Anteil an der Kofinanzierung nicht aufbringen will?

Wir haben Zahlen zur Schwarzarbeit erhalten, die noch beängstigender sind als in den vergangenen Jahren. Die Schwarzarbeit ist noch einmal dramatisch angestiegen. Deshalb erwarten wir vom neuen Wirtschaftssenator, dass er hier nun wirklich mit Sonderermittlungsgruppen, mit personeller Aufstockung, aber auch mit Kontrollmöglichkeiten wie einer Chipkarte, also dem fälschungssicheren Sozialausweis, alles tut, um den Berliner Arbeitsmarkt von diesen Schwarzarbeitern und insbesondere den Unternehmen, die schwarzarbeiten lassen, endlich zu säubern. Das ist ein Milliardenschaden für die Wirtschaft. Die Zeche zahlen die Steuerzahler und diejenigen, die in die Sozialsicherungssysteme einzahlen müssen, also Unternehmen und Arbeitnehmer. [Beifall bei der CDU]

Wir erwarten vom Senat, dass er die beschränkte Ausschreibung wieder bis 250 000 $ möglich macht, damit unsere Berliner und Brandenburger Unternehmen die Chancen bei den wenigen Investitionen, die es in der Region gibt, auch wirklich nutzen können und eine Vergabepolitik in Berlin praktiziert wird, die in Fach- und Teillosen endlich mit diesem unseligen Prinzip des Generalunternehmers Schluss macht, damit unsere kleinen Berliner Handwerker, unsere Unternehmen, die hier ausbilden, die Arbeitsplätze schaffen, auch wieder die Chance haben, Aufträge aus der Region zu bekommen.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Das ist mir besonders wichtig, weil es aktuell nicht sofort zu merken ist, aber langfristig den größten Schaden anrichtet: Ich appelliere an den Senat, dass er Informationstage an Schulen und Universitäten veranstaltet, mit denen wir versuchen, junge Menschen für Existenzgründungen und Unternehmertum zu begeistern. Wir werden die Unternehmerlücke in den neuen Bundesländern – das ist das Hauptproblem der neuen Länder – nur dann schließen können, wenn endlich wieder die Tochter Spaß daran hat, den Laden der Mutter zu übernehmen, wenn endlich wieder der Sohn Spaß daran hat, den Handwerksbetrieb des Vaters zu übernehmen,

[Gelächter bei der PDS]

wenn nicht 80 % unserer Hochschulabsolventen in den öffentlichen Dienst wollen, anstatt wirklich Arbeitsplätze zu schaffen und sich motiviert und angesprochen zu fühlen, hier in Berlin ihr Schicksal in eigene Hände zu nehmen. Diese Initiative erwarten wir vom Senat. Nur Unternehmen schaffen Arbeitsplätze, kein Herr Hartz und kein rot-roter Senat.

[Beifall bei der CDU und der FDP – Zuruf des Abg. Pewestorff]

Meine Damen und Herren! Sie werden eines bemerkt haben: All diese Maßnahmen kosten so gut wie kein Geld.

[Liebich (PDS): Kofinanzierung kostet Geld!]

Es ist nur eine Frage des politischen Willens, ob Sie diese Maßnahmen kurzfristig und unkompliziert umsetzen. All diese Maßnahmen garantieren kurzfristige Beschäftigungseffekte und mittel- und langfristig auch strukturelle Erfolge hier in Berlin. Das, Herr Regierender Bürgermeister, das, Herr Wolf, wenn Sie gewählt werden sollten, sind unsere konkreten Vorschläge. Wir warten auf Ihre Vorschläge. In den letzten 15 Monaten Wowereit haben wir zumindest keine Vorschläge gehört. Die Berlinerinnen und Berliner erwarten, dass Sie, Herr Wolf, wenn Sie gewählt werden, anpacken, diese Vorschläge nutzen und viele weitere, machen, über die wir gern mit Ihnen streiten. Lassen Sie uns in der Sache für die Menschen, für die Arbeitslosen, für die Arbeitnehmer, für unsere Unternehmen trefflich streiten, dass Sie diese Vorschläge aufgreifen und nicht mit den Konzepten von Marx, wie Sie sagen, die Auseinandersetzung mit der Berliner Wirtschaft suchen. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der CDU und der FDP]