Protocol of the Session on June 13, 2002

[Beifall bei der CDU]

Wenn eine ältere Dame mit ängstlichem Blick und die Handtasche fest unter den Arm geklemmt über den Hardenbergplatz eilt,

[Mutlu (Grüne): Mit Kamera wird das nicht besser!]

wovor, glauben Sie, hat diese ältere Dame dann Angst? – Doch nicht vor der Kamera, die sie vor Straßenräubern schützen soll, sondern vor dem Straßenräuber. Das ist doch die Wahrheit!

[Beifall bei der CDU]

Die Berliner, meine Damen und Herren von der PDS, haben das offensichtlich erkannt. Sie haben ein erheblich größeres Realitätsbewusstsein als die rot-rote Koalition. Nach einer ForsaUmfrage sind 67 % der Berlinerinnen und Berliner für die Videoüberwachung öffentlicher Plätze, im Übrigen auch die Anhänger der SPD und der PDS. Das sollten Sie sich einmal zu Gemüte führen.

[Beifall bei der CDU – Wieland (Grüne): Aber nicht die der Grünen!]

Zum Gesetzesentwurf, der von Ihnen vorgelegt wurde, Herr Senator Körting: Als ich vor 14 Tagen in einer großen Berliner Tageszeitung las, Rot-Rot wolle den finalen Rettungsschuss regeln, hatte ich schon die leise Hoffnung, dass die SPD endlich Einsicht in dieser Frage zeigt; leider ein Irrtum. Der bloße Verweis auf das Jedermannsrecht der Notwehr ändert überhaupt nichts. Das weiß jeder Polizeiexperte. Nicht einmal an der äußerst vorsichtigen Regelung aus dem rot-grün regierten Nordrhein-Westfalen haben Sie sich orientiert. Selbst dort ist die Einschränkung des Artikels 2 des Grundgesetzes und die hoheitliche Aufgabe des Rettungsschusses geregelt.

[Wieland (Grüne): Sie sind ja ein wahrer Rot-Grün-Anhänger!]

Dies wollen Sie offensichtlich nicht. Vielleicht, Herr Innensenator, fragen Sie mal Ihren neuen Polizeipräsidenten, Herrn Glietsch, der ja aus Nordrhein-Westfalen kommt und Ihnen sicherlich großartig erklären kann, wie das dort funktioniert. Insbesondere dann, wenn, wie zuletzt bei einer Geiselnahme in Wiesbaden geschehen, eine durch den Einsatzleiter koordinierte Geiselrettung notwendig ist, nützt Ihnen der Regelungsvorschlag, den Sie hier vorgelegt haben, überhaupt nichts.

Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass Ihr Gesetzesvorschlag unsinnig ist, Herr Innensenator, dann haben den letztlich Ihre Beamten in Ihrer Behörde selbst geliefert. Mir liegt ein Vermerk von Mitarbeitern einer Ihrer Behörden vor, in dem es abschließend heißt: „Erschöpft sich die angedachte Regelung in dem angekündigten Entwurf, sollte sie besser gänzlich unterbleiben.“ Eine solche Kritik an einem Gesetzesentwurf ist vernichtend, zumal wenn sie aus der eigenen Verwaltung kommt. Mit solch einem Gesetzesentwurf streuen Sie den Bürgern Sand in die Augen. Damit bekämpfen Sie keine Kriminalität und schaffen keine Sicherheit. Wir lehnen dies ab.

[Beifall bei der CDU]

Danke schön! – Für die SPDFraktion hat Herr Abgeordneter Benneter das Wort. – Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Senator Körting hat mit diesem Änderungsentwurf zum Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz gezeigt, dass die innere Sicherheit Berlins und seiner Bewohner, insbesondere auch seiner Gäste, bei ihm in guten Händen ist.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Er hat hier nicht erst gewartet, bis anlässlich eines aktuellen Ereignisses dann wieder irgendwelche aktionistischen Vorschläge zu Hauf kommen, sondern vier Regelungen vorgeschlagen, die darauf gezielt sind, unsere innere Sicherheit zu verbessern.

Herr Gewalt, Sie haben sich, wie üblich, wieder auf die Videoüberwachung bezogen und darauf hingewiesen, wie viele Kameras wir schon in der Stadt haben. Da frage ich mich, warum Sie immer noch mehr haben wollen. Wir jedenfalls wollen die Videoüberwachung nicht über die gesamte Stadt ausdehnen, sondern nur auf gefährdete Objekte wie Friedhöfe, oder Mahnmale konzentrieren, um dort Aufzeichnungen zu machen, die unverzüglich zu löschen sind, sofern sie nicht zur Verfolgung von Straftaten benötigt werden. Dies zeigt, dass hier die innere Sicherheit und der Datenschutz zum Wohl der Bürgerinnen und Bürger sich sehr gut vereinbaren lassen. Der wohlüberlegte und gezielte Einsatz moderner Sicherheitstechnik wird die Polizeiarbeit effektiv unterstützen und die Bürgerrechte wahren können.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der PDS]

Der von der CDU als Allheilmittel geforderte massenhafte Einsatz von Kameras auf Straßen und Plätzen gaukelt nur eine scheinbare Sicherheit vor und greift dabei zugleich ganz massiv in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ein. Das ist der Grund, warum die SPD diese Forderung immer abgelehnt hat.

Ich habe hier einen Zeitungsartikel über drei Wochen Videoüberwachung in Erkner. Da berichtet der zuständige Polizeibeamte: Seitdem die Polizei in Erkner Vorreiter beim Pilotprojekt Videoüberwachung öffentlicher Plätze in Brandenburg geworden ist, sitzt die halbe Wachbelegung vor dem Bildschirm. Zwischen Erkner und Grünheide ist eine Polizeistreife kaum noch aufzufinden. „Schon jetzt registrieren wir mehr Delikte in den Seitenstraßen, wo keine Kameras hängen.“ Zudem binde die Videoüberwachung in einer ohnehin schon angespannten Personalsituation Polizeibeamte an einem Ort, von dem sich die Kriminalität gerade wegverlagere. – Das ist die Situation bei Ihrer ungezielten, flächendeckenden Überwachung, die uns doch an Momente erinnert, die wir in der Vergangenheit der deutschen Geschichte hatten, wo die CDU meinte, dass mit einer solchen flächendeckenden Überwachung über Bürgerrechte hinweggegangen und das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Einzelnen mit Füßen getreten werden kann. So weit zur Videoüberwachung.

Sie haben überhaupt nicht erwähnt, dass wir ein Wegweisungsrecht bei häuslicher Gewalt installieren. Hier hat Berlin bereits eine Vorreiterrolle durch die Berliner Interventionszentrale gegen Gewalt, wo als Modellprojekt von Bund und Senat in der

Zusammenarbeit die viel stärkeren strukturellen Ursachen häuslicher Gewalt in den Blick genommen wurden; Frauenhäuser, Krisentelefone, Polizei, Senat, Männerberatungsstellen haben hier gemeinsam Handlungsstrategien erarbeitet und gemeinsame Öffentlichkeitsarbeit betrieben. Diese Arbeit hat dazu geführt, dass mit sehr viel stärkerem Blick auf die Täter geachtet wurde, was auch zu den wichtigsten Neuerungen des Gewaltschutzgesetzes auf Bundesebene geführt hat. Ab jetzt steht der Opferschutz im Mittelpunkt. Die Devise polizeilicher Maßnahmen heißt: Das Opfer bleibt, und der Täter geht.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Nicht die geschlagene Frau muss ins Frauenhaus, sondern der prügelnde Ehemann wird gezwungen, sich einen anderen Aufenthaltsort zu suchen. Das ist das Konzept aus dem Gewaltschutzgesetz, dass wir hier in eine Berliner Regelung umsetzen.

[Beifall bei der SPD, der PDS und den Grünen]

Da hätte ich mir schon gewünscht, Herr Gewalt, dass Sie wenigstens im Halbsatz darauf eingegangen wären. Aber dies ist ja etwas, was Sie überhaupt nicht interessiert.

Zum Schluss noch zur Klarstellung zum gezielten Todesschuss, auch finaler Rettungsschuss genannt. Es wird schon fast zur ideologischen Frage, wie man das nennt. Diese Regelung soll klarstellen – das hat auch eine entsprechend intensive Anhörung im Innenausschuss erbracht –, dass sich die Polizisten dabei auch auf das Recht auf Notwehr und Nothilfe berufen können. Das gilt sowohl für den Beamten selbst, der in einer Notwehrsituation einen tödlichen Schuss abgibt, als auch für den Einsatzleiter und weitere Beamte, die daran beteiligt sind.

Der Senat liegt jedenfalls mit seiner Initiative zur rechten Zeit offensichtlich richtig. Wenn die Humanistische Union dieses heute in einer Presseerklärung verteufelt und meint, Rot-Rot verliere seine bürgerrechtliche Unschuld mit solchen uferlosen Formulierungen und mit diesem Gesetz ließe sich das Prinzip der totalen Überwachung der Berliner Seenlandschaft legitimieren, und mit windelweichen Formulierungen würden Tür und Tor der polizeilichen Überwachung aller öffentlichen Bereiche geöffnet,

[Zuruf des Abg. Gram (CDU)]

dann zeigt das nur: Wenn diese Kritik – einerseits von der Humanistischen Union und auf der anderen Seite von der CDU – lautet, dass hier nicht längst genügend Kameras aufgestellt worden sind, dann zeigt das, dass – allen Unkenrufen zum Trotz – diese Koalition mit ihrer Gesetzesinitiative – genau wie es sein sollte – in der Mitte liegt.

Achten Sie bitte auf die Redezeit!

Bürgerschutz und Bürgerrecht gehen für uns zusammen. Wir befinden uns mit diesem Vorschlag klar in der Mitte der Gesellschaft, und insofern können wir diese Gesetzesinitiative nur unterstützen.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Danke schön! – Für die Fraktion der FDP hat das Wort der Abgeordnete Ritzmann. – Bitte sehr!

Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Meine Damen und Herren! Es handelt sich um vier Gesetzesänderungen. Falls der Eindruck entstanden ist, es ginge hier nur um eine oder zwei: Es sind vier Sachverhalte, die das Allgemeine Sicherheits- und Ordnungsgesetz und das Gesetz über die Anwendung unmittelbaren Zwangs betreffen. Das eine ist eine alte FDP-Forderung: die Abgrenzung, Eingrenzung, Präzisierung in Bezug auf die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten, also Straftaten von erheblicher Bedeutung. Es geht um das Erheben von Daten, den Einsatz von V-Leuten, das Betreten von Wohnungen und Ähnlichem. Da haben wir schon immer gesagt, dass wir einen Katalog haben möchten, aus dem heraus ermittelt werden kann, ob man diese Maßnahme ergreifen kann oder nicht. Das ist

insbesondere bei diesen eingriffsintensiven Maßnahmen sinnvoll. Deshalb begrüßen wir es, dass der Innensenator auch unsere Forderung aufgenommen hat, und diese Präzisierung nach § 100 a Strafprozessordnung findet auch unsere Unterstützung.

Was die Videoüberwachung angeht, die konkrete Gefahr für Objekte einer bestimmten Art wie Friedhöfe, Denkmäler, Religionsstätten: Das ist eine sinnvolle Vorgehensweise, wenn eine konkrete Gefahr gegeben ist. Was der Kollege Benneter gerade von der Humanistischen Union zitiert hat: In dem Gesetzentwurf heißt es, dass auch Trinkwasserspeicher darunter fallen sowie Sportstätten und Waldflächen. Da müssten wir doch noch einmal im Ausschuss darüber reden, was damit gemeint ist. Denn das soll sicherlich nicht – so habe ich den Antragsteller verstanden – die flächendeckende Videoüberwachung durch die Hintertür sein, sondern das soll für eine kleine Anzahl von Objekten gelten, bei denen es eine tatsächliche Gefährdungssituation gibt. Deswegen sollten wir über einen Katalog sprechen, weil diese Objekte bekannt sind. Es gibt nicht wöchentlich neue Objekte, bei denen Straftaten begangen werden, sondern das ist einkreisbar. Deshalb, glaube ich, ist es eine gute Idee, über eine abschließende Aufzählung von Objektarten nachzudenken, die überwacht werden dürfen, und nicht zu sagen: Wir schauen mal, wer hier gefährdet ist, und dann halten wir eine Kamera drauf. Das ist nicht richtig, und deshalb wollen wir darüber noch einmal im Innenausschuss sprechen.

Dann kommen wir zur Initiative gegen häusliche Gewalt: Das ist ein sehr sinnvolles Vorgehen – nicht nur, weil es ursprünglich eine Initiative der FDP aus Baden-Württemberg gewesen ist, die sich mittlerweile bis nach Berlin durchgeschlagen hat.

[Wieland (Grüne): Das ist doch lächerlich, dass das eine FDP-Initiative sein soll!]

Ja, Herr Wieland, Sie kommen sicherlich auch gleich dran und können das dann bestätigen. – Häusliche Gewalt ist ein schwieriges Thema. Dabei geht es darum, die Gewaltopfer sofort und wirksam zu schützen, bis gerichtliche Maßnahmen greifen können. Das sind Verweisungen bis zu 14 Tagen inklusive, und das ist auch eine große Verantwortung für die Beamten vor Ort, die eine weitreichende Entscheidung treffen. Es ist ja nicht immer so, dass die Lage völlig offensichtlich ist und man auf den ersten Blick erkennt: Täter – Opfer – Verweisung klar! Deswegen möchten wir einmal im Ausschuss darüber sprechen, inwieweit da Weiterbildungsmaßnahmen notwendig sein könnten, um diese Situationen richtig einschätzen zu können. Insbesondere wenn zum Beispiel der potentielle Täter der Eigentümer einer Wohnung ist, wo vielleicht sogar ein Büro inklusive ist und man diesen derselben verweist. Da muss Kompetenz vor Ort sein, um sicherzustellen, dass das auf der richtigen Grundlage stattfindet. Also, die Idee ist richtig, sie ist von uns.

[Beifall bei der FDP – Gelächter bei den Grünen]

Es gibt jetzt die erste Einschätzung aus NRW und Baden-Württemberg, die wir im Sommer erwarten. Dort sieht es so aus, als wäre das insgesamt ein erfolgreiches Projekt. Demzufolge geben wir – mit den Einschränkungen, die ich gemacht habe, über die wir noch sprechen möchten – auch da unsere Zustimmung.

Der finale Rettungsschuss – da hat der Kollege Gewalt Recht – ist eine Klarstellung, eine Präzisierung, eine Umsetzung in das Gesetz. Das ändert aber doch letztlich wohl überhaupt nichts.

[Doering (PDS): Haben Sie das auch erfunden? – Wieland (Grüne): Ist der von Ihnen?]

Nein, das haben wir nicht erfunden, Herr Wieland. In den Bundesländern, in denen wir Verantwortung übernehmen, gibt es durchaus unterschiedliche Regelungen, und diese möchten wir gern in den Prozess mit einfließen lassen, wie das Land Berlin diese Problematik löst. Wenn ein Polizeibeamter in der Situation ist, aus Notwehr, zum Schutz von Menschen auf einen Attentäter, auf einen Geiselnehmer zu schießen, und ihn dann das Strafver

fahren trifft, ist das eine Problematik, zu der die Polizei immer wieder sagt, dass das nicht in Ordnung sei. Aber auf der anderen Seite ist es bedenklich, wenn von Seiten des Staates angeordnet werden kann, dass jemand erschossen werden darf. Das ist die Problematik, über die wir auch reden müssen – Sie stellen fest, dass wir noch viel reden wollen.

Damit komme ich zum Schluss: Die Art und Weise, wie dieser Gesetzentwurf eingebracht wurde, ist bedauerlich, insbesondere deswegen, weil wir letztes Mal hier Tumulte hatten und weil wir das jetzt wohl innerhalb von 14 Tagen durchgepeitscht bekommen sollen. Ich glaube nicht, dass das klappen wird.