Dies hat nicht nur in erheblichem Maße die ohnehin angespannte Stimmung angeheizt, sondern hat – auch zu Recht – zu großer Empörung in der Bevölkerung geführt. Zwar stimmt es, dass Herr Werthebach beide Demonstrationen verboten hat, aber er wusste genau, dass sein Verbot der NPD-Demonstration keinen Bestand haben konnte.
In dieser Situation hat er bewusst in Kauf genommen, dass durch das Verbot der AAB-Demonstration dieses fatale Bild entstanden ist.
Der Innensenator hat im Innenausschuss gesagt, das Verbot der Demonstration sei eine politische Entscheidung. Da hat er Recht. Er hat diese politische Entscheidung gegen den Rat der Fachleute aus den Polizeidirektionen, gegen den Protest der Gewerkschaft der Polizei getroffen. Er und sein Polizeipräsident haben im Vorfeld des 1. Mai jegliche Idee von Deeskalation über Bord geworfen und stattdessen durch markige Worte wie „niedrige Eingreifschwelle“, „hartes Durchgreifen“ und „niemand soll auf einen Befehl warten“ die Situation angeheizt. Sie haben dies getan auf dem Rücken der Polizeibeamten.
Und der Innensenator ist verantwortlich für einen Polizeieinsatz, der die gewalttätigen Auseinandersetzungen auf den Mariannenplatz trieb. Auf dem Mariannenplatz fand ein großes Maifest statt. Ich war da. Ich stelle Ihnen einmal dar, wie es dort aussah. Dort waren im Laufe des gesamten Festen gut 25 000 Leute. Der Platz war seit dem Mittag voll. Es waren zwei Bühnen dort. Es gab 50 Stände. Es fand ein großes Kinderfest dort statt. Es gab eine Hüpfburg. Es waren viele Familien da, viele Kinder. Die Menschen haben getanzt, die Menschen lagen einfach auf der Wiese. Es war eine ganz friedliche Feststimmung.
Wie ging man nun mit diesem Fest um? – Im Vorfeld wurde durch die Demonstrationsverbote dafür gesorgt, dass der Mariannenplatz der einzige Ort war, an dem man sich in diesem Teil
Kreuzbergs nach 15 Uhr aufhalten konnte. Menschen, die man dazu bringen wollte, sich woanders hinzubewegen, hat man aufgefordert, in Richtung Mariannenplatz zu gehen.
Die Polizei hat dafür gesorgt, dass die Krawalle auf den Platz gedrängt worden sind. Dann hat die Polizei das Fest gestürmt. Festbesucher gerieten in Panik. Mütter mit Kindern wussten nicht, wohin.
Menschen, die einfach nur weg wollten, wurden durch die Polizei daran gehindert, den Platz zu verlassen. Viele von ihnen fanden sich in Polizeikesseln wieder und schmücken so die polizeiliche Erfolgsstatistik der Festnahmen. Und Werthebach sagt danach, es sei ein Erfolg des Polizeieinsatzes gewesen, die Auseinandersetzungen auf den Mariannenplatz zu beschränken. Herr Werthebach! Ich will nicht so weit gehen, Ihnen zu unterstellen, dass Sie dies bewusst so geplant hatten, obwohl es für diese Annahme gute Gründe gibt. Die politische Verantwortung für einen Polizeieinsatz, der zu einer solchen Situation führt, tragen Sie in jedem Fall. Und wer die politische Verantwortung für ein solch gefährliches Desaster trägt, der sollte es unterlassen, in einer Weise auf andere mit Fingern zu zeigen, wie Sie es tun.
Noch am Abend des 1. Mai stellte sich Werthebach vor die Fernsehkameras, ohne irgendetwas ausgewertet haben zu können – die Krawalle, die er versprochen hatte, mit seiner Verbotsund Eskalationsstrategie zu verhindern, liefen noch –, und erklärte: „Wir machen im nächsten Jahr auf jeden Fall so weiter mit Verbot und Eskalation.“
Wer so agiert, zeigt, dass es ihm um etwas anderes geht als um einen friedlichen 1. Mai; er nährt den Verdacht, auch am 1. Mai Anlässe zu suchen und zu schaffen, um seiner eigentlichen Absicht, seinem Kreuzzug gegen das Versammlungsrecht, Nahrung zu liefern.
Wir sagen ganz klar: Mit der PDS wird es eine Einschränkung des für die Demokratie elementaren Grundrechtes auf Versammlungsfreiheit nicht geben. Es darf keine Situation geben, in der Menschen, die ihr Grundrecht ausüben wollen, dies nur nach Belieben des Innensenators tun können, zumal dieses Innensenators!
Es kann auch nicht sein, dass der Innensenator schon jetzt, im Mai 2001, jeden, der im nächsten Jahr in Kreuzberg feiern oder demonstrieren will, kriminalisiert und in die Ecke von Straftätern stellt. Wie stellen Sie sich das eigentlich vor? Wollen Sie den 1. Mai in Kreuzberg verbieten? – Eine Haltung, dass jeder, der sich am 1. Mai in Kreuzberg aufhält, selbst Schuld ist, wenn er festgenommen wird oder „eins auf die Mütze“ bekommt, hat nicht nur mit einem Bild von Berlin als weltoffene, liberale Metropole nichts zu tun; Sie hat auch mit Demokratie und Rechtsstaatlichkeit nichts zu tun.
Der Innensenator agiert nach der Devise „Nach dem Desaster ist vor dem Desaster“ – so schrieb der „Tagesspiegel“. Er agiert wie jemand, der mit dem Kopf gegen eine Mauer rennt und der, wenn er merkt, dass er nicht durchkommt, den Schluss zieht, beim nächsten Mal einen größeren Anlauf zu nehmen. Das Schlimme daran ist, dass es die Köpfe von Demonstranten und Polizeibeamten sind, die in Folge dieses fatalen Irrtums schmerzen.
Es kommt nun darauf an, dieses bornierte „Weiter so!“ des Innensenators zu verhindern und auch die Spirale der Krawallrituale am 1. Mai zu durchbrechen. Das heißt zuerst: Es gibt zur Deeskalation keine Alternative.
Die Deeskalation ist keine Garantie, aber es gibt zu ihr keine Alternative. – Das bedeutet, dass die Erfahrungen und Konzepte, die es in der Polizei dazu gibt, weiter entwickelt und angewandt werden und dass nicht auf dem Rücken und gegen die Warnungen der Polizei jemand sein politisches Süppchen kocht.
Deeskalation heißt auch vor allem: Reden und nicht Aufmuskeln. Deshalb schlagen wir vor, alle Beteiligten – Innenverwaltung, Polizei, Polizeigewerkschaft, Anwohner, Demonstrations- und Festveranstalter, Bezirksamt, Demonstrationsbeobachter – an einen Tisch zu holen, um über Wege zu reden, wie man einen friedlichen 1. Mai garantieren kann.
Ein „Weiter so!“ darf es im nächsten Jahr nicht geben. Und es liegt in der Verantwortung dieses Hauses, liebe Kollegen von der SPD, dafür zu sorgen, dass Werthebachs Linie sich im nächsten Jahr nicht durchsetzt. – Danke schön!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf vielleicht angesichts der bisher geführten Diskussion daran erinnern: Der 1. Mai ist der Tag der Arbeit, der Tag der Arbeiter,
Es ist kein Tag der Parteien, weder der konservativen noch der anderen. Und es ist erst recht kein Tag der Krawallmacher und auch nicht der Gesetzesbrecher.
Es ist daher unerträglich, dass aus der Hauptstadt im Wesentlichen nur Bilder kommen, die den Charakter dieses Tages nicht im Entferntesten widerspiegeln, obgleich wir alle wissen, dass der 1. Mai wahrscheinlich in den nächsten Jahren eine sehr viel höhere Bedeutung wieder gewinnen wird, als das vielleicht in den letzten 10 oder 15 Jahren der Fall war. Insofern – ich sage noch einmal: Es kann nicht in unserem Sinne sein, dass der 1. Mai und die Bilder aus der Hauptstadt so rüberkommen, wie sie rüberkommen.
Und ich sage, dass es in diesem Hause niemanden mit Verstand und Gewissen geben kann, der nicht mit tiefster Verachtung beobachtet, wie unter Verletzung der Gesundheit und des Lebens von Polizistinnen und Polizisten Teile der Stadt in Schutt und Asche gelegt werden sollen.
Dass die CDU diese Wut verspürt und mit den Kreuzbergern, vor allen Dingen mit den Polizisten, fühlt, hat sie gesagt, und wir wissen, dass dies ihre wahren Gefühle sind. Dass die Grünen, denen diese Chaoten einmal vor 12 Jahren eine Koalition zerschlagen haben, eine sehr distanzierte Haltung zu ihnen haben und sie ebenfalls nachdrücklich ablehnen,
das ist etwas, was ich jedenfalls weiß und deutlich betone. Und dass die PDS, und nun schon gar die orthodoxen Teile der PDS, mit Chaos etwas zu tun hätten, glauben wirklich nur diejenigen, die daran glauben wollen.
Wir Sozialdemokraten fordern daher angesichts der Einigkeit in der Zielsetzung dazu auf, wieder einig zu handeln. Denn in den grundlegenden Fragen der Beurteilung des Vorgehens sind wir uns ja auch einig. Wir wissen, dass es verhängnisvoll ist, Ausbrüche primitiver Gewalt zu dulden. Das macht ja schnell Schule. Wir wissen, dass Kinder nicht daran gewöhnt werden dürfen, brutalste Gewalt straflos auszuüben. Wir wissen, dass es nicht hinnehmbar ist, rechtsfreie Räume zu dulden. Und wir sind uns auch im Vorgehen in wesentlichen Punkten einig: Wir alle wollen, dass die Straftäter gefasst und der Justiz vorgeführt werden; wir wollen, dass kein Polizist verletzt wird; wir wollen, dass keine Unbeteiligten zu Schaden kommen; und wir wollen die Belastungen und die Sachschäden für Kreuzberg minimieren.
Warum dann angesichts einer solchen doch weitgehenden Einigkeit diese plötzlich so aggressive Diskussion? – Zwei Dinge sind es, die den Unterschied ausmachen: Erstens, es hat ein Verbot der revolutionären Maidemonstration gegeben. Dieses Verbot hat zu heftigen Reaktionen geführt. Und, zweitens, die Exekutive hat sich sehr drastisch und dramatisch geäußert, sehr deeskalativ.