Protocol of the Session on March 15, 2001

Ja, Herr Borghorst, auch nach dem herzlichen Beifall von uns wünschen wir Ihnen ein glückliches Händchen für das, was Sie jetzt vorhaben; hoffentlich glücklicher als das, was hier in Berlin vielleicht gebraucht würde.

Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! In Vorbereitung auf die heutige Diskussion habe ich mir noch mal die Protokolle der Haushaltsberatung vom 7. Dezember 2000 hier im Haus angesehen. Das ist richtig spannend vor dem Hintergrund der heutigen Diskussion, die wir hier führen, soziale Schieflage in der Stadt; und Frau Dunger-Löper, wenn Sie das mit Nein beantworten, dann verstehe ich Ihre Fraktion nicht mehr. Aber ich erlaube mir an der Stelle einmal, Herrn Kaczmarek zu zitieren. Ich hatte vorhin bei Ihrer Rede den Eindruck, Sie haben fast die Textbausteine von Ihrer Rede am 7. Dezember wiederverwendet, deshalb zitiere ich sie mal in der Vollständigkeit. Herr Kaczmarek sagte gleich am Anfang seiner Haushaltsrede:

Konsolidierung ist kein Selbstzweck. Wir tun das nicht zur Freude einiger Haushälter, sondern wir tun das, um in Zukunft noch Politik in dieser Stadt machen zu können.

[Kaczmarek (CDU): Das kann man nicht oft genug sagen!]

Eben! –

Wir werden jeden Tag 12 Millionen DM Zinsen zahlen. Das ist vielleicht eine abstrakte Zahl, aber man muss sich nur einmal vor Augen führen, was man mit dieser Summe anderes machen könnte. Sparen ist nicht unsozial, sondern im Gegenteil eine soziale Tat.

[Niedergesäß (CDU): Eine sozialistische!]

Herrn Kurth fiel dabei ein, doch gleich mal darauf zu verweisen, dass die Sozialhilfeempfänger in Bremen weniger Geld bekommen als in Berlin und dass dort offensichtlich noch ein Konsolidierungsbeitrag zu holen wäre.

[Dr. Heide (CDU): Bravo!]

Herr Kurth, wir sind auch für eine Änderung, eine Modernisierung der Sozialhilfegewährung im Land Berlin, aber sicherlich nicht so, wie Sie sich das vorstellen. Und liest man weiter im Protokoll dieser Haushaltsberatung, dann ruft Herr Wowereit „Bravo“ zu dem, was Sie gesagt haben. Ich würde heute Herrn Wowereit schon ganz gern mal fragen, ob er das damals ironisch gemeint hat oder nicht. – 11 Millionen DM, Herr Kaczmarek, sind in der Tat eine abstrakte Zahl. Aber etwas mehr, nämlich genau 12,5 Millionen DM haben die Ostbezirke zur Finanzierung ihrer sozialen Infrastruktur für ein ganzes Jahr erhalten. Das klingt für manche nach sehr viel, andere rechnen aber lieber mit kleineren Summen. Man soll zwar hier nicht Äpfel mit Birnen vergleichen, aber Ihre Rechnung, die Sie vorhin noch mal aufgemacht haben, verleitet mich zu diesem Vergleich und lässt mich noch einiges hinzufügen, um hier auch einmal die Frage der Verhältnismäßigkeit wieder auf den Tisch zu bringen. Gestern hat mir ein freier Träger erzählt, er könne mit den Bezügen von Herrn Landowsky nach seinem so genannten freiwilligen Rücktritt von seinem Vorstandsposten – die Zahl ist heute hier mehrfach genannt worden, nämlich über 700 000 DM – 10 Stellen und Miete für ein ganzes Jahr für ein Projekt benachteiligter Jugendlicher finanzieren.

[Zuruf von der CDU: Na und?]

Diese Zahlenverhältnisse können die Leute in der Stadt schon eher verstehen, Herr Kaczmarek. Und das sollten Sie mal Ihren Freunden in der Partei auch sagen. – Oder rechnen wir mal weiter. Die Zahl können wir weiter vorführen. Beim Rücktritt von vier Vorstandsmitgliedern und der weiteren möglichen Honorierung für ein Jahr, wie das bei Herrn Landowsky der Fall sein soll, kommen wir auf rund 2,5 Millionen DM.

[Niedergesäß (CDU): Irre!]

Das ist etwa die Zuweisung, die ein Bezirk wie LichtenbergHohenschönhausen für die Finanzierung der sozialen Infrastruktur für ein ganzes Jahr bekommt. Daraus soll eine ganze Menge finanziert werden. Hören Sie mal ruhig zu, was daraus finanziert

werden soll. Daraus sollen Projekte der Arbeitsmarkt-, Gesundheits-, Senioren- und Jugendpolitik finanziert werden, Freizeitangebote für Senioren, Bildungsangebote, Versorgung von Wohnungslosen, Angebote für behinderte Menschen, Förderung bürgerschaftlichen Engagements. Diese Aufzählung könnte ich weiterführen.

[Niedergesäß (CDU): Spenden Sie doch Ihre Diäten!]

Und wenn Sie hier den Einwurf machen: „Spenden Sie doch Ihre Diäten!“, dann sollten Sie mal schauen, was Sie mit Ihren Diäten machen und wie sozial Sie sich verhalten und was Herr Landowsky vielleicht mit diesem Geld vorhat.

[Atzler (CDU): Lasst doch Schrempp zurücktreten!]

Ja, es war ja klar, dass Sie an der Stelle gleich schreien würden, dass das eine nichts mit dem anderen zu tun hat und dass eine Haushaltssperre aus ganz anderen Gründen notwendig gewesen wäre. Disziplinieren Sie sich doch auch mal!

[Beifall bei der PDS und den Grünen]

Und im Übrigen, ich zitiere noch mal Ihren Herrn Kaczmarek aus seiner Haushaltsrede; dort hat er gesagt:

Wir kurieren nicht nur an Symptomen, sondern wir ändern Strukturen.

Prima, Herr Kaczmarek! Das wollen wir auch, da waren wir einer Meinung. Doch nehmen Sie sich hier mal beim Wort und regeln Sie mit der Haushaltssperre Ausnahmeregelungen. Das, was Herr Kurth vorhin angeboten hat, ist ja schon ein Weg in die richtige Richtung. Eröffnen Sie Korridore, damit das Geld auch bei den Projekten ankommt, für die es gedacht ist und für die Ihre Leute auch in der Fraktion, in den Ausschüssen gestritten haben. Hätten Sie sich mal angehört, wofür Ihre Sozialpolitiker dort gestritten haben. Und es war ein konstruktiver Streit, und an der Stelle waren wir uns einig, dass es nicht sein kann, dass dieses Geld der Konsolidierung, der Haushaltssperre zum Opfer fällt und die Projekte dabei über den Jordan gehen.

Zu den Bezirken: Es werden bei Haushaltssperren nur Ausgaben zugelassen, die unbedingt notwendig sind zur Betriebsaufrechterhaltung und zur Gefahrenabwehr. Sicherlich wird man aus jahrelanger Erfahrung in den Bezirksverwaltungen und auch in den Landesverwaltungen erfinderisch sein mit der Auslegung dieser Regelung. Aber die Sinnhaftigkeit solcher rigorosen Sperren ist häufig kontraproduktiv, das wissen Sie auch, z. B., wenn Eltern und Jugendliche, die mit Eigeninitiative ihre Kita, den Klassenraum oder ihren Klub renovieren wollen, die Farbe dafür nicht kriegen, weil die unter Haushaltssperre fällt, denn das ist nicht notwendig zur Betriebsaufrechterhaltung und zur Gefahrenabwehr. Solche Beispiele könnten wir ohne Ende fortsetzen. Wenn Sie bürgerschaftliches Engagement und Bürgersinn auf diese Weise fördern wollen, dann kippen Sie das Kind mit dem Bade aus, und dann sollten Sie Ihre Reden noch mal überdenken.

Denken Sie an Ihre Zeit, Frau Abgeordnete!

Ich komme zum Ende. – Wir fordern sinnvolle Regelungen, strukturelle Haushaltssperren und keine Sperren nach dem Rasenmäherprinzip.

Herr Kaczmarek, zum Schluss noch mal zu Ihnen. Vielleicht können Sie noch einmal zuhören. Sie sagten zum Abschluss Ihrer Rede:

Die finanzielle Krise ist aber auch eine Chance zur Neugestaltung.

Sie sollten dabei auf die Risiken verweisen. Herr Kurth hat einige hier genannt. Herr Kurth, das sind nicht alle Risiken. Und das, was Sie im Vermögensausschuss und im Hauptausschuss schon benannt haben, sollten Sie auch der anderen Öffentlichkeit mit konkreten Zahlen belegen. Natürlich ist es immer besser, Chancen zu verkaufen als Risiken. Risiken sind aber kalkulierbar. Das wissen Sie als Finanzsenator. Deshalb sollten Sie diese Risiken kalkulieren. Das ist immer noch besser, als das Land in Kata

strophen und Desaster hineinlaufen zu lassen. Benennen Sie deshalb diese Risiken, bevor das Land in seiner Finanzplanung in einem Desaster enden wird. – Danke schön!

[Beifall bei der PDS]

Vielen Dank! – Für die Fraktion der Grünen hat jetzt Herr Eßer das Wort!

[Eyck (CDU): Ach du lieber Himmel!]

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrter Herr Kurth! Der Kapitän kann noch so laut rufen: „Alles im Griff auf dem sinkenden Schiff!“, das Schiff hört deshalb nicht auf zu sinken. Das gilt auch für Finanzsenatoren, wenn ihr Haushalt im Schuldenberg ertrinkt. Ich philosphiere auch gerne mit Ihnen und Herrn Borghorst über die weltwirtschaftliche Lage, über die Konjunktur in Deutschland, über die Berliner Standortpolitik und die Auswirkungen auf die Steuereinnahmen Berlins. Aber ich denke, wir waren hier heute eigentlich zusammengekommen, um über zwei harte Fakten zu sprechen, und über die will ich auch reden.

Diese harten Fakten heißen, dass wir ungedeckte Ausgaben in Höhe von 1,7 Milliarden DM in unserem Haushalt haben, von denen keiner von uns weiß, woher die Mittel dafür kommen sollen. Wir haben zudem ein Risiko von 4 Milliarden DM, das aus dem Desaster der Bankgesellschaft auf uns zukommt. Darüber müssen wir hier reden und nicht herumphilosophieren.

[Beifall bei den Grünen]

1,7 Milliarden DM ungedeckte Ausgaben sind mehr als das doppelte von dem, was wir vor 3 Monaten in der regulären Haushaltsberatung bewegt haben. Das wird der Berliner Bevölkerung Härten abverlangen, die wir nicht bereit sind, in das Belieben dieses Senats zu stellen. Deshalb fordern wir schnellstens einen Nachtragshaushalt, denn nur ein solches Verfahren beinhaltet die Garantie, dass das gesamte Parlament mit dieser Frage befasst wird. Deswegen halten wir unseren Antrag aufrecht und lehnen den Antrag der Koalitionsfraktionen ab.

[Beifall bei den Grünen]

Wir haben auch zwei weitere Anträge vorgelegt, an denen sich überprüfen lassen wird, wozu Sie sich überhaupt noch aufraffen können. Der eine Antrag wurde vor zwei Wochen hier eingebracht und zielt auf die Neupositionierung und Entflechtung der Bankgesellschaft ab, der andere bezieht sich auf einen Nachtragshaushalt, was wir mit einem ehrlichen und offenen Kassensturz verbinden wollen. Dieses Element fehlt in dem Antrag, den Sie, Frau Dunger-Löper, begründet haben. Beide unsere Anträge sind von dem Grundgedanken getragen, dass jetzt entschlossene Aufräumarbeiten nötig sind. Solche Aufräumarbeiten beginnt man sinnvollerweise damit, dass man sich rücksichtslos ehrlich macht. Zu mehr Ehrlichkeit gehört aber auch, offen auszusprechen, dass Berlin für das anstehende Sanierungsprogramm helfende Partner brauchen wird.

Nachdem der Versuch, die Bankgesellschaft aus eigener Kraft zu einem internationalen Institut aufzublasen, als gescheitert angesehen werden muss – darüber sollte Einigkeit bestehen –, haben wir nur noch zwei Möglichkeiten: Entweder wir entlassen das Institut aus dem Landesbesitz und verkaufen es in den privaten Banksektor, oder wir konzentrieren das Institut auf seine Stärken im Retailgeschäft und verankern es im Verbund der deutschen Sparkassen. Wir sprechen uns eindeutig für Letzteres aus, weil wir die strukturpolitische Funktion einer öffentlichrechtlichen Bank für die Region erhalten möchten. Ich denke, Herr Borghorst wird mir da Recht geben.

[Beifall bei den Grünen – Beifall des Abg. Wolf (PDS)]

Was den Landeshaushalt angeht, so sehen wir den Zeitpunkt als gekommen an, auch öffentlich auszusprechen, was hier in diesem Haus ohnehin jeder hinter vorgehaltener Hand zugibt, nämlich dass die Situation eingetreten ist, in der das Land Berlin alle ungedeckten Schecks offenlegen und ein Sanierungspro

gramm mit der Bundesregierung wird aushandeln müssen. Ich kann Ihnen in diesem Zusammenhang ankündigen, Herr Liebich, dass wir mit Herrn Metzger reden werden. Es gibt öffentliche Erklärungen von Herrn Metzger, und wir haben Kontakt zu ihm und sind bereit, gemeinsam Verantwortung in dieser Sache zu übernehmen, die wir momentan noch nicht haben. Das ist zwar nicht gerade eine bequeme Angelegenheit, aber wir glauben, dass dies der richtige Weg ist.

Ein Spaziergang wird es nicht gerade werden. Diese Operation wird den Berlinern Opfer abverlangen, aber sie wäre wenigstens – im Gegensatz zur jetzigen Situation – mit der Aussicht verbunden, das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts auch zu erreichen, und sie würde die immer schädlicher werdenden Versuche beenden, irgendwo – auf die fragwürdigste Weise inzwischen, sei es in Schattenhaushalten oder durch Verschleuderung von Tafelsilber – Liquidität zu schöpfen, um sich über Monate oder ein Jahr weiter zu retten. Aus diesem Zustand wollen wir heraus und deswegen eine verlässliche Vereinbarung treffen, die uns zwar Auflagen erteilt, aber uns andererseits auch Hilfe gibt.

[Beifall bei den Grünen]

Herr Kaczmarek! Ich frage mich jedoch, wie wir das bewerkstelligen wollen mit dieser angeschlagenen und bei der Bevölkerung und bei potentiellen Partnern desavouierten CDU in diesem Senat. Sie können doch gar nicht mehr den notwendigen Konsolidierungskurs der Landesfinanzen glaubhaft vermitteln. Man stelle sich bildlich vor, Herr Landowsky, der Regierende Bürgermeister und die Aufsichtsräte Kurth und Branoner stellten sich vor die Belegschaft der Bankgesellschaft und erklärten diesen 16 000 Menschen, dass infolge der Fehlleistungen ihrer Chefs und der politischen Führung in dieser Stadt ein drastischer Sanierungskurs samt Personalabbau unvermeidlich geworden sei. Was wird dann wohl sein? Überall, wohin Sie kommen werden, ob in Personalversammlungen, ob in Schulen, Universitäten oder – das deutet sich an – in die Charite´ oder in das Klinikum Steglitz, überall wird Ihnen die Retourkutsche entgegenschallen: Warum sollen ausgerechnet wir die Zeche für eure Fehlleistungen bezahlen? –

[Beifall bei den Grünen und der PDS]

Ihre Redezeit ist bereits abgelaufen, Herr Abgeordneter.

Ich bin auch bei meiner Schlussbemerkung: Wenn eine Regierung erst einmal in einer solchen Lage ist, wie soll man das dann nennen? Ich meine, eine solche Regierung ist nicht mehr handlungsfähig.