Protocol of the Session on October 26, 2000

[Zuruf des Abg. Liebich (PDS)]

Ich glaube, wir sind uns einig, dass wir uns bei jeder weiteren Privatisierung darüber unterhalten müssen, so etwas auch zu bedenken. [Zuruf der Frau Abg. Freundl (PDS)]

Der dritte Punkt ist das Beteiligungsmanagement. Herr Kaczmarek hat hier vorwiegend von Beteiligungscontrolling gesprochen. Das ist mir zu wenig. Ein Controlling kann man durchführen, aber viel wichtiger ist doch, dass man die Beteiligung, die man hat, auch professionell managt und das herausholt, was es herauszuholen gibt. Deswegen brauchen wir endlich einmal ein vernünftiges professionelles Beteiligungsmanagement in dieser Stadt!

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der PDS und den Grünen – Zuruf des Abg. Liebich (PDS)]

Zur Bewag: Das Unternehmen und die Belegschaft haben schwierige Zeiten hinter sich. Das ist keine Frage. Und ich sage Ihnen heute ganz unumwunden, Herr Wolf: Auch wenn wir 25,1 % an der Bewag noch hätten, ob mit oder ohne Privatisierung, – die Bewag würde unter dem Strich nicht wesentlich anders dastehen.

[Zuruf des Abg. Müller-Schoenau (Grüne)]

Das ist die strukturelle Entwicklung auf der europäischen Ebene mit der Liberalisierung des Strommarktes. Diesen ruinösen Wettbewerb haben wir bitter erlebt. Er ist aber da, wir können ihn nicht mehr zurückdrehen. Deswegen ist jede energiepolitische Frage heute eine europapolitische Frage. Als solche müssen wir sie auch betrachten. Deshalb sage ich: Die strategische Kernfrage – auch für Berlin – ist, ob es gelingt, einen nordostdeutschen Energieverbund zu gestalten. Dazu gehören die Bewag, die VEAG, die Laubag, die Mibrag und die Envia und gegebenenfalls auch die HEW. Das ist eine der zentralen strategischen Fragen, der wir uns widmen müssen, um eben die vierte Kraft in Ostdeutschland gemeinsam aufzubauen.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Es ist höchster Zeitdruck da, weil die Angebote bis zum 15. November abgegeben werden sollen. Vielleicht ist es ganz gut, wenn man bei Verhandlungen unter Zeitdruck kommt, dass dann auch ein positives Ergebnis herauskommt. Das Land Berlin, der Berliner Senat hat bei der Gestaltung des ostdeutschen Energieverbundes eine wichtige Rolle. Ich habe durchaus am Anfang, im August, die Aufgeregtheit verstanden, und ich habe auch die einstweilige Anordnung des Senats akzeptiert, um auch ein Pfund im Verhandlungspoker zu haben.

Allerdings sage ich hier auch sehr deutlich, und da unterscheiden wir uns von einigen: Ich habe es für falsch gehalten, sich so einseitig und frühzeitig auf Southern als Mehrheitseigner bei der Bewag zu konzentrieren,

[Beifall bei der SPD und der CDU – Landowsky (CDU): Richtig!]

weil ich der Meinung war, wir müssen in erster Linie die Interessen der Berlinerinnen und Berliner, der Berliner Unternehmen und der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vertreten, und daran muss sich das orientieren.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Ich sage Ihnen, welche Interessen die Berliner haben: Erstens, sie haben Interesse, einen nordostdeutschen Energieverbund hinzubekommen. Die Isolierung der Bewag wäre tödlich für die Bewag. Insofern darf es keinen Energieverbund geben ohne Bewag. Die Bewag hat nur in diesem Energieverbund eine Zukunft. Deswegen wollen wir eine eigenständige ostdeutsche Energieerzeugung haben, sowohl mit der Kraft-Wärme-Koppelung der Bewag auf der einen Seite, wie auch mit der Braunkohleverstromung auf der anderen Seite mit der VEAG, damit Ostdeutschland insgesamt in der Energiewirtschaft eine vernünftige Zukunftsperspektive hat. Und – was das wichtige Interesse dabei ist, und ich glaube, da haben wir ja gute Chancen, das zu realisieren, dass tatsächlich der Sitz des neuen Energieverbundes Berlin sein wird.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Berger?

Nein, ich habe nicht mehr so viel Zeit. – Das schafft auch neue Arbeitsplätze in dieser Stadt, wenn der Sitz des Energieverbundes hier in Berlin ist.

Das zweite wichtige Interesse für Berlin ist klar: Es geht darum, die Bewag als Stromproduzenten zu erhalten. Wir werden es nicht akzeptieren, dass die Bewag zu einem reinen Verteiler von Strom degradiert wird, sondern wir wollen, dass auch die Bewag in Zukunft Energieproduzent bleibt und damit auch die Arbeitsplätze in der Stadt in Kraftwerken, gerade auch in der Kraft-Wärme-Koppelung erhalten bleiben.

Der dritte wichtige Punkt ist, dass alle Zusagen, die im Bewag- Privatisierungsvertrag schriftlich niedergelegt sind, auch von den Vertragspartnern erfüllt werden. Daran darf es keinen Zweifel geben. Man kann über die Form verhandeln und wie das geschehen soll – das kann man vielleicht anders sehen als vor drei Jahren –, jedoch muss der Grundsatz erhalten bleiben. Deswegen muss auch der VIAG klar sein, dass die Zusage von über 800 Arbeitsplätzen bis zum Jahre 2003 für Berlin gilt. Das gilt nicht für eine Stadt in Brandenburg – das gilt für Berlin. Und ich finde, da muss man dann in Verhandlungen eine klare Linie ziehen und sagen, das wollen wir etwa erreichen. In welcher Form, ob das nun 2 oder 3 Betriebe sind, darüber kann man diskutieren.

Das Angebot von E.on ist interessant, und es ist ohne Zweifel wichtig, 340 neue Arbeitsplätze zu schaffen. Aber nach meiner Meinung reicht das alleine nicht aus, um hier die klare Zusage aus dem Privatisierungsvertrag einzuhalten.

Unterm Strich müssen wir alles daran setzen, in kürzester Frist eine Einigung herbeizuführen zwischen der Bewag und Southern Energy auf der einen Seite, HEW auf der anderen Seite und dem Berliner Senat, weil wir nach der gegenwärtigen Gefechtslage ohne HEW jedenfalls nicht diesen gemeinsamen Energieverbund in Ostdeutschland hinbekommen werden.

Die Betriebsräte sind da ganz realistisch. Sie kennen das ja, es stand in den Zeitungen, dass die Betriebsräte der HEW, der VEAG, der Laubag, der Mibrag, der Bewag gemeinsam eine Erklärung an den Regierenden Bürgermeister geschickt haben. Sie haben sich nicht eindeutig für einen Mehrheitsanteileigner ausgesprochen, sondern sie haben nur gesagt: Hier ist Eile geboten, und wir haben auch gemeinsam nur eine Zukunft, wenn die Kräfte gebündelt werden.

[Zuruf des Abg. Liebich (PDS)]

Das ist der entscheidende Punkt. Deswegen hat der Senat hier eine außerordentlich wichtige Aufgabe. Ich will Ihnen einmal sagen, der strategische Vorteil von Southern Energy ist – das habe ich 1997 genauso gesehen wie Sie –, dass dort ein Inves

tor kommt, der keine eigenen Kraftwerkskapazitäten mitbringt. Die strategische Lage ist heute etwas anders, auch angesichts des Kernenergiekompromisses und auch der Entwicklung in Skandinavien. Deswegen muss man das ehrlicherweise ein bisschen differenzierter sehen, dass dort auch Kraftwerkskapazitäten, gerade im Kernenergiebereich bei der HEW und auch bei Vattenfall abgebaut werden. Es steht heute schon fest, dass die abgebaut werden. Insofern werden auch dort Überkapazitäten abgebaut.

[Zuruf des Abg. Müller-Schoenau (Grüne)]

Es ist völlig klar, es wird gar kein Weg daran vorbeigehen, es wird mit der Bundesregierung nicht den geringsten Kompromiss geben, dass die 50 Terawattstunden bei der VEAG als eine politische Garantie in jeden Vertrag hineingeschrieben werden, und dazu gehört übrigens auch die Kraft-Wärme-Koppelung der Bewag.

Denken Sie an Ihre Zeit, Herr Abgeordneter, Sie sind schon eine Minute über die Redezeit!

Ich komme gleich zum Schluss! – Die braucht man allein schon deshalb, wenn es auf Bundesebene zum Energiewirtschaftsgesetz mit einer Quotierung kommt. Deswegen braucht man in dem neuen Verbund die Bewag, allein weil sie dort die Kraft-Wärme-Koppelung haben.

Insofern glaube ich, dass wir erstens mit der Privatisierung durchaus, was die Stärkung des Wirtschaftsstandortes angeht, erfolgreich waren, und dass wir hier auch heute eine gute Chance haben, in den nächsten zwei Wochen mit Hilfe des Senats zu einer so vernünftigen Lösung zu kommen, dass die Bewag in einen nordostdeutschen Energieverbund integriert ist und damit auch der Energiestandort Berlin gestärkt wird. – Herzlichen Dank!

Vielen Dank Herr Abgeordneter. Weitere Wortmeldungen liegen uns nicht vor, damit ist die Große Anfrage beantwortet und auch besprochen.

Wir sind bei der laufenden Nr. 6 und 7. Die sind durch die Konsensliste erledigt.

Wir kommen zu

lfd. Nr. 8, Drucksache 14/719:

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Jugend, Familie, Schule und Sport vom 5. Oktober 2000 zum Antrag der Fraktion der Grünen über Sicherstellung der Bildung und Erziehung in der Berliner Schule, Drucksache 14/287

Der Ältestenrat empfiehlt für die Beratung eine Redezeit von fünf Minuten pro Fraktion. Wir beginnen mit der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, und Herr Mutlu hat das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die bildungspolitische Misere, in der dieses Land steckt, ist nicht über Nacht gekommen. Sie ist das Resultat jahrelanger kurzsichtiger Kürzungspolitik und falscher Prioritätensetzung. Ich weiß das, Sie wissen das, und die Bevölkerung da draußen weiß das auch. Nicht ohne Grund haben Sie beispielsweise auch im Koalitionsvertrag diesen Bereich als einen der wichtigen Bestandteile festgehalten. Herr Präsident, ich zitiere mit Ihnen Erlaubnis aus dem Koalitionsvertrag:

In der kommenden Legislaturperiode stellt die Schulpolitik einen der Schwerpunkte in der Regierungsarbeit der Koalition von CDU und SPD dar.

[Richtig! von der CDU]

Weiter heißt es dort:

Die Koalitionspartner wollen die Berliner Schule in der kommenden Legislaturperiode strukturell und qualitativ weiterentwickeln. Das umfasst die Förderung der Selbständigkeit der Schulen, die vollständige Versorgung der Schulen mit Unterricht und mit Lehrkräften

usw. usf. Das sind Dinge, die ich auch problemlos unterschreiben kann.

Allerdings sieht die Realität nach einem Jahr große Koalition ganz anders aus. Selbstverständlich können Sie sich hinstellen und sagen, was interessiert mich mein Geschwätz von gestern. Schließlich ist Ihre Politik in diesem Bereich nicht anders zu deuten, eine Politik, die meiner Meinung nach auf ganzer Linie gescheitert ist. Nichts von dem, was versprochen wurde, wurde eingelöst. Der zuständige Senator hat inzwischen den Ruf eines Ankündigungssenators. Es geht hierbei nicht nur um die Zukunft unserer Kinder, es geht auch um die Zukunft dieser Stadt, und so haben Sie es auch damals im Koalitionsvertrag festgehalten.

Aber was Sie jetzt tun, widerspricht dem in Gänze. Das kann und darf so einfach nicht weitergehen.

[Beifall bei den Grünen]

Das werden Ihnen auch am 11. November 2000 – Sie haben wahrscheinlich schon überall die Plakate gesehen – zahlreiche Eltern, Schülerinnen und Schüler und engagierte Bürger dieser Stadt in aller Deutlichkeit zeigen und sagen. Ich wünsche von dieser Stelle jedenfalls den Veranstaltern der Demonstration viel Erfolg.

[Beifall bei den Grünen]

Und ich wünsche mir, dass am 11. November nicht nur 60 000 auf den Straßen sind, wie es am 13. April der Fall war, sondern weitaus mehr. Schließlich – so scheint es zumindest – verstehen Sie keine andere Sprache, und diese Sprache wird sehr deutlich sein. Wir werden – im Gegensatz zu Ihnen – am 11. November an der Seite der Eltern, an der Seite der Schülerinnen und Schüler mit marschieren und Ihnen dabei noch einmal deutlich machen, dass wir Ihre Bildungspolitik nicht weiter tragen können. Und wir werden auch in unserer parlamentarischen Arbeit auf jeden Fall versuchen gegenzusteuern.

Nun zu der vorliegenden Drucksache „Sicherstellung der Bildung und Erziehung in der Berliner Schule“: Dieser Antrag wurde von uns im Vorfeld der Beratungen zum Haushalt 2000 eingebracht. Anhand eines Maßnahmenkatalogs sollte der bildungspolitische Misere zumindest Einhalt geboten werden. Leider hat die Mehrheit in diesem Hause kein Interesse an der Umsetzung dieser Maßnahmen gehabt. In Anbetracht der Situation sind unsere Vorschläge heute dringender denn je. Der Unterrichtsausfall ist im vergangenen Schuljahr um ein Drittel auf 4,8 % gestiegen. 5,6 % des Unterrichts mussten vertreten werden. Kaum eine Schule kommt in den Genuss der versprochenen 105-prozentigen Unterrichtsversorgung. Nach wie vor ist unklar, ob die 500 Stellen, die für Dauerkranke eingesetzt werden sollten, im nächsten Schuljahr noch existieren. Jetzt sollen auch noch Lehrkräfte im angestellten Verhältnis verbeamtet werden – schließlich müssen die nachfolgenden Generationen die Kosten tragen. Last not least engagieren sich jetzt sogar Eltern so weit, dass sie bereit sind, die Kosten für die Lehrkräfte selbst zu übernehmen, aber das wird ihnen auch noch verwehrt.

Bei derartigen Problemen findet eine Diskussion um strukturelle und qualitative Verbesserung in der Berliner Schule gar nicht mehr statt. Sie aber halten nichtsdestotrotz an Ihrer kurzsichtigen Politik fest. Man sieht es auch an den Haushaltsberatungen, dass in diesem Bereich nicht alles so ist, wie Sie in der Presse immer behaupten. Wir wissen – spätestens seit gestern –, dass die Senatsschulverwaltung pauschale Minderausgaben in Höhe von 19,1 Millionen DM aufzulösen hat.