Protocol of the Session on June 8, 2000

[Doering (PDS): Richtig!]

Moment, jetzt kommt ja was! – Diese anderen Flaggen sind ausschließlich hoheitliche Flaggen, dürfen ausschließlich hoheitliche Flaggen sein, wie z. B. Bezirksflaggen oder Flaggen auswärtiger Staaten.

[Doering (PDS): Und was war das Olympiabärchen?]

Die so genannte Regenbogenfahne ist nach der Begrifflichkeit des Hoheitszeichenrechts, die in Nummer 3 Absatz 4 der Ausführungsvorschriften konkretisiert wird, eine Privatflagge, die an den für hoheitliche Beflaggung vorgesehenen Masten nicht gezeigt werden darf. Es ist beflaggungsrechtlich nicht genehmigungsfähig.

[Doering (PDS): Deswegen soll es ja geändert werden! – Weitere Zurufe von links]

Die Begründung des Antrages ist daher für die CDU nicht tragfähig. Dass die Regenbogenfahne ein internationales Symbol gegen Diskriminierung und Hass gegen andere Lebensformen sowie für Solidarität mit gleichgeschlechtlich orientierten Menschen ist, ändert nichts an ihrem Charakter einer Privatflagge.

Im Übrigen bin ich der Meinung, dass gleichgeschlechtliche Lebensformen – Herr Over sagte, dass eine Bewegung auch von dieser Stadt ausgegangen ist – in Berlin keiner erhöhten Diskriminierung ausgesetzt sind.

[Beifall bei der CDU – Zurufe von den Grünen]

Auch in der so oft als Vorzeigestadt genannten Stadt Amsterdam – das wird Sie überraschen – wird am Christopher Street Day nicht die Regenbogenflagge an öffentlichen Gebäuden zugelassen.

(A) (C)

(B) (D)

Nichtsdestotrotz möchte ich aber darauf hinweisen, dass die Beflaggung überall privat möglich ist – und das ist auch in Ordnung, sofern es nicht an öffentlichen Dienstgebäuden geschieht. Man stelle sich nun aber vor, welches Flaggenchaos wir hätten, wenn wir einmal eine Ausnahmegenehmigung erteilen würden!

[Ah! von den Grünen – Zurufe von der PDS und den Grünen]

Ja, ich weiß! Sie wollen das Chaos, nicht nur im Flaggen, sondern auch in anderen Bereichen dieser Stadt.

[Beifall bei der CDU – Zurufe von der PDS und den Grünen]

Das macht die CDU nicht mit, und da fangen wir im Kleinen an. Was wäre nun, wenn wir eine Ausnahmegenehmigung erteilen würden? Welche Ausnahmegenehmigungen würden wir erteilen, welche nicht?

[Doering (PDS): Ihnen kann man doch wirklich nichts vormachen!]

Das wird die CDU nicht mittragen. Die CDU-Fraktion wird daher aus rechtlichen Gründen – und das betone ich noch einmal: aus rechtlichen Gründen! –

[Ah! von den Grünen]

diesen Antrag ablehnen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU]

Das Wort hat der Abgeordnete Wieland – bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die PDS begehrt die Änderung von Ausführungsvorschriften. Das sollte man sich zunächst noch einmal vergegenwärtigen.

[Heiterkeit bei der PDS und den Grünen]

Ja! Der revolutionäre Kollege Over ist in den Spuren des Rechtsamtes Friedrichshain sehr rund geschliffen worden.

[Heiterkeit und Beifall bei allen Fraktionen]

Deshalb erlaube ich mir zunächst einmal den Hinweis, dass sich unsere Bezirksbürgermeisterinnen und Bezirksbürgermeister seit Jahr und Tag streng an Recht und Gesetz halten, sich aber noch nie an diese Gängelungsvorschrift des Herrn Schönbohm gehalten haben, und dabei wird es auch bleiben,

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

denn Herr Schönbohm legt das Gesetz falsch aus, und zwar mit einer Vorschrift. Diese ist insoweit nicht verbindlich.

Wenn es denn aber Mut macht in den Bezirken, wo es PDSBürgermeister gibt, wollen wir nicht abseits stehen, Kollege Over! [Heiterkeit – Vereinzelter Beifall bei der PDS]

Dann machen wir das so, denn Herr Schönbohm, nachdem er hier wie Don Quichotte gegen die Regenbogenflaggen erfolglos zu Felde gezogen war – das ist ja noch erinnerlich –, ging uns dann von der Berliner Flagge. Herr Landowsky! Nun kann er inspizieren, ob in Brandenburg überall der schwarze Adler weht oder ob da auch schon Regenbogenfahnen sind. Das gönnen wir ihm. Aber der Geist des Herrn Schönbohm – bitte gehorsamst flaggen zu dürfen – ist in dieser Stadt vorbei. Wir sollten uns selber entscheiden, ob wir an diesem Tag – und nun kommen wir zu dem durchaus ernsten Anliegen, was dahintersteht – die Regenbogenfahne auch an öffentlichen Gebäuden sehen wollen. Ja oder nein?

Wir meinen als Grüne schon sehr lange, dass die Politik ein Zeichen der Solidarität mit den Schwulen und Lesben in dieser Stadt – und nicht nur mit denen in dieser Stadt, sondern auch mit denen, die z. B. auf Grund dieses Tages hier nach Berlin anreisen – geben sollten, und zwar ein deutliches Zeichen der Gemeinsamkeit und der Nicht-Diskriminierung. Dazu rufen wir auf.

Hier gibt es auch vieles wiedergutzumachen. Ich sage zu Herrn Wegner, von Normalität und von Nicht-Diskriminierung im gesellschaftlichen Raum kann leider noch überhaupt keine Rede sein. Das gilt auch für Berlin. Wir dürfen Folgendes nicht vergessen:

[Landowsky (CDU): Wo verkehren Sie?]

Herr Landowsky, überlegen Sie doch einmal einen Augenblick, warum es schwulen Politikern so schwerfällt, zu ihrem Lebensstil zu stehen und sich öffentlich dazu zu äußern und warum z. B. der „Spiegel“ schreibt, dass es im Kabinett Kohl einige homosexuelle Minister gegeben habe, und die gesamte Republik rätselt, wer das sein könnte, ohne dass die Betreffenden es von sich aus wenden. Wenn Politiker es tun, sind sie in der Regel Mitglieder der Grünen, die sich in der Regel dazu offen stellen und offen bekennen. Es ist eben nach wie vor schwierig und nach wie vor mit Tabuisierungen belegt. Das muss man zur Kenntnis nehmen, das darf man nicht vergessen!

Noch letzte Woche hat die Bundesjustizministerkonferenz sich mit der Frage der Rehabilitierung von NS-Urteilen gegen Homosexuelle auseinandersetzen müssen – 55 Jahre nach Ende der Nazi-Herrschaft. Und warum ist dies so schwierig? – Es ist so schwierig, weil die strafrechtliche Verfolgung der homosexuellen Betätigung nach dem Krieg natürlich weiterging und noch 30 Jahre lang bestraft wurde, wer homosexuelle Kontakte aufnahm. Ich selber bin noch als Student am alten § 175 ausgebildet worden und sollte mir noch den Kopf zerbrechen, ob es reicht, den Oberarm zu berühren oder Zärtlichkeiten auszutauschen, um bestraft zu werden. Dies muss man im Kopf haben, und hier muss man auch ein gerüttelt Maß an Schuld des Nachkriegsdeutschland sehen. Im Osten war übrigens die Stasi für die Homosexuellenszene zuständig. Und weil dies so ist, meinen wir, dass es gute Gründe gibt, dass auch das offizielle Berlin aus Anlass dieses Tages sich zur Homosexuellen-, zur Lesben- und zur Schwulenszene bekennt.

Man gedenkt hier eines Tages, wo die Schwulen das erste Mal aus der Opferrolle ausgebrochen sind, wo sie in dieser Christopher Street das erste Mal gegen Gängelei regelrecht einen Aufstand gemacht haben und das erste Mal offensiv durchbrochen haben, dass man sie schikaniert und kriminalisiert. Es ist das Gedenken an eine Aktion der Stärke. Ich finde es sehr gut, wenn sehr viele hier im Haus am Welt-Aids-Tag mit der Spendenbüchse sammeln. Da geht es darum, dass nicht nur, aber vor allem auch Homosexuelle Opfer von Aids werden. Hier ginge es jedoch einmal darum, ein klares Ja zur Schwulen- und Lesbenszene zu sagen, wo sie sich ihrer Stärke besinnt, wo sie ihre Schrillheit zeigt und wo sie auch ihre Verrücktheit zeigt. Deswegen fordern wir Sie auf: Sagen Sie Ja zum Christopher Street Day, sagen Sie aber auch Ja zur Regenbogenfahne an öffentlichen Gebäuden! – Vielen Dank!

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der PDS]

Das Wort hat Frau Abgeordnete Hertel. – Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Haus befasst sich offenbar jedes Jahr mit diesem Thema, und jedes Jahr offenbar mit erheblicher Aufregung, wie die letzten Minuten zeigen, wie man aber auch aus der Lektüre früherer Sitzungsprotokolle lernen kann. Bösmeinende sprechen in der Zwischenzeit ja schon von einem running gag. Um hier Missverständnisse auszuräumen: Ein Gag ist mit Sicherheit nicht das Ansinnen dieses Antrags, das ich – mit Erlaubnis des Präsidenten – noch einmal zitieren möchte:

Es soll den Bezirksverwaltungen im Rahmen ihrer gesetzlich geregelten Selbständigkeit die Möglichkeit gegeben werden, die Regenbogenfahne zum Christopher Street Day zu hissen.

Lächerlich finde ich es denn schon, wenn eine Stadt wie Berlin, die ach so stolz auf ihr lebendiges Treiben ist, die sich freut, Anziehungspunkt für Menschen aus aller Welt zu sein, und die

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(B) (D)

sich der Fähigkeit rühmt, historisch Gewachsenes mit Hochmodernem zu verbinden, sich nicht schämt, sich hinter Verordnungen, hinter Ausführungsvorschriften und paragraphenreitend hinter Beflaggungsrechtlichem zu verstecken.

[Beifall bei der SPD, der PDS und den Grünen]

Übrigens sind das Ausführungsvorschriften, die vermutlich durchaus verlegt werden, wenn es darum geht, Kirchenfahnen, Fahnen des Deutschen Roten Kreuzes oder die Olympiafahne zu hissen. An dieser Stelle sei mir der Hinweis erlaubt: Die Olympiafahne ist, obwohl international anerkannt – das ist wohl unstrittig –, keine Flagge, die nach geltendem Recht, Herr Wegner, gehisst werden dürfte, was den einen oder anderen nicht daran hindert, sie zu hissen. Dagegen haben wir nichts.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der PDS und den Grünen]

Nun ist natürlich richtig: Wer wagt es schon, gegen Olympia oder gegen das Rote Kreuz irgendetwas einzuwenden? – Lassen Sie mich den Vergleich bringen! Wofür stehen diese Organisationen im Vergleich zu dem, was die Regenbogenflagge symbolisieren will? – Die einen wollen im Grunde genommen nur ihre Spenden – nach dem Motto: Blut oder Geld! – Die anderen werben bei allem Pathos – Sportler für den Frieden! – doch im Grunde genommen für eine völlig kommerzialisierte Veranstaltung.

[Beifall bei der SPD, der PDS und den Grünen]

Mit dem Christopher Street Day soll aber für nichts anderes geworben werden. Und an dieser Stelle, meine Damen und Herren von der CDU, sei Ihnen die vielleicht unterschwellige Sorge genommen: Im Gegensatz zum Kirchentag soll am Christopher Street Day niemand missioniert werden.