Protocol of the Session on May 18, 2000

[Hoff (PDS): Herr Diepgen ist auch super!]

Ich möchte in diesem Zusammenhang noch einen anderen, mir wichtigen Punkt aufgreifen. Es muss Unternehmerinnen und Unternehmern, die bei ihrem ersten Versuch, sich selbständig zu machen, gescheitert sind, möglich sein, die gesellschaftliche Akzeptanz vorzufinden, einen weiteren Versuch zu unternehmen, sich eine neue Existenz aufzubauen.

[Beifall bei der CDU und der SPD – Zuruf des Abg. Eßer (Grüne)]

Oft scheitern Existenzgründer aus für außen Stehende schwer nachvollziehbaren Gründen, obwohl sie sehr viel Engagement und Kraft in die Verwirklichung ihrer Ziele investiert haben. Hier können die Vereinigten Staaten ein Vorbild sein, wo es durchaus nicht Unmoralisches oder Verwerfliches darstellt, einmal als Existenzgründer zu scheitern. Bei einem nächsten Anlauf können mehr Glück und größerer wirtschaftlicher Erfolg zum gewünschten Ziel führen, wie viele prominente Beispiele beweisen. Die Grundlagen für einen solchen Neustart als Unternehmer müssen im Übrigen auch im Insolvenzrecht künftig noch besser verankert werden. Sicherlich könnte man an dieser Stelle noch unzählige Förderprogramme, Investitionen und Bemühungen des Landes Berlin zur Förderung von Existenzgründern aufzählen, aber viel wichtiger scheint mir zumindest, dass wir insgesamt den Standort Berlin so positiv herausstellen, wie er ist, und versuchen, mit diesem Image Menschen zu motivieren. Wo könnten sich diese Menschen besser verwirklichen als in der pulsierenden Metropole Berlin mit einem so jungen, engagierten und dynamischen Wirtschaftssenator wie Wolfgang Branoner.

[Beifall bei der CDU – Klatschen der Abgn. Hoff (PDS) und Eßer (Grüne)]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Gräff, für die aufmunternden Worte. Es schließt sich jetzt der Redebeitrag von Herrn Liebich von der Fraktion der PDS an.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe mich schon ein bisschen gefragt, warum wir heute über diese Große Anfrage reden müssen. Gibt es neue Konzepte, die die CDU, die SPD oder die Koalition vorschlagen möchte? Gibt es Fragen, die das ganze Haus bewegen, die wir unbedingt diskutieren möchten?

[Dr. Steffel (CDU): Auch richtig!]

Ich habe in den bisherigen Redebeiträgen davon nichts gehört. Ich habe gehört, dass die CDU den Senatoren Branoner und Kurth ihre Glückwünsche ausspricht.

[Beifall bei der CDU]

Das ist ja schon mal was. Ich weiß mittlerweile auch und das wusste ich schon vorher, dass es einen Termin gibt, der diese Große Anfrage notwendig gemacht hat, nämlich die deutschen Existenzgründertage. Das ist auch sehr schön. Aber letztlich, das, was Sie in der Großen Anfrage gefragt haben, sind alles Sachen, die man entweder beim Durchblättern der diversen vorliegenden Statistiken oder – wenn man dazu zu faul ist – in Form einer Kleinen Anfrage durchaus in Erfahrung bringen kann.

[Beifall bei der PDS]

Was ist nun in Berlin beim Thema Existenzgründungen zu diskutieren? – Es ist wahr: Es gibt Felder, bei denen ich weitaus kritischer mit dem Senat bin, und ich möchte jetzt auch nicht schlecht reden, aber wir haben als Opposition eine Aufgabe. Deshalb werde ich jetzt einige relativierende Worte in die Debatte werfen.

Wenn wir als Gründerhauptstadt bezeichnet werden, dann hat das auch seine Hintergründe. Der ehemalige Wirtschaftssenator Pieroth hat einmal davon gesprochen

[Atzler (CDU): Auch ein guter Senator! – Gelächter bei der PDS]

Ja, das fehlte mir eigentlich noch! Es sind diverse CDU-Senatoren nicht erwähnt worden, aber dazu haben Sie sicherlich bei weiteren Reden immer noch Gelegenheit. –, dass jeder Arbeitslose in Berlin ein potentieller Existenzgründer ist. Er hat den Anachronismus, den Herr Branoner eben beschrieben hat, offenbar nicht so gesehen.

[Dr. Steffel (CDU): Das ist Quatsch!]

Ich denke, wenn man das so sieht wie Herr Pieroth, dann hat Berlin in der Tat ein sehr großes Potential. Wenn man feststellt, dass 10,3 % Selbständigenquote gut sind, dann ist das sicher nicht ganz falsch, aber es ist eben – Herr Branoner hat es selber gesagt – immer noch unter dem Bundesdurchschnitt. Zudem ist die Gefahr sehr groß, dass wir die Spitzenstellung, die wir bei den Gründungen haben, an Hamburg, an Frankfurt am Main verlieren. Und zudem ist die These, jeder Existenzgründer schaffe fünf Arbeitsplätze, auch nur dann richtig, wenn der Existenzgründer nicht nur gründet, sondern dann auch als Unternehmer arbeitet. [Beifall des Abg. Hoff (PDS)]

Was mir bisher gefehlt hat, ist eine gewisse Saldierung, nämlich einmal zu gucken, wie viele von diesen Existenzgründern haben denn überhaupt überlebt, wie viele sind Pleite gegangen.

[Beifall bei der PDS und den Grünen – Hoff (PDS): Sehr richtig!]

Wenn man sich das anschaut, sieht die Bilanz nicht mehr so erfolgreich aus. Saldiert hatten wir 1997 4 500 Existenzgründer, 1998 2 600 Existenzgründer und 1999 1 500 Existenzgründer. Das heißt, die Zahl der Pleiten wirkt sich da erheblich aus. Dass man da immer noch von einer Erfolgsbilanz reden kann, wage ich zu bezweifeln.

Deshalb, Herr Senator, liebe Koalition, möchte ich hier einen Vorschlag machen und Sie daran erinnern, dass Sie sich selber im Rahmen der Verhandlungen über ihre Koalitionsvereinbarung zum Thema Bestandspflege Gedanken gemacht haben. Ich weiß jetzt nicht, wer von der SPD reden wird, Herr Borghorst möglicherweise. Vielleicht sagen Sie etwas dazu, was aus dem Vorschlag der Entwicklungs- und Sanierungsbeteiligungsgesellschaft geworden ist. Sie haben das beschlossen. Es ist bisher nichts passiert. Sie wollten das prüfen. Ich kann schon einmal ankündigen, wenn die Prüfung demnächst nicht zu einem Ergebnis führt, werden wir einen eigenen Antrag vorlegen, denn es war nicht alles schlecht, was die Koalition in ihrer Vereinbarung beschlossen hat.

[Dr. Borghorst (SPD): Bravo!]

Zum Zweiten, Herr Atzler hat ein Thema angesprochen, das ich sehr wichtig finde, nämlich die Frage der Existenzgründerinnen. Es ist tatsächlich so, wenn man sich anschaut, was da für besondere Spezifika bei weiblichen Existenzgründern existieren, dann ist es so, sie können meist mit viel weniger Kapital Existenzen gründen, sie halten länger aus. Das sind beides Sachen, die man als Chance werten muss. Da passiert mir von der Senatswirtschaftsverwaltung zu wenig. Okay, es gibt ein Frauenfinanzforum. Okay, es gibt eine Arbeitsgruppe. Die Weiberwirtschaft wurde mit gemeinsamer Hilfe hier im Hause gerettet. Ich denke aber, dass es viele Weiberwirtschaften in der Stadt geben müsste und dass man diesem Potential eine weitaus größere Aufmerksamkeit widmen sollte, als es in der Vergangenheit passiert ist. [Beifall bei der PDS]

Herr Atzler, wenn Sie davon sprechen, dass genau dazu die Zahlen nicht vorliegen, dann ist das völlig richtig. Es gibt keine geschlechtsspezifische Erfassung. Wir können uns gemeinsam im Wirtschaftsausschuss darum kümmern, dass das vorliegt, und dann kann man das auch viel konkreter diskutieren. Dann werden wir sehen, was für Chancen in diesem Bereich liegen.

(A) (C)

(B) (D)

Man sollte darüber hinaus die Frage diskutieren, wo die Gründungen stattfinden. Ich freue mich, dass der Wirtschaftsausschussvorsitzende rechtzeitig nach dem Beitrag des Wirtschaftssenators wieder hereingekommen ist.

[Dr. Steffel (CDU): Ich war die ganze Zeit da!]

Ist nicht wahr! Ich habe genau gesehen, dass Sie draußen waren. – Ich möchte Herrn Steffel zitieren. Er hat in seiner viel beachteten Rede des jungen Nachwuchspolitikers davon gesprochen:

Neues Jahrhundert bedeutet Globalisierung, technologische Revolution und – wenn Sie so wollen – www, World Wide Web.

Das hat uns alle sehr beeindruckt.

[Heiterkeit bei der PDS]

Wenn man sich anschaut, wo die Gründungen stattfinden, dann ist es genau nicht dieser Bereich.

[Zuruf von der CDU]

Nach der Gründungshitliste der Bürgschaftsbank Berlin-Brandenburg ist der absolut erste Platz der Handel. Da bekommt dann das Zusammenspiel von Bulette und Diskette möglicherweise das Ergebnis, dass die Bulette übrig bleibt und nicht die Diskette. [Heiterkeit bei der PDS]

Ich glaube, das ist nicht das, was man hier in Berlin möchte. Deshalb sollte man sich umso stärker um die wirklich zukunftsorientierten Bereiche wie Biotechnologie, Verkehrstechnologie kümmern und auch um das World Wide Web. Wenn ich mir die Signale anhöre, die da aus der CDU kommen, ist das im Moment der Ku’damm und die Deutschlandhalle, und das ist nicht besonders innovativ.

[Beifall bei der PDS – Niedergesäß (CDU): Adlershof!]

Es ist auch darüber gesprochen worden, wie das mit den Räumen und den Konditionen für Gewerbetreibende gerade im Ostteil der Stadt ist. Herr Branoner hat richtig festgestellt, dass das Problem nicht die Mieten und die Räume sind. Ich erinnere an eine Kleine Anfrage von mir, wie die Vermietungsstände sind, gerade im Ostteil der Stadt. Das schwankt gerade in den Gewerbezentren, die Herr Branoner eben erwähnt hat,

[Zuruf von links: Wäre schön, wenn er zuhört!]

zwischen 38 %, 18 % und am Ende das Gewerbezentrum in der Döbelner Straße. Da gibt es noch keine Angaben. Okay, es ist neu eröffnet worden, aber de facto ist es leer. Daran kann man sehen, dass nicht die Mieten das Problem sind.

Da sind weitergehende Konzepte erforderlich. Es ist völlig richtig: Der Sättigungsgrad ist erreicht. – Die PDS wird sich auch nicht dafür einsetzen, dass weiterhin Gewerbezentren, breite Straßen dorthin und Parkplätze finanziert werden. Ich denke, das werden die anderen Parteien auch nicht tun, weil sie das auch so sehen. Aber dann muss man sich eben darum kümmern, dass diese Gewerbezentren voll werden und vor allem voll bleiben. In dieser Hinsicht finde ich den Ansatz richtig, eine gemeinsame Branche in einem Gewerbezentrum anzusiedeln. Das wird gemacht, und das sollte verstärkt werden. Da sollten Synergieeffekte genutzt werden. Das ist genau der richtige Weg.

Es ist davon gesprochen worden, dass es für Gründer auch Geld geben muss. Das ist selbstverständlich immer richtig, aber dann muss man auch wegkommen von der bisherigen Förderung, die zum Zeitpunkt der Gründung fördert, denn das ist eben nur ein Teil. Meiner Ansicht nach müssen die Zeiträume nach der Gründung viel stärker gefördert werden: Drei bis acht Jahre, je nach Branche – das würde ich richtig finden. Das trägt vor allem auch dazu bei, dass nicht nur gegründet wird, sondern dass dann diese Einrichtungen auch bleiben und die durchschnittlich fünf Mitarbeiter tatsächlich beschäftigt werden können.

[Zuruf des Abg. Niedergesäß (CDU)]

[Niedergesäß (CDU): Sie müssen auch Profit erwirtschaften!]

Dass sie Profit erwirtschaften! Genau, Sie haben es richtig gelernt, Herr Niedergesäß! Das ist völlig korrekt.

[Beifall bei der PDS – Niedergesäß (CDU): Schön, dass Sie es sagen!]

Es gibt aber auch weitergehende Ideen, die nicht unbedingt mit Staatsknete zusammenhängen. Warum soll der Senat nicht, wie in seiner eigenen Berlin-Studie vorgeschlagen, die Privatbanken auffordern, mindestens 10 % ihrer ausgereichten Darlehen für risikoreiche Neugründungen zu verwenden. Da gibt es durchaus noch Reserven. Die Sparkassen als öffentlich-rechtliche Einrichtungen sind in dieser Hinsicht schon sehr aktiv, und die Privatbanken sollten da nachziehen.

Wenn Sie also, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, diese Fragen hier gestellt hätten und Herr Branoner darauf auch mit Konzepten hätte antworten können, dann wäre das eine Debatte wert gewesen. So ist hier eine Show abgezogen worden, von der ich vermute, dass die wenigsten Besucher der Deutschen Existenzgründertage sie überhaupt zur Kenntnis genommen haben. Aber letztlich ist das auch nicht so schlimm. – Ich danke Ihnen!

[Beifall bei der PDS – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]