Protocol of the Session on December 13, 2017

Insofern ist auf eine gewisse Art die aktuelle Debatte um die Verurteilung der Ärztin Kristina Hänel gut. Die Gynäkologin wurde zu einer Geldstrafe von 6 000 Euro verurteilt, weil sie auf ihrer Webseite über ihr Angebot zu Schwangerschaftsab brüchen informiert hat. Rechtsgrundlage ist § 219a StGB, der eine Werbung für Schwangerschaftsabbrüche verbietet. Ich denke, über Werbung in der Medizin hat die Kollegin Muhß hier wirklich ausführlich vorgetragen.

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, ich gestatte keine Zwischenfrage.

Hier kumuliert unsere gesamte Ambivalenz im Umgang mit un gewollten Schwangerschaften. Obwohl das geltende Gesetz explizit straffreie Schwangerschaftsabbrüche unter bestimmten Bedingungen ermöglicht, werden Ärztinnen und Ärzte dafür verurteilt, wenn sie sachlich über Schwangerschaftsabbrüche informieren und darauf hinweisen, dass sie diese anbieten.

Wir finden, Frauen müssen sich frei darüber informieren kön nen, welche sicheren und wohnortnahen Zugänge sie zu Schwangerschaftsabbrüchen haben. Um das zu gewährleisten, müssen Ärztinnen und Ärzte zwingend straffrei bleiben.

(Beifall B90/GRÜNE und DIE LINKE)

Solange es Richter gibt, die eine solche Information über medi zinische Leistungen als Werbung zum eigenen Vermögensvor teil bewerten und sanktionieren, ist § 219a StGB leider kein gruseliges, aber harmloses Relikt aus der NS-Zeit, sondern ein ultrakonservativer Wiedergänger. Die Zeiten der Dunkelheit in diesem Land sind glücklicherweise vorbei. § 219a StGB gehört umgehend abgeschafft. - Danke.

(Beifall B90/GRÜNE, DIE LINKE und des Abgeordne ten Bischoff [SPD])

Vielen Dank. - Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Golze.

(Zuruf von der SPD: Hier spricht eine Ärztin! - Frau Bes sin [AfD]: Es gibt viele Ärzte, die das anders sehen! - Unruhe)

Ich bitte um Ruhe.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!

(Unruhe - Frau Lieske [SPD]: Herr Präsident, die CDU folgt Ihnen nicht!)

Schwangerschaftsabbrüche sind in Deutschland grundsätzlich strafbar. Es gibt jedoch Ausnahmen. Diese sind in §§ 218 und 219 StGB geregelt. Somit ist festgeschrieben, unter welchen Bedingungen eine Frau in Deutschland abtreiben darf.

So ist nach einer Beratung in einer Schwangerschaftskonflikt beratungsstelle ein Abbruch innerhalb der ersten 12 Schwan gerschaftswochen straffrei. Gleichwohl bleibt dieser Eingriff rechtswidrig. Liegt eine medizinische Indikation vor, beispiels weise eine erhebliche gesundheitliche Gefahr für die Mutter bei Fortsetzung der Schwangerschaft, ist die Abtreibung nicht rechtswidrig. Eine Beratung ist dann nicht verpflichtend vorge schrieben. Dasselbe gilt für den Fall, dass eine Schwanger schaft durch ein Sexualdelikt verursacht wurde.

Die Entscheidung über eine Abtreibung ist für jede Frau schwierig. Umso wichtiger ist es, dass Frauen in dieser schwe ren Entscheidung ihre Rechte und Möglichkeiten kennen. § 219a StGB, der sogenannte Werbung für Abtreibungen ver bietet, erschwert jedoch den Zugang zu diesen wichtigen Infor mationen.

Der Gesetzestext ist mehrfach zitiert worden. Das kann ich mir an dieser Stelle ersparen. Ich möchte aber sagen, dass dieses Gesetz über ein Werbeverbot hinausgeht. Der Straftatbestand ist sehr weit gefasst. Faktisch hat das zur Folge, dass es Ärztin nen und Ärzten untersagt ist, Schwangerschaftsabbrüche über haupt zu thematisieren. Jede Benennung dieses Leistungspekt rums auf der Homepage oder in Flyern, die in der Praxis ausgelegt werden, ist untersagt. Die Ärztinnen und Ärzte dür fen nicht darauf hinweisen, dass sie für einen Schwanger schaftsabbruch zur Verfügung stehen. Sie dürfen auch keine Information darüber herausgeben, was eine Abtreibung bedeu tet - nicht einmal, wie sie gesetzlich geregelt ist.

(Königer [AfD]: Das weiß doch jeder, wo das steht!)

So ist auch der Fall der Gießener Ärztin vor einem Gericht aus gelegt worden; sie wurde zu einer Geldstrafe verurteilt. In der Urteilsbegründung heißt es unter anderem, dass der Gesetzge ber nicht wolle, dass über den Schwangerschaftsabbruch in der Öffentlichkeit diskutiert werde, als sei es eine normale Sache. - Ich glaube, für keine der betroffenen Frauen ist ein Schwan gerschaftsabbruch eine normale Sache.

(Beifall SPD, DIE LINKE und B90/GRÜNE)

Frauen, die wissen wollen, welche Ärztinnen und Ärzte einen Schwangerschaftsabbruch durchführen, müssen sich an die Schwangerschaftsberatungsstellen bzw. die Schwangerschafts konfliktberatungsstellen wenden. Auf diese Weise soll verhin dert werden, dass einzelne Ärztinnen und Ärzte Abtreibungen

zu einem lukrativen Geschäft machen. Das hört sich zunächst nach einem legitimen Ziel an. Allerdings untersagt schon § 27 der Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte, eine dem ärztlichen Selbstverständnis zuwiderlau fende Kommerzialisierung vorzunehmen.

Aus diesem Grund stellt sich mir die Frage, ob die Anwendung des Strafrechts als schärfste Waffe des Staates nicht unverhält nismäßig ist, dies auch mit Blick auf die grundrechtlich ge währte Berufsfreiheit der Ärztinnen und Ärzte und das Recht der Schwangeren auf Information.

(Beifall SPD, DIE LINKE und B90/GRÜNE)

Die eben genannte Berufsordnung enthält noch eine weitere ent scheidende Regelung. Demnach sind Ärztinnen und Ärzten - ich zitiere - „sachliche, berufsbezogene Informationen gestattet“. Eine solche sachliche Information, also allein die Angabe des Leistungspektrums, ist aber mit dem derzeit geltenden § 219a StGB nicht möglich.

Da der Schwangerschaftsabbruch unter bestimmten Umständen jedoch rechtmäßig oder zumindest straffrei ist, kann man aus meiner Sicht nicht die Information darüber verbieten. Das Bun desverfassungsgericht sieht das ähnlich und hat schon 2006 entsprechend geurteilt. Ich zitiere:

„Wenn die Rechtsordnung Wege zur Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen durch Ärzte eröffnet, muss es dem Arzt auch ohne negative Folgen für ihn möglich sein, darauf hinzuweisen, dass Patientinnen seine Dienste in Anspruch nehmen können.“

(Frau Mächtig [DIE LINKE]: Hört, hört!)

Es geht hier aber nicht nur um die Ärztinnen und Ärzte. Es geht ganz besonders um die Frauen, die in extremen Konfliktlagen nur schwer Informationen zu diesem Thema bekommen - dann, wenn sie sie besonders dringend brauchen.

§ 219a StGB missachtet, dass Patientinnen und Patienten einen Anspruch auf Information über das Leistungsspektrum von Ärztinnen und Ärzten haben. Nur wenn sie einen Überblick über die Auswahl an qualifizierten Ärztinnen und Ärzten haben, sind sie überhaupt in der Lage, von ihrem Recht auf freie Arzt wahl Gebrauch zu machen.

(Beifall der Abgeordneten Hackenschmidt [SPD])

Schwangere Frauen benötigen in Notsituationen uneinge schränkten Zugang zu medizinischer Beratung und eine Aus wahl an Ärztinnen und Ärzten, die sie dabei qualifiziert unter stützen können. Informationen über die Möglichkeiten eines Schwangerschaftsabbruches sind dafür eine notwendige Vor aussetzung. Nur auf diese Weise können hilfesuchende Frauen letztlich selbstbestimmt entscheiden.

Aus diesem Grund unterstütze ich den gemeinsamen Antrag der Fraktionen der SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Hinblick auf eine Initiative zur Abschaffung des § 219a StGB.

Am Freitag behandelt der Bundesrat dieses Thema auf Initiati ve der Kolleginnen und Kollegen in Berlin. Hier hat uns die Zeit etwas überrollt. Ich finde die Debatte heute trotzdem rich tig und wichtig. Das Kabinett hat gestern beschlossen, der Initi ative beizutreten.

(Beifall SPD, DIE LINKE und B90/GRÜNE)

Herr Minister Ludwig - das will ich hier an dieser Stelle schon sagen - wird am Freitag in diesem Sinne die Position Branden burgs im Bundesrat vertreten. Wir haben zeitgleich Landtags sitzung. Das sei an dieser Stelle schon einmal erwähnt.

(Dr. Redmann [CDU]: Es ist noch nicht einmal abge stimmt worden!)

- Die Landesregierung kann jeden Monat vor Bundesratssitzun gen entscheiden, welchen Anträgen sie beitritt oder nicht. Wir halten hier nicht ständig vorher Beratungen dazu ab. Das hat sich jetzt aufgrund der zeitlichen Abfolge überschnitten. Aber das ist legitimes Regierungshandeln. - Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall SPD, DIE LINKE und B90/GRÜNE)

Vielen Dank. - Das Wort erhält noch einmal die Abgeordnete Bader von der Fraktion DIE LINKE. - Nicht? - Danke.

Damit schließe ich die Aussprache und rufe zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 6/7729, „Initia tive zur Abschaffung des Paragrafen 219a StGB ergreifen“, auf. Wer stimmt diesem Antrag zu? - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Das ist nicht der Fall. Damit ist der Antrag mehrheitlich angenommen.

Ich schließe Tagesordnungspunkt 15 und rufe Tagesordnungs punkt 16 auf:

Wahl eines Mitgliedes des Präsidiums

Antrag mit Wahlvorschlag der Fraktion der AfD

Drucksache 6/7751

Es wurde vereinbart, keine Debatte zu führen. Damit kommen wir direkt zur Abstimmung.

Gestatten Sie mir zuvor noch den Hinweis, dass Frau Abgeord nete Bessin mit Schreiben vom 12. Dezember 2017 erklärt hat, dass sie mit der Wahl des Abgeordneten Galau als Mitglied des Präsidiums ihre Mitgliedschaft im Präsidium niederlegt.

Ich darf Sie also fragen: Wer stimmt dem Antrag der AfD-Frak tion auf Drucksache 6/7751, Wahl eines Mitglieds des Präsidi ums, zu? - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Da mit ist der Abgeordnete Galau bei vielen Enthaltungen als Mitglied des Präsidiums gewählt.

(Beifall AfD)

Ich schließe Tagesordnungspunkt 16 und die heutige Sitzung. Ich erlaube mir, auf den anschließenden Parlamentarischen Abend der LIGA der Freien Wohlfahrtspflege hinzuweisen.

Ende der Sitzung: 19.34 Uhr