Protocol of the Session on July 15, 2016

Wir müssen Lösungen für die tatsächlich bestehenden Heraus forderungen in der operativen Ebene finden, nämlich für die Umsetzung des Staatsvertrages. So erweist sich nach den ers ten Jahren der Arbeit des IT-Planungsrats das Fehlen eines ei genen operativen Unterbaus als großes Manko. Dies wird seit geraumer Zeit unter dem Stichwort FITKO - Föderale IT-Ko operation zwischen den Bundesländern und dem Bund - disku tiert.

Der aktuelle Stand ist nunmehr folgender: Bund und Länder haben sich darauf geeinigt, eine eigenständige Einrichtung als operativen Unterbau des IT-Planungsrats einzurichten.

Das möchte ich Ihnen hier auch zur Kenntnis geben: Das Land Brandenburg hat im nächsten Jahr den Vorsitz im ITPlanungsrat. Im Rahmen dieses Vorsitzes werden wir uns stark dafür einsetzen, die Effektivität der Arbeit des Gremi ums zu erhöhen. Aber dafür bedarf es keines neuen Staatsver trags. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass als Folge der nunmehr erfolgten politischen Einigung zu FITKO der beste hende Staatsvertrag angepasst werden muss. Die Einzelheiten dazu werden gerade im IT-Planungsrat bis zum Ende dieses Jahres geprüft.

Voraussetzung für eine effektive und effiziente Arbeit des ITPlanungsrats ist der gemeinsame Wille der Bundesländer und des Bundes. Aber dieser gemeinsame Wille wird nicht durch einen Staatsvertrag erzeugt. Dieser Staatsvertrag drückt diesen Willen lediglich aus, und den - darauf habe ich sehr ausführlich hingewiesen - haben wir ja bereits konkreter.

Für das Land von größerer Bedeutung sind die gerade in den letzten Diskussionen befindlichen Prüfaufträge zum E-Govern ment im Rahmen der Verwaltungsstrukturreform.

Zu guter Letzt: Da Sie in der Begründung Ihres Antrags auch die kommunale Seite nennen, lassen Sie mich auch Folgendes sagen: Brandenburg ist eines der ganz wenigen Bundesländer, das seinen Kommunen einen kostenlosen Anschluss an das si chere Landesverwaltungsnetz anbietet, das wiederum mit dem Koppelnetz des Bundes verknüpft ist. Das, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist eine fundamentale Voraussetzung für flächendeckendes E-Government und viel elementarer als ein neuer Staatsvertrag.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und schenke Ihnen eine Minute Lebenszeit.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Vielen Dank. - Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag „Digitaler Aufbruch durch einen E-Government-Staatsvertrag“ auf Drucksache 6/4561. Wer möchte diesem Antrag zustimmen? - Gibt es Gegenstimmen? -

Gibt es Enthaltungen? - Das ist nicht der Fall. Damit ist der Antrag mit Mehrheit abgelehnt.

Ich schließe Tagesordnungspunkt 18 und rufe Tagesordnungs punkt 19 auf:

„Alle inklusive in Brandenburg“ - Das Bundesteilha begesetz verbessern

Antrag

der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Drucksache 6/4539

Die Aussprache wird von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eröffnet. Frau Abgeordnete Nonnemacher, bitte schön.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Gäste! „Leben, wie ich will“ - das wollen im Land Branden burg ungefähr 370 000 Menschen mit Behinderung - sicherlich genauso wie diejenigen ohne Behinderung. Ganz sicher sind diese 370 000 Menschen so verschieden in ihren Fähigkeiten, Einschränkungen, Wünschen, Vorstellungen und Problemen wie wir hier in diesem Raum.

Aber im Unterschied zu den meisten von uns erfahren Men schen mit Behinderung immer wieder, dass sie eben nicht so leben können, wie sie wollen. Viele von ihnen teilen die Erfah rung, dass sie besonders unterstützt werden und um Hilfe bit ten müssen, und viele teilen die Erfahrung, dass sie oft lange nicht die Unterstützung bekommen, die sie für ein selbstbe stimmtes Leben bräuchten.

Dabei hat Deutschland bereits vor sieben Jahren das Überein kommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Men schen mit Behinderungen - die UN-Behindertenrechtskonven tion - ratifiziert, welche die universellen Menschenrechte aus der Perspektive von Menschen mit Behinderungen darstellt. Teilhabe - das stellt die UN-Behindertenrechtskonvention klar - ist ein Menschenrecht, keine Fürsorge oder Wohltat.

(Beifall B90/GRÜNE und DIE LINKE)

Als zweites Bundesland hat sich Brandenburg auf den Weg ge macht, die UN-Behindertenrechtskonvention mit einem eige nen Maßnahmenpaket umzusetzen. Damit wurde hier im Land begonnen, eine Kultur der Aufmerksamkeit und des Respekts gegenüber behinderten Menschen zu fördern. Die Bundesre gierung hat Brandenburg dafür im vergangenen Jahr ausge zeichnet. Das freut uns wirklich, und da könnten wir uns jetzt denken: Schön! Das Land und der Bund sind auf einem guten Weg. - Aber ziemlich harsch wirkt die Beurteilung vonseiten der Vereinten Nationen zur bundesweiten Umsetzung der UNBehindertenrechtskonvention. Behinderte Menschen können in Deutschland ihre Menschenrechte immer noch nicht in vollem Umfang wahrnehmen. Da wird leider klar, dass wir noch eini ges zu tun haben.

Ein weiterer wichtiger Schritt zur Umsetzung der Konvention wäre ein Bundesteilhabegesetz, das sich konsequent vom be vormundenden Fürsorgegedanken verabschiedet. Der mittler weile vorliegende Kabinettsentwurf zum Bundesteilhabegesetz

bedeutet allerdings keinen Systemwechsel. Im Gegenteil! Der Fürsorgegedanke ist nach wie vor bestimmend. Zentrale Vorga ben der Konvention in Bezug auf Selbstbestimmung und Teil habe werden mit diesem Gesetzentwurf nicht eingehalten. Da mit hält er nicht, was Union und SPD im Koalitionsvertrag versprochen haben, nämlich Menschen mit Behinderung „aus dem bisherigen ‚Fürsorgesystem‘ herauszuführen und die Ein gliederungshilfe zu einem modernen Teilhaberecht weiterzu entwickeln.“

Für uns Bündnisgrüne steht aber weiter fest: Teilhabeleistun gen dürfen sich nicht mehr an sozialhilferechtlichen Maßstä ben, sondern müssen sich am menschenrechtlich gebotenen Ziel der vollen und gleichberechtigen Teilhabe orientieren. Und - noch viel mehr - es dürfen sich durch das Bundesteilha begesetz keine Verschlechterungen für Menschen mit Behinde rungen im Vergleich zur aktuellen Situation ergeben. Deshalb haben wir den vorliegenden Antrag gestellt. Wir wünschen uns, dass die Landesregierung ihre Einflussmöglichkeiten nutzt, um Verbesserungen an diesem Gesetzentwurf zu erwirken.

Wir wünschen uns vor allen Änderungen beim Wunsch- und Wahlrecht, bei der Zusammenlegung von Teilhabeleistungen und der Anwendung eines Behindertenbegriffs, der mit der UN-Behindertenrechtskonvention konform geht.

Bisher soll durch das Wunsch- und Wahlrecht sichergestellt werden, dass den Wünschen von Menschen mit Behinderungen bei Leistungen zur Teilhabe entsprochen und dabei Rücksicht auf ihre persönliche Lebenssituation genommen wird. Darun ter fallen zum Beispiel Entscheidungen, wo und mit wem je mand leben möchte.

Aber bereits nach der geltenden Rechtslage erleben es Men schen mit Behinderung häufig, dass ambulante Unterstützung gegen ein stationäres Angebot, dass ein persönliches Budget gegenüber Sachleistungsoptionen oder ein selbst organisiertes Arbeitgebermodell gegen Pflegedienste verlieren. Das liegt oft daran, dass Verwaltungen bekannte Lösungen, vermeintlich si chere und erprobte Konzepte und weniger verwaltungsaufwen dige Bewilligungen bevorzugen.

Der Entwurf des Bundesteilhabegesetzes zeigt: Das Wunsch- und Wahlrecht wird zukünftig noch stärker eingeschränkt wer den. Es soll auf „angemessene“ Wünsche der Leistungsbezie herinnen und -bezieher beschränkt werden. Wünsche sind zu künftig nicht angemessen, wenn die Höhe der Kosten der ge wünschten Leistung die Höhe der Kosten für eine vergleichba re Leistung von Leistungserbringern unverhältnismäßig über steigt. Hinzu kommt noch, dass der bislang schützende Grund satz „ambulant vor stationär“ entfällt, weil im Kabinettsent wurf nicht mehr zwischen ambulanten und stationären Leistun gen unterschieden wird.

Das klingt zunächst einmal gut, wie ein Sieg der emanzipatori schen Behindertenbewegung, weil so stationäre Wohneinrich tungen für behinderte Menschen von einem Tag auf den ande ren auf dem Papier - rechtlich - abgeschafft werden. Faktisch werden die stationären Einrichtungen natürlich nicht aufgelöst. Die Sozialämter werden Menschen mit Assistenzbedarf aus Kostengründen einfach in ein Heim drängen können, weil das in vielen Fällen günstiger wäre als ein ambulant betreutes Wohnen in den eigenen vier Wänden.

(Frau Johlige [DIE LINKE]: Genau! Das ist es!)

Dies stellt einen eklatanten Verstoß gegen die UN-Behinder tenrechtskonvention dar, die Menschen mit Behinderung zusi chert, dass sie selbst über Wohn- und Lebensform entscheiden können und nicht gegen ihren Willen in einem Heim leben müssen.

(Beifall B90/GRÜNE sowie vereinzelt SPD und DIE LINKE)

Bestimmte Leistungen - zum Beispiel Assistenz, Fahrdienste, Ruf- und Nachtbereitschaften - sind für viele Menschen mit Behinderung eine unabdingbare Voraussetzung, um ein selbst bestimmtes Leben mit anderen führen zu können. In Zukunft sollen solche Teilhabeleistungen gemeinsam in Anspruch ge nommen werden können. Solange dieses sogenannte Pooling freiwillig erfolgt, ist das nicht nur okay, sondern auch sinnvoll. Mit dem Kabinettsentwurf aber sollen Träger der Eingliede rungshilfe die Möglichkeit bekommen, dass Leistungen vor rangig gepoolt in Anspruch genommen werden müssen. Die Behindertenbeauftragte der Bundesregierung meint dazu in ei nem Interview:

„Es darf nicht im Ermessensspielraum des Trägers liegen, Leistungen nur noch für eine Gruppe und nicht mehr in dividuell anzubieten.“

Ihr Gesprächspartner ergänzt:

„So steht es aber im Gesetz. Wenn einer ins Kino gehen will, bekommt er dafür zwar eine Assistenz. Aber er soll bitte schön gleich fünf oder sechs andere mitnehmen, da mit der Bus nur einmal fahren muss.“

Wir finden, das schränkt das Selbstbestimmungsrecht massiv ein und ist bevormundend. Diese Bestimmung lehnen wir strikt ab!

Wir befürchten auch, dass das Bundesteilhabegesetz zu einer deutlichen Verkleinerung des Kreises der Leistungsberechtig ten führen wird. Das Kriterium, dass behinderte Menschen in fünf von neun Lebensbereichen Unterstützung brauchen müs sen oder ihnen in drei Lebensbereichen auch mit Unterstützung keine Teilhabe möglich sein darf, wird von vielen der heute Leistungsberechtigten nicht erfüllt werden können. So haben beispielsweise sinnesbehinderte, psychisch beeinträchtigte oder mobilitätseingeschränkte Menschen häufig nur Unterstützungs bedarf in einem Bereich. Das ist für uns Bündnisgrüne nicht akzeptabel. Die Weiterentwicklung unserer Gesellschaft zu ei ner inklusiven Gesellschaft ist unser Ziel. Menschen sind nicht behindert, sie werden behindert.

(Beifall B90/GRÜNE sowie vereinzelt SPD und DIE LINKE)

Lassen Sie uns gemeinsam alles tun, damit dieser Gesetzent wurf zum Bundesteilhabegesetz so nicht Wirklichkeit wird. - Danke schön.

(Beifall B90/GRÜNE, DIE LINKE sowie vereinzelt SPD)

Vielen Dank. - Für die SPD-Fraktion spricht nun die Abgeord nete Alter. Zuvor begrüße ich auf der Besuchertribüne polni

sche Polizeibeamte, Mitglieder einer Delegation der internatio nalen Polizistenvereinigung. Herzlich willkommen!

(Allgemeiner Beifall)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kolle gen! Die Bundesregierung hat mit dem Bundesteilhabegesetz eine der wichtigsten sozialen Reformen dieser Legislaturperio de angeschoben. Mit dem Gesetz soll ein großer Schritt zu ei ner umfassenden Teilhabe und für ein selbstbestimmtes Leben von Menschen mit Behinderung getan werden.

(Frau Mächtig [DIE LINKE]: Wird er aber nicht!)

Mit dem Gesetz soll ein Paradigmenwechsel nach dem Grund satz „Teilhabe statt Fürsorge“ vollzogen werden. Gemäß dem Motto „Nicht über uns ohne uns“ soll nichts über Menschen mit Behinderung entschieden werden, wenn sie nicht beteiligt wurden. Im Vorfeld der Erarbeitung des Bundesteilhabegeset zes durch das Fachministerium waren auch Betroffenenverbän de, Länder und Kommunen sowie Sozialpartner eingebunden. Diese Einbindung konnte nicht verhindern, dass schon nach der Veröffentlichung des Referentenentwurfs im April 2016 kritische Töne zu diesem Entwurf nur unschwer zu überhören waren. In unseren Post- und Mailfächern waren in den vergan genen Wochen zahlreiche Stellungnahmen zu finden. Auch in den Medien wurden Einzelheiten des Entwurfs heftig diskutiert.

Die Reaktion ist zu verstehen, haben doch die Menschen dieses Gesetz nicht nur über viele Jahre herbeigesehnt, sondern mit ihm vor allem hohe Erwartungen und große Hoffnungen ver bunden. Das Bundesministerium hat teilweise reagiert: Mit sei nem Kabinettsentwurf vom Juni 2016 ist es auf einzelne Kri tikpunkte und Forderungen der Betroffenenverbände und Sozi alpartner hinsichtlich des Referentenentwurfs vom April nicht nur eingegangen, sondern hat sie aufgegriffen und auch etwas nachgebessert. Das ist an dieser Stelle lobend zu erwähnen.

So wurde bezüglich des Partnervermögens nun zusätzlich gere gelt, dass in der Eingliederungshilfe ab 2020 nicht nur das Ein kommen, sondern auch das Vermögen des Ehepartners anrech nungsfrei bleibt.

Ein anderer Punkt bezieht sich auf die Eingliederungshilfe und Hilfe zur Pflege. Personen, die erwerbstätig sind und gleichzei tig Leistungen der Eingliederungshilfe und Hilfe zur Pflege be ziehen, sollen nicht nur von einem ersten Schritt ab 2017, son dern auch von den besseren Einkommens- und Vermögensvor schriften der Eingliederungshilfe ab dem Jahr 2020 profitieren. Zudem werden nun die Zugangskriterien und die Art der Leis tungen der Eingliederungshilfe rechtssicherer ausgestaltet, um der Zielsetzung des Gesetzes gerecht zu werden, dass es im Einzelfall keine Verschlechterung geben soll.

Der Entwurf enthält weitere positive Aspekte. Hervorzuheben sind die geplante Zusammenarbeit der Rehabilitationsträger beim Teilhabeplanungsverfahren - wie aus einer Hand -, die unabhängige Teilhabeberatung und das Budget für Arbeit.