Protocol of the Session on July 15, 2016

Meine Damen und Herren, guten Morgen! Ich begrüße Sie herzlich zur 32. Sitzung des Landtags von Brandenburg.

Auch am heutigen Morgen begrüße ich Gäste auf der Besu chertribüne und die Besucherinnen und Besucher außerhalb unseres Saales auf das Herzlichste.

Am heutigen Tag haben wir wieder eine Jubilarin, die ihren Geburtstag feiert: die Frau Abgeordnete Schier, die wir sehr herzlich begrüßen. Herzlichen Glückwunsch, Frau Schier! Zum Geburtstag alles Gute! Bleiben Sie gesund!

(Allgemeiner Beifall)

Meine Damen und Herren, Ihnen liegt der Entwurf der Tages ordnung vor. Ich frage Sie: Gibt es Änderungswünsche, An merkungen zur Tagesordnung? - Das ist nicht der Fall. Dann lasse ich über die Tagesordnung abstimmen. Wer ihr zustim men möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstim men? - Enthaltungen? - Damit ist die Tagesordnung einstim mig angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde

Thema: Wie weiter nach dem Referendum zum BREXIT? - Brandenburg als Teil einer starken, demokratischen und sozialen Europäischen Union

Antrag

der Fraktion DIE LINKE

Drucksache 6/4542

Des Weiteren liegt ein Entschließungsantrag der AfD-Fraktion vor, der gleich verteilt wird.

Wir beginnen die Aussprache mit dem Beitrag des Abgeordne ten Christoffers. Er spricht für die Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, wir alle sind noch etwas überrascht von der Entscheidung in Groß britannien, und selbstverständlich wird das politische Abwägen der Folgen noch eine Zeit andauern. Ich will nur zwei Zahlen nennen, die die Relevanz Großbritanniens auch für Branden burg unterstreichen: Was den Import nach Brandenburg angeht, so nimmt Großbritannien - gemessen am Import aller Länder - den vierten Platz, beim Export den neunten Platz ein. Aber hier geht es nicht nur um die reinen Zahlen, sondern auch um Fra gen wie: Wie wird es mit der Airbus-Kooperation weitergehen? Welche Auswirkungen hat das für Rolls-Royce, welche Stand ortfragen ergeben sich daraus? Die Frage wird sein, ob und in wieweit die mehr als 200 brandenburgischen Unternehmen ih re Beziehungen zu Großbritannien weiter solide ausbauen kön nen.

Aber das ist ja nur ein Teil des Problems. Ich glaube, das viel größere Problem, das sich daraus ergeben hat, ist: Wie werden wir politisch als Europäische Union weiterverfahren?

Es gibt vom Grundsatz her drei Modelle: Das Modell Norwe gen; das heißt de facto eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union, ohne dass man ein Mitbestimmungsrecht in bestimmten Fragen hat. Das Mitgliedsmodell zwei: Freihandelsabkommen. Und das Modell drei: ein Drittstaat wie gegenwärtig zum Bei spiel die USA, mit dem Aufbau von Zöllen und Ähnlichem.

Meine Damen und Herren, man muss dabei - zumindest aus meiner Sicht - darauf verweisen, dass neben dem legitimen Recht eines Landes, § 50 des EU-Vertrags anzuwenden, also auszutreten, wir es in Großbritannien auch mit der Situation zu tun haben, dass von bestimmten Bereichen der Politik und ih rer einzelnen Vertreter Politikversagen vorgelebt wird. Man geht mit einem solchen Anliegen nicht an die Öffentlichkeit, ohne ein Konzept zu haben, was hinterher passiert.

(Beifall SPD, DIE LINKE, B90/GRÜNE sowie verein zelt CDU)

Genau das ist leider Tatsache gewesen und wird sich in der Perspektive mit Sicherheit auch in den weiteren Verhandlun gen und Beziehungen niederschlagen.

Meine Damen und Herren, der Brexit ist natürlich auch Anlass zu fragen: Mit welcher Zielbestimmung, mit welchem Inhalt soll sich die Europäische Union weiterentwickeln? Dabei, mei ne Damen und Herren, habe ich wie Sie zur Kenntnis genom men, dass in den Umfragen unmittelbar nach dem Brexit die Zustimmung in Deutschland zu Europa gestiegen ist. Das hat ganz einfach, so glaube ich, einen Hintergrund: Man merkte plötzlich, dass gelebte Selbstverständlichkeiten wie Freizügig keit, wie Studium überall in Europa gar nicht mehr selbstver ständlich sind, wenn es zu solchen politischen Entscheidungen kommt. Das ist natürlich zugleich auch eine Chance, eine Chance, nicht nur zu fragen, wie sich Institutionen in Brüssel weiterzuentwickeln haben, sondern mit welchen inhaltlichen Zielstellungen eine vertiefte Kooperation europäischer Staaten möglich ist.

Da möchte ich auf einen Punkt verweisen: 2013 hat sich die Europaministerkonferenz aller Bundesländer auf ein Gemein sames Papier geeinigt, das mit „Für ein soziales Europa“ über schrieben ist. Wenn sich von der CSU bis zur Linken alle Euro paminister einigen konnten, dass die Frage der sozialen Ver fasstheit der europäischen Politik, ihrer Institutionen wie auch der sozialen Wirklichkeit in den einzelnen Mitgliedsstaaten das entscheidende Kriterium sein wird und sein kann, um Zustim mung und vor allen Dingen auch eine bewusste Ausgestaltung des europäischen Raums zu erreichen, dann ist das ein Punkt, an den man anknüpfen kann.

(Beifall DIE LINKE und des Abgeordneten Bischoff [SPD])

Sie wissen, dass wir in der Europapolitik der Bundesrepublik eine Besonderheit haben. Nun ist sicherlich die Funktion des Botschafters der Bundesrepublik Deutschland in Brüssel nicht ganz einfach, aber es kommt noch ein Punkt hinzu: Wir haben auch noch 16 Landesvertretungen in Brüssel. Die Bundeslän

der haben nun einmal Einfluss auch auf die Ausgestaltung eu ropäischer Politik. Insofern glaube ich, dass nicht nur Branden burg, sondern die Bundesländer allgemein sowohl über die Europaministerkonferenz als auch den Bundesrat und den Eu ropaausschuss Einfluss auf politische Entscheidungen nehmen können, wie die Bundesregierung jetzt in die Verhandlungen darüber eintreten wird, was hinterher passiert.

Insofern gehe ich davon aus, dass Fragen wie die Einführung ei ner Sozialklausel in die Europäischen Verträge - etwas, was seit langer Zeit diskutiert wird -, die Frage der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, zum Beispiel bei der Lösung des Ukraine-Russland-Konflikts, all das politisch thematisiert werden muss, um daraus ein neues Selbstverständnis zu generieren.

Meine Damen und Herren, wir müssen natürlich auch vor dem Hintergrund der Situation der italienischen Banken, die unmit telbar nach dem Brexit alle wahrgenommen haben, Mechanis men entwickeln, um weitere Stabilität in den Mitgliedsstaaten zu erreichen. Das heißt vor allem Abbau der Jugendarbeitslo sigkeit, aber auch Förderung der Mitbestimmung und Demo kratie in europäischen Angelegenheiten, um nur zwei Punkte zu nennen.

(Beifall DIE LINKE und des Abgeordneten Kurth [SPD])

Meine Damen und Herren, es gibt einen weiteren Punkt, der unmittelbar auf uns zukommen wird. Wir werden spätestens Mitte nächsten Jahres in die Verhandlungen zur Zukunft der Kohäsionspolitik einsteigen, die sich in dem Einsatz der Struk turfonds - EFRE, ELER und ESF -, die natürlich einen wichti gen Beitrag zur wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Ent wicklung leisten, niederschlägt. Dabei werden wir auf zwei Effekte stoßen. Erstens: Wenn der Brexit kommt, wird der sta tistische Durchschnitt des Bruttoinlandsproduktes europaweit sinken. Das heißt, wir werden allein vom statistischen Effekt die 90%-Grenze überschreiten und damit zu den entwickelten Regionen gehören. Zweitens: Auch durch die Entwicklung un serer eigenen Wirtschaftskraft werden wir die 90 % überschrei ten. Das ist, denke ich, erst einmal ein Erfolg, und man sollte das nicht beklagen.

(Beifall DIE LINKE und B90/GRÜNE - Vogel [B90/ GRÜNE]: Genau!)

Deshalb, meine Damen und Herren, ist es umso wichtiger, dass sich die ostdeutschen Bundesländer und die Bundesländer ins gesamt 2016/2017/2018 in die Verhandlungen einbringen, denn die Kohäsionspolitik ist ein Instrument, mit dem eine so ziale Verfasstheit und eine wirtschaftliche Entwicklung euro paweit umgesetzt und garantiert werden kann. Deshalb ist die politische Entscheidung, mit welchem Inhalt und mit welchen Formen sie in der Perspektive nach 2019 umgesetzt wird, eine zentrale Frage für die Entwicklung Europas und natürlich auch Brandenburgs.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Ich denke, dass wir uns auf vier Punkte konzentrieren können, denn unabhängig davon, ob die Fonds in ihrer jetzigen Art und Weise weiterbestehen, ob die Programme weitergeführt wer den, gibt es Bereiche, bei denen ich davon ausgehe, dass eine Entwicklung stattfinden kann, auch in Abstimmung mit den anderen europäischen Ländern. Ich nenne einmal vier Schwer

punkte, auf die wir uns aus meiner Sicht mit konzentrieren sollten.

Das ist zuerst einmal die Zusammenarbeit mit Polen. Die grenzüberschreitende Kooperation mit Polen ist etwas, das eu ropaweit Nachahmer gefunden hat bzw. wo Länder in der glei chen Situation sind wie wir. Hier kann es auf jeden Fall eine Einigung geben.

Der zweite Punkt ist die Entwicklung des ländlichen Raumes; sie ist ein Schwerpunkt europäischer Politik. Sie muss nur neu konfiguriert und den Bedingungen angepasst werden.

Der dritte Punkt ist die Kooperation von Wirtschaft und Wis senschaft - ebenfalls ein zentrales europäisches Thema und nicht nur in Brandenburg, sondern überall aktuell.

Der letzte Punkt, den ich erwähnen möchte, das sind die Tran sittrassen der Europäischen Union. Sie wissen, dass sich in Brandenburg zwei Hauptkorridore kreuzen, und auch daraus ergeben sich Anknüpfungspunkte, europäische Politik in Bran denburg weiterzuführen. Wir stehen also vor großen Heraus forderungen, denn der Brexit ist aus meiner Sicht politisch sehr, sehr nah an Brandenburg.

(Bischoff [SPD]: Ja!)

Ich hoffe und gehe davon aus, dass wir als Bundesland Bran denburg a) in die politische Debatte über Ziele und Inhalte eu ropäischer Entwicklung vor allem vor dem Hintergrund der Ausgestaltung sozialer Aspekte der Europäischen Union ein treten werden, und b) im Konzert der Bundesländer eine wich tige Rolle spielen werden, wenn es um die Zukunft europäi scher Kohäsionspolitik in Europa insgesamt, aber auch hier in Brandenburg geht. - Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD sowie B90/GRÜNE)

Vielen Dank. - Wir setzen die Aussprache mit Frau Richstein fort. Sie spricht für die CDU-Fraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Anlass der heutigen Aktuellen Stunde ist in der Tat ein trauri ger, denn Großbritannien steht nach dem denkbar knappen Ausgang des Referendums nun wirklich vor einer Zerreißpro be. Das Vereinigte Königreich ist tief gespalten. Während Wales und England für den Austritt aus der Europäischen Uni on gestimmt haben, haben sich die Bürger Schottlands und Nordirlands mit deutlich größerer Mehrheit für den Verbleib in der Europäischen Union ausgesprochen. Darüber hinaus zeigt aber auch das Referendum eine tiefe Spaltung, man kann sa gen: zwischen den Generationen. Nach einer Umfrage des bri tischen Meinungsforschungsinstituts YouGov haben drei von vier Briten im Alter von 18 bis 24 Jahren für den Verbleib ge stimmt, und bei den 65-Jährigen waren es nur 39 %.

Zusätzlich ist das Land momentan von einer tiefen Unsicher heit gezeichnet, die sich auch massiv auf die britische Wirt schaft ausgewirkt hat. Ich kann Herrn Christoffers beipflichten: Es war konzeptlos, und vor allem war das, was danach ge

schah, auch verantwortungslos, denn gerade die Menschen, die Politiker, die dafür Sorge getragen haben, dass das Referendum so ausfiel, wie es ausfiel, sind zurückgetreten, haben das Schiff verlassen, das nun führungslos auf dem Meer schlingert. Man kann nur hoffen, dass mit der Ernennung von Theresa May zur neuen Premierministerin wieder Stabilität und Vertrauen in die politische Führung kommt.

(Kurth [SPD]: Mayday!)

Ich wünsche Dave Davis viel Glück bei den Verhandlungen. Jeder mag für sich selbst bewerten, warum ausgerechnet derje nige, der von Bord gegangen ist, nämlich Johnson, jetzt der Außenminister des Königreichs wird. Als überzeugte EU-Bür gerin bedauere ich die Entscheidung zutiefst, aber wir dürfen nicht zulassen, dass es durch dieses Referendum zu einer Zer reißprobe für die Europäische Union kommt. Vor diesem Hin tergrund möchte ich gern einen überzeugten Europäer zitieren, nämlich unseren Altkanzler Konrad Adenauer, der sagte:

„Die Einheit Europas war ein Traum von Wenigen. Sie wurde eine Hoffnung für Viele, und sie ist heute eine Notwendigkeit für alle.“

(Beifall CDU - Wichmann [CDU]: Genau!)

Diese Worte sagte Adenauer 1954, nachdem er in zwei Welt kriegen erlebt hat, wie sich die Länder Europas bis auf den Tod bekämpften; und nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wa ren er und seine Zeitgenossen sich sicher, dass sich so etwas niemals wiederholen darf. So wurde in vielen Jahrzehnten aus dem Schlachtfeld Europa Schritt für Schritt die Einheit Euro pas. Für diese Einheit müssen wir weiter kämpfen, denn sie ist ein absolut einzigartiges Friedens- und Zivilprojekt, das auf den Trümmern des Zweiten Weltkriegs aufgebaut wurde und uns seit Jahrzehnten ein friedliches Miteinander in Europa ga rantiert.

(Beifall CDU)

Die Europäische Union ist mittlerweile mehr als nur ein Frie densprojekt. Es ist ein Jahrhundertprojekt, das für alle Mit gliedsstaaten Sicherheit, politisches Gewicht in der Welt und wirtschaftliche Vorteile bringt, und dies ist gerade in Zeiten der Unsicherheit, der grenzüberschreitenden Herausforderungen wie der Globalisierung, des Terrorismus und der Flüchtlingsbe wegung wichtiger als je zuvor.