Protocol of the Session on June 9, 2016

(Gelächter und Beifall bei BVB/FREIE WÄHLER Grup pe, CDU und AfD)

Herr Minister, Sie haben Gelegenheit, für die Landesregierung das Wort zu ergreifen.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Ab geordneten! Ich bin froh, heute reden zu dürfen, denn ich gebe gerne zu: Mein Schweigegelübde im Innenausschuss war in weiten Teilen nicht leicht zu halten. Ich habe mich aber an de mokratische Spielregeln gehalten, die da lauten: Wenn Abge ordnete eine Anhörung ansetzen, dann schweigt die Regierung.

(Vogel [B90/GRÜNE]: Ja, genau! - Beifall SPD, DIE LINKE und B90/GRÜNE)

Abgeordnete können die Meinung der Regierung in jeder Aus schusssitzung einholen. Die Regierungsmitglieder können zu jeder Phase der Behandlung von Gesetzen mit den Ausschuss

mitgliedern reden. Deshalb sollten sie - und das ist guter Brauch - in Anhörungen schweigen.

(Vogel [B90/GRÜNE]: Ja! - Zuruf von der CDU: So ein Quatsch!)

Herr Vida, Ihr Ausgang gibt mir Gelegenheit, etwas richtig zu stellen, was falsch dargestellt wurde: Ich bezog mich auf mein Erlebnis in Brandenburg an der Havel. Da waren alko holisierte Menschen im Raum, und sie tranken sogar während der Leitbilddiskussion. Die leeren Bierflaschen lagen für je dermann sichtbar im Raum, und die Verbalinjurien, die dort durch den Raum geschmettert wurden, erfüllten den Tatbe stand der Beleidigung. Ich habe aber Abstand davon genom men, die Dinge noch zu verschärfen, weil ich den Bürgerdia log sachlich und nicht in einer „Quietscheenten-Atmosphäre“ beenden wollte.

(Genilke [CDU]: Das ist eine undifferenzierte Bemer kung!)

Meine Damen und Herren! Herr Petke, Sie haben einmal mehr die Chance versäumt, den Abgeordneten hier Ihr Konzept vor zustellen. Schade! Denn bislang war nicht mehr als die Über schrift „Kooperation statt Zwangsfusionen“ von Ihnen zu hö ren.

(Na, na, na! bei der CDU)

Ich hätte mich sehr gefreut, wenn wir miteinander über Alter nativen hätten reden können. Das können wir aber nicht. Des halb muss ich auf das eingehen, was Sie stattdessen hier gesagt haben.

Erstens: Sie haben das Ergebnis der Befassung im Innenaus schuss mit unserer Strukturreform ganz offensichtlich vorweg genommen. Die Abstimmung fand noch gar nicht statt, Sie aber sagen hier am Mikro, das sei im Ausschuss glatt durchge fallen. Habe ich da eine Sitzung versäumt?

Sie stellen fest: Alle Anzuhörenden außer Dr. Harald Sempf waren unisono gegen diese Reform.

(Zuruf von der CDU: Richtig!)

Das stimmt nicht. Ich war vom Beginn der Veranstaltung bis fast zu ihrem Ende anwesend, musste dann aber gehen, weil ich wegen einer anderen dringenden Sache den Bürgern noch ein paar Dinge sagen musste.

(Zuruf von der CDU: Wegen PR, ja!)

Zum Beispiel Landrat Ihrke sagte in seiner Einlassung: Meine Damen und Herren Abgeordnete, Sie werden sicherlich stau nen, dass ich als Betroffener die Reform nicht ablehne.

(Zuruf von der Fraktion DIE LINKE: Kreistagsbeschluss!)

Ich habe nur diese und jene Anmerkung. - Und dann führte er aus, was aus seiner Sicht an Feintuning noch stattfinden müss te.

(Zuruf des Abgeordneten Petke [CDU])

In gleicher Weise hat sich Landrat Schulze geäußert, beide an erkannte meinungsbildende Landräte, im Übrigen auch in den Gremien der SPD.

(Genilke [CDU]: Meinungsbildende Landräte?)

Und seien Sie versichert: Auch Bürgermeister, die zu hören waren, haben ganz klar gesagt: Diese Reform ist notwendig.

(Zuruf von der AfD: Ach so? - Ja, genau!)

Und Herr Petke, ich möchte Ihnen gerne sagen, dass Sie den Einlassungen zu Ihren Fragen falsche Tatsachenbehauptungen voranstellen. Die Koalition hat eben nicht die Prognose von 2050 zur Grundlage ihrer Einschätzung der Situation gemacht. Es ist lediglich darauf verwiesen worden, dass es in der Fort schreibung von demografischen Prognosen jetzt sogar Werte für 2040 und 2050 gibt. Aber weil, je weiter der Prognosehori zont ist, Schärfe und Belastbarkeit abnehmen, hat man sich bei seinem Leitbildentwurf ganz bewusst auf die Prognose 2030 bezogen, jedoch nicht mehr auf jene aus dem Jahre 2013, son dern auf die neueste, vom November 2015. Jetzt werden Sie sicherlich erstaunt sein, Herr Petke: Die Prognosen - es sind nunmehr vier an der Zahl - weichen zwar in Nuancen vonein ander ab, aber die Tendenz ist klar: Wir werden weniger, und zwar nicht gleichmäßig, sondern sehr ungleichmäßig.

(Zuruf des Abgeordneten Petke [CDU])

Da helfen auch nicht die paar Geburten.

Im Übrigen stellen die Gutachter fest, dass wir zunächst einen kleinen Aufwuchs haben werden, um dann wieder dramatisch Bevölkerung zu verlieren.

Auch die Zuwanderung wird uns nicht helfen. Ich nehme, seit ich Innenminister bin, an Einbürgerungsveranstaltungen teil. Deshalb weiß ich, wie ungleich die Einbürgerungen in unseren Landkreisen und kreisfreien Städten aussehen. Ich will Ihnen gern Zahlen nennen: Im Jahre 2015 sind 140 Menschen einge bürgert worden, die aus Potsdam stammen, 86 aus Oberhavel, 68 aus Potsdam-Mittelmark. Aus Prignitz hingegen waren es 9, aus Elbe-Elster 13, und in Brandenburg an der Havel gab es 16 Einbürgerungen. Schauen Sie bitte zurück; die Tendenz ist erkennbar. Im Jahr davor waren es in Brandenburg an der Ha vel, meine ich, 20; die Zahlen können Sie jederzeit bekommen.

(Senftleben [CDU]: Und was heißt das jetzt?)

Also ist auch hier das Prinzip Hoffnung, wenn man glaubt: Alles wird besser, wir wachsen auf.

Meine Damen und Herren, als stellvertretender Präsident des Deutschen Landkreistages habe ich in einer Landkreisver sammlung zum ersten Mal einen Vortrag über die demografi sche Situation gehört. Es war großes Schweigen, weil großes Erstaunen nach diesem Vortrag, denn der Vortragende - ein ho noriger Fachmann - hat uns damals - zum ersten Mal im Übri gen - die Situation für die Bundesrepublik klargemacht. Und, Herr Petke, darauf fragte ein Landrat, was denn das Schwie rigste bei solchen Prognosen sei. Die Antwort lautete: Die Poli tik!

(Frau Schade [AfD]: Ja!)

Der Fragende wollte eigentlich wissen: Was ist denn so schwer daran, eine solche Prognose zu machen? Wo sind denn die Un wägbarkeiten? - Deshalb waren wir alle - auch der Nachfragen de - überrascht. Das Problem ist ganz einfach: Politik igno riert - zumindest gelegentlich -, was schwer zu vermitteln ist. Politik lässt Dinge gelegentlich zu lange im Brutkasten und fasst sie erst dann an, wenn sie nicht mehr gestaltet und Proble me nicht mehr vernünftig gelöst werden können und man den Dingen hinterherläuft.

Deshalb ziehe ich den Hut vor den Damen und Herren, die den Mut haben, rechtzeitig zu gestalten, vor der Lage die Entschei dungen zu treffen und nicht zu warten, bis das Kind im Brun nen liegt, bis wir die Dinge hier nur noch reaktiv anfassen kön nen, denn dann wird alles nur noch in Hektik und nicht mehr gründlich erarbeitet.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Herr Petke, in Ermangelung der Auseinandersetzung mit Ihren Vorschlägen will ich noch einmal auf Kernthesen Ihrer öffent lichen Darstellung eingehen. Sie behaupten, dass den Men schen die Heimat genommen würde. Das ist eine schwerwie gende Behauptung. Das wäre ernst zu nehmen, wenn es denn so wäre. Aber was ist „die Heimat“? Ist das der Ort, wo die Kfz-Zulassungsstelle ist? Der Ort, wo das Bauordnungsamt steht oder die Führerscheinstelle? Verliert man die Freiheit, Herr Königer, wenn die Müllgebühren auf ein anderes Konto überwiesen werden als vorher? - Ich meine, nicht.

Worüber wir reden, ist nichts anderes als Verwaltungsgrenzen. Die Heimat wird den Menschen keineswegs weggenommen.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Im Gegenteil! Wir machen ihre Heimat zukunftsfest,

(Wichmann [CDU]: Das glauben Sie doch selber nicht!)

und das ist die Botschaft dieser Reform.

Meine Damen und Herren, und jetzt noch ein Wort zur Rheto rik der kreisfreien Städte: Natürlich, man verliert etwas. Man verliert einen Status.

(Königer [AfD]: Und man gewinnt nichts dazu! Das ist es doch!)

Man verliert Verwaltungsaufgaben, Aufgaben, die in der Regel als Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung übertragen worden sind, also außerhalb der Zuständigkeit von Stadtver ordneten liegen, reine Verwaltungsakte. Man verliert vielleicht Prestige, vielleicht auch die Möglichkeit, am Tische des Innen ministers zu verhandeln. Das mag spannender sein als am Tisch des Landrates, angenehmer ist es mit Sicherheit nicht. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, das rechtfertigt noch lange nicht, dass man die Bevölkerung mit bösartigen Falschbehauptungen verunsichert.

(Beifall SPD und der Abgeordneten Große [DIE LIN KE])

Und was hier behauptet wird - nach dem Verlust der Kreisfrei heit könnte der „böse Landkreis“ das gute städtische Kranken

haus verkaufen -, ist genauso falsch, genauso verleumderisch, wie es Menschen verunsichert. Da fehlt nur noch die Behaup tung, der „böse Landkreis“ würde nach der Einkreisung sofort die Grundsteuern erhöhen. Das wäre genauso falsch und fehlte noch in der Diskussion! Und, meine Damen und Herren, ich habe selbst als Landrat für meinen damaligen Kreis gekämpft. Aber mit falschen Argumenten bin ich nie - niemals - in die Diskussion gegangen.

Noch etwas zur Identitätsfindung: Ich habe als Landrat darun ter gelitten, dass Oberhavel nicht identitätsstiftend war, obwohl wir ein Oberhavellied hatten.

(Vogel [B90/GRÜNE]: Was? - Heiterkeit SPD und La chen bei B90/GRÜNE)